Das Wohlstandsevangelium

Neun Erkennungsmerkmale

Artikel von D.A. Horton
30. April 2020 — 19 Min Lesedauer

Wie lässt sich eine Gemeinde, in der das Wohlstandsevangelium gepredigt wird, näher bewerten?

Ich habe die ersten neun Jahre meines Lebens als Christ in einem solchen Umfeld verbracht. Danach war ich zwei Jahre quasi im theologischen „Entzug“, der mich auf die nächsten sechs Jahre vorbereitete, wo ich seitdem als Pastor einer Großstadtgemeinde arbeite. Dabei ist mir klar geworden, dass die neun Merkmale einer gesunden Gemeinde, uns ein nützliches Bewertungsraster für jegliche Art von Gemeinde bieten, einschließlich Gemeinden, in denen das Wohlstandsevangelium gepredigt wird.

Wir können feststellen, dass eine solche Gemeinde in allen Punkten das Gegenteil der neun Merkmale ist.

Einige der folgenden Beispiele sind relativ konkret und nicht alle werden mit dir als Leser resonieren. Viele Beispiele sind aber auch allgemein gültig und werden überall von Vertretern des Wohlstandsevangeliums verbreitet, ob im Internet, im Radio oder im Fernsehen. Weil das Wohlstandsevangelium sich über die Konfessionsgrenzen hinweg verbreitet hat, sollten die Lehren, die in diesem Artikel vorgestellt werden, nicht einer bestimmten Konfession auf dem evangelikalen Spektrum zugeordnet werden.

1. Auslegungspredigten

Die Vertreter des Wohlstandsevangeliums predigen alles andere als auslegend. Der Zweck der Predigt ist stattdessen, die Zuhörer mit allen Mitteln dazu zu bewegen, Geld an die Gemeinde zu spenden – man gibt, damit man zurückbekommt. Die Prediger schlachten Woche um Woche die Bibelstellen aus, die vom opferwilligen Geben des Zehnten und anderer Gaben handeln. Sie lehren ihre Zuhörer, dass sie ihren Glauben aktivieren, indem sie einen „Glaubenssamen“ aussäen. Auf diese Weise machen sie angeblich Gottes Gesetz der Gegenseitigkeit für sich nutzbar und gelangen so zu ihrem eigenen finanziellen Durchbruch.

„Häufig werden aus dem Kontext gerissene, alttestamentliche Bibelstellen als Beispiele dafür benutzt, dass Gott das Geben im Glauben üppig belohnt.“

 

Häufig werden aus dem Kontext gerissene, alttestamentliche Bibelstellen als Beispiele dafür benutzt, dass Gott das Geben im Glauben üppig belohnt. Ein Vers, der besonders oft benutzt wird, um die Zuhörer zu manipulieren, mehr Geld zu spenden, ist Maleachi 3,10. Die Prediger des Wohlstandsevangeliums ziehen aus diesem Vers zwei Dinge heraus. Erstens sagen sie ihren Zuhörern: „Ihr beraubt Gott, wenn ihr nicht den Zehnten gebt.“ Zweitens sichern sie den Zuhörern zu: „Gott will von euch geprüft werden, indem ihr mehr Geld gebt, damit er mehr Segen über euch ausschütten kann.“

Aber schauen wir uns Maleachi 3,10 in seinem eigentlichen Kontext an: Die Israeliten beraubten Gott, weil sie nicht genug Nahrung an den Speicher des Landes abgaben, aus dem die Priester Israels ernährt wurden. Darum mussten Priester ihre priesterlichen Pflichten vernachlässigen und stattdessen Landwirtschaft betreiben, um ihr Überleben zu sichern (siehe Neh 13,10-13). Gott ermahnte Israel deshalb ihn zu prüfen, indem sie gehorsam ihre Gaben zum Speicher brachten. Sollten sie das tun, wollte er sie belohnen, wie er es in der Vergangenheit getan hatte (2Chr 31,7-10). Die Aussage der gesamten Bibelstelle dreht sich um eine konkrete, historische Situation im Leben Israels. Wenn wir diesen Text in einer christlichen Predigt auslegen und verkündigen wollen, dann dürfen wir nicht einfach nur die darin enthaltenen Gebote und Verheißungen eins zu eins auf Christen übertragen. Ja, der Text enthält für den Christen wichtige Anwendungen für den Umgang mit unseren Finanzen. Doch bevor wir zu diesen Anwendungen kommen können, müssen wir uns über die Unterschiede zwischen dem alten und dem neuen Bund im Klaren sein – insbesondere das Wesen von Gottes Verheißungen an Israel und die Art und Weise der Erfüllung für den Christen in Christus.

