Sünder in den Händen eines zornigen Gottes

Jonathan Edwards und die Erweckungsbewegung des First Great Awakening

Artikel von Stephen Nichols
6. August 2018 — 10 Min Lesedauer

Der Brief eines Zwölfjährigen

Am 10. Mai 1716 schrieb Jonathan Edwards einen Brief an Mary, eine seiner zehn Schwestern. Edwards war 12 Jahre alt, als er diesen Brief schrieb. Es ist der erste Brief, den wir von ihm kennen. Im ersten Absatz geht es um Erweckung. De erste bekannte Satz von Jonathan Edwards handelt von Erweckung. Er schreibt:

Liebe Mary,

durch die wunderbare Barmherzigkeit und Güte Gottes wurde dieser Ort beachtlich bewegt und der Geist Gottes wurde ausgegossen. Es dauert bis heute an, auch wenn ich Grund zur Annahme habe, dass es in einem gewissen Maß abgenommen hat. Dennoch hoffe ich, dass es nicht viel ist. Ungefähr 13 Leute haben sich der Gemeinde angeschlossen und nehmen am Abendmahl teil. … Ich denke, es kommen jeden Montag gewöhnlich über 30 Menschen, die mit unserem Vater über den Zustand ihrer Seelen reden wollen.

Er lässt sie im Folgenden wissen, dass Abigail, Hannah und Lucy, drei andere Schwestern, alle Windpocken haben und er selbst Zahnschmerzen. Aber diese Zeit der Erweckung beherrscht Edwards‘ Bericht aus der Gemeinde seines Vaters in East Windsor, Connecticut.

Plötzlich Hauptpastor

Nach dem Abschluss seines Studiums in Yale nahm Edwards eine Stelle als Assistenzpastor in Northampton, Massachusetts, an. Sein Großvater mütterlicherseits, Solomon Stoddard, war dort der Hauptpastor. Zwei Jahre später verstarb Stoddard und Edwards wurde plötzlich alleiniger Pastor der zweitgrößten Gemeinde in den Kolonien Neuenglands. 1731 wurde Edwards dazu berufen, die Predigt zur Abschlussfeier an der Universität in Harvard zu halten. Für die Pastoren Neuenglands waren die Abschlussfeiern Harvards vergleichbar mit dem Super Bowl. Jeder kam, um zuzuschauen. Edwards predigte also zu einem vollen Haus von Pastoren, von denen viele länger im Dienst standen als er Lebensjahre zählte. Edwards hielt eine Predigt mit dem Titel „Gott wird im Erlösungswerk verherrlicht“. Es war seine erste Predigt, die veröffentlicht wurde. Er erklärte darin: „Gott wird im Erlösungswerk verherrlicht, weil darin eine so absolute und universelle Abhängigkeit der Erlösten von Gott zu sehen ist“. Das heißt, die Errettung ist vom Anfang bis zum Ende ein Werk Gottes. „Lasst uns allein Gott erhöhen“, schloss Edwards, „und ihm alle Ehre für die Erlösung zuschreiben“.

Erweckung als beherrschendes Thema

Für die nächsten drei Jahre predigte Edwards die Lehren der Gnade in seiner Gemeinde in Northampton. Im Jahr 1734 hielt er eine Predigt mit dem Titel „Ein göttliches und übernatürliches Licht“. Wenn tote Seelen zu neuem Leben auferstehen, wenn blinde Augen die Schönheit des Evangeliums sehen und wenn tote Ohren die verändernde Wahrheit vom Erlösungswerk Christi hören – das alles kommt von dem göttlichen und übernatürlichen Licht. Es ist nicht ein menschliches oder natürliches Licht. Geistliche Erweckung kommt vom Himmel.

Wie bereits Jesaja 55,10–11 verheißt, kam die Predigt des Wortes Gottes bei Edwards nicht leer zurück. Sie richtete aus, was Gott gefiel.

„Erweckung war das beherrschende Thema des Lebens und des Dienstes von Jonathan Edwards.“

 

Von 1734 bis 1736 gab es Erweckungen in den Städten und Gemeinden rund um das Connecticut River Valley. Edwards berichtet davon in seinem ersten Buch, Ein treuer Bericht über das überraschende Werk Gottes in der Bekehrung vieler hunderter Seelen in Northampton und den angrenzenden Städten, engl. A Faithful Narrative of the Surprising Work of God in the Conversion of Many Hundred Souls in Northampton and in the Neighboring Towns (1737).

Jonathan Edwards‘ erster Brief war ein Bericht über die Ausgießung des Geistes Gottes. Seine erste veröffentlichte Predigt war eine klare Verkündigung der Souveränität Gottes im Erlösungswerk. Sein erstes Buch erzählte die Geschichte einer Erweckung. Erweckung war das beherrschende Thema des Lebens und des Dienstes von Jonathan Edwards.

