Wie der Westen (wieder) erreicht werden kann

Artikel von Timothy Keller
5. Juni 2020 — 16 Min Lesedauer

Wir betreten eine neue Ära. Christ zu sein bringt nicht nur keinen sozialen Nutzen mehr, sondern es kostet tatsächlich einen sozialen Preis. Vielerorts wird unsere Kultur zunehmend glaubensfeindlich und bei immer mehr Menschen schwindet der Glaube an Gott, Wahrheit, Sünde und das Leben nach dem Tod. Unsere Kultur produziert somit Leute, für die das Christentum nicht nur anstößig ist, sondern schlichtweg unbegreiflich.

Gemeindeleiter müssen daher neue Wege finden, um Menschen zu erreichen, die weit davon entfernt sind, es überhaupt nur in Betracht zu ziehen, zur Kirche zu gehen, und die noch nicht einmal die grundsätzlichsten Lehren des Christentums glauben. Und wir müssen Wege finden, wie wir inmitten dieser ganz anderen Kultur Menschen als Gemeindeglieder und Christen prägen können. Lasst uns das die „nach außen gerichtete Bewegung“ und die „nach innen gerichtete Bewegung“ einer missionarischen Begegnung mit der westlichen Kultur nennen.

Um es klarzustellen: Eine missionarische Begegnung ist alles andere als ein Rückzug in kleine Gemeinschaften, die von der Kultur losgelöst sind und kaum Verbindungen zum Rest der Gesellschaft pflegen. Eine missionarische Begegnung ist auch nicht darum bemüht, politische Macht zu gewinnen, um christliche Standards und Glaubenssätze einer unwilligen Bevölkerung aufzuzwingen. Und es geht ihr auch nicht darum, relevant zu sein – also die Gemeinde weitestgehend an die Kultur anzupassen, um von dieser assimiliert zu werden.

Stattdessen sucht eine missionarische Begegnung das Verbindende (anders als die Rückzugsstrategien), konfrontiert dabei allerdings (anders als die Assimilationsstrategien), was dazu führt, dass Leute tatsächlich bekehrt werden (anders als bei allen anderen Strategien, die Strategie der politischen Übernahme eingeschlossen). Eine Gemeinde, die eine missionarische Begegnung sucht, behält ihre Besonderheit bei (was das Ziel des Rückzugsansatzes ist), ist ihren Nächsten häufig eine Ermutigung und stets bemüht, ihnen zu dienen (was das Ziel des Assimilationsansatzes ist), und ruft die Leute zur Buße und Veränderung auf (was der Ansatz der politischen Etablierung möchte). Und da die westliche Kultur eher post-christlich als nicht-christlich ist, wird so eine Begegnung anders als alle Missionsbegegnungen der Vergangenheit aussehen.

Eine missionarische Begegnung mit der westlichen Kultur sollte sich durch fünf grundlegende Elemente auszeichnen:

1. Eine christliche Kulturtheorie

Bevor wir einer Kultur das Evangelium erklären können, müssen wir die Kultur mit dem Evangelium erklären.

Ein fester Bestandteil der Apologetik besteht – historisch gesehen – darin, Argumente und Beweise für die Wahrheit des christlichen Glaubens zu liefern. Diese Art von Apologetik, die zum Beispiel für die Historizität der Auferstehung argumentiert, reicht bis in das Neue Testament zurück (vgl. 1Kor 15). Aber die frühen christlichen Apologeten, von Justin dem Märtyrer bis hin zu Augustinus, taten mehr als das. Sie haben nicht nur versucht, zu zeigen, dass die christlichen Praktiken und Glaubenssätze mit den Standards der heidnischen Kultur mithalten konnten. Sondern sie entwickelten darüber hinaus eine radikale Kritik der heidnischen Kultur, die aufzeigte, dass diese – gemessen am Maßstab ihrer eigenen Standards – versagte. In Der Gottesstaat hat Augustinus das entwickelt, was wir heute als Kulturtheorie bezeichnen würden. Er nutzte das Evangelium, um die dominante Kultur zu kritisieren.