In einer gesunden Gemeinde dient die Predigt dazu, dem Volk Gottes Worte zu vermitteln. Die Predigt hält den Zuhörern Gottes Wahrheit vor Augen und überzeugt, ermutigt, stellt klar und ruft zu gelebtem Glauben auf. Sie stellt außerdem bei jedem Text das Evangelium in den Mittelpunkt, um den Zuhörern aufzuzeigen, dass Jesus Christus zentral und absolut notwendig ist, um als Christ dem Wort Gottes gehorsam zu leben. Eine gesunde Gemeinde lehrt die Gläubigen, dass sich ein Leben in Heiligkeit nicht unbedingt in finanziellem Gewinn auszahlt, sondern unseren Herrn ehrt.

2. Biblische Theologie

Die Theologie hinter dem Wohlstandsevangelium beruht auf dem Kardinalfehler, dass der Mensch eine Form der Gottheit mit Gott gemeinsam hat, was angeblich zur Folge hat, dass unsere Worte dieselbe schöpferische Kraft wie Gottes Worte haben. Psalm 82,6; Sprüche 18,20-21 und Römer 4,17 sind beliebte Beweistexte, die aus dem Kontext gerissen werden, um diese Unwahrheit zu belegen. Es wird oft davon gesprochen, dass wir Menschen „Götter und Söhne des Höchsten“ (Ps 82,6) sind und daher die Macht haben, diese Gottheit auszudrücken, indem wir mit unseren Worten Dinge ins Leben rufen, indem wir unser Schicksal mit Worten schaffen und lenken und indem wir sogar einen frustrierten und begrenzten Gott bevollmächtigen, zu unser Gunsten zu handeln.

Doch keiner dieser Beweistexte kann diese Lehren des Wohlstandsevangeliums belegen. In Psalm 82,6 ruft der Psalmist Gott um Hilfe an, weil das Volk Israel von korrupten Richtern unterdrückt wird. Gott spricht diese unrecht handelnden Richter direkt an und bezeichnet sie als „Götter“, um klar herauszustreichen, dass sie sich anmaßen, statt seiner das Volk zu richten. Dabei hatte er ihnen eigentlich geboten, sein Wort zur Grundlage ihrer richterlichen Entscheidungen zu nehmen. Schon im nächsten Vers erinnert sie Gott daran, dass sie keine ewigen Wesen sind, sondern nur vergängliche Menschen, die versagt haben, gerecht zu leben und zu richten. Diese Bibelstelle erhebt den Menschen weder auf den Status von Halbgöttern noch schreibt sie den Menschen die Fähigkeit zu, mit souveräner Vollmacht handeln zu können. Vielmehr richtet der einzig wahre und lebendige Gott die ungerechten Taten dieser Richter.

Sprüche 18,20-21 ist ein Prinzip und keine Verheißung. Die Bibelstelle umreißt zwei Wahrheiten. Die erste ist, dass unsere Worte nicht unser Schicksal bestimmen, sondern den Zustand unseres Herzens offenlegen. Die zweite ist, dass wir manchmal die Folgen unserer Worte zu spüren bekommen. Diese Bibelstelle verheißt uns nicht die Macht, mit unseren Worten über die Länge unseres Lebens bestimmen zu können. Sie erklärt auch nicht, dass Gott machtlos sei, uns zu retten, wenn wir uns selbst zu Tode verfluchen, wie es einige Vertreter des Wohlstandsevangeliums gepredigt haben.

