Greg Boyds Missverständnisse über den „Gott des Krieges“

Artikel von Paul Copan
7. Februar 2019 — 34 Min Lesedauer

Wenn du denkst, dass Gott im Alten Testament für bestimmte Vergehen die Todesstrafe vorsah oder Israel befahl, die Kanaaniter unter Zwang zu vertreiben, liegst du laut dem Pastor und Theologen Greg Boyd falsch.

In seinem zweibändigen Buch The Crucifixion of the Warrior God: Interpreting the Old Testament’s Violent Portraits of God in Light of the Cross argumentiert Boyd, dass solche „gewalttätigen“ Einschübe von dem „textuellen“ Gott des fehlgeleiteten Autors aus dem antiken Nahen Osten kommen, mit seiner gefallenen und gewalttätigen Weltanschauung („so spricht Mose/Josua“). Dies sind nicht Beispiele für „so spricht der Herr“ – den „eigentlichen“ Gott, den Jesus widerspiegelt. Boyds „kreuzförmige“ Hermeneutik betont, wie der Charakter Gottes in dem machtaufgebenden, gewaltlosen und selbsthingebenden Christus am Kreuz dargestellt wird. Wenn Gott wirklich so ist, dann müssen wir neu darüber nachdenken, wie wir gewalttätige Texte im AT einschätzen – und selbst manche Bibelstellen im Neuen Testament.

Ohne Frage, das AT präsentiert uns einige moralisch herausfordernde Stellen und Gott erlaubt gewisslich – ja, er befiehlt sogar – verschiedene weniger als ideale Protokolle für eine sich entwickelnde Nation mit mangelhaften, gefallenen sozialen Strukturen und moralischen Normen, wie Jesus selbst in Matthäus 19,8 bekräftigt. Aber es ist eine Sache, zu sagen, dass die Herzen der Israeliten verhärtet waren; es ist aber eine ganz andere Sache, zu sagen, dass das Herz des Gesetzgebers und des Propheten Mose verhärtet war. Ich möchte kurz Boyds Projekt vorstellen und dann seine Behandlung verschiedener biblischer Texte untersuchen, wobei ich argumentieren werde, dass sein kühner Ansatz bei sich selbst versagt. (Ich sollte hinzufügen, dass das Buch mangelhaft ist, weil es von allen möglichen Rechtschreib- und Bearbeitungsfehlern übersät ist).

Ein Überblick über Boyds Projekt

In seinem Versuch, die Gewalttätigkeit des ATs anzusprechen, verwirft Boyd zwei grundlegende Alternativen: Markionismus (eine Position, die er Peter Enns und Eric Seibert zuschreibt), die abstreitet, dass große Teile der „terroristischen“ Texte von Gott eingegeben sind, und die Synthesesicht (die von Christopher Wright, John Goldingay und mir vertreten wird), die versucht, die neutestamentliche Darstellung von Christus mit vielen dieser Texte zu versöhnen oder zu harmonisieren. (Für Interessenten, siehe meine Bücher Is God a Moral Monster? und – mit Matthew Flannagan – Did God Really Command Genocide? Achtung Spoiler: Die Antwort auf beide Fragen ist „Nein“.)

Boyd nimmt eine, wie er sie nennt, kreuzförmige Sicht an, bei der er mit dem liebenden, machtaufgebenden und gewaltlosen Christus am Kreuz beginnt, der den Charakter Gottes offenbart (1Kor 1,22–23; siehe Joh 14,9; Hebr 1,1–3). Boyd arbeitet sich dann mit einer kreuzesförmigen Hermeneutik zurück, um die alttestamentlichen, gewalttätigen Texte im Licht des Kreuzes zu interpretieren. Er begründet diesen Ansatz mit vier Thesen.

Erstens, Gott passe sich an die kulturell bedingten, zur Gewalt neigenden Völker des antiken Nahen Ostens an – einschließlich den Schreibern der Bibel oder den Propheten – wobei er schließlich durch den gekreuzigten Christus offenbart, dass alle „Gewalt“ böse sei. Was gottverherrlichend und heroisch in einer Zeitepoche aussieht, sei eigentlich dämonisch, wenn man es durch die Linse des Kreuzes sieht (S. 84). Große Teile des ATs reflektieren die Sichtweise des Autors aus dem antiken Nahen Osten („den textuellen Gott“), statt den wahren, gewaltlosen und liebenden Charakter Gottes („den eigentlichen Gott“).

Zweitens, Gott ziehe sich zurück („verbirgt sein Angesicht“) und erlaube anderen Akteuren (z. B. menschlichen Armeen, dämonischen Mächten) die Gewalttätigkeit auszuführen, die in ihrem Herzen steckt. Gott gestatte oder lasse zu, aber er „bewirke“ niemals Gewalt (S. 1136). Sodass, wenn es so aussieht, als ob Gott an Gewalt teilnimmt oder sie gestattet, es eigentlich nichts weiter als die Handlungen von gefallenen Kreaturen seien. Diesem zweiten Punkt können wir zu einem gewissen Maß zustimmen. Zum Beispiel, obwohl wir lesen, dass „Gott“ David dazu reizte, das Volk zu zählen (2Sam 24,1), lesen wir doch auch, dass es durch den „Satan“ geschah (1Chr 21,1).

Drittens, kosmischer Konflikt finde nicht nur am Kreuz statt, welches den Teufel niederwirft; Gott ziehe sich zurück und dämonisch motivierte Gewalt finde durch den „zerstörenden Engel“ in den Plagen Ägyptens, der Flut Noahs, dem Niedergang von Sodom und Gomorra und dem Tod von Korah und seinen Mitrebellen statt (S. 1257). Weil die Israeliten ihre Feinde als „Fleisch und Blut“ erachteten statt als dämonische Mächte, und so auf ihr Schwert vertrauten, um sie zu bekämpfen, gab Gott sie hin in ihre eigenen verhärteten, gewalttätigen Herzen (S. 1094).

