Logische Fehlschlüsse / Ein festes Fundament

Artikel von Andreas J. Köstenberger
6. Dezember 2016

Logik (vom griechischen Wort logos, dt. „Verstand“) ist die Lehre von den Prinzipien und Kriterien für die Gültigkeit von Schlussfolgerungen und Nachweisen; die Wissenschaft der formalen Prinzipien des Denkens“ (Merriam-Webster). Zwar geht die Theologie, die Wissenschaft von Gott, über die bloße Logik hinaus, doch ist es vernünftig, davon auszugehen, dass die Schrift sich an gängige Denkprinzipien hält. Wird sie richtig angewandt, leitet die Logik wahre Propositionen [Aussagen, die wahr oder falsch sein können; Anm. d. Redaktion] von anderen wahren Propositionen ab. Auch wenn die Schrift eine bestimmte Wahrheit vielleicht nicht explizit angibt, können wir wahre Aussagen machen, hinter denen die Autorität der Schrift steht – vorausgesetzt, sie werden von den Aussagen der Schrift richtig, also gemäß den Prinzipien logischen Denkens, abgeleitet.

Ein grundlegendes Verständnis der Regeln der Logik ist für eine gute Hermeneutik von entscheidender Bedeutung. Logische Trugschlüsse – sowohl formelle als auch informelle – findet man in jedem Studienfach, und die biblische Exegese ist da keine Ausnahme. Im Folgenden werde ich Beispiele für die häufigsten logischen Fehlschlüsse anführen, die man in Arbeiten mit der Bibel findet. Dazu gehören: 1. Falsche Disjunktionen; 2. Berufungen auf selektive Evidenz; 3. Unberechtigte assoziative Sprünge; 4. Falscher Umgang mit Syllogismen; 5. Falsche Aussagen und 6. Non-sequitur-Fehlschlüsse.

Falsche Disjunktionen treten auf, wenn ein Argument in einer Entweder-Oder-Form formuliert wird: Entweder A oder B ist wahr, aber nicht beide. Manchmal ist die Antwort aber auch „sowohl als auch/und“, und nicht „entweder/oder“. Nehmen wir z. B. die Beziehung zwischen Galater 3,28 und 1. Timotheus 2,12. Manchmal wird behauptet, dass Paulus’ Aussage in Galater 3, nach der in Christus „nicht Mann und Frau“ ist, alle geschlechterbezogenen Unterscheidungen im Hinblick auf den Gemeindedienst aufhebt, sodass das Verbot aus 1. Timotheus 2, nach dem Frauen in der Gemeinde nicht lehren oder Autorität über den Mann ausüben dürfen, als kulturell relative Anordnung erklärt werden müsse. Beides – die undifferenzierte Mann-Frau-Gleichheit in Christus und das Begrenzen von Gemeindeämtern auf Männer – kann nicht wahr sein, wird dann gesagt (oder zumindest impliziert), sodass letzteres Prinzip so relativiert werden müsse, dass es zum ersteren passt. Diese Art, disjunktiv zu denken, ist jedoch unzutreffend. Da 1. Timotheus 2,12 auf der Beschaffung der Schöpfungsordnung und dem Szenario beim Sündenfall gründet (V. 13–14), kann der Abschnitt nicht einfach als kulturell begrenzt abgetan werden. Plausibler ist da die Erklärung, dass Galater 3,28, wo aufgezeigt wird, dass die Unterscheidung zwischen Mann und Frau in Bezug auf die Errettung irrelevant ist, gar nicht von der Rollenverteilung der Geschlechter in der Gemeinde spricht. Diese Abschnitte beziehen sich also auf verschiedene (wenn auch verwandte) Themen. Beide Aussagen sind wahr: Männer und Frauen werden gleichermaßen allein aus Gnade durch den Glauben an Christus gerettet, und das Amt des Ältesten/Aufseher ist in der Schrift für Männer reserviert, wodurch die Schöpfungsordnung aufrechterhalten wird.