Die Ausbreitung der Erweckungsbewegung

Die Erweckung im Connecticut River Valley war jedoch nur der Anfang. In den Jahren 1740-1742 schenkte Gott eine weitere Zeit der Ausgießung des Heiligen Geistes, indem Erweckung nicht nur zu allen Gemeinden in den Kolonien kam, sondern bis nach England. In England predigten George Whitefield und die Brüder John und Charles Wesley zu Zehntausenden – vielfach im Freien. Bald darauf überquerte Whitefield den Atlantik und predigte auch in den Kolonien zu Menschenmassen. Als unermüdlicher Evangelist reiste Whitefield immer wieder über den Atlantik und tausende von Meilen auf seinem Pferd.

In der Zwischenzeit setzte Edwards die Verkündigung des Evangeliums in fesselnden Predigten fort. Am 8. Juli 1741 besuchte Edwards einmal mitten in der Woche einen Gottesdienst in Enfield, Connecticut. Er war gar nicht der vorgesehene Prediger für diesen Abend. Der vorgesehene Prediger war krank und konnte nicht predigen. Eleazer Wheelock, der später das Dartmouth College gründete, spornte Edwards dazu an, sich auf die Kanzel zu begeben.
An diesem Abend hielt Edwards die wahrscheinlich berühmteste und meistgelesene Predigt, die jemals auf nordamerikanischem Boden gehalten wurde, „Die Sünder in den Händen eines zornigen Gottes“. Die Dramatik überwältigte die Zuhörer. Sie kreischten und schrien. Aber die Dramatik entstand nicht durch Edwards‘ Rhetorik. Statt die Versammlung in einen Rausch zu versetzen, wartete Edwards, bis sich die Gemeinde wieder beruhigt hatte, bevor er seine Predigt fortsetzte. Die Dramatik kam nicht durch die Rhetorik, sondern durch die Wahrheit. Er sprach von der ewigen Verdammnis und davon, dass wir alle am Abgrund des ewigen Gerichts stehen. Der Bogen des Zornes Gottes ist gespannt und der Pfeil direkt auf uns gerichtet. Wir sind wie Spinnen, die über dem Schlund der Hölle baumeln, und nur durch einen seidenen Faden vor den Flammen bewahrt werden. – Gott gebrauchte Edwards‘ Worte, um die Herzen zu berühren.

Edwards legte auf die bildhafte Beschreibung des Gerichts genauso viel Wert wie auf die bildhafte Beschreibung der Erlösung. Christus hat „die Tür der Barmherzigkeit weit aufgesperrt und steht in der Tür und ruft mit einer lauten Stimme zu armen Sündern“. So sah seine Leidenschaft für das Evangelium aus.

Auswirkungen der Erweckungsbewegungen

Historiker sprechen von dem First Great Awakening (dt. erste große Erweckung). Es bleibt eines der wichtigsten Ereignisse in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Die Erweckungsbewegung hatte Fürsprecher, Gegner und Eiferer. Zu den Eiferern gehörten Männer wie James Davenport. Er beschrieb für gewöhnlich Pastoren als „Wölfe im Schafspelz“, leitete öffentliche Bücherverbrennungen und zeigte jede Art von extremem Verhalten. Obwohl er später vieles zurücknahm und auszubessern versuchte, fügte er der Bewegung großen Schaden zu. Sein Auftreten wurde von Kritikern der Erweckung genutzt, z.B. von Charles Chauncy. Dieser schaute auf fehlenden Anstand in der Bewegung herab. Er stand für Ordnung und ein Verständnis von Religion, dass deutlich stärker den privaten Rahmen betonte. Viel problematischer jedoch war die Theologie Chauncys. Er war Universalist (d.h. er vertrat die Allversöhnung, Anmerkung des Übersetzers). Weil er sich der Stimmung seiner Zeit bewusst war, hielt er die Veröffentlichung des Manuskripts zurück, in welchem er seine häretischen Ansichten verteidigte. Aber seine Kritik der Erweckung und ihrer Prediger hielt er nicht zurück.

Zwischen Eiferern und Gegnern stehen Pastoren, die Gott gebrauchte, um eine Ereckunng in die Kolonien zu bringen. Edwards war der große Theologe der Erweckung, Whitefield der große Evangelist. Ihnen stand eine ganze Gruppe weiterer Pastoren bei. Gilbert Tennent war ein irischer Einwanderer und bekannter presbyterianischer Pfarrer. Er hielt eine Predigt mit dem Titel: „Die Gefahr eines unbekehrten Predigers“. Die Predigt, wie man sich vorstellen kann, trug zu einer Spaltung der Presbyterianer in die New Side und die Old Side. (In den kongregationalistischen Gemeinden, in denen Edwards wirkte, gab es eine Spaltung zwischen den New Lights und den Old Lights.) Ein weiterer Faktor bei der Spaltung war die Uneinigkeit über die Ausbildung zum Pastorendienst, besonders in Bezug auf die Ausbildung, die am Log College in Neshaminy, Pennsylvania, angeboten wurde, das von dem Vater von Gilbert Tennent gegründet und geführt wurde. Das College zog über die Delaware River nach Osten um und wurde in das College von New Jersey umbenannt, bevor es den Namen Princeton erhielt. Über zwei Generationen bildete die Princeton University gut geschulte und bekenntnistreue presbyterianische Pfarrer sowie Rechtsanwälte und Ärzte aus. 1812 wurde das Princeton Theological Seminary gegründet, um die Aufgabe der Pfarrausbildung zu übernehmen. Das große Vermächtnis von Princeton, das bis in die Zeit von J. Gresham Machen in den 1920ern reichte, begann in der Erweckungsbewegung.