Die vierte These ist das Prinzip der semiautonomen Macht: Obwohl Christus sich weigerte, auf seine göttliche Macht zurückzugreifen, um sich vom Tod zu befreien (Mt 26,53), waren nicht alle Repräsentanten Gottes so zurückhaltend. Gott gibt ihnen Macht, aber sie missbrauchen sie: Moses mächtiger Stab bringt Wasser aus dem Felsen hervor, aber durch einen Geist des Unglaubens (4Mose 20); Elia ruft Feuer vom Himmel herab (2Kön 1); Elisa ruft Bären herbei, um eine Gruppe von Jugendlichen zu zerfleischen (2Kön 2). Diese zur Gewalt neigenden Autoren verstehen Gottes gute Absichten falsch und missbrauchen ihre gottgegebene Macht (S. 1260).

Durch diese kreuzförmige Linse versucht Boyd, das „konservative hermeneutische Prinzip“ zu verwenden, indem er sich die christozentrische Hermeneutik der Autoren des NTs in Bezug auf das AT zu eigen macht – der tiefere Sinn (sensus plenior) – ohne den buchstäblichen Sinn (sensus literalis) des AT-Autors zu verletzen.

Boyds Sicht im Licht des Neuen Testaments

In einem kürzlich erfolgten, zweiteiligen Radiogespräch, das ich mit Boyd hatte, gab er zu, dass er wichtige Bibelstellen hätte ansprechen sollen, die in seiner Behandlung fehlen. An verschiedenen Punkten spielt er gewisse Kontinuitäten zwischen den Testamenten herunter, die den göttlichen „Ernst“ betonen (Röm 11,22). Ich kann nur einige davon ansprechen , die ich in einem Papier aus 19 000 Worten beim Jahrestreffen 2017 der Evangelical Philosophical Society vorgestellt habe.

1. Die Fluchpsalme

Boyd behauptet, dass die Fluchpsalme „Jesus direkt widersprechen“ (S. 328). Insofern sie nach persönlicher Rache rufen – obwohl sie oft Übertreibung und starke Gefühle ausdrücken – würde ich zustimmen, dass sie dem Geist Jesu widersprechen, wie ich anderswo geschrieben habe.

„Zu beten, dass Gott erlösungsmäßig in bösen menschlichen Herzen wirken soll widerspricht nicht dem Gebet, dass Gott, wenn notwendig, ihnen ein Ende macht im Gericht, wenn sie in ihrem Bösen beharren.“
 

Entgegen Boyds Behauptungen über mich, stimme ich den Fluchpsalmen nicht vollumfänglich zu. Und doch glaube ich, dass NT-Autoren wie Petrus (Apg 1,20) und Paulus (Röm 11,9–10) sich auf die Fluchpsalmen beziehen, um das Thema widerzuspiegeln, Gott anzurufen, damit er es Übeltätern heimzahlt, genau wie er versprochen hat. Wie N. T. Wright bemerkt: „Das Böse ist real und manche Menschen sind so böse, dass wir einfach Urteil über sie herabwünschen müssen.“ Die Märtyrer im Himmel rufen Gott an, dies zu tun – ihr Blut zu rächen (Offb 6,10).

Neben seinem Aufruf, die Feinde zu lieben und für Verfolger zu beten, bekräftigt Jesus die Richtigkeit der Gebete von Gläubigen „Tag und Nacht“, dass Gott „Recht schafft“ (Lk 18,7–8). Zu beten, dass Gott erlösungsmäßig in bösen menschlichen Herzen wirken soll (z. B. von IS-Terroristen) widerspricht nicht dem Gebet, dass Gott, wenn notwendig, ihnen ein Ende macht im Gericht, wenn sie in ihrem Bösen beharren.

Solange keine persönliche Rache vorausgesetzt wird, ist es ein richtiger Impuls der Fluchpsalmisten, Gott zu bitten, die Bösen zu richten, indem er seine Verheißung erfüllt, die Übertäter entsprechend ihren Taten heimzuzahlen. Das ist ein Punkt der Kontinuität zwischen den Testamenten, den Boyd schmälert.

2. „Mein ist die Rache“

Boyds Verständnis von Rache scheint verwirrt zu sein. Er macht den Punkt, dass Jesus in Lukas 4 bewusst – und bedeutsam – den „Tag der Rache“ auslässt, wenn er aus Jesaja 61 zitiert (S. 88), als ob göttliche Rache dem Evangelium entgegenstände. Auf diese Weise richtet Boyd den Apostel Paulus, der aussagt, dass Gott „Vergeltung“ über die Bedränger der Gläubigen in Thessalonich bringen wird (2Thess 1,6–9): „Paulus scheint seinen und den gefallenen Rachedurst der Thessalonicher befriedigen zu wollen, indem Rache über ihre Feinde kommt“ (S. 589). Und doch sagt Gott: „Mein ist die Rache“ (Röm 12,19; Hebr 11,30).

Und was ist mit Jesus selbst, der erklärt, dass es besser wäre, einen Mühlstein an den Hals dessen zu hängen, der einen Nachfolger Christi vom Weg abbringt, und dass er in die Tiefe des Meeres versenkt würde (Mt 18,6)? Dieses „es wäre besser“ ist eine stärkere Aussage als die von Paulus, der einfach eine Erklärung über Gottes Absichten macht; Paulus hat keinen „gefallenen Durst nach Rache“.

Wenn überhaupt, sollte Boyd die erlösten Märtyrer zurechtweisen, die Gott sogar anflehen, „zu richten und ihr Blut zu rächen“ (Offb 6,10). Ja, er sollte der Freude entgegentreten von „Himmel und den heiligen Aposteln und Propheten“ über Gottes gerechtes Gericht: „Freut euch über sie … denn Gott hat euch an ihr gerächt“ (Offb 18,20). Dass die Gläubigen keine persönliche Rache nehmen, sondern Gott anrufen sollen, Gericht zu bringen, ist in beiden Testamenten und in Jesus selbst verankert.