Berufungen auf selektive Evidenz kommen sehr häufig vor. Wir begehen diesen logischen Fehlschluss jedes Mal, wenn wir uns nur auf Quellen oder Abschnitte beziehen, die mit unserer Meinung zu einem bestimmten Thema übereinstimmen und wir dabei nicht auf die widersprechenden Belege oder Quellen eingehen. Ein spezifisches Beispiel hierfür kommt aus der „Benenne es und nimm es“-Theologie. In Kreisen, wo man so denkt, werden oft Bibelstellen zitiert, die Gebetserhörungen für „alles, was ihr bittet“ verheißen. Jesus sagt in Johannes 14,13–14 beispielsweise: „Was ihr bitten werdet in meinem Namen, das werde ich tun, damit der Vater verherrlicht wird im Sohn. Wenn ihr mich etwas bitten werdet in meinem Namen, so werde ich es tun.“ An anderen Stellen betont die Schrift, dass der Betende auch Glaube braucht (Hebräer 11,6; Jakobus 1,6). Man kann den „Benenne es und nimm es“-Ansatz aber nur aufrechterhalten, indem man die Belege selektiv anwendet und andere Stellen ignoriert, die die Art von Gebet einschränken, die Gott erhören wird: Gebete von Jüngern, die ihr Kreuz auf sich nehmen und Jesus folgen; Gebete, die um Ressourcen bitten, um Gottes Mission in der Welt auszuführen usw. Man tendiert dann auch oft dazu, das Mysterium des Leids zu ignorieren (siehe beispielsweise Jesu Anmerkungen in Lk 13,1–6), man kann nicht erklären, warum Gott bestimmte Gebete erhört und andere nicht (z. B. Gebete für die Errettung geliebter Menschen), und man weist nicht darauf hin, dass es keine biblische Garantie dafür gibt, dass Gott alle Gebete um Heilung erhört.

Unberechtigte assoziative Sprünge sind ebenso tückisch und lauern überall. D. A. Carson führt in seinem exzellenten Buch Stolpersteine der Schriftauslegung (Betanien, 2007) das klassische Beispiel an – Paulus Aussage in Philipper 4,13: „Alles vermag ich in dem, der mich kräftigt.“ Alles? Carson schreibt ganz richtig, dass Paulus’Aussage nicht einfach darauf ausgeweitet werden darf, dass man über den Mond springen, komplexe mathematische Aufgaben im Kopf lösen oder Sand zu Gold machen kann.

Über den Kontext von Paulus‘ Aussage in seinem Brief an die Philipper kommen bestimmte Einschränkungen zum Tragen, vor allem die Wichtgkeit von Zufriedenheit und davon, in der Lage zu sein, sowohl mit Armut als auch mit Reichtum umzugehen. Ein weiteres gängiges Beispiel für einen assoziativen Sprung wäre es, 2. Chronik 7,14 („Wenn mein Volk, über dem mein Name ausgerufen ist, sich demütigt …“) direkt auf die heutigen Demokratien anzuwenden, wo diese Aussage doch ursprünglich auf Israel als Theokratie bezogen war.

Auch falsch gehandhabte Syllogismen kommen sehr häufig vor. Ein Beispiel für ein Zwei-Schritt-Argument, das dafür sprechen soll, dass Frauen in der Gemeinde ein Amt innehaben können, und das auf der Anwendung des Begriffs Mitarbeiter (Griechisch: synergos) auf Timotheus (Römer 16,21) und Frauen wie Evodia und Snytyche (Philipper 4,2–3) beruht, könnte folgendermaßen aussehen:

SYLLOGISMUS Nr. 1:

  1. Timotheus ist ein Mitarbeiter von Paulus.
  2. Timotheus hatte ein Amt in der Gemeinde inne.
  3. Also hatten alle Mitarbeiter von Paulus ein Amt in der Gemeinde inne.

SYLLOGISMUS Nr. 2:

  1. Evodia und Syntyche sind Mitarbeiter von Paulus.
  2. Alle Mitarbeiter von Paulus hatten ein Amt in der Gemeinde inne (die Schlussfolgerung des ersten Syllogismus).
  3. Also hatten Evodia und Syntyche ein Amt in der Gemeinde inne.

Doch diese Art, zu argumentieren, ist mehrfach problematisch. Zunächst einmal ist der erste Syllogismus ungültig: die Schlussfolgerung folgt nicht wirklich aus den Prämissen. Das heißt, man kann aus den Prämissen „manches A ist B“ und „alles B ist C“ nicht kategorisch schließen: „Alles A ist C.“

Man könnte höchstens induktiv arbeiten und behaupten, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass alle Mitarbeiter von Paulus Ämter in den Gemeinden innehatten (oder innehaben konnten). Das wäre jedoch schwierig zu beweisen, weil die Untersuchung der Kontexte der relevanten Stellen ergibt, dass „Mitarbeiter“ im Neuen Testament ein flexiblerer Begriff ist, der verschiedene Formen von Partnerschaft meinen kann – sei es ein gemeinsamer Dienst, finanzielle Unterstützung oder andere Wege der Zusammenarbeit. Wie dem auch sei: Auf Syllogismen beruhende Argumente sind zwar gängig und auf den ersten Blick ansprechend, doch können sie sich bei genauerem Hinsehen als irrig und nicht tragbar erweisen.