Eine heutige biblische oder christliche Kulturtheorie müsste daher nicht so sehr danach streben, den Rationalitätsstandards unserer säkularen Kultur gerecht zu werden, sondern genau diese Standards zurückweisen und ihre Neutralitäts-, Objektivitäts- und Universalitätsansprüche hinterfragen. Eine christliche Kulturtheorie müsste sich mit der spätmodernen säkularen Weltanschauung auseinandersetzen, deren schwerwiegende Probleme auf der Grundlage ihrer eigenen Glaubensannahmen aufdecken, und aufzeigen, wie ihre grundlegenden Narrative nicht zur menschlichen Natur mit ihren Intuitionen passen; dabei verkündigt sie das Evangelium als Alternative. Insbesondere sollte diese Kulturtheorie zeigen, wie der moderne säkulare Rahmen mit seinem Bemühen, das individuelle Selbst vollständig zu befreien, zu unserem modernen Zustand geführt hat, in dem:

  • alle Werte relativ sind;
  • alle Beziehungen Transaktionen sind;
  • alle Identitäten höchst fragil sind; und
  • alle (vermeintlichen) Quellen der Erfüllung enttäuschend sind.

Immer noch sind wir nicht frei: objektiv nicht, weil lokale Gemeinschaften und Familien untergehen; und subjektiv nicht, weil innere Einsamkeit und versklavende Abhängigkeiten unsere Begleiter sind.

Zum größten Teil wird das die Aufgabe von Christen im Hochschulbetrieb sein, die dabei von nicht-christlichen Akademikern und Denkern unterstützt werden könnten, die ebenfalls die fatalen Probleme der Spätmoderne erkennen. Viele haben sich schon mit dem Problem eines uneingeschränkten Individualismus, dem Problem des modernen Selbst und dem Problem des Relativismus befasst – die sich allesamt in der modernen Kultur intensivieren.

2. Eine wahrhaft post-christliche Evangelisationsdynamik

Die Kirchen im Westen verfügen über eine Vielzahl an evangelistischen Methoden und Programmen. Dabei wird aber oftmals vorausgesetzt, dass viele Nichtchristen immer noch grundlegende Konzepte bezüglich Gott, Wahrheit, Sünde und einem Leben nach dem Tod anerkennen – und eine Kirche besuchen würden oder offen für Einladungen sind. Um die heutige Kultur zu erreichen, müssen wir jedoch eine moderne Version der Evangelisationsdynamik entwickeln, wie sie die frühe Kirche besaß, die durch Bekehrungen in einer ähnlich feindseligen und verständnislosen Kultur gewachsen ist.

„Um die heutige Kultur zu erreichen, müssen wir jedoch eine moderne Version der Evangelisationsdynamik entwickeln, wie sie die frühe Kirche besaß, die durch Bekehrungen in einer ähnlich feindseligen und verständnislosen Kultur gewachsen ist.“

 

Es gibt mindestens drei Elemente, die zu einer solchen Dynamik gehören.

A. Intentionalität

Michael Green schätzt, dass in der frühen Kirche die Aufgabe des Evangelisierens zu mindestens 80 Prozent nicht von Pastoren oder Evangelisten ausgeübt wurde, sondern von gewöhnlichen Christen, die sich mit ihrem Oikos – ihrem Netzwerk von Verwandten und anderen nahen Mitmenschen – identifizierten und in diesem Rahmen ihren Glauben bezeugten. Die Menschen schenkten dem Evangelium Aufmerksamkeit, weil jemand mit ihnen darüber sprach, den sie gut kannten, mit dem sie gemeinsam arbeiteten und den sie vielleicht sogar liebten.