Boyd erachtet es nicht kreuzesförmig, dass Gott (in 5Mose 28,63) genauso erfreut ist, Israel „Gutes zu tun und zu mehren“, wie sie „zu verderben und zu vertilgen“ (S. 883). Aber dieser Punkt braucht eine Qualifizierung. Zwei Kapitel später ermahnt Gott Israel: „So erwähle nun das Leben, damit du lebst“ (5Mose 30,19). Gott hat wirklich keinen Gefallen am Tod der Gottlosen (Hes 18,23; 33;11). Aber wir haben gesehen, dass das NT selbst eine Angemessenheit ausdrückt, sich über Gottes gerechtes Urteil über die unbußfertigen Einwohner „Babylons“ zu erfreuen, die Gott widerstanden und sein Volk verfolgt haben („Freut euch über sie“).

Als Teil seiner „kreuzförmigen Hermeneutik“ muss Boyd eine Betonung auf den Ernst Gottes neu entdecken.

3. Moses verhärtetes Herz?

Während verschiedene mosaische Gesetze wegen der Herzenshärte der Israeliten gegeben wurden, schließt Boyd Mose selbst als einen herzensharten, zur Gewalttätigkeit neigenden Israeliten ein. Nach Boyd befahl Mose – nicht Gott – dass die Israeliten die Kanaaniter austreiben und, falls nötig, umbringen sollen. Im Allgemeinen vertrete ich einen hyperbolischen Ansatz zu dieser Art von Texten – ein Punkt, der auch in einem jüngsten Buch von John und Harvey Walton gemacht wird, die auch dafür argumentieren, dass die Worte „vollkommene Zerstörung [herem]“ übersetzt werden sollten mit „aus dem Gebrauch genommen“
(z. B. ein „geweihtes [herem] – nicht „zerstörtes“ – Feld in 3Mose 27,21); es hat mehr damit zu tun, eine Identität zu entfernen, als Personen.

Wenn wir Boyds These voraussetzen, sollten wir uns die Frage stellen: Wo im NT wird der Eindruck vermittelt, dass Mose vollkommen und sogar dämonisch fehlgeleitet ist, wenn er die Israeliten anführt zu einem unmoralischen Blutvergießen im Namen Jahwes? Das ist auf einer anderen Ebene als z. B. Gottes Einbeziehung in die Umsetzung seiner souveränen Ratschlüsse, dass Israel seine Leiterschaft traurigerweise ablehnte und auf einen König bestand (1Sam 8,7). Nein, Gott initiierte nicht das Verlangen nach einem König, sondern arbeitete mit den gefallenen Wünschen der Israeliten. Dieses Ereignis führte schließlich zur Begründung von Davids Herrschaft – und der Herrschaft von Davids größerem Sohn, dem Messiaskönig. Aber das ist etwas ganz anderes als dass Gott die Israeliten gebraucht, um Gericht über die „Ungläubigen“ zu üben (Hebr 11,31).

„Das Gesetz war wie eine Antriebsrakete, um Israel als Nation, ihre Theologie, ihre Institutionen und Praktiken zu begründen, die den Weg für den Messias und ein inter-ethnisches Volk bereiten.“
 

Boyd folgt hier nicht der Hermeneutik von Jesus in Bezug auf Moses, den er und andere Autoren des NT uneingeschränkt loben (Mt 23,2–3; siehe Mt 8,4; Lk 16,31; Joh 5,45–46; 7,19; siehe Hebr 3,5: „Auch Mose ist treu gewesen als Diener in [Gottes] ganzem Haus“). Wie Jesus (Mt 19,8) wusste Paulus, dass das Gesetz nicht ideal war. Um das Bild von N. T. Wright zu gebrauchen, das Gesetz war wie eine Antriebsrakete, um Israel als Nation, ihre Theologie, ihre Institutionen und Praktiken zu begründen, die den Weg für den Messias und ein interethnisches Volk bereiten; sobald das Ziel des Gesetzes erfüllt war, wurde es beiseite getan.

Nichtsdestotrotz erachtet Paulus das mosaische Gesetz als „geistlich“ (Röm 7,14) sowie „heilig, gerecht und gut“ (Röm 7,12; siehe 1Tim 1,8). Doch Boyds Version von Mose macht es schwierig, zwischen Mose (oder Josua oder Samuel) und einem falschen Propheten zu unterscheiden, der Israel dazu anleitet, gottloses Verhalten im Namen des Herrn zu tun (siehe Jer 23,16).

4. Die Bergpredigt: Ablehnung des mosaischen Gesetzes oder dessen Fehlgebrauch?

Boyd schafft nicht nur einen unnötig weiten Spalt zwischen dem NT und dem Gesetz Moses sowie seiner moralischen und geistlichen Autorität; er vergrößert ihn weiter, indem er einen Großteil der Bergpredigt als weitere Verurteilung Moses einstuft für dessen angeblich unmoralische Gesetzgebung (besonders Mt 5) statt eine Verurteilung der Fehlinterpretation von Moses von Seiten der Zeitgenossen Jesu zu erkennen. Es gibt einen Unterschied zwischen dem „es steht geschrieben“ (z. B. Mt 4,1–11) und dem „ihr habt gehört“ der Bergpredigt.

A. Schwüre

Zum Beispiel behauptet Boyd, dass Jesus jedwedes Geloben und Schwören verbietet (S. 1048). Also sollen wir, statt „dem Herrn unsere Schwüre zu halten“, überhaupt nicht schwören; denn all solches Schwören – was über „ja“ und „nein“ hinausgeht, ist vom Bösen (Mt 5,37).

Doch Jesus widerspricht hier nicht dem mosaischen Gesetz – sondern nur dem situationsabhängigen Schwören, das eine Art Hintertür war, um nicht die Wahrheit zu sagen. (Jesus führt das später in Mt 23,16–22 aus). Die identische Sprache, die in der Bergpredigt gebraucht wird, wird bei Gott selbst gebraucht, als er bei seinem eigenen Namen schwört – gegenüber Abraham, David usw. (Apg 2,30; 18,18; 21,23; siehe Röm 1,9; Hebr 6,17; 7,21.28; Offb 10,6).

