Gottes Wort Raum geben
Interview mit Klaus und Judith Hickel
Waldemar: Klaus und Judith, könnt ihr etwas über euren Beruf erzählen? Welche Auswirkungen hat das Coronavirus bisher auf eure Tätigkeit?
Klaus: Seit 2012 darf ich Gott in der Leipzig English Church (LEC) als Pastor für die deutschsprachige Arbeit dienen. Den deutschsprachigen Gottesdienst, für dessen Leitung und Entwicklung ich zuständig bin, gibt es seit 2013. Daneben ist es mir ein Anliegen, Gemeinden im deutschsprachigen Raum Ressourcen zur Verfügung zu stellen, damit sie wachsen und reifen können. Das geschieht z.B. durch die Übersetzung des „Bibel für alle“-Kurses, den wir Anfang des Jahres an Evangelium21 übergeben konnten. Als Pastor ergeben sich aus der aktuellen Situation zahlreiche Herausforderungen. Die bedeutendste entsteht in der eigentlichen Hirtenaufgabe. Durch die fehlende Gemeinschaft „im Fleisch“, in Gottesdiensten, Hauskreisen und anderen Zusammenkünften hat man ein weniger akkurates Bild vom Zustand der Herde, was die Erfüllung der eigentlichen Aufgabe deutlich erschwert. Gleichzeitig rückt damit die Notwendigkeit des Gebets für jeden Einzelnen, aber auch des persönlichen Kontakts zu jedem Einzelnen sehr viel stärker in den Mittelpunkt, was durchaus auch eine Chance darstellt!
Judith: Als Mutter ist es mir ein besonderes Anliegen, meine Jungs dafür zu begeistern, dass jeder für sich Zeit mit Gott verbringt. In der Gemeinde bin ich schwerpunktmäßig im Bereich Musik und im Frauen-Bibelkreis involviert. Zusätzlich arbeite ich für EMU, einen christlichen Musikverlag, und entwickle ihren deutschen Zweig. Dazu gehört das Songwriting, die Übersetzung von Liedern, die Aufnahme und Produktion von CDs, die Durchführung von Trainingsseminaren für den Musikdienst in der Gemeinde und auch das Erstellen von musikalischen Kinderbüchern mit christlichen Inhalten. Die Einschränkungen durch das Coronavirus haben dazu geführt, dass EMU „Onlinegottesdienst-taugliche“ Videos mit Untertiteln erzeugt und kostenfrei zur Verfügung stellt.
Waldemar: Judith, das letzte Album von EMU Music trägt den Titel „Nur bei dir. Lobpreislieder für die Gemeinde“ und wurde im Dezember 2019 veröffentlicht. Was ist euer Ziel mit diesem Album? Welches Stück in diesem Album spricht dich persönlich besonders an?
Judith: Mein persönlicher Favorit ist definitiv „Dein Wort“! Das Lied ist eine wunderbare und leidenschaftliche Erinnerung an Psalm 119. Darin kommt auch das Motto von EMU sehr gut zum Ausdruck: Gottes Wort im Lied (engl. „Word in Song“). Ob es uns gefällt oder nicht, Gottesdienstbesucher werden auf dem Weg nach Hause sehr viel eher ein Lied summen als einen Satz aus der Predigt! Deshalb ist es so wichtig, dass wir wortzentrierte Lieder im Gottesdienst singen, in denen die Botschaft der Predigt aufgegriffen wird. Solche Lieder bieten eine wunderbare Gelegenheit, damit Gottes Wort Christen am Sonntag und im Alltag begleiten und stärken kann. Das ist das Ziel unserer Lieder.
Waldemar: Klaus, wegen des Coronavirus gibt es in vielen Ländern aktuell Versammlungsverbote. Wie begegnet ihr als Leipzig English Church dieser Herausforderung?
