Die verlorenen Söhne und Gemeindezucht

Artikel von Scotty Smith
8. Juni 2019 — 5 Min Lesedauer

Als ich gebeten wurde, pastorale Einsichten über Gemeindezucht im Licht der Geschichte des verlorenen Sohns zu geben, ahnte ich nicht, wohin mich diese Aufgabe sowohl geistlich als auch emotional führen würde.

Neu auf den Text von Lukas 15 zu hören, ließ mich sehr überführt aber noch hoffnungsvoller zurück. Ich bin überführt, weil ich mir wünschen würde, dass ich nach einem pastoralen Dienst von 26 Jahren bei der gleichen Gemeinde ein Notizbuch voller Geschichten der Gemeindezucht hätte, die die evangeliumsvolle Schönheit von Lukas 15 widerspiegeln würden.

Ich wünschte, ich könnte dir von all den bußfertigen Christen berichten, die durch gut angewendete Gemeindezucht wieder nach Hause zurückgekehrt sind, wo von demütigen und gnadenreichen Leitern eine große Party geschmissen wurde, und die wieder ganz und gar Teil des Lebens der Gemeinde wurden. Obwohl ich zahlreiche großartige Geschichten habe – gnadenreiche Geschichten von Bekehrungen und Erneuerungen – habe ich nicht viele Geschichten in Verbindung mit Gemeindezucht, über die ich wirklich begeistert bin.

Aber das Nachsinnen über die Geschichte des verlorenen Sohns hat mich auch gespannt und hoffnungsvoll gemacht, besonders für Gemeindegründungen und Pastoren, die sich nach einem stärker evangeliumszentrierten Ansatz bei der Gemeindezucht sehnen. Wie können wir Gemeindezucht anders machen? Was müssen wir einrichten, damit wir dazu imstande sind, das korrigierende Herz und die korrigierende Hand unseres himmlischen Vaters auf solche Weise auszustrecken, dass das Evangelium noch deutlicher den ganzen Prozess antreibt? Im Folgenden sind fünf Dinge, die aus dem Gleichnis des verlorenen Sohnes fließen, und die ich betonen würde.

1. Schaffe eine Leiterschaftskultur, die vom Staunen über das Evangelium, freudiger Buße und gemeinsamem Gebet geprägt ist. In jedem der drei Gleichnisse in Lukas 15 ruft der „Finder“ (der Hirte, die Frau, der Vater) des „Verlorenen“ (des Schafs, der Münze, des Sohns) andere dazu auf, zu kommen und sich zu freuen. „Kommt und freut euch mit mir“. Gute Leiter, die niemals ihr „Gefundensein“ in Christus als normal ansehen, sind am besten dazu ausgerüstet, für andere sündhafte Heilige zu sorgen. Leiter, die durch das Evangelium gedemütigt, sanftmütiger gemacht und verändert werden, neigen dazu, weniger schockiert zu sein, wenn andere Christen sich auf sündhafte Weise verhalten, und sie sind bereiter, mit ihnen umzugehen, wenn sie sich so verhalten.

2. Bete für Älteste, bilde und rüste sie aus, um Jüngerschaft und Gemeindezucht auszuüben. Nicht jeder, der Leiterschaftsgaben hat, ist dazu berufen, ein Ältester zu sein. Wir wissen das – lasst uns auch dementsprechend handeln. Keiner von uns ist von Natur aus ein guter Jüngermacher oder jemand, der Gemeindezucht gut ausübt. Älteste, die dazu beitragen, dass andere Gläubige in der Gnade wachsen, sind eher bereit dazu, in die Anforderungen und Segnungen der Gemeindezucht zu investieren. Jemandem nachzugehen ist harte Arbeit. Es ist nicht leicht oder bequem, rebellischen, jüngeren Söhnen in entlegenen Ländern zur Umkehr zu helfen oder selbstgerechte ältere Söhne, die in Ausschüssen sitzen, zu konfrontieren. Wir sind unbeholfen mit Konfrontation und oft ratlos, wenn es um den schwierigen Prozess der Wiederherstellung geht.

3. Bringe die DNA des Evangeliums in den Blutkreislauf der ganzen Gemeindefamilie. Als der jüngere Sohn „zu sich selbst kam“, erinnerte er sich an gute Dinge über das Zuhause, das er verlassen hatte. Sein erster Gedanke war nicht an seinen selbstgerechten, älteren Bruder, sondern an das großzügige Herz seines Vaters. Je wärmer die Erinnerung an das Leben zu Hause ist (besonders durch das Vorbild der Eltern bzw. der Ältesten), desto früher werden verlorene Söhne und Töchter es riskieren, wieder nach Hause zu kommen.

4. Predige das Evangelium. Nur das Evangelium kann eine Umgebung schaffen, in der es eher die Norm ist, Buße zu tun, als etwas vorzuspielen. Lasst uns sichergehen, dass unsere Gemeinde weiß, dass das Evangelium den Gläubigen genauso gilt wie den Ungläubigen. Lasst uns sichergehen, dass sie wissen, dass der Vater um die selbstgerechten, älteren Brüder genauso trauert wie um die ungerechten, jüngeren Söhne. Ich wäre weit lieber Pastor einer Gemeinde von jüngeren Söhnen, die zurückgekehrt sind, als von älteren, halsstarrigen Söhnen. Unseren Gemeinden sind Umfelder, wo jede Woche das Wunder der Gnade geschieht, nicht Museen oder Leichenhallen, wo tote oder trockene Geistlichkeit herrscht.

5. Baue eine Anbetungskultur, die sowohl ein Zeigen als auch ein Verkünden des Evangeliums umfasst – nicht nur das Verkünden allein. Lukas 15 beinhaltet reiche Theologie und wir können uns so tief damit identifizieren, weil sie zu uns in Erzählform kommt. Wir alle mögen Geschichten, was gewiss einer der Gründe ist, warum Jesus so viele davon gebrauchte. Ein weiser und ausgeglichener Gebrauch von Zeugnissen während unserer Gottesdienste kann den Mitgliedern der Gemeindefamilie dabei helfen zu verstehen, worum es bei einem Leben als sündhafter Heiliger geht – wie jeder von uns zu jeder Zeit die Gnade Gottes braucht.

6. Schließlich müssen wir lernen, wie wir Evangeliumsdurchbrüche als Gemeindefamilie feiern können. Nicht viele Gemeinden wissen meiner Erfahrung nach, wie man gut zusammen feiert; besonders wenn es darum geht, Geschichten der Wiederherstellung und Erneuerung zu feiern. Der jüngere Sohn war bereit, Sühne zu leisten, als er nach Hause kam, aber das erste, was sein Vater von seinem Sohn verlangte, war zu tanzen. Gemeindezucht ist väterliche Korrektur und Wiederherstellung, nicht Strafe und Bewährung. Zweifellos gab es längere Gespräche über die sündhaften Entscheidungen des verlorenen Sohns, aber Wiederherstellung geschieht am besten im Garten der Gnade, nicht im Zuchthaus der Schande. Gottes Güte führt uns immer weg von selbst auferlegter Sühne und hin zur Buße.