B. Alternative Antworten

Wenn man Nichtchristen dabei helfen möchte, ihr Problem, aufgrund dessen sie Erlösung benötigen, zu erkennen, dann muss man zunächst (noch bevor man ihre Fragen beantwortet) die Antworten der Menschen hinterfragen. Mit „Antworten der Menschen“ meinen wir ihre derzeitigen Antworten auf die großen Fragen des Lebens. Niemand kann leben ohne Sinn, Zufriedenheit, Freiheit, Identität, ohne die Möglichkeit, Vergebung zu empfangen und zu geben, ohne Antworten auf moralische Fragen und ohne Hoffnung für die Zukunft. Die Antworten, die unsere Kultur hier anbietet, werden am Ende scheitern; und wenn wir die Aufmerksamkeit unserer Mitmenschen (gewöhnlich durch Intentionalität) gewonnen haben, können wir zum richtigen Zeitpunkt darauf hinweisen, wie überaus zufriedenstellend und unübertroffen das Christentum auf diese Fragen antwortet. Es bietet:

  • einen Sinn im Leben, der nicht durch Leid zerstört (wohl aber vertieft) werden kann;
  • eine Erfüllung, die nicht von den Umständen abhängt;
  • eine Freiheit, die wahre Gemeinschaft und Liebesbeziehungen nicht zu oberflächlichen Transaktionen macht;
  • eine Identität, die nicht fragil ist und nicht auf Leistung oder Ausgrenzung basiert;
  • eine Möglichkeit, mit Schuld umzugehen und ohne einen anhaltenden Beigeschmack von Bitterkeit oder Scham zu vergeben;
  • eine Grundlage für das Streben nach Gerechtigkeit, ohne selbst zum Unterdrücker zu werden;
  • eine Möglichkeit, nicht nur der Zukunft, sondern sogar dem Tod mit Gelassenheit und Frieden entgegenzugehen.

Mit anderen Worten: Wir wollen Nichtchristen dabei helfen, zu erkennen, dass ihre unauslöschlichen Bedürfnisse und Sehnsüchte nach all diesen Dingen in Wirklichkeit ein Echo ihres Bedürfnisses nach Gott sind.

C. Gute Nachricht

Wir müssen außerdem das Evangelium auf eine Weise erklären, die für viele Menschen der Spätmoderne verständlich und überzeugend ist.

Das Evangelium besagt, dass die Errettung (nur) vom Herrn kommt (vgl. Jona 2,10). Wenn das Evangelium weitergegeben wird, müssen immer zwei Punkte hervorgehoben werden:

  • Die schlechte Nachricht: Du versuchst, dich selbst zu retten, kannst das aber nicht.
  • Die gute Nachricht: Du kannst allein durch Christus gerettet werden, nicht durch deine Bemühungen.

In traditionellen Kulturen, die auf dem grundlegenden Narrativ: „Der Sinn des Lebens besteht darin, gut zu sein“, beruhen, sehen die schlechte und die gute Nachricht anders aus als in unserer spätmodernen Kultur, in der das grundlegende Motto lautet: „Der Sinn des Lebens besteht darin, frei zu sein.“

3. Ein sich den Kategorien widersetzendes Sozialprojekt

In seinem Buch Destroyer of the Gods versucht Larry Hurtado zu erklären, warum in der römischen Welt immer mehr Menschen zum Christentum konvertierten, obwohl dieses unter allen Religionen die am meisten verfolgte war und die Konversion daher einen erheblichen sozialen Preis kostete. Hurtado verweist dort auf das einzigartige christliche Sozialprojekt – eine beispiellose Art menschlicher Gemeinschaft, die sich den damals gängigen Kategorisierungen widersetzte und dies auch heute noch tun wird. Das Projekt setzt sich aus mindestens fünf Elementen zusammen, die man weiter aufschlüsseln und ausführlicher erläutern könnte, die aber gleichzeitig auch zusammen gesehen werden müssen, da sie ein kohärentes Ganzes bilden. Das Sozialprojekt der frühen Kirche war:

  • multiethnisch und schloss Menschen jeglicher Abstammung ein;
  • sehr darauf bedacht, sich um die Armen und Ausgegrenzten zu kümmern;
  • nichtvergeltend und auf Vergebung bedacht;
  • engagiert und tatkräftig gegen Abtreibung und Kindesmord;
  • revolutionär in seiner Sexualethik.