Klaus: Die aktuelle Herausforderung besteht darin, unser Gemeinde- und Gottesdienstverständnis ohne körperliches Beisammensein umzusetzen. Was dabei logistisch möglich und sinnvoll ist, hängt natürlich von der Größe der Gemeinde und der einzelnen Gruppen ab. Unsere Hauskreise, Trainingskurse, Frauen- und Männergruppen und Socials finden auf den einschlägigen Plattformen online statt. Gleichzeitig entstehen dadurch Möglichkeiten, kreativ zu sein. Unsere Jugendgruppe hatte zum Beispiel einen Riesenspaß mit einer Schnitzeljagd, bei der alle bestimmte Gegenstände im ganzen Haus zusammenfinden mussten. Humor und Lachen sind gerade jetzt besonders wichtig.
In Zeiten wie diesen ergeben sich auch Chancen, das eigene Gemeindeverständnis von Neuem zu vermitteln. Gleich zu Anfang des Versammlungsverbots war es uns zum Beispiel wichtig, jedem Einzelnen die gegenseitige Verantwortung füreinander frisch ans Herz zu legen und damit das biblische „einander“ zu artikulieren und zu betonen.
„Ich hoffe, dass durch den Entzug des Privilegs, sich zu versammeln, eine starke Sehnsucht nach ‘echter’ Gemeinde entsteht.“
Trotz aller Chancen muss uns aber bewusst sein, dass es sich dabei um Krücken handelt. Ich halte es für unmöglich, dem Wesen von Gemeinde auf Dauer ohne körperliches Beisammensein gerecht zu werden. Die Ortsgemeinde ist die irdische Gestalt einer himmlischen Realität, die lokale Versammlung um Christus, dem wir in der Verkündigung von Gottes Wort und der gegenseitigen Erbauung durch das Wort begegnen. Wir können zwar auch online durch Lieder und Verkündigung, Sündenbekenntnis und Fürbitte eine Form bieten, um in Gottes Wort einzutauchen; aber die Versammlung „im Fleisch“ mit der biblischen Betonung des leiblichen „Miteinanders“ ist nichtsdestotrotz ein unabdinglicher Aspekt der Ortsgemeinde. Gerade in diesem und durch dieses Miteinander wirkt der Heilige Geist spürbar und auf besondere Weise. Insofern wollen wir einerseits unsere Mitglieder und Besucher durch ein Online-Angebot im Glauben stärken und trösten, aber wir wollen bewusst nicht den Eindruck entstehen lassen, dass es einen „echten“ Gottesdienst ersetzen kann. Ich hoffe, dass durch den Entzug des Privilegs, sich zu versammeln, eine starke Sehnsucht nach „echter“ Gemeinde entsteht, die die Unzulänglichkeit der Online-Angebote aufzeigt und das Kostbare am Wunder „Gemeinde“ neu bewusst werden lässt.
Waldemar: Klaus und Judith, in ganz Deutschland sind die Schulen seit Mitte März geschlossen. Dadurch haben Familien viel mehr Zeit miteinander. Welche Ratschläge könnt ihr Familien in dieser Situation geben? Wie gestaltet ihr als Familie euren Tag?
Klaus und Judith: Unser Ratschlag Nr. 1: Besorgt euch, wenn möglich, ein Trampolin! So werden zumindest unsere drei Jungs ihre überschüssige Energie los. Aber ernsthaft: Durch unseren missionarischen Dienst und die damit zusammenhängenden Heimataufenthalte in Australien sind wir als Familie vielleicht etwas mehr an Homeschooling gewöhnt als andere. Wichtig war für uns immer die Struktur einer gesunden Tagesroutine, und die beinhaltet natürlich nicht nur eine gesetzte „Schulzeit“ und gemeinsame Essenszeiten. Ein Tag, der nicht mit Gott beginnt und endet, ist ein verlorener Tag. Wir Eltern versuchen deshalb, für unsere Stille Zeit morgens vor den Kindern aufzustehen. Auch wenn uns das ehrlich gesagt oft nicht gelingt, ist es uns doch wichtig, diese Zeit zu „umzäunen“, indem wir den Kindern klarmachen, dass sie sich nun selbst beschäftigen müssen. Für uns funktioniert das geistliche Familienleben am besten, wenn wir unsere Familien-Bibelzeit abends in wechselnden Gruppenaufteilungen abhalten, aber jeweils zum gleichen Bibeltext. Zum Frühstück unterhalten wir uns dann anhand unserer Bibel- und Gebetsnotizen darüber, was Gott uns am Abend davor in seinem Wort gezeigt hat.