Boyd behauptet, dass Gott im AT Schwüre erlaubt, weil er dadurch zeigt, dass er „bereit ist, die Sünden seines Volkes zu tragen“. Aber diese Behauptung wird durch die genannten Stellen im NT widerlegt, die davon sprechen, dass Gott selbst schwor. Auch Paulus gebrauchte wiederholt Schwüre (Röm 1,9; 9,1; 1Thess 2,5; 1Tim 2,7), genauso wie die Engel (Offb 10,6). Alles Schwören scheint offensichtlich nicht vom Bösen zu sein.

B. Auge um Auge

Das Gleiche gilt für die augenscheinliche Ablehnung Jesu vom lex talionis „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Jesus geißelt diejenigen, die versuchen, ihre persönliche Rache dadurch zu rechtfertigen, dass sie sich fälschlicherweise auf die richterlichen Stellen des ATs beziehen. Das mosaische Gesetz wandte das Prinzip der Proportionalität in der richterlichen Rechtsprechung an – und es wurde typischerweise nicht buchstäblich umgesetzt (siehe 2Mose 21,22.27), außer in Fällen der Todesstrafe („Leben um Leben“). Das AT geht davon aus, dass die Feindesliebe mit dem Gebrauch von Zwangsgewalt zusammengehen kann – genauso wie das NT (z. B. Röm 12 und 13).

Jesus wusste, dass das mosaische Gesetz darin unterschied, einen persönlichen Feind zu lieben (2Mose 23,4–5; 3Mose 19,17; siehe Spr 25,21–22) – und angemessene gesetzliche Strafe zu gebrauchen. In seinem Gericht wirkt Gott selbst entsprechend des Prinzips der Proportionalität, indem er jedem vergilt nach seinen Werken (Röm 2,6; Offb 16,5–6). Der Apostel Paulus verdeutlich selbst diese Unterscheidung zwischen persönlich und offiziell in Apostelgeschichte 23: Als sein eigenes Leben bedroht ist, nimmt er die Angelegenheit nicht in seine eigenen Hände, sondern ruft das römische Militär dazu auf, seine gottgegebene Pflicht zu tun und unschuldige Bürger, wenn nötig durch tödliche Gewalt, zu beschützen. Paulus’ Verständnis von Kreuzförmigkeit ist anscheinend nicht so eng wie Boyds.

„Paulus’ Verständnis von Kreuzförmigkeit ist anscheinend nicht so eng wie Boyds.“
 

Trotzdem leugnet Boyd, dass der „wirkliche Gott“ die Todesstrafe in Israel hätte anordnen können (S. 577), doch ist das genau das Gegenteil von dem, was Jesus sagt: Sowohl die eigenen Eltern zu ehren als auch den zu töten, der ihrer flucht, sind „das Gebot Gottes“ (Mt 15,3). Gleichermaßen geht Petrus von der göttlich verordneten Todesstrafe aus (Apg 3,23 „vertilgt“), wie auch der Verfasser des Hebräerbriefs („jede Übertretung und jeder Ungehorsam empfing den gerechten Lohn“; Hebr 2,2–3; siehe 10,28–29; 12,18–20).

Während gewisse alttestamentliche Strafen in Geldstrafen umgewandelt werden konnten, war das nicht immer so – besonders bei Mord. Zumindest widerspricht diese beispielhafte Auswahl von Texten der Behauptung Boyds, dass die göttliche Strafe niemals vergeltend ist – nur erlösend und wiederherstellend (S. 783).

C. Feinde lieben und die andere Wange hinhalten

Was ist damit, die eigenen Feinde zu lieben (Mt 5,43–48)? Obwohl Boyd den Eindruck erweckt, dass Jesus eine neue ethische Sichtweise erfand, spiegelt Jesus in Wirklichkeit die Lehre des ATs wider, einschließlich des mosaischen Gesetzes (2Mose 23,4–5; 3Mose 19,17–18; siehe Spr 20,2; 24,17–18; 25,21–22). Das AT geht von dieser Unterscheidung zwischen persönlich und offiziell aus. Und in Bezug auf „die andere Wange hinhalten“: Das Schlagen auf die Wange war kein gewalttätiger Akt, sondern eine beschämende Beleidigung (Hiob 16,10; Ps 35,15; Klgl 3,30; siehe Jes 50,6). Und als Jesus dann wirklich geschlagen wird, hält er nicht die andere Wange hin, sondern fragt nach dem Grund (Joh 18,22–23). Boyd vertritt, dass wir dem bösen Menschen nicht widerstehen sollen (Mt 5,39), obwohl dieser Vers besser übersetzt werden kann als „widersteht nicht mit bösen Mitteln“. Das ergibt mehr Sinn, denn Jesus selbst widersteht bösen Menschen – z. B. bei der entschieden unsanften Tempelreinigung, die nicht wirklich dem Bild von Boyds Kreuzförmigkeit entspricht.

5. Soldaten- und Polizeidienst und „Gewalt“

Trotz des Titels des Buchs definiert Boyd nie wirklich den Begriff „Gewalt“. In dem obengenannten Radiogespräch gestand er dieses Problem ein, aber behauptete, dass wir Gewalt erkennen können, wenn wir sie sehen. Doch Boyds Definition von unmoralischer „Gewalt“ beinhaltet Handlungen, die für viele von uns nicht offensichtlich unmoralisch sind: der Gebrauch von (möglicherweise tödlicher) Gewalt bei der Selbstverteidigung (siehe der Militärschutz von Paulus in Apg 23); die Verteidigung derer, die Schaden erleiden (siehe den unterstellten Gebrauch von Gewalt in „errette, die zum Tod geschleppt werden“ und „die zur Schlachtbank wanken, halte zurück“, Spr 24,11); Polizeidienst und ein gerechter Krieg als ein Akt der Liebe, um Unschuldige zu schützen.