In Römer 4,17 lehrt Paulus, dass Gott Abraham gerechtfertigt und ihn zum Vater vieler Völker erklärt hat, als Abraham noch kinderlos war. Diese Bibelstelle hat rein gar nichts damit zu tun, dass die Gläubigen mit ihren Worten Geld oder eine Beförderung oder sogar die Errettung ihrer Liebsten ins Leben rufen könnten. Diese Bibelstelle hält die Wahrheit hoch, dass Gott der Einzige ist, der Dinge ins Leben rufen kann.

Eine gesunde Gemeinde vermittelt ihren Mitgliedern heilsame Lehre, die in der Schrift verwurzelt ist, deren Texte in ihrem Kontext gelesen und ausgelegt werden. Heilsame Lehre bedeutet gesunde Lehre, die den Zuhörer mit den biblischen Nährstoffen versorgt, die nötig sind, um zur Reife in Christus heranzuwachsen (2Tim 3,16-17). Damit eine Gemeinde gesund sein kann, muss sie die ganze Bibel und jeden Text im Kontext der ganzen Bibel lehren und alle ihre Lehrüberzeugungen müssen in der ganzen Bibel verwurzelt sein, anstatt Bibelstellen aus dem Kontext zu reißen (1Tim 1,5; Tit 2,1-10; 2Joh 1-6).

3. Das Evangelium

In vielen Gemeinden, in denen das Wohlstandsevangelium gepredigt wird, wird die Evangeliumsbotschaft mit dem materiellen Segen des abrahamitischen Bundes gleichgesetzt. Obwohl sie die Vollkommenheit von Jesu Leben, Tod, Grab und Auferstehung verkünden und die Errettung durch Christus allein hochhalten, sagen viele Prediger des Wohlstandsevangeliums, dass der Glaube ans Evangelium dadurch unter Beweis gestellt wird, dass man in seinem Leben die Segnungen empfängt, die Gott Abraham versprochen hat (1Mo 12-15).

„Viele Prediger des Wohlstandsevangeliums sagen, dass der Glaube ans Evangelium dadurch unter Beweis gestellt wird, dass man in seinem Leben die Segnungen empfängt, die Gott Abraham versprochen hat.“

 

„Wenn diese Segnungen im Leben der Gläubigen ausbleiben, dann schließen sie daraus, dass sie nicht genug Glauben haben.“

 

Meiner Erfahrung nach führt diese Lehre die Menschen zu einer der folgenden zwei Schlussfolgerungen: Wenn sie sich an Wohlstand und Gesundheit erfreuen, dann schließen sie, dass sie gerettet sind, weil sie die Segnungen Abrahams erfahren. Wenn diese Segnungen im Leben der Gläubigen ausbleiben, dann schließen sie daraus, dass sie nicht genug Glauben haben. Sie leben in Sünde. Sie müssen mehr Geld an die Gemeinde spenden. Oder vielleicht haben sie ihr Vertrauen noch nicht ganz auf Jesus Christus gesetzt und müssen wiedergeboren werden, um die Segnungen Abrahams zu empfangen.

Im Gegensatz dazu verkünden gesunde Gemeinde den ganzen Ratschluss des biblischen Evangeliums, ohne sich dafür zu schämen. Dazu gehört die Wahrheit, dass wir in Gottes Bilde erschaffen sind (1Mo 1,26-27), dass wir einst offene Gemeinschaft mit Gott hatten (1Mo 2,7-25), doch dass jetzt die ganze Menschheit wegen der Sünde Adams, des ersten Menschen, physisch (1Mo 3,1-19) und geistlich (Röm 5,12) von dem heiligen und gerechten Gott, der uns geschaffen hat, abgeschnitten sind. Da die Menschheit wegen der Sünde von Gott getrennt ist, muss die Schuld der Sünde durch Blut und Tod gesühnt werden (3Mo 1,3-17). Die Schönheit des Evangeliums liegt darin, dass Jesus Christus, der Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit ist (Joh 1,1), für uns Mensch geworden ist (Joh 1,14), ein vollkommenes Leben nach Gottes Gesetz geführt hat (Hebr 7,26) und sein Blut vergossen hat, als er sündlos stellvertretend für uns Sünder gestorben ist (Mk 10,45; 2Petr 2,24). Jesus lag drei Tage lang im Grab (Mt 27,57-66) und ist am dritten Tag aus dem Grab auferstanden (Mt 28,1-8). Jetzt ruft er alle Menschen auf, von ihrer Sünde umzukehren und an ihn zu glauben, damit sie mit Gott versöhnt werden und ewiges Leben empfangen (Joh 3,16).