Auch falsche Aussagen sind sehr geläufig, wobei es vielleicht besser wäre, diese Kategorie „die Verwendung fehlerhafter Prämissen“ zu nennen. Dieser Fehlschluss kann auch mit der gerade erwähnten fehlerhaften Verwendung von Syllogismen zu tun haben. Man muss bedenken, dass die Schlussfolgerung eines Syllogismus, auch wenn dieser formell gültig ist, falsch sein kann, wenn eine oder beide Prämissen falsch ist bzw. sind. Ein Beispiel hierfür ist die geläufige Art und Weise, Sprüche 29,18 zu zitieren: „Wo keine Vision ist, geht das Volk zugrunde“. Dabei werden mit Vision die Pläne, Wünsche und Erwartungen eines Anführers oder einer Gruppe für die Zukunft angedeutet, und nicht die prophetische Offenbarung, die eigentlich gemeint zu sein scheint. In der Schlachter-Übersetzung kommt das gut heraus: „Wo keine Offenbarung ist, wird das Volk zügellos“ (Hervorhebung vom Autor).

Ich könnte hier noch weitermachen, doch möchte ich an dieser Stelle mit einer meiner Lieblingskategorien schließen, den non-sequitur-Fehlschlüssen (lt. für „es folgt nicht“). Hier könnte man viele Beispiele anführen, doch der häufigste Fehler in dieser Rubrik ist wohl das unzulässige argumentum ex silencio. Bedenken Sie z. B. einmal die nicht ungewöhnliche Behauptung, dass Markus und Johannes die Jungfrauengeburt nicht erwähnen, weil sie entweder nichts davon wussten oder nicht daran geglaubt haben, wenn sie davon wussten. Das ist sicher keine logische Schlussfolgerung und sowohl ein non-sequitur-Fehlschluss als auch ein unzulässiges argumentum ex silencio. Was ist mit den anderen angeführten Gründen, z. B. Markus’ Wunsch nach Prägnanz oder Johannes’ Verweis auf Jesu ewige Präexistenz als Sohn Gottes?

Noch wichtiger: Ich würde gerne jedes Mal fünf Cent einstreichen, wenn ich das Argument höre, dass wir davon ausgehen können, dass Jesus Homosexualität geduldet hat, weil er dieses Thema nie explizit angesprochen hat. Dabei übersieht man freilich, dass Jesus Folgendes unmissverständlich klargestellt hat: „Habt ihr nicht gelesen, dass der, welcher sie schuf, sie von Anfang an als Mann und Frau schuf und sprach: ‚Darum wird ein Mensch Vater und Mutter verlassen und seiner Frau anhängen, und es werden die zwei ein Fleisch sein‘?“ (Matthäus 19,4–5). Es ist schwierig, aus dieser starken Bekräftigung der zweigeschlechtlichen Ehe zu schließen, dass Jesus die gleichgeschlechtliche Ehe geduldet hat.

Diese Beispiele betonen, wie wichtig es ist, beim Interpretieren der Schrift logisch zu denken. Es bleibt nun kein Raum mehr, zahlreiche weitere Fehlschlüsse zu behandeln, wie z. B. jene, die mit emotionalen Appellen, leichtfertigem Abtun, unzulässigen Analogien, vereinfachten Berufungen auf Autorität, aus fragwürdigen Argumentationen resultierenden Fehlschlüsse und der unzulässigen Verwendung von Wörtern wie „offensichtlich“ zu tun haben. Es möge ausreichen, zu sagen, dass jeder Arbeiter, der sich wirklich nach Gottes Bestätigung in seinem Umgang mit der Schrift sehnt (2. Timotheus 2,15), gut daran tun wird, sich selbst ernsthaft an die guten Prinzipien der Logik und des rechten Denkens zu halten.


Dr. Andreas. J. Köstenberger ist Senior Research Professor für Neues Testament und Biblische Theologie am Southeastern Baptist Theological Seminary in Wake Forest, North Carolina, USA. Der Artikel wurde zuerst in der der Zeitschrift Tabletalk veröffentlicht (Ausgabe 1/2014). Übersetzung und Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.

Andreas J. Köstenberger ist Forschungsprofessor für Neues Testament und Biblische Theologie und Direktor des Zentrums für Biblische Studien am Midwestern Baptist Theological Seminary in Kansas City. Er ist Autor mehrerer Bücher, darunter das auf Deutsch erschienene Induktives Bibelstudium.