Also, ja, da Gewalt sowohl gerecht als auch ungerecht sein kann, wäre eine Definition von Gewalt sehr hilfreich gewesen. Wie Philosophin Elizabeth Anscombe anmerkte, besteht das Problem mit dem Pazifismus, dass wir nicht zwischen dem Vergießen von „unschuldigem“ Blut und dem Vergießen von „irgendwelchem“ Blut unterscheiden können. Aus diesem Grund spricht Römer 13,4–6 von Anführern des Staates als „Dienerinnen Gottes“; sie sind eine „Rächerin“, die das „Schwert“ tragen – eine Metapher für tödliche Gewalt; das heißt, der Staat hat eine gottgegebene Pflicht, Unschuldige zu beschützen und Kriminelle zu bestrafen, und wenn der Staat das tut, ist es etwas Gutes.

Obwohl Boyd anabaptistisch ist, widerspricht seine Einstellung zu sowohl den Strafen unter dem mosaischen Gesetz als auch zu der Rolle des Staates in Römer 13 dem anabaptistischen Schleitheimer Bekenntnis (1527):

Das Schwert ist eine Gottesordnung außerhalb der Vollkommenheit Christi. Es straft und tötet den Bösen und schützt und schirmt den Guten. Im Gesetz wird das Schwert über die Bösen zur Strafe und zum Tode verordnet. Es zu gebrauchen, sind die weltlichen Obrigkeiten eingesetzt. (Artikel 6; siehe das ähnlich lautende Dordrechter Bekenntnis der Mennoniten von 1632, Artikel 13).

Wenn die Regierung Übeltäter bestraft, Unschuldige beschützt und den Frieden aufrechterhält, dann tut sie ihre gottgegebene Pflicht (Röm 13,4), und „deshalb zahlt ihr ja auch Steuern; denn sie sind Gottes Diener, die eben dazu beständig tätig sind“ (Vers 6).

Boyd denkt, dass der Bezug auf positive Beispiele im NT wie den Glauben des römischen Hauptmanns (Mt 8,8–10) und Kornelius (Apg 10) als Unterstützung für den gerechtfertigten Gebrauch von Gewalt nicht überzeugend seien, sondern eine Schlussfolgerung aus dem Schweigen (S. 580); denn, Jesus hatte ja auch Gemeinschaft mit Zöllnern und Huren.

Aber wenn dem so ist, dann verpasste Johannes der Täufer – der keine Angst hatte, die Unmoral eines heidnischen Herrschers anzusprechen (Mk 6,18) – eine wichtige Gelegenheit, Soldaten dazu aufzurufen, ihrer „Gewalt“ abzusagen (Lk 3,14). Warum sich nur auf die kleineren Übel des Missbrauchs und der Unzufriedenheit mit dem Sold konzentrieren? Wenn der Dienst als Soldat oder als Polizist auf der gleichen moralischen Ebene steht wie Prostitution (wovon der NT-Gelehrte Richard Hays ausging), warum nahm Paulus dann die Dienste des römischen Militärs in Anspruch (Apg 23)? Hätte Paulus gesagt: „Wer betreibt je Prostitution auf eigene Kosten?“ (siehe 1Kor 9,7) oder „Wer Prostitution tut, verstrickt sich nicht in Geschäfte des Lebensunterhalts“ (siehe 2Tim 2,4)? Hätte Jesus über Jüngerschaft gelehrt, indem er sich auf einen Zuhälter bezog, der die Kosten überschlägt, bevor er ein Prostitutionsgeschäft einrichtet (Lk 14,31)?

Wieder erklärt Elisabeth Anscombe, dass für den Pazifisten das Lob Jesu für den Hauptmann in Matthäus 8 „das gleiche sein müsste, wie eine Puffmutter, die sagt: ‚Ich weiß, was Autorität ist, ich sage diesem Mädchen, was es tun soll, und es tut es …‘ und Christus hätte ihren Glauben gelobt.“

Eine kirchengeschichtliche Anmerkung

Kirchengeschichtlich gesehen, geht Boyd davon aus, dass kein bekannter Autor vor Augustinus den christlichen Dienst als Soldat verteidigte, dass es nur wenige christliche Soldaten gab und dass Pazifismus der allgemeine christliche Konsens war (z. B. S. 123 und 124). Das ist falsch. Zum Beispiel merkte Tertullian an, dass Christen überall gefunden werden können – einschließlich „Festungen [castella]“ und in „militärischen Lagern [castra]“ (Apol. 37). Clemens und Dionysius (beide von Alexandria) verteidigten den christlichen Soldatendienst. Es ist in Wirklichkeit so, dass der allgemeine pazifistische Konsens vor Augustinus ein gemischtes Bild ergibt, wie auch Daryl Charles argumentiert.

Boyds Zeitlinie vor Augustinus ist außerdem fehlerhaft. Boyd versucht Augustinus für den Ursprung einer christlichen Theorie des gerechten Krieges verantwortlich zu machen; dies, so behauptet er, wurde durch die griechischen, philosophischen Konzepte einer leidensunfähigen, unveränderlichen Gottheit beeinflusst sowie durch die starke (spätere) Prädestinationslehre von Augustinus, bei der Gottes „vollkommene Liebe eine unzählbare Menge an Personen zur ewigen Qual vorherbestimmen konnte“ (S. 149, 151).

In Wirklichkeit was es Augustinus’ Mentor Ambrosius, der anfing, eine Theorie des gerechten Krieges zu entwickeln. Obwohl er auch durch neoplatonische Gedanken beeinflusst war, nahm Ambrosius eine mehr „libertäre“ Sicht auf den Willen an und betonte Nächstenliebe und Werke der Barmherzigkeit als Grundlage für eine Theorie des gerechten Krieges und wahren Soldatentums, wobei er es für einen Christen als verwerflich erachtete, nicht mit Gewalt einzugreifen, um die Unschuldigen zu beschützen, und er lehnte – wie sein Schüler Augustinus – Selbstverteidigung als Rechtfertigung für Gewalt ab.