Das biblische Evangelium verspricht nicht, dass Christen in diesem Leben wohlhabend und erfolgreich sein werden und so die Erfüllung von Gottes Verheißungen an Abraham erleben. Stattdessen werden Christen in Abraham in dem Sinne „gesegnet“, dass wir den Geist empfangen (Gal 3,14). Außerdem werden wir nicht einfach „Land“ empfangen, sondern Gott wird uns in der kommenden Weltzeit die gesamte neue Schöpfung schenken (Röm 4,13; Offb 21-22).

4. Bekehrung

In den Gemeinden, die das Wohlstandsevangelium im Fokus steht, bedeutet Bekehrung eine unglückliche Mischung aus zwei Gegensätzen: billige Gnade und Werkegerechtigkeit. Die Prediger des Wohlstandsevangeliums sind dafür bekannt, zu lehren, dass ein Sünder „errettet“ ist, sobald er ein „Übergabegebet“ gesprochen hat. Nach dieser schnell erledigten Errettung soll sich der frischgebackene Gläubige der Leitung und Lehre der Gemeinde unterordnen, regelmäßig den Zehnten geben und weitere Gaben spenden und sich bemühen in einem fort in der Gemeinde zu dienen. Solange jemand diese Dinge tut, behält er sein Heil. Doch wer diese Dinge für eine längere Zeit nicht tut, kann sein Heil auch wieder verlieren. Um diese Lehre zu verbreiten, haben Pastoren versucht, ihre Zuhörer mit psychologischen Tricks und dem Verbiegen der Schrift zu manipulieren, damit sie verschiedenste Dienste im Namen des Herrn tun. Der Prediger verspricht seinen Zuhörern, dass ihr Dienst sie davor bewahrt, „aus der Gnade zu fallen“ und ihr Heil zu verlieren.

Einige Anhänger des Wohlstandsevangeliums brennen aus und werden wütend auf ihre Leitung. Sie fangen an, die Methoden ihrer Gemeinde zu hinterfragen, und weigern sich deren Forderungen nachzukommen. Ich habe gesehen, wie Pastoren, die merkten, dass sie dabei waren, den Einfluss auf diese Menschen zu verlieren, erklärten: Dieses Gemeindemitglied lehnt sich auf, verursacht Spaltungen und ist auf bestem Wege, sein Heil zu verlieren, wenn er oder sie nicht umkehrt und den Dienst wieder aufnimmt. In solchen Fällen wurde 1. Samuel 15,23 als Beweistext angeführt, um die Folgen dieser angeblichen Auflehnung zu zeigen und andere abzuschrecken. Doch dieser Vers spricht von dem unmittelbaren Ungehorsam König Sauls gegen ein Gebot Gottes und nicht von einem echten Gläubigen, der eine unbiblische Lehre oder Gemeindekultur in Frage stellt.

Eine gesunde Gemeinde lehrt in Liebe das biblische Verständnis von Bekehrung. In der Bibel lesen wir, dass die Bekehrung dann stattfindet, wenn das biblische Evangelium gepredigt wird (Röm 1,16-17; 10,9-17) und der Sünder von seinen Sünden umkehrt und auf Jesus Christus vertraut (Apg 3,19; Röm 3,21-26). Die Bekehrung geschieht, wenn Gott der Heilige Geist den Sünder, der tot in seinen Sünden ist, in Christus lebendig macht (Joh 3,3-8; Eph 2,1-10). Das biblische Verständnis von Bekehrung legt den Schwerpunkt auf die Umkehr und den Glauben an Christi Erlösungswerk, statt auf ein Übergabegebet und Dienen bis zum Umfallen aus Furcht, sein Heil sonst zu verlieren.