Die frühe Kirche war sowohl anstößig als auch attraktiv. Die Gläubigen konstruierten ihr Sozialprojekt nicht aus strategischen Gründen, um damit die römische Kultur zu erreichen. Jedes der fünf Elemente war da, weil die Christen darum bemüht waren, sich der Autorität der Bibel unterzuordnen. Die Bibel fordert alle fünf Elemente. Und genau wie damals lassen sich diese auch heute in keine der gängigen Kategorisierungen einordnen – und sind dabei sowohl anstößig als auch attraktiv. Die ersten beiden Ansichten (ethnische Diversität und Armenfürsorge) klingen „liberal“, die letzten beiden (Abtreibung und Sexualmoral) dagegen „konservativ“. Nur das dritte Element klingt nach keiner bestimmten Seite. Kirchen stehen heute unter enormem Druck, die ersten beiden oder die letzten beiden aufzugeben, aber jedenfalls nicht alle beizubehalten. Gibt man allerdings auch nur eines der Elemente auf, dann macht man das Christentum zum Handlanger eines bestimmten politischen Programms und untergräbt so eine missionarische Begegnung.

4. Gegenkatechese für ein digitales Zeitalter

Mit dem Begriff „Katechese“ fordere ich nicht unbedingt zur Anwendung der eigentlichen Frage-und-Antwort-Methode eines Katechismus auf. Ich bin ein Befürworter dieser Methode, aber darum geht es hier nicht. Ich verwende den Begriff, um die Art und Weise zu bezeichnen, wie die Kirchen Christen unterwiesen und geformt haben, so dass sie von der Bibel und der christlichen Lehre statt von der Welt geprägt waren. Tatsache ist, dass eine solche Katechese, wie sie in der Vergangenheit üblich war, bei uns so gut wie nicht mehr stattfindet.

Wir haben drei Dinge vergessen, die für die christliche Unterweisung wichtig sind:

A. Katechese war immer Gegenkatechese.

Die Reformation brachte eine Explosion der Katechese mit sich – hunderte von neuen Katechismen wurden geschrieben. Dabei ging es nicht nur darum, auf diesem Weg die Mitglieder der reformatorischen Kirchen in die eigenen Lehren einzuführen – sie immunisierten die Gläubigen auch gegen die einzige wirkliche Alternative zum Protestantismus: nämlich den Katholizismus. So wurde nicht nur eine Weltanschauung aufgebaut; sondern es wurden auch die vorherrschenden Alternativen entkräftet und somit ein Schutz aufgebaut.

B. Katechese war Teil einer moralischen Grundüberzeugung.

Es ist nicht überraschend, dass so viele junge Menschen, die in der Kirche aufgewachsen sind und dort jahrelang gelehrt und unterwiesen wurden, sagen: „Ich verstehe nicht, was falsch daran sein soll, dass zwei Menschen Sex haben, wenn sie sich wirklich lieben.“ Alarmierte Eltern können sie zwar auf biblische Texte verweisen, werden damit aber erfolglos bleiben, weil die Narrative, die einer solchen Sicht von Sexualität zugrunde liegen und diese plausibel machen – Identitäts-, Freiheits- und Moralitätsnarrative –, nie als solche identifiziert und als unglaubwürdig entlarvt wurden.