6. „Und ihre Kinder will ich mit dem Tod schlagen“ (Jesus in Offb 2,23)

Kreuzförmigkeit offenbart einen gewaltlosen Jesus, wie Boyd bekräftigt, und doch sehen wir im Neuen Testament einen Jesus, der sich auf gewaltvolle Weise äußert. Jesus ist gewaltvoll bei der Tempelreinigung: Er wirft Tische um, vertreibt die Tiere und Geldwechsler und hindert das Volk daran, den Tempel zu betreten. Obwohl sein Buch nicht den Tod von Ananias und Saphira behandelt, behauptet Boyd an anderer Stelle, dass Petrus seine von Gott gegebene Macht missbrauchte. Aber wie kommt er dazu? Denn „die Hand des Herrn“ blendete Elymas (Apg 13,11). Es scheint so, dass Boyd dies wahrscheinlich als einen Fall erachten würde, bei dem Paulus „semiautonome Macht“ von Gott missbraucht. Auch droht der „gewaltlose“ Jesus, die Falschlehrerin Isebel auf ein „Krankenbett“ zu werfen und „ihre Kinder mit dem Tod zu schlagen“ (Offb 2,22–23).

Boyd deutet das Buch der Offenbarung so, dass es den Pazifismus unterstützt, indem er zum Beispiel behauptet, dass das Blut an Jesu Gewand in Offenbarung 19 sein eigenes Blut ist, das er vergossen hat (S. 622–623). Aber das ist eine erzwungene Interpretation. Zum einen mahnen Jesu Worte in Offenbarung 2,20–23 sowie seine unsanfte Herrschaft über die Nationen mit einem „eisernen Stab“ (Offb 12,5) zur Vorsicht, wenn man Jesus als „pazifistisch“ bezeichnen will. Zum anderen sollte dieses Blut im Licht einer früheren Vision in Offenbarung 14,15–20 verstanden werden, in der Engel vom Himmel gesandt werden, um „ihre Sichel auf die Erde zu werfen“ und die Trauben aus der ganzen Erden zu sammeln, um sie „in die große Kelter des Zornes Gottes“ zu werfen, auf dass „ihr Blut aus der Kelter fließt“ (Verse 19 und 20).

7. Boyd über göttlich sanktionierte Kriegstexte im Alten Testament

Was ist mit spezifischen AT-Texten? Boyd behauptet, dass, wenn Jahwe sagt: „Ich möchte, dass ihr in das Land Kanaan geht“, die kulturell geprägten Ohren des zur Gewalt neigenden Mose und der antiken Israeliten hörten: „Du musst die einheimische Bevölkerung erbarmungslos abschlachten“ (S. 979). Boyd behauptet, dass diese gefallenen Israeliten ihr Vertrauen auf das Schwert setzten – entgegen dem Gebot Gottes.

Das ist ein Fehler. Wie wir gesehen haben, sagte Jesus, dass die Israeliten, und nicht Mose, hartherzig waren (Mt 19,8). Auch war es so, dass, als Gott die Israeliten vertilgen wollte nach dem Fall mit dem goldenen Kalb, Mose Gott anfleht, dies nicht zu tun (2Mose 33). Mose scheint „gewaltloser“ und „kreuzförmiger“ als der Gott zu sein, mit dem er argumentiert. Gewisslich würde Boyd nicht sagen, dass dies mit Gottes „niedrigem geistlichen Zustand und hohen Maß an kultureller Prägung“ zu tun hat (S. 979)!

Weit davon entfernt, zur Gewalt zu neigen und „auf das Schwert zu vertrauen“, konnten die Israeliten nichts Anderes tun, als zur Gewalt („dem Schwert“) zu greifen, um sich vor dem Angriff der Amalekiter zu beschützen (2Mose 17), aber sie vertrauten auf den Herrn für ihre Befreiung, wie sich im Fürbittengebet von Mose zeigt. Und trotz ihrer friedlichen Absichten, mussten die Israeliten gegen Sihon und Og kämpfen, die dennoch mit Gewalt gegen sie angingen (4Mose 21,21–35). Solche Szenarien passen nicht in Boyds Paradigma. Tatsächlich zeigen sowohl das AT als auch das NT, dass das Vertrauen auf den Herrn nicht dem Gebrauch von Gewalt entgegensteht (z. B. Jos 24,12; 1Sam 17,47; Ps 44,2–6; Apg 7,45; Hebr 11,30–31.33–34).

„Tatsächlich zeigen sowohl das AT als auch das NT, dass das Vertrauen auf den Herrn nicht dem Gebrauch von Gewalt entgegensteht.“
 

Ferner missbraucht Boyd Texte wie Nehemia 9,24, um seine These zu stützen: Gott „demütigte“ die Kanaaniter und „[gab] sie in ihre Hand …, dass sie mit ihnen nach Belieben [kiratson] handelten“ (Baldwin 104). Boyd behauptet, dass Israel „sich dem gewaltlosen Willen Jahwes widersetzte“ und Gott sich folglich zurückzog, um „seinem hartnäckigen Volk zu gestatten, ihre gewalttätigen Neigungen auszuleben“ (S. 982). Erstens, der Kontext ist einfach nicht negativ. Nehemia 9,25 fährt fort: „Und sie eroberten feste Städte …; und sie aßen und wurden satt und fett und ließen sich’s wohl sein in [Gottes] großer Güte“. Die Negativität beginnt in Nehemia 9,26–27: „Aber sie wurden widerspenstig und lehnten sich auf …“. (Wir finden ähnliche Stellen anderswo: Jer 32,21–23; Ps 78,53–56; siehe Ri 2,1–13, wo die Rebellion nicht der Gebrauch des Schwertes ist, sondern der Götzendienst.)

Zweitens, Nehemia 9,22 zeigt, dass Gott Israel „Königreiche und Völker“ gegeben hatte, einschließlich der Länder von Sihon und Og (Vers 22); anscheinend gab Gott ihnen diese Länder, wie es ihm beliebte.

Drittens, das Wort Belieben (ratson) ist nicht an sich negativ besetzt (z. B. Ps 145,16.19). Der gleiche Ausdruck wird in Ester 9,5 gebraucht: Die Juden unter persischer Herrschaft töten ihre Feinde „nach ihrem Belieben“ – das heißt, ohne offizielle Einmischung, aber unter bestimmten Schranken: „… aber an ihren Besitz legten sie die Hand nicht“ (Est 9,10.15–16).

