Ravi Zacharias (1946-2020) und sein Vermächtnis

Artikel von Alister McGrath
20. Mai 2020 — 6 Min Lesedauer
Um ein Gesamtbild zu erhalten, sollte auch der Artikel „Ravi Zacharias und Gottes Gericht“ gelesen werden.

Ravi Zacharias (1946–2020) wird wegen seiner richtungsweisenden Beiträge zur christlichen Apologetik in Erinnerung bleiben, insbesondere für sein Bemühen, das Evangelium mit dem Denken (engl. „life of the mind“) zu verbinden.

Zacharias starb am 19. Mai 2020 an Krebs.

Sein Leben

Zacharias, der in der indischen Stadt Chennai (früher bekannt als Madras) geboren wurde, kam durch den Dienst von Jugend für Christus zum Glauben an Christus und entwickelte schnell eine Leidenschaft für Evangelisation. Nach dem Umzug der Familie nach Ontario (Kanada) in den späten 1960er Jahren studierte Zacharias zunächst am Ontario Bible College, um seine Fähigkeiten als Evangelist auszubilden. Nachdem er als Evangelist für die Christian and Missionary Alliance in Kanada im Süden Ontarios tätig war, erlangte Zacharias einen theologischen Master-Abschluss (MDiv) bei Norman Geisler und John Warwick Montgomery an der Trinity Evangelical Divinity School. Diese Ausbildung erwies sich als bedeutsam, da sie ihn davon überzeugte, dass der amerikanische Evangelikalismus seine Fähigkeit verlor, sich mit den intellektuellen Fragen zu befassen, die reflektierte Skeptiker daran hinderten, zum Glauben zu kommen.

Nach seiner Ordination in der Christian and Missionary Alliance arbeitete Zacharias ab 1980 als Assistenzprofessor für Evangelisation und zeitgenössisches Denken am Alliance Theological Seminary in Nyack, New York (USA). Es war ein wichtiger Lehrstuhl am landesweiten Seminar der Denomination, der Zacharias die Möglichkeit bot, eine junge Generation von Pastoren zu prägen. Es war jedoch eine anspruchsvolle Aufgabe, die Zacharias wenig Zeit für die Praxis der Evangelisation oder die Entwicklung der apologetischen Strategien ließ, die er zunehmend für wesentlich hielt, um ein skeptisches Publikum zu erreichen.

Während einer Konferenz von Evangelisten 1983 in Amsterdam fühlte sich Zacharias dazu berufen, auf diejenigen zuzugehen, die der Beantwortung der intellektuellen Fragen widerstrebten, insbesondere auf diejenigen, die Einfluss auf die öffentliche Meinung und Politik hatten. Es gab jedoch keinen einfachen Weg, auf dem er dieses Ziel erreichen konnte. Nach einem unerwarteten Angebot durch den Geschäftsmann David Dale („D. D.“) Davis, ihn beträchtlich finanziell zu unterstützen, gelang es Zacharias 1984 jedoch, sein eigenes Werk Ravi Zacharias International Ministries (RZIM) zu gründen, das seinen Hauptsitz heute in Atlanta, Georgia (USA), hat. Von Anfang an bestand sein Kernziel darin, sich mit den intellektuellen Fragen zu befassen, die sonst nicht behandelt wurden, die die Gläubigen beunruhigten und die Skeptiker daran hinderten, das Evangelium ernst zu nehmen. Während sich das Motto von RZIM allmählich entwickelte, blieb das Grundprinzip dasselbe: „Dem Denker helfen, zu glauben, und dem Gläubigen helfen, zu denken.“

Sein Vermächtnis

Für die meisten sind diese Ideen heute unstrittig. In den 1980er Jahren wichen sie jedoch erheblich von den gängigen evangelikalen Ansätzen zur Evangelisation ab, die in ihrem Ton oft anti-intellektuell wirkten. Zacharias’ Beschäftigung mit Schriftstellern wie Norman Geisler, C.S. Lewis und Francis Schaeffer überzeugte ihn von der Bedeutung des Unterfangens, das Evangelium mit dem Verstand zu verbinden, als auch von der Notwendigkeit, eine Bandbreite apologetischer Ansätze zu entwickeln, die sich an die verschiedenen kulturellen Gegebenheiten des Zielpublikums anpassten.

