Theologische Anarchie vermeiden

Warum es Glaubenskenntnisse braucht

Artikel von R.C. Sproul
11. September 2018 — 4 Min Lesedauer

Das lateinische Wort credo bedeutet einfach „ich glaube“. Es stellt das erste Wort des Apostolischen Glaubensbekenntnisses dar. Im Laufe der Kirchengeschichte war es immer wieder notwendig, dass sich die Kirche Bekenntnisse ihres Glaubens zu eigen machte, um den christlichen Glauben klarzustellen und den wahren Inhalt von Irrtum und falschen Vorstellungen des Glaubens zu unterscheiden. Solche Glaubensbekenntnisse sind anders als die Heilige Schrift, denn die Schrift ist norma normans („die Regel, die regelt“), während die Glaubensbekenntnisse norma normata („eine Regel, die geregelt ist“) darstellen.

In der Geschichte haben christliche Glaubensbekenntnisse alles beinhaltet, von kurzen Bekräftigungen bis hin zu umfassenden Erklärungen. Das früheste christliche Glaubensbekenntnis lässt sich im Neuen Testament finden und sagt aus: „Jesus ist Herr“. Das Neue Testament macht eine etwas kryptische Aussage über diese Bekräftigung, denn es sagt, dass niemand diese Aussage machen kann außer im Heiligen Geist. Was sollen wir hieraus verstehen? Auf der einen Seite sagt uns das Neue Testament, dass Menschen Gott mit ihren Lippen ehren können, während ihr Herz fern von ihm ist. Das heißt, Menschen können Glaubensbekenntnisse aufsagen und ihren Glauben bekräftigen, ohne wirklich an diese Bekräftigungen zu glauben. Warum würde das Neue Testament nun sagen, dass niemand dieses Bekenntnis machen kann außer im Heiligen Geist? Vielleicht wegen der Kosten, die damit verbunden waren, dieses Bekenntnis im Kontext des antiken Roms zu machen.

Der Loyalitätseid, den jeder römische Bürger leisten musste, um seine Treue gegenüber dem Reich im allgemeinen und dem Kaiser im speziellen zu demonstrieren, bestand darin, öffentlich zu sagen: „Kaiser Kurios“, das heißt: „Der Kaiser ist Herr“. Im ersten Jahrhundert waren die Christen eifrig bemüht, den zivilen Autoritäten zu gehorchen, einschließlich des unterdrückenden Kaiserregimes, und doch, wenn es zu einem öffentlichen Bekenntnis kam, dass der Kaiser Herr ist, konnten Christen nicht mit gutem Gewissen mitmachen. Als Ersatz für die Redewendung „Der Kaiser ist Herr“ bekräftigten die frühen Christen ihren Glauben und sprachen „Jesus ist Herr“. Das zu tun provozierte den Zorn der römischen Regierung und kostete in vielen Fällen den Christen das Leben. Deshalb machten die Menschen tendenziell dieses öffentliche Bekenntnis nicht, wenn sie nicht vom Heiligen Geist dazu angetrieben wurden. Das einfach Bekenntnis „Jesus ist Herr“ oder auch umfassendere Bekenntnisse wie das Apostolische Glaubensbekenntnis geben eine Übersicht der grundlegenden, wesentlichen Lehren. Die Bekenntnisse fassen den Inhalt des Neuen Testaments zusammen.

Die Bekenntnisse benutzten diese Zusammenfassung auch, um Häretiker im vierten Jahrhundert auszuschließen. Indem sie das Bekenntnis von Nicäa bekräftigte, untermauerte die Kirche kategorisch ihren Glauben an die Göttlichkeit Christi und an die Lehre der Dreieinigkeit. Diese Bekräftigungen wurden als wesentliche Wahrheiten des christlichen Glaubens verstanden. Sie waren wesentlich, weil ohne Einbezug dieser Wahrheiten das Christentum entstellt wäre.

Zur Zeit der Reformation gab es eine Vielzahl von Glaubensbekenntnissen, weil die protestantische Gemeinschaft es für notwendig erachtete, in der Hitze der damaligen Kontroverse definitive Aussagen darüber zu machen, was sie glaubten und was ihren Glauben von der Theologie der römisch-katholischen Kirche unterschied. Rom selbst verfasste bekenntnismäßige Aussagen beim Konzil von Trient in der Mitte des 16. Jahrhunderts als Antwort auf die protestantische Bewegung. Aber jede protestantische Gruppe, wie die Lutheraner, die Schweizer Reformierten und die schottischen Reformierten, erachtete es für notwendig, die Wahrheit klarzustellen, die sie bekräftigte. Das wurde notwendig, nicht nur aufgrund von Meinungsverschiedenheiten innerhalb der reformierten Gruppen, sondern auch um die protestantische Position gegen vielfache Fehldarstellungen von Seiten ihrer römisch-katholischen Widersacher klarzustellen. Das Glaubensbekenntnis aus dem 17. Jahrhundert, welches als Westminster Bekenntnis bekannt wurde, ist eines der genauesten und umfassendsten Glaubensbekenntnisse, die aus der Reformation entstanden sind. Es ist ein Vorbild an Genauigkeit und biblischer Rechtgläubigkeit. Dennoch ist es aufgrund seiner Länge und seiner umfassenden Dimension schwer, zwei Verfechter des Westminster Bekenntnisses zu finden, die bei jedem einzelnen Punkt die gleiche Meinung haben. Deshalb verlangen Kirchen, die das Westminster Bekenntnis oder ähnliche Glaubensbekenntnisse gebrauchen, von ihren Anhängern lediglich, dass sie „das Gerüst der Lehre, welches darin enthalten ist“ anerkennen. Diese späteren protestantischen Glaubensbekenntnisse hatten nicht nur das Ziel, das zu bekräftigen, was als wesentlich für das Christentum erachtet wurde, sondern auch die Besonderheiten der religiösen Gemeinschaft klarzustellen, die solch ein umfassendes Glaubensbekenntnis gebrauchte.

Heutzutage herrscht eine starke Antipathie gegen jede Art von Glaubensbekenntnissen. Auf der einen Seite ist der Relativismus, der in der modernen Kultur allgegenwärtig ist, jedem Bekenntnis zu absoluter Wahrheit gegenüber abgeneigt. Nicht nur das, wir erleben auch eine starke negative Reaktion gegen das rationale und aussagenlogische Wesen der Wahrheit. Glaubensbekenntnisse sind ein Versuch, ein kohärentes und einheitliches Verständnis des ganzen Umfangs der Heiligen Schrift aufzuzeigen. In diesem Sinne sind sie kurze Erklärungen von dem, was historisch „systematische Theologie“ genannt wurde. Die Vorstellung von systematischer Theologie unterstellt, dass alles, was Gott sagt, kohärent ist und sich nicht widerspricht. Folglich sind diese Glaubensbekenntnisse nicht aus rein rationaler Spekulation entstanden, und sie sind geschrieben, um verständlich zu sein. Ohne solche Glaubensbekenntnisse herrscht theologische Anarchie in der Kirche und in der Welt.