Boyd behauptet, dass Gott eigentlich vorhatte, dass die Israeliten überhaupt nicht kämpfen, sondern dass er die Kanaaniter gewaltlos durch „Hornissen“ umsiedeln würde, sodass Israel das Land friedlich betreten konnte (S. 971). Gott wollte diese Hornissen gebrauchen, um die Kanaaniter zu vertreiben (2Mose 23,29–30) – ein Ausdruck der frühen Hoffnung Gottes, die einheimische kanaanitische Bevölkerung gewaltlos umzusiedeln (d. h. sie „auszuspeien“, 5Mose 7,15.18–19; 2Mose 23,20–23; 3Mose 18,24–25) (S. 12). Dadurch entstehen einige Probleme.

Erstens, noch bevor wir zur „Hornissensprache“ von 2. Mose 23 kommen, muss Israel das Schwert in die Hand nehmen, um sich gegen Amalek zu verteidigen (2Mose 17) – eine gerechtfertigte Gewalt, ähnlich wie Israels friedliche Absichten gegenüber Sihon und Og in 4. Mose 21. Zweitens, was ist mit Gottes Drohung, dass das Land die Israeliten „ausspeien“ würde, wenn sie nicht gehorsam sein würden? Dies geschah durch militärische Gewalt – die Einmärsche der Assyrer und Babylonier. Drittens, die „Hornissensprache“, die mit dem Gebrauch von Gewalt assoziiert ist, wird an anderer Stelle im 5. Buch Mose und in Josua gefunden: 5. Mose 7,20–24, „umkommen“; „vertilgen“; „ausrotten“; Josua 24,11–13; tatsächlich verbindet Josua 24,11–13 (1) die „Hornisse“, (2) dass Gott militärischen Sieg gewährt („die Hornissen … trieben sie aus vor euch her, nämlich die beiden Könige der Amoriter“) und (3) Israels Kampf im Vertrauen auf den Herrn (siehe Hebr 11,30–31) statt im Vertrauen auf das Schwert.

Ferner reflektiert das NT über diese Texte und nimmt es als gegeben an, dass Gott diese Kriege anordnete und es feiert ihre Siege (z. B. Apg 7,11; 13,9). Es ist schwer, Boyds Sicht mit Hebräer 11,30–31 in Einklang zu bringen: „Durch Glauben fielen die Mauern von Jericho … Durch Glauben ging Rahab, die Hure, nicht verloren mit den Ungläubigen“. Der Text geht weiter: „Durch Glauben bezwangen [sie] Königreiche …, sind stark geworden im Kampf, haben die Heere der Fremden in die Flucht gejagt“ (Verse 34–36).

Das NT gibt keinen Hinweis darauf, dass Mose und Josua Gottes Intentionen falsch repräsentierten – genau das Gegenteil. Doch nach Boyd müsste der Verfasser des Hebräerbriefs eigentlich sagen: „Aufgrund ihrer sündhaften kulturellen Prägung und ihrer Herzenshärtigkeit bezwangen sie Königreiche …, sind stark geworden im Kampf, haben die Heere der Fremden in die Flucht gejagt.“ Der AT-Gelehrte John Goldingay merkt richtigerweise an: „Wenn es einen Widerspruch gibt zwischen der Feindesliebe und ein Friedensstifter zu sein, auf der einen Seite, und Josuas Übernahme dieser Aufgabe als Befehl Gottes, auf der anderen Seite, dann sieht ihn das Neue Testament nicht“ (S. 3).

Goldingay merkt des Weiteren an:

Keines der beiden Testamente ist beunruhigt über die Tatsache, dass Israel einst eine Nation oder ein Staat und als solches in Kriege verwickelt war, oder (insbesondere) über Josuas Aktionen gegen die Kanaaniter (siehe Apg 7 und Hebr 11). … Die Schrift erachtet Krieg einfach als einen Aspekt des menschlichen Lebens, einen Aspekt der Tatsache, dass Konflikt zum menschlichen Leben dazugehört. … Glaube an Gott ist der Schlüssel zum Kriegführen, wie zu allem anderen (Hebr 11,34). (S. 167–168)
„Gottes Volk führt nicht länger Jahwes Kriege‘. Aber das bedeutet nicht, dass sie sich nicht an einem gerechten Krieg beteiligen oder rechtmäßige Gewalt einsetzen dürften.“
 

Gottes Volk führt nicht länger „Jahwes Kriege“. Aber das bedeutet nicht, dass sie sich nicht an einem gerechten Krieg beteiligen oder rechtmäßige Gewalt einsetzen dürften. Noch bedeutet es, dass Gott keinen Krieg befahl zur Gründung des antiken Israels und als Urteil über die Ungläubigen (Hebr 11,31). Obwohl Boyd Elias Gewalt verurteilt, der Feuer vom Himmel herabruft (2Kön 1), merkt Stephen Williams richtigerweise an: „Das bedeutet nicht, zu verurteilen, was Elia sagt und tat an einem anderen Ort und zu einer anderen Zeit. Es bedeutet, auszusagen, dass es nicht der Weg Gottes für Jesus und seine Jünger in dieser Zeit ist“.

Ein Mangel an Robustheit und Breite

Wir können Boyd bei verschiedenen Dingen teilweise zustimmen, einschließlich der göttlichen Anpassung an die menschliche Gefallenheit (Mt 19,8) und der Sprache der göttlichen Souveränität, die den Einfluss auf moralische Akteure umfasst (z. B. Gottes Zulassen, dass Eltern ihre Kinder kannibalisieren [Jer 19,9], obwohl er sie nicht selbst dazu antrieb). Doch geht Boyd an vielen Stellen gegen das an, was sowohl das AT als auch das NT lehrt. Er missrepräsentiert beide Testamente, indem er behauptet, dass Mose selbst herzenshart und zur Gewalt neigend wäre. Er spricht unrichtig über das mosaische Gesetz sowohl in seiner Leugnung einer göttlich sanktionierten Todesstrafe und in seiner Behauptung, dass Jesus in der Bergpredigt das mosaische Gesetz selbst herausforderte – nicht nur die falschen Interpretationen davon. Boyds Verpflichtung zum Pazifismus führt ihn dazu, jedwede Gewalt als ungerecht und „gewalttätig“ zu bezeichnen – einen Begriff, den er nirgends definiert.