Letzteres war der Grund für die Gründung von RZIM-Büros in verschiedenen Regionen der Welt, z.B. in Indien, Singapur, Südafrika und dem Vereinigten Königreich (es gibt auch ein Partnerinstitut für D, A, CH: https://zachariasinstitut.org, Anm. der Red.). Obwohl sie allgemeine apologetische Ansätze und Ziele teilen, reagiert jede regionale Einheit sensibel auf ihre jeweilige kulturelle Prägung und die sich daraus ergebenden Herausforderungen und Chancen.

RZIM begann nun mit der Herausgabe einer Reihe von Publikationen, die sich mit den Glaubensfragen beschäftigten, die von intellektuellen Nichtgläubigen aufgeworfen wurden. Die Bücher wurden größtenteils von Zacharias selbst verfasst. Zu den ersten Beispielen gehören Kann man ohne Gott leben? (1994, auf deutsch seit 2005) und Deliver Us From Evil: Restoring the Soul in a Disintegrating Culture (1996). Zacharias’ Ansatz bestand darin, zu zeigen, dass das Christentum einerseits rational Sinn ergibt und andererseits in der Lage ist, zutiefst befriedigende existenzielle Antworten auf die großen Fragen des Lebens zu geben. Der Erfolg seines Ansatzes veranlasste Zacharias dazu, ein Format zu entwickeln, bei dem er seine Leser zu einer fiktiven Diskussion zwischen Christus und Persönlichkeiten der klassischen und zeitgenössischen Kultur einlud, darunter z.B. in Kreuz und Nirwana: Jesus im Gespräch mit Buddha (2001, auf deutsch seit 2005) und Sense and Sensuality: Jesus Talks with Oscar Wilde (2002). Zacharias spielte auch eine entscheidende Rolle bei der Gründung des Centre for Christian Apologetics (OCCA) im Jahr 2004, das für diejenigen, die sich zur Apologetik berufen sahen, einen einjährigen Kurs anbot. Zu den führenden Persönlichkeiten, die mit diesem Zentrum verbunden sind, gehören Os Guinness und John Lennox. Das Zacharias-Institut, ein in Atlanta ansässiges Ausbildungszentrum für Apologetik, wurde 2017 gegründet. Neben seiner umfangreichen Tätigkeit als Redner und Autor entwickelte Zacharias Radio-, Fernseh- und webbasierte Sendungen, vor allem seine Serie Let My People Think, die weltweit großen Einfluss erlangt hat.

Zacharias griff in seinen Vorträgen auf eine Reihe von apologetischen Ansätzen zurück. Auf die Bedeutung von Geisler, Lewis und Schaeffer habe ich bereits hingewiesen; diese Liste lässt sich leicht um Schriftsteller wie G.K. Chesterton und Fjodor Dostojewski erweitern. Dies sollte jedoch nicht so verstanden werden, dass Zacharias kein eigenständiger Denker war, dem es an Originalität mangelte. Sein „3-4-5-Raster“ ist ein gutes Beispiel für seinen eigenen Ansatz, der die Bedeutung der Rationalität einer Weltanschauung hervorhebt und gleichzeitig darauf verweist, dass ihre existentielle Bedeutung nicht übersehen werden darf. Die Frage ist nicht nur, ob eine Weltanschauung rational ist; die tiefere Frage ist, ob sie auch lebbar ist.

Ein bleibendes Vermächtnis trotz Kontroversen

Wie die meisten anderen Personen des öffentlichen Lebens zog Zacharias Kontroversen an. Seine Betonung, dass es wichtig sei, eine gemeinsame Grundlage mit dem Publikum zu finden, zeigte sich in seiner Entscheidung, im November 2004 nach Salt Lake City zu reisen und im Mormonen-Tabernakel einen Vortrag zum Thema „Who Is the Truth? Defending Jesus Christ as The Way, The Truth and The Life“ (dt. „Wer ist die Wahrheit? Jesus Christus als den Weg, die Wahrheit und das Leben verteidigen“) zu halten. Es war jedoch eine umstrittene Entscheidung, die einige seiner Anhänger verärgerte. Zacharias glaubte dennoch, dass es das Richtige war, Gelegenheiten für das Evangelium zu schaffen. Im Januar 2014 kehrte er zurück, um ein zweites Mal im Tabernakel zu sprechen.

Zacharias’ Vermächtnis ist beträchtlich und zeigt sich am besten in den vielen Meinungsmachern und politischen Entscheidungsträgern, die auf seinen Einfluss als Wendepunkt hinweisen, sowie in den zahlreichen öffentlichen Diensten von RZIM.