Viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt

Was genau meint Jesus damit?

Artikel von Guy Waters
10. Juli 2019 — 7 Min Lesedauer

Es ist allgemein bekannt, dass Jesus ein begnadeter Erzähler war. Jesu Gleichnisse haben die erstaunliche Fähigkeit, unsere Vorstellungskraft anzuregen und unsere grundlegenden Annahmen in Frage zu stellen. Jesus lehrte nicht in Gleichnissen, um unsere Ansichten über Gott, uns selbst und andere Menschen zu bestätigen. Seine Gleichnisse sind vielmehr eine Einladung an uns, einige unserer stärksten Überzeugungen in Fragen, die Bedeutung für die Ewigkeit haben, zu überprüfen. Aus diesem Grund wirken die Gleichnisse oft eher beunruhigend als bestätigend.

Jesu Gleichnis vom Hochzeitsmahl (Mt 22,1–14) hat genau diese Wirkung.

Das Festmahl

In diesem Gleichnis geht es um das Himmelreich (Vers 2). Es wird die Geschichte eines Königs erzählt, der ein Hochzeitsmahl für seinen Sohn veranstaltete. Das Hochzeitsmahl ist von weitreichender Bedeutung in der Bibel. Letztendlich geht es um den Tag, an dem Gott alle seine Erlösten versammelt und sie sich mit vollkommener Heiligkeit und Freude an seiner Gegenwart erfreuen.

Die Einladungen zum Festmahl gehen aus wie vom König befohlen. Die Knechte sind ausgesandt, „die Gäste zur Hochzeit zu laden; doch sie wollten nicht kommen“ (Vers 3). Sie bringen eine Menge an Ausreden vor und misshandeln die Knechte, sodass der König sie bestraft (Verse 5–7). Daraufhin sendet der König seine Knechte aus mit den Worten: „Darum geht hinaus auf die Straßen und ladet zur Hochzeit ein, wen ihr findet“ (Vers 9).

„Jesus beschreibt hier das Angebot des Evangeliums, zuerst an die Juden und dann an die Heiden.“
 

Jesus beschreibt hier das Angebot des Evangeliums, zuerst an die Juden und dann an die Heiden. Die jüdische Nation hatte das Angebot, das Gott ihnen durch seine Propheten machte, mit Entschiedenheit abgelehnt. Wegen dieser Ablehnung kündigt Jesus das Gericht an, das Gott bringen wird – die Zerstörung Jerusalems durch die römische Armee im Jahr 70 n. Chr. Aber gemäß Gottes Vorsehung ist diese Ablehnung der Anlass für die Ausweitung des Evangeliums auf die Heiden. Das Ergebnis ist, dass „die Tische … alle voll [wurden]“ (Vers 10). 

Doch dann geschieht etwas Unerwartetes.

Der König gesellt sich zu seinen Gästen und entdeckt „einen Menschen, der … kein hochzeitliches Gewand an[hatte]“ (Vers 11). Der Mann kann keinen Grund angeben, warum er kein Gewand anhat. In einem endzeitlichen Gerichtsakt befiehlt der König seinen Dienern, dem Mann „die Hände und Füße“ zu binden und „ihn in die Finsternis hinaus[zuwerfen]! Da wird Heulen und Zähneklappern sein“ (Vers 13). Jesus schließt die Geschichte mit dem Aphorismus ab, der die Bedeutung des Gleichnisses zusammenfasst: „Denn viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt“ (Vers 14).

Die Berufenen

Wer diese markante abschließende Bemerkung versteht, der hat den Schlüssel zum ganzen Gleichnis. Was meint Jesus mit „Denn viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt“? Um das zu beantworten, müssen wir verstehen, was Jesus hier mit „berufen“ und „auserwählen“ meint. Die Verwendung des Wortes „berufen“ zieht sich durch das ganze Gleichnis. Im griechischen Text wird den Knechten aufgetragen, die zu „rufen, die zum Festmahl berufen worden waren“ (Vers 3). Die eingeladenen Juden sind die „Berufenen“ (vgl. Verse 4.8). Die Knechte werden anschließend angewiesen, die Heiden zu „rufen“ (Vers 9). Das griechische Wort, das in Vers 14 mit „berufen“ übersetzt wird, gehört zur gleichen Wortfamilie wie die Begriffe in den Versen 3, 4, 8 und 9.

„Dieser Ruf ist das Angebot an die Zuhörer, Buße zu tun und die von den Knechten verkündigte gute Nachricht zu glauben.“
 

Dieses Muster hilft uns, die Art des Rufs in diesem Gleichnis zu verstehen. Es ist die Vorladung bzw. Einladung Gottes durch seine Knechte – Propheten im Alten Testament, seine Diener im Neuen Testament. Dieser Ruf ist das Angebot an die Zuhörer, Buße zu tun und die von den Knechten verkündigte gute Nachricht zu glauben. Es ist möglich, sie abzulehnen, wie es viele Juden getan haben. Jesus lehrt, dass diejenigen, die den Ruf ablehnen, die Schuld dafür tragen.