Und doch sehen wir den Gebrauch von Gewalt in der Tempelreinigung Jesu, Paulus’ Profitieren vom römischen „Schwert“ in Apostelgeschichte 23 (im Einklang mit Röm 13,4.6), der Blindschlagung von Elymas durch „die Hand des Herrn“, Jesu Drohung, Isebel auf ein Krankenbett zu werfen und „ihre Kinder mit dem Tod zu schlagen“ und wahrscheinlich noch mehr (z. B. Ananias und Saphira, die Toten in der korinthischen Gemeinde, die das Abendmahl missbrauchten). Eine weitere Schwierigkeit mit Boyds Sicht ist, dass sie Texte des ATs wie Nehemia 9,24 missbraucht, das Gewicht dieser Texte ignoriert, die den rechtmäßigen Gebrauch von Gewalt zum Selbstschutz anzeigen (wahrlich kein Bild vom „Vertrauen auf das Schwert“!), den Bericht von Moses „mitfühlender“ Verteidigung von Israel nicht erklären kann, als Gott die Nation zerstören und neu anfangen wollte (2Mose 33) und den bekräftigenden Kommentar des NTs über diese alttestamentlichen Texte übergeht (z. B. Apg 7,11; 13,9; Hebr 11,30–31.34).

„Ja, Gott zeigt seinen Zorn, indem er seine Gegenwart entzieht. Aber Gott richtet (straft) auch aktiv – nicht nur erlösend und wieder-herstellend, sondern auch vergeltend.“
 

Boyds Annahme, dass nur Dämonen und Menschen – nicht Gott und Christus – Gewalt einsetzen, entspricht nicht den Beweisen. Ja, Gott zeigt seinen Zorn, indem er seine Gegenwart entzieht. Aber Gott richtet (straft) auch aktiv – nicht nur erlösend und wiederherstellend, sondern auch vergeltend. Diese Frage der Strafe spielt eine Rolle, wenn es zur Lehre der strafrechtlichen Stellvertretung kommt, die Boyd falsch versteht oder ungenügend erklärt.

Auf dieser Seite des neuen Himmels und der neuen Erde erlässt Gott oft Gebote und handelt auf weniger als ideale Weise in Reaktion auf eine gefallene Welt; selbst Jesus muss gegebenenfalls Menschen mit dem Tod schlagen (Offb 2,23). Auch Menschen können gelegentlich göttlich sanktionierte gerechte Gewalt anwenden, wie das Schleitheimer Bekenntnis der Anabaptisten anerkennt. Es erscheint jedenfalls so, dass Boyd sich uns „Synthesisten“ anschließen muss, um konsistent mit einigen schwierigen Stellen im AT (und auch im NT) umzugehen – oder er muss weiterhin das annehmen, was wie eine verkürzte Sicht der Schrift aussieht.

Aus diesen und anderen Gründen ermangelt Boyds Sicht von Kreuzförmigkeit der Robustheit und Breite, die im NT bei Jesus, Paulus und anderen Autoren zu sehen ist. Und trotz seines lobenswerten Strebens nach einer christozentrischen Hermeneutik, muss seine Interpretationsmethode nicht nur Sanftheit beinhalten, sondern auch eine größere Betonung des göttlichen Ernstes und der himmlischen Vergeltung, nach der die erlösten Märtyrer rufen.

Warum das von Belang ist

Wenn wir diese Texte predigen und lehren, haben wir eine hilfreiche Erinnerung von C. S. Lewis’ Darstellung von Aslan – der Jesusfigur in den Chroniken von Narnia: Er ist nicht sicher, aber er ist gut. Oder wir denken an den in Kroatien geborenen Yale-Theologen Miroslav Volf, der den schrecklichen ethnischen Krieg im früheren Jugoslawien überlebte. Kirchen wurden verbrannt, Frauen vergewaltigt, Unschuldige umgebracht. Vor diesem Krieg hatte er geglaubt, dass Zorn und Wut unter Gottes Würde stünden, aber er musste einsehen, dass seine Sicht von Gott zu niedrig war. Seine Perspektive wirft etwas Licht auf die Art von Fragen, die hier diskutiert werden:

Ich glaubte früher, dass Zorn unwürdig war für Gott. Ist Gott nicht Liebe? Sollte göttliche Liebe nicht jenseits des Zorns sein?

Gott ist Liebe und Gott liebt jeden Menschen und jedes Geschöpf. Das ist genau der Grund, warum er auf manche zornig ist.

Mein letzter Widerstand gegen die Vorstellung von Gottes Zorn war ein Kriegsopfer im früheren Jugoslawien, der Region aus der ich stamme. Nach einigen Schätzungen wurden 200 000 Menschen getötet und
3 000 000 Menschen vertrieben. Meine Dörfer und Städte wurden zerstört, mein Volk Tag und Nacht bombardiert, manche von ihnen brutal behandelt jenseits der Vorstellungskraft, und ich konnte mir nicht vorstellen, dass Gott nicht zornig war. Oder denk an Ruanda in dem letzten Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts, wo 800 000 Menschen in hundert Tagen zu Tode gehackt wurden!

Wie hat Gott auf das Blutbad reagiert? Indem er die Verbrecher großväterlich verwöhnte? Indem er sich weigerte, das Blutbad zu verurteilen und stattdessen die grundsätzliche Güte der Verbrecher bekräftigte? War Gott nicht leidenschaftlich zornig auf sie?

Obwohl ich mich früher über die Unanständigkeit der Vorstellung von Gottes Zorn beschwerte, musste ich einsehen, dass ich gegen einen Gott rebellieren müsste, der nicht zornig war angesichts des Bösen in der Welt. Gott ist nicht zornig trotz seiner Liebe.

Gott ist zornig, weil er Liebe ist.