5. Evangelisation

„Die Gemeinden, in denen das Wohlstandsevangelium gepredigt wird, lehren häufig, dass Evangelisation Hand in Hand mit Zeichen und Wundern gehen muss.“

 

Die Gemeinden, in denen das Wohlstandsevangelium gepredigt wird, lehren häufig, dass Evangelisation Hand in Hand mit Zeichen und Wundern gehen muss. Es wird gepredigt, dass sich dann Menschen bekehren werden, wenn diese zwei Elemente zusammenkommen. Ich habe in Gebetszeiten vor einer Evangelisation gehört, dass sich nur dann Sünder bekehren werden, wenn sie einen physischen Beweis des übernatürlichen Wirkens des Heiligen Geistes sehen, wie in Markus 16,15-16 beschrieben.

Da umstritten ist, ob dieser Abschnitt im Original und in den ältesten überlieferten, zuverlässigsten Abschriften eingeschlossen war, erscheint es nicht weise, seine Lehrmeinung nur von diesen Versen abzuleiten. Außerdem ist es gefährlich und manipulativ, zu fordern, dass jemand die Zeichen aus diesen Versen tun muss, um wirksam zu evangelisieren.

Biblische Evangelisation bedeutet, das Evangelium zu verkündigen und Sünder zur Umkehr aufzurufen. Das Evangelium braucht kein Upgrade, kein Beiwerk, keine Zusätze, um wirksam zu sein (1Kor 15,1-4). Die Bibel sagt deutlich, dass das verkündete Evangelium die Kraft hat, Menschen zu retten (Röm 1,16; 10,17).

6. Gemeindemitgliedschaft

Die Gemeinden, in denen das Wohlstandsevangelium verkündigt wird, setzen Gemeindemitgliedschaft häufig damit gleich, dass Menschen regelmäßig den Gottesdienst besuchen, ihren Zehnten zahlen und dienen – unabhängig davon, ob sie sich offiziell an die Gemeinde binden. Bestimmte Personen bekommen oft eine Art „Bestandsschutz“ als Gemeindemitglied, wenn sie diese Dinge nur lang genug machen. Ich kann mich an eine Person erinnern, die mehr als zwanzig Jahre in die Gemeinde ging und alle Vorzüge der Mitgliedschaft genoss, ohne je der Gemeinde beizutreten. Er sah keine Notwendigkeit dafür, weil er regelmäßig spendete und in der Gemeinde diente. Ich habe gesehen, wie diese Dauerbesucher, die nie Mitglied wurden, in offener Sünde lebten und der Gemeindezucht aus dem Weg gingen.

Eine gesunde Gemeinde lehrt, dass die Gemeindemitgliedschaft dem Christen zum Segen wird und ihm geboten ist. Der Segen liegt darin, dass die Gemeinde den Glauben des Christen bekräftigt und ihn in Liebe auferbaut (Eph 4,11-16). Das Gebot bedeutet Folgendes: Jesus will, dass seine Nachfolger sich seiner Vollmacht unterordnen, indem sie sich der Vollmacht der Gemeinde unterordnen. Du bist nicht wirklich ein Glied am Leib, wenn du dich einfach beliebig loslösen kannst.

7. Gemeindezucht

Ich habe erlebt, dass Gemeindezucht in den Gemeinden, die das Wohlstandsevangelium predigen, in eines dieser zwei Extreme ausartete: Das erste Extrem war ein formloser Gemeindeausschluss, bei dem die biblischen Regeln für Gemeindezucht völlig außer Acht gelassen wurden (nämlich Mt 18,15-17; 1Kor 5,1-13; 2Kor 2,6; 2Thess 3,6-15). Es wurde erklärt, dass die betreffenden Personen in Sünde leben würden und deshalb aus der Gemeinschaft der Gemeinde verstoßen wurde. Das sei in einem privaten Rahmen geschehen und die Gemeinde solle von diesen Menschen in der Öffentlichkeit nur noch sagen, dass man mit ihnen keinen Kontakt mehr habe, weil sie sich aufgelehnt hätten.