Durch den erhöhten Kontakt miteinander können gerade jetzt auch Spannungen zutage treten, die schon lange vor sich hin schwelen. Das mag anstrengend und in diesem Moment sehr unpassend sein, aber solche offenbarenden Momente sind auch eine große Chance, um einander näher zu kommen. Wir merken, wie sehr sich unser Familienleben dadurch verbessert hat, dass alle mehr Zeit miteinander verbringen und sich miteinander arrangieren müssen. Für uns ist es eine Chance, um die Vorzüge des „traditionellen“ Familienmodells auszukosten.
Waldemar: Judith, du stellst über die Webseite Bibel für Kinder wertvolle Materialien zur Verfügung, die sich auch für Familienandachten eignen. Was ist dein Anliegen für die Webseite und wie kann sie Eltern bei der Gestaltung von Kindergottesdiensten zu Hause unterstützen?
„Inhaltlich sollte ein starker Fokus darauf liegen, Kinder frühzeitig zu einem Verständnis der heilsgeschichtlichen Zusammenhänge der Bibel zu führen.“
Judith: Mein Anliegen ist es, der verändernden Kraft von Gottes Wort Raum zu geben. Man sollte sich nicht damit zufriedengeben, dass Kinder die richtigen Geschichten aus der Bibel kennen, die richtigen Antworten geben können und vielleicht sogar (manchmal) das richtige Verhalten zeigen. Inhaltlich sollte ein starker Fokus darauf liegen, Kinder frühzeitig zu einem Verständnis der heilsgeschichtlichen Zusammenhänge der Bibel zu führen. Durch die Einbindung der Kinder in Gottes Geschichte wird ihr Zugehörigkeitsgefühl zu Gottes Volk und damit ihre Identität entscheidend gestärkt. So entsteht in den Kinderherzen Raum für das Wirken des Heiligen Geistes durch sein Wort. Auf der Webseite gibt es dazu viele kostenlose Ressourcen, die sich für Kindergottesdienste eignen und oft keine lange Vorbereitung erfordern, z.B. begleitendes Material zu Kinderbibeln.
Waldemar: Klaus, welchen Hinweis hättest du für Menschen und Familien, die sich in dieser Krise, je länger sie dauert, überwältigt und hilflos fühlen?
Klaus: Diese Empfindungen sind gut nachzuvollziehen. Es ist sehr menschlich, die Kontrolle haben zu wollen und Krisen zeigen uns schonungslos auf, dass wir sie nicht haben. Aber wir kennen denjenigen, der sie hat. In Gottes Fügung predige ich gerade durch das Buch Daniel. Seine Botschaft für schwere Zeiten lautet: Gott hat immer noch die Kontrolle. Er ist vollkommen vertrauenswürdig. Nichts von dem, was aktuell passiert, geschieht ohne seine Erlaubnis oder außerhalb seines guten Plans.
Jede Krise kann uns geistlich in zwei Richtungen bewegen: weg von Gott oder aber zu ihm hin. So kann jede Krise auch etwas Gutes haben. Der der bekannte Theologe J.C. Ryle sagt über das sehr aktuelle Thema Krankheit, „Ich kenne das Leid und Elend, das mit Krankheit kommt, aber ich kann sie nicht als etwas vollkommen Böses betrachten.“ Meine Ermutigung an alle, die sich überwältigt fühlen, lautet: Verschwenden wir diese Krise nicht. Auch wenn sich im ersten Moment vielleicht alles dagegen sträubt: Nehmen wir sie bewusst von Gott als etwas Gutes an! Am besten nutzen wir sie, wenn wir uns heute mehr von Gott abhängig machen als gestern.
Waldemar: Vielen Dank für das Gespräch!