In den frühen Tagen des First Great Awakening predigte Whitefield in einem Eichenhain in Chester County, Pennsylvania. Mehr als zehntausend Menschen kamen, um ihn predigen zu hören, d.h. fast jeder aus dem Landkreis und den umgebenden Städten kam zu der Predigt. In dieser Zeit und in der Nähe dieses Eichenhains gründete Samuel Blair eine presbyterianische Gemeinde sowie seine eigene Version des Log College. Blair hatte einen hervorragenden Schüler, Samuel Davies. Aus walisisch-baptistischer Abstammung wurde Davies ein presbyterianischer Missionar im anglikanischen Virginia. Er leitete seine eigenen Erweckungen und sein Erfolg machte ihn schließlich zur Zielscheibe der etablierten anglikanischen Kirche. Sie sahen ihn als einen „ungebetenen Eindringling in diese Teile des Landes“. Er widersetzte sich und bekam die Erlaubnis, in Virginia zu predigen, wodurch Davies zu einer der frühesten Stimmen gegen das Landeskirchentum wurde. Davies schrieb auch Kirchenlieder, wie „Great God of Wonders!“ Er wurde 1759 Nachfolger von Jonathan Edwards als Präsident von Princeton. Seine Amtszeit dauerte 18 Monate, da er am 4. Februar 1761 verstarb.

„Die Erweckungsbewegung des First Great Awakening hatte ihre Exzesse und Fehler, aber sie hatte auch einen großen Einfluss auf die damalige Zeit, das Jahrzehnt der 1740er, und auf die nordamerikanische Kirche und Kultur.“

 

Die Erweckungsbewegung des First Great Awakening hatte ihre Exzesse und Fehler, aber sie hatte auch einen großen Einfluss auf die damalige Zeit, das Jahrzehnt der 1740er, und auf die nordamerikanische Kirche und Kultur. Es würde noch weitere große Erweckungen geben. Ungefähr 1825 begann die Second Great Awakening mit Charles Grandison Finney im Zentrum. Dwight L. Moody war die führende Gestalt der Third Great Awakening zum Ende des 19. Jahrhunderts. Es ist genauer, wenn man sagt, dass das 19. Jahrhundert eine Welle von Erweckungen erlebte, die sich in ihrem Wesen, ihrer Dauer und ihrem Ort unterschieden. Das 20. Jahrhundert knüpfte mit den zwei herausstechenden Persönlichkeiten Billy Sunday (in der ersten Hälfte) und Billy Graham (in der zweiten) daran an.

Was sollen wir von Erweckungen halten?

Das alles führt zu einigen wichtigen Fragen. Was sollen wir von Erweckungen halten? Sind sie gut? Sollten wir dafür beten?

Es besteht kein Zweifel, dass es Exzesse gab. Es gibt viele Beispiele für schlechte Theologie in der Erweckungsgeschichte Nordamerikas. Leider ist daraus viel Schaden entstanden. Nichtsdestotrotz können wir auch vieles finden, das hilfreich ist, besonders, wenn wir ins Northampton der Jahre 1731-1734 zurückkehren. Edwards war ein treuer Pastor, der seine Aufgabe, das Evangelium Gottes treu zu verkünden, ausführte. Er predigte mit der Überzeugung, dass Menschenleben davon abhingen – weil es stimmte. Er predigte mit Leidenschaft, weil er die Dringlichkeit des Augenblicks erkannte.

Man könnte sagen, dass Erweckungen in zwei Formen kommen. Es gibt die Erweckung, bei der neues Leben aus dem Tod erweckt wird. Das ist der Ruf an arme Sünder. Aber selbst die, die schon erweckt wurden, brauchen neue Erweckungen. Wir schlummern in unserer geistlichen Faulheit und werden zum Erwachen gerufen. Das ist der Ruf an erlöste Sünder. Und es geschieht nicht durch menschliche Leistung oder natürliche Mittel. Wir werden nur und ausschließlich durch ein göttliches und übernatürliches Licht erweckt – nur durch Gottes Gnade und immer zu Gottes Ehre.