„Die Sünde, die uns so leicht umstrickt“
Da ich in West Virginia aufgewachsen bin, habe ich während meiner Kindheit den Sommer damit verbracht, den Wald zu erforschen. Unser Spielplatz waren Felsen, Flüsse und Wanderpfade.
Eines Nachmittags entdeckten ein Freund und ich etwas, von dem wir dachten, dass es eine Höhle am Rande eines Felsens wäre. Wir zwängten uns auf unseren Händen, auf Knien und mit der Hilfe einer Taschenlampe in den kalten Tunnel. Unsere Begeisterung wuchs, als der Tunnel sich zu etwas öffnete, was wie eine Untergrundkathedrale aussah. Es war eine Traumwelt für Jungs wie uns.
Aber unser Traum wurde bald zu einem Alptraum, als die Taschenlampe anfing zu flackern. Die Kammer wurde dunkel und wir rangen damit, unsere Schritte zurückzuverfolgen. Die Schatten nahmen zu und Schrecken schien uns die Luft zu rauben. Dunkelheit legte sich über unsere Augen und wir waren uns sicher, dass die Höhle unser Grab werden würde.
Dann durchdrang ein Lichtstrahl die Dunkelheit. Er erschien lang genug, damit wir in seine Richtung stolpern und durch den Tunnel kriechen konnten. Als wir endlich aus der Höhle heraus waren, standen wir im Sonnenlicht und weinten vor Freude und atmeten die frische Freiheitsluft.
Die verstrickende Umklammerung der Sünde ist sehr ähnlich mit diesem Gefangensein in einer Höhle. Ihre erdrückende Macht kann sich überwältigend und unentrinnbar anfühlen. Freude, Frieden und Hoffnung kann sich in der Dunkelheit verflüchtigen.
Obwohl Christus die Macht der Sünde besiegt hat, können wir der Versuchung nachgeben und der Sünde gestatten, uns zu besiegen. Unsere Freiheit kann sich manchmal fragwürdig anfühlen, während wir mit der verbleibenden Sünde kämpfen. Alle Christen ringen mit der Sünde im Allgemeinen, aber die meisten können eine ständig wiederkehrende Sünde identifizieren. Ich meine damit einen einzigartigen Schwächebereich, bei dem wir besonders anfällig sind, der Versuchung nachzugeben. Das mag Zorn sein, der sich unkontrollierbar anfühlt, oder Lust, die unauslöschlich scheint.
Die beängstigende Kraft dieser Sünde fühlt sich unausweichlich an. Aber Gott leuchtet mit einer Verheißung in die fesselnde Dunkelheit. Er verspricht, „einen Ausgang zu schaffen, so dass [wir] sie ertragen können“ (1Kor 10,13). Was ist dieser Ausgang? Das sagt uns der Verfasser des Hebräerbriefs:
Lasst uns jede Last ablegen und die Sünde, die uns so leicht umstrickt, und lasst uns mit Ausdauer laufen in dem Kampf, der vor uns liegt, indem wir hinschauen auf Jesus, den Anfänger und Vollender des Glaubens. (Hebr 12,1–2)
Die Sünde will, dass wir alles andere tun, als hinschauen auf Jesus. Unser Widersacher legt verführerische Vergnügen vor unsere Herzen. Zusammen mit ihnen wispert er Anschuldigungen, gefolgt von verurteilender Scham und paralysierender Schuld. Diese Gedanken rühren einen desillusionierenden Wirbelwind in unserem Fleisch an.
Aber ein wahrer Blick auf Jesus bringt Besonnenheit in unsere Seelen. Seine Schönheit erweckt uns von unserem sündhaften Schlummer und befähigt uns, die Sünde abzulegen, die uns umstrickt und behindert. Wie also schauen wir hin zu Jesus und finden seine stärkende Hilfe? Wir schauen hin zu ihm im Wort Gottes.
Schaue hin zu Jesus im Wort
Bevor wir weitergehen, muss ich klar sagen, was ich nicht meine. Ich deute nicht an, dass einfach das Buch aufzuschlagen und ein paar Verse zu lesen dich auf magische Weise befähigt, Sünde abzutöten. Das ist Unsinn. Stattdessen ist diese Art von jesussehendem Bibellesen ein Akt des Glaubens. Wir öffnen die Schrift mit Verzweiflung und flehen Gott an, sein Wort zu gebrauchen, um uns Jesus zu zeigen.