Es ist jedoch auch möglich, auf den Ruf auf eine Art zu reagieren, die keine Rettung bringt. Es sah so aus, als hätte der Mann ohne hochzeitliches Gewand in Vers 12 die Einladung angenommen. Das Fehlen des Gewandes stellt jedoch heraus, dass er nicht zum Festmahl dazugehört, sodass er zu recht verbannt wird. Was ist nun das Hochzeitsgewand? Es stellt wahrscheinlich das Geschenk der im Evangelium kostenlos angebotenen Rettung dar. Nur diejenigen, die das Geschenk annehmen, werden bei der Vollendung aller Dinge mit beim Hochzeitsmahl des Lammes sitzen.

Die Erwählten

Wer sind diejenigen, die aufrichtig auf den Ruf reagieren und Christus im Glauben annehmen? Jesus bezeichnet sie als „auserwählt“. Das sind all diejenigen, die der Vater in Christus vor Grundlegung der Welt erwählt hat, heilig und untadelig vor ihm zu sein (Eph 1,4). Allein diese Auserwählten werden die Gruppe der Erlösten bilden, wenn Jesus in Herrlichkeit wiederkommt. Gottes ewige Erwählung stellt sicher, dass sie aufrichtig auf den Ruf reagieren werden.

„Gottes ewige Erwählung stellt sicher, dass sie aufrichtig auf den Ruf reagieren werden.“
 

An anderer Stelle im Neuen Testament wird Berufung mit Erwählung in Verbindung gebracht (vgl. 2Tim 1,9; Röm 8,30). Was meint Jesus dann aber hier, wenn er sagt, dass es solche gibt, die berufen sind, aber nicht auserwählt?

Die Antwort liegt in einer Unterscheidung, die nötig ist, um die Art zu verstehen, in der der Autor des Bibeltextes vom „Ruf“ spricht. Jesus spricht im Gleichnis von einem „Ruf“ in einem äußeren Sinn. Es handelt sich um Gottes Einladung durch die Botschaft des Evangeliums. Dieser Ruf bietet Männern und Frauen an, durch Buße und Glauben zu Christus zu kommen.

An anderen Stellen sprechen biblische Verfasser von einem „Ruf“ in einem inneren Sinn. Zum Beispiel spricht Paulus von dieser inneren Berufung in 1. Korinther 1,24 – hier handelt es sich um das effektive und rettende Werk des Heiligen Geistes in Verbindung mit dem äußeren Ruf des Evangeliums. Diese innere Berufung wendet den Sünder kraftvoll und wirksam von seiner Sünde hin zu Jesus Christus. Der äußere Ruf geht hinaus an alle. Doch nur die Erwählten werden, zu Gottes Zeit, die innere Berufung erfahren. Für sie ist das Evangelium in der Tat „eine Kraft Gottes, die selig macht“ (Röm 1,16).

Die Lehre des Gleichnisses

Was sind die wichtigsten Lehren, die Jesus in diesem überraschenden, beunruhigenden Gleichnis für uns hat?

Zum einen: Es ist keine Kleinigkeit, die durch seine Boten überbrachte Vorladung abzulehnen. Gott wird diejenigen, die diese Vorladung ablehnen, am jüngsten Tag dafür zur Verantwortung ziehen. Zum anderen: Jesus möchte, dass wir erkennen, dass es auch eine subtilere Art gibt, seine Vorladung abzulehnen. Es ist möglich, gegenüber dem äußeren Ruf ein Lippenbekenntnis abzulegen, aber Jesus niemals wahrhaft so anzunehmen wie er in dem Ruf angeboten wird. Auch diese Art von Ablehnung unterwirft uns Gottes gerechtem Gericht. 

Die schlechte Nachricht ist, dass wir in uns selbst keine Macht haben, unsere rebellierenden Herzen zu ändern. Die gute Nachricht ist, dass Gott Gefallen daran hat, rebellierende Herzen durch die unbesiegbare Macht seines Geistes zu verändern. 

Wenn wir auf den äußeren Ruf mit Buße und Glauben reagiert haben, dann nur aus dem Grund, dass Gott zunächst an uns am Werk war, um uns in Christus zu sich zu wenden. Rettung geschieht wahrhaft durch Gnade allein. Diese Wahrheit ist beunruhigend, aber Jesus beunruhigt uns aus einem bestimmten Grund. Er möchte, dass wir Rettung und Leben in ihm allein finden, aus Gnade allein. Und allein in Christus können wir ein ewiges, unerschütterliches Fundament finden.