C. Katechese beinhaltet auch die Präsenz gläubiger Christen in der Öffentlichkeit.

Wir leben in einer Kultur, die von nicht-christlichem Denken und seinen Themen (wie Vernunft/Wissenschaft, Individualismus, Relativismus, Materialismus) beherrscht wird. Das bedeutet, dass die Kirche Christen lehren und trainieren muss, wie sie ihren Glauben in ihre – in der Öffentlichkeit ausgeübte – Arbeit integrieren können. Wenn Christen derart ausgerüstet sind, dann wird das Evangelium in unserer Kultur auf natürliche Weise zu „Salz und Licht“ werden – mehr, als wenn wir einen politisch ausgerichteten Ansatz wählen (bei dem Christen versuchen, die Zügel der Staatsgewalt an sich zu reißen), oder auch einen zurückhaltenderen Ansatz (bei dem das Christsein als Privatsache angesehen wird, die sich nicht auf jeden Lebensbereich auswirken muss).

5. Gnade auf den Punkt gebracht

„Wir dürfen den Unterschied zwischen der Gnade des Evangeliums und religiösem Moralismus niemals aus den Augen verlieren.“

 

Wir dürfen den Unterschied zwischen der Gnade des Evangeliums und religiösem Moralismus niemals aus den Augen verlieren. Warum gerät die protestantische Kirche ständig in die Versuchung, der Selbstgerechtigkeit, Dominanz und Ausgrenzung zu verfallen? Warum gelingt es ihr nicht, das Sozialprojekt der Frühkirche zu reproduzieren? Weil sie den Kern ihres Glaubens aus den Augen verliert.

Wenn wir wieder in das Denken zurückfallen, dass wir durch unsere moralischen Bemühungen gerettet werden, dann verstricken wir uns in Stolz und Angst. Stolz, weil wir dazu neigen zu denken, dass Gott und die Welt uns Beifall schuldig sind; Angst, weil wir nie sicher sein können, ob wir wirklich gut genug gelebt haben. Wenn wir also existenziell (oder auch in der Lehre) das Verständnis für die Wahrheit verlieren, dass wir allein durch den Glauben, allein aus Gnade und allein durch Christus gerettet werden, dann verlieren wir nicht nur unsere Freude und verfallen in Furcht, sondern werden auch unbarmherzig und verfallen in Stolz. Die Welt ist natürlich schnell – zu schnell – dabei, Fehler an der Kirche zu finden und damit zu rechtfertigen, weshalb sie die Botschaft des Evangeliums ablehnt. Und doch hat sie damit auch ein Stück weit Recht. Wenn die Kirche ständig nach Dominanz und Kontrolle strebt, statt sich durch Liebe und Dienst auszuzeichnen, zeigt sie, dass sie das Evangelium, das sie predigt, selbst nicht wirklich glaubt. Und wenn die Kirche nicht an das Evangelium glaubt, warum sollte die Welt es dann tun?

Die Herausforderungen sind gewaltig, aber das Evangelium bringt Hoffnung. Ohne das Evangelium gibt es keine Hoffnung. Diese Ermutigungen haben wir:

A. Der Aufstieg des globalen Christentums

Eine der wichtigsten Entwicklungen des 20. und 21. Jahrhunderts ist das explosive Wachstum des nicht-westlichen Christentums, das in seiner großen Mehrheit evangelikal und pfingstlerisch geprägt ist. Mindestens 70 Prozent aller Christen leben heute außerhalb des Westens und viele Gläubige in den westlichen Ländern stammen aus nicht-westlichen Ländern. In Ghana gibt es mehr Presbyterianer als in den Vereinigten Staaten und im Vereinigten Königreich zusammen. In Nigeria gibt es mehr Anglikaner als in den Vereinigten Staaten und im Vereinigten Königreich zusammen.

Fakt ist, dass die säkularsten Bevölkerungsgruppen Nordamerikas und Europas im Niedergang begriffen sind. Zugleich wächst das Christentum durch Evangelisation und Geburtenrate rasch; durch Einwanderung und Missionsarbeit wird die Kirche an vielen Orten im Westen weiter gedeihen und wachsen. Infolgedessen wird die Zahl der Menschen, die „säkular“