Während wir betend lesen, hilft uns der Heilige Geist, Christus im Wort zu sehen. Durch die Hilfe des Geistes „schauen wir mit unverhülltem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn an wie in einem Spiegel, werden verwandelt in dasselbe Bild von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, nämlich vom Geist des Herrn“ (2Kor 3,18).
Sieh seine Person im Wort
Im Wort Gottes sehen wir Christi Person. Wir schauen zu, wie der ewige Sohn seine göttlichen Rechte ablegt und demütig zu uns kommt. Wir staunen, wenn wir sehen, wie er eine Welt zurücklässt, wo die Engel rufen: „Heilig! Heilig! Heilig!“ und eine Welt betritt, wo Sünder rufen: „Kreuzigt ihn! Kreuzigt ihn!“ Wir sehen, wie seine Hände der Barmherzigkeit den unberührbaren Aussätzigen anrühren. Wir beobachten seine Sanftheit gegenüber der verachteten Frau, die seine Füße mit ihren Tränen wusch. Wir sehen die fleischgewordene Liebe, voller Gnade und Wahrheit.
Wenn wir seine Liebe sehen, wird die Lust weniger liebenswürdig. Gleichgültigkeit verwandelt sich in heilige Leidenschaft. Wut wird durch Geduld überdeckt. Eifersucht wird überflügelt durch Genügsamkeit. Diese Transformation von einer Stufe der Herrlichkeit zur nächsten geschieht nicht in einem Augenblick. Sie geschieht langsam, aber doch gewiss. Schmerzhaft, und doch angenehm. Gott gebraucht sein Wort, um den Krebs verbleibender Sünde herauszuschneiden und uns mehr zu machen, wie er selbst ist.
Sieh seine Werke im Wort
Im Wort Gottes sehen wir auch seine Werke. Wir sehen, wie er sich herablässt, um die Füße der Jünger zu waschen, von denen er wusste, dass sie ihn verlassen würden. Wir schauen zu, wie Sünder ihn mit Mündern bespucken, die dazu gedacht waren, ihn zu preisen. Wir erblicken den Sohn der Herrlichkeit, wie er an einem Baum der Schande hängt. Wir rennen mit Petrus und blicken in das leere Grab. Wir werden mit in den Himmel erhoben, wo wir ihn finden, wie er für uns vor dem Thron der Gnade eintritt.
Indem wir ihn sehen, wie er uns rettet und uns dient, wächst unser Vertrauen auf ihn. Sein genügsamer Tod vertieft unser Verlangen, für ihn zu leben. Sein Opfer bewegt uns zu dankbarer Freude. Seine Unterordnung unter den Vater hilft uns, der reinigenden Züchtigung des Vaters zu vertrauen. Seine unablässige Fürbitte gibt uns Mut zum Kampf. Wenn wir Jesu Dienst anschauen, werden unsere Gefühle erweckt und uns wird geholfen, zu glauben, dass die Freude des Gehorsams besser ist als der vergängliche Genuss der Sünde.
Höre seine Verheißungen im Wort
Im Wort Gottes hören wir auch seine Verheißungen. Wir werden auf die Bergspitze gebeten, wo er sagt: „Glückselig sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen!“ Wir sind eingeladen, unsere Lasten zu bringen, wenn er einlädt: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, so will ich euch erquicken!“ Die, die durch den Kampf mit der Sünde mühselig geworden sind, vergewissert er: „Ja, ich komme bald!“
Wenn wir unsere Hoffnung hierauf setzen, bekommen wir den Mut, Beziehungen zu knüpfen, in denen wir unsere Sünden schnell, ehrlich und regelmäßig bekennen. Das ist die Grundlage unserer Ermutigung und hilft dabei, dass wir uns vor dem Betrug der Sünde schützen.
Also, kämpfender Heiliger, schau auf das Licht Jesu im Wort Gottes. Bitte Gott, deine Augen zu öffnen, damit du seine Schönheit sehen kannst. Verbinde deine Hände demütig mit denen in deiner Gemeinde und richtet eure Augen gemeinsam auf Jesus, der bald kommt, um uns zu einem Land zu führen, wo Sünde tot ist und Glauben in Schauen verwandelt wird. Wir sind fast zuhause; lass dich nicht entmutigen.