Das zweite Extrem war, dass die Gemeindeleitung die Sünde eines anderen Leiters bzw. eines angesehenen Gemeindemitglieds durchweg ignorierte. Bei diesem Ansatz weigerte sich die Gemeindeleitung, obwohl sie von der anhaltenden, reuelosen Sünde wusste, diese Situation anzuerkennen und die Person damit zu konfrontieren. Traurigerweise habe ich oft miterlebt, wie die Gemeindeleitung abwiegelnd über die Sünden anderer Mitglieder gesprochen haben: „Gott vergibt gerne und seine Liebe deckt die Menge deiner Sünden zu“ oder „Nur Gott kann diese Person richten“. Wenn ein Leiter im Amt blieb, obwohl er nicht von seiner Sünde umkehrte, dann wurde gesagt: „Gottes Gaben können ihn nicht reuen“, eine verzerrte Darstellung von Römer 11,29. Prediger des Wohlstandsevangeliums nutzen oft 1Chronik 16,22 („Tastet meine Gesalbten nicht an und fügt meinen Propheten kein Leid zu!“), um Fragen von Gemeindemitgliedern abzuwehren. Gemeinden, die das Wohlstandsevangelium predigen, sind dafür bekannt manchmal die Sünde eines Gemeindeleiters zuzudecken, indem sie ihn ein Sabbatjahr machen lassen, statt 1Timotheus 5,17-20 anzuwenden.

Gesunde Gemeinden nehmen Gottes Sehnen nach einer reinen und heiligen Gemeinde ernst. Sie helfen Christen dabei Christus immer ähnlicher zu werden, sodass sie als Lichter in der Welt leuchten (Eph 4,11-32; Phil 2,1-18). Gesunde Gemeinden verstehen, dass die Gemeindeleiter nicht ausgenommen sind von Versuchungen, Fehleinschätzungen und Sünde. Gesunde Gemeinden lehren und befolgen die biblische Praxis der Gemeindezucht, von der auch Gemeindeleiter nicht ausgenommen sind (1Tim 5,17-20).

8. Jüngerschaft

In den Gemeinden, die das Wohlstandsevangelium predigen, bedeutet Jüngerschaft häufig eine Art Co-Abhängigkeit vom Pastor oder einem anderen angesehenen Gemeindeleiter. Die Einstiegsstufe für die Jüngerschaft ist als „Waffenträger“-Stufe bekannt. Ein Waffenträger war im Alten Testament ein Mensch, der die Waffen seines Anführers trug und schützte (1Sam 14,6-7 und 2Sam 18,15). In den Gemeinden, die das Wohlstandsevangelium vertreten, ist der Waffenträger jedoch zu einem inoffiziellen Amt geworden Frisch bekehrte Christen, die im Glauben wachsen wollen, werden in eine Kohorte eingereiht. Diese Kohorte wird dazu ausgebildet, die emotionalen, physischen und geistlichen Bedürfnisse des Pastors oder Gemeindeleiters zu erfüllen. Der Pastor nutzt die Waffenträger häufig zu verschiedenen Aufgaben, vom Tragen seiner Bibel bis zum Bezahlen seiner Rechnungen, alles im Namen des „Dienstes“. In einigen Extremfällen kann das noch viel weiter gehen: Ich habe einige ehemalige Waffenträger in der Seelsorge gehabt, die den Pastor nach der Predigt massieren sollten oder von denen sogar sexueller Kontakt eingefordert wurde.

Wenn ein Waffenträger lange genug durchhält, kann er befördert werden, was ihm einen Titel und die Zulassung zum Predigtdienst und teilweise sogar eine Ordination einbringt. Der Pastor tut das in aller Regel, um gute Statistiken über seine Gemeinde vorweisen zu können. Meistens stehen diese ordinierten Männer (und teilweise Frauen) nur am Spielfeldrand und feuern den Pastor an, wenn er predigt. Ich habe mitangehört, wie einige Pastoren sich damit gerühmt haben, dass ihnen Jahrzehnte lang dutzende ordinierte Männer unterstellt waren. Diese ordinierten Geistlichen wurden jedoch nur äußerst selten ausgesandt, um eine Gemeinde zu gründen, eine sterbende Gemeinde wiederzubeleben oder im Ausland zu dienen. Ich habe traurigerweise einmal einen Mann seelsorgerlich begleitet, der mehr als fünfzehn Jahre als ordinierter Geistlicher unter einem solchen Pastor diente und in dieser Zeit kein einziges Mal die biblischen Anforderungen an einen Ältesten vermittelt bekam.

Eine gesunde Gemeinde leitet ihre Mitglieder dazu an, sich mehr von Jesus abhängig zu machen als von einem Pastor oder Gemeindeleiter. Ein Christ wächst im Glauben, indem er mehr und mehr von Jesus erkennt (2Petr 3,18) und in der Kraft des Geistes Jesus nachahmt (1Kor 4,16; 11,1; Eph 5,1). Biblische Jünger machen andere zu biblischen Jüngern und nicht zu Abhängigen (2Tim 2,2; Tit 2,1-8).

9. Gemeindeleitung

Die Prediger des Wohlstandsevangeliums haben oft die unverbrüchliche Unterstützung ihrer Gemeindemitglieder, weil diese sozusagen indirekt durch ihren Pastor leben. Wenn er an Einfluss gewinnt und sich sein Konto füllt, dann feiern das seine Gemeindemitglieder so, als wäre es ihr eigener Erfolg und Wohlstand. Einige Gemeinden wollen, dass ihr Pastor immer das neueste Topautomodell fährt und teure Markenkleidung trägt und in einem riesigen Haus wohnt, damit Gottes Segen auch zu ihnen durchsickert. Zu mir hat einmal jemand gesagt: „Wenn mein Pastor ein reiches Leben führen kann, dann ebnet er für mich und meine Familie den Weg, dass wir das auch tun können.“

In vielen Fällen wird gesagt, dass der Pastor Gottes Stimme an die Gemeinde ist, was ihm unumstrittene Vollmacht ermöglicht. Die Leitungsstruktur schwankt zwischen einem Großunternehmen mit nur einem Boss und einer Monarchie. Ich habe oft gesehen, wie Männer als Pastoren und Ältesten ernannt wurden, weil sie einen prestigebehafteten Beruf hatten oder dem Pastor nahestanden, aber nicht auf Grundlage der biblischen Anforderungen.

Eine gesunde Gemeinde steht für Leiter, die aus biblischer Sicht geeignet und fähig sind. 1Timotheus 3,1-7 und Titus 1,5-9 legen klar und deutlich die Anforderungen an die Männer dar, die Gottes Gemeinde leiten sollen. Die Bibel betont den Charakter eines Mannes und nicht seine Stellung oder seine Freundschaft zum Pastor. Die Ältesten sollen Hirten für die Herde sein, die sie mit gesunder Lehre versorgen, in Demut leiten und vor falschen Lehrern schützen.

Schafe ohne Hirten

Mich lässt die Trauer über die Situation all derer, die von einigen oder allen Punkten dieser Lehre betroffen sind, nicht los. Sie sind wie die ermatteten und vernachlässigten Schafe, die keinen Hirten haben, mit denen Jesus Mitleid hatte (Mt 9,36). Diese kostbaren Seelen, die zur Zeit Jesu lebten, wurden von ihren Oberen misshandelt und in Not und Bedrängnis gebracht. Sie kannten kein anderes Leben, weil ihre eigenen religiösen Führer, sie auf diese Art und Weise behandelten. Jesu Reaktion auf diesen Missstand war seinen Jüngern aufzutragen, Gott zu bitten, Arbeiter in seine Ernte zu schicken.

Meine Trauer angesichts der ermatteten und zerstreuten Schafe heute treibt mich an, diese zwei Dinge zu tun: Ich bitte den Herrn, Arbeiter in seine Ernte zu schicken, die diesen zerstreuten Schafen nachgehen und dienen und die sich darum bemühen gesunde Gemeinden zu leiten, die die Schafe in meiner Stadt erreichen. Ich bete, dass dieser Artikel in deinem Herzen ein Feuer entfacht, überall auf der Welt gesunde Gemeinden sehen zu wollen, die unseren Städten dienen.