Warum fällt es uns schwer, zu vergeben?

Artikel von R.C. Sproul
27. Februar 2019 — 6 Min Lesedauer

Vergebung ist für viele Menschen ein Problem, weil sie falsch verstehen, was Vergebung beinhaltet und was Vergebung wirklich ist. Teil des Problems ist, dass wir manchmal nicht zwischen Vergebung unterscheiden können und dem Gefühl, dass uns vergeben wurde. Manchmal können unsere Gefühle nicht mit der Realität der Vergebung übereinstimmen.

Einmal kam ein Mann, um mit mir zu reden, der sehr verzweifelt war wegen seiner Schuld. Er sagte, dass er eine besondere Sünde begangen hatte und darüber gebetet und gebetet hat, aber keine Erleichterung fand. Er wollte wissen, was er tun müsse, um Gottes Vergebung zu erfahren. Aber da er seine Sünde bekannt und Gott gebeten hatte, ihm zu vergeben, sagte ich ihm, dass er Gott bitten müsse, ihm eine andere Sünde zu vergeben – die Sünde der Arroganz. Gott sagt: „Wenn wir aber unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von aller Ungerechtigkeit“ (1Joh 1,9). Wenn wir nicht glauben, dass Gott uns tatsächlich vergeben hat, wenn wir unsere Sünde bekannt haben, dann hinterfragen wir seine Treue. Wir sagen, dass Gottes Verheißung nicht getraut werden kann. Das ist höchste Form der Arroganz, weshalb wir Gott um Vergebung bitten müssen, da wir uns weigern, seiner Verheißung zu glauben.

Es gibt noch ein weiteres Problem bei der Vergebung: Wenn wir sündigen, ist eines der schwierigsten Dinge für uns, die freie, gnädige und barmherzige Vergebung Gottes anzunehmen. Wir sind Geschöpfe des Stolzes. Wir denken, dass Gottes Vergebung gut ist für andere Menschen, aber wenn wir etwas Falsches tun, wollen wir es wiedergutmachen. Doch das ist niemandem möglich. Gott verlangt vollkommene Heiligkeit. Wenn Vollkommenheit einmal verloren ist, können wir sie nicht zurückgewinnen. Wir sind Schuldner mit einer Schuld, die wir nicht bezahlen können. Das ist schwer für uns anzunehmen, weil wir unsere Schuld gern selbst bezahlen wollen. Aus unserem Stolz und unserer Arroganz heraus, beides Früchte unserer Sündhaftigkeit, weigern wir uns, Gottes Vergebung anzunehmen.

Zurück zur Unterscheidung zwischen Vergebung und dem Gefühl, Vergebung erhalten zu haben: Vergebung ist objektiv, aber das Gefühl der Vergebung ist subjektiv. Ich kann mich von Schuld befreit fühlen, ohne dass mir vergeben wurde, weil ich keine Buße getan habe. Ich kann mich selbst entschuldigen, wenn Gott mich nicht entschuldigt hat, und dieses falsche Gefühl der Vergebung kann mich verführen. Aber ich kann mich auch schuldbeladen fühlen, wenn mir eigentlich vergeben wurde. Wenn Gott erklärt, dass einer Person vergeben ist, dann ist dieser Person vergeben. Unser Mangel am Gefühl der Vergebung negiert nicht die Realität dessen, was Gott getan hat.

Was ist die Autorität in unserem Leben? Unsere Gefühle, die subjektiv sind, oder das Wort Gottes, das objektive Wahrheit ist? Der Christ muss jeden Tag praktisch durch das Wort Gottes leben statt durch seine Gefühle. Das Problem der Vergebung ist nicht, ob wir uns befreit fühlen, sondern ob wir Buße getan haben. Wenn wir unsere Sünde bekennen und Gott durch Christus um Vergebung bitten, können wir gewiss sein, dass er uns vergibt.

Manchmal vergeben wir uns selbst nicht, obwohl Gott uns vergeben hat. Aber wer sind wir, dass wir uns weigern, jemandem zu vergeben, dem Gott vergeben hat? Was macht uns so böse, dass Gottes Vergebung nicht ausreicht, um unsere Sünde zu bedecken? Wir sagen im Grunde damit, dass wir so böse sind, dass selbst die Gnade Gottes uns nicht helfen kann. Nein, wir sind so stolz, dass wir uns der Gnade Gottes verweigern.

Lasst uns nun ansehen, was Vergebung ist. Die Bibel lehrt, dass Gott unsere Sünden vergisst, wenn er uns vergibt. Das bedeutet nicht, dass er sie aus seinem Gedächtnis löscht. Es bedeutet, dass er sie uns nicht länger anlastet.

Wie oft hat dir schon jemand gesagt, dass er eine Sünde vergeben hat, die du gegen ihn begangen hast, nur um dann beim nächsten Streit wieder hochzubringen, was du letztes Mal getan hast? Diese Person hat, in gewisser Hinsicht, seine Vergebung widerrufen. Gott macht das nicht. Wenn mir von Gott vergeben wurde, dann ist es erledigt und wird nie wieder hochgebracht. Gott tut diese Sünde beiseite und wird nie mehr von ihr sprechen. Wir jedoch öffnen oft alte Wunden. Wir erlauben ihnen, die Beziehung zu stören. Wenn ich jemandem vergeben habe, sollte ich diese Sünde niemals mehr erwähnen. Vergebung bedeutet, etwas nicht mehr hochzubringen.

Es gibt einen weiteren Aspekt, den wir uns anschauen müssen, und das ist unsere Verpflichtung, denen zu vergeben, die uns gegenüber gesündigt haben. Wenn solche Leute ihre Sünden bekennen und Buße tun, dann ist es unsere moralische Pflicht, zu vergeben. Wenn sie jedoch keine Buße tun, dann müssen wir nicht vergeben. Wir können vergeben, wie Jesus denen vergab, die ihn umbrachten (Lk 23,34). Aber als er das tat, befahl Jesus nicht, dass wir immer denen vergeben müssen, die keine Buße tun. Du kannst zu denen hingehen, die dir etwas angetan haben, und es ihnen sagen (siehe Mt 18,15). Wenn sie Buße tun, hast du sie zurückgewonnen. Aber du bist nicht verpflichtet zu vergeben, wenn sie keine Buße tun. Du darfst aber auch nicht bitter oder rachsüchtig sein. Du musst liebend, besorgt und mitleidig sein, aber du musst nicht vergeben. Du kannst immer noch davon reden und öffentliche Richtigstellung anstreben.

Hier ist ein letztes Problem, das mit Vergebung zu tun hat, und das uns oft als Älteste in Christi Kirche begegnet: Ein Ehemann oder eine Ehefrau begeht Ehebruch, tut von Herzen Buße und bittet dann seinen Ehepartner um Vergebung. In solch einer Situation muss der verletzte Ehepartner dem schuldigen Ehepartner vergeben. Aber dieser Ehepartner ist nicht verpflichtet, in der Ehe zu bleiben. Die Bibel erlaubt die Auflösung einer Ehe im Fall von Ehebruch. Die Person ist verpflichtet, den bußfertigen Menschen als Bruder oder Schwester in Christus zu behandeln, jedoch nicht als Ehepartner.

Ein weiteres Beispiel ist ein Mann, der fünfzig Mal aus unserem Büro stiehlt und jedes Mal Buße tut. Wir müssen ihm vergeben, aber wir können Schadenersatz einfordern. Wir müssen ihn nicht weiter beschäftigen, aber wir müssen ihn weiter als Bruder in Christus behandeln. Diese Situation ist eine wichtige, praktische Anwendung des Konzepts der Vergebung. Wir können Vergebung und wiederhergestellte Beziehungen haben, aber das bedeutet nicht notwendigerweise, dass es keine bleibenden Konsequenzen für unsere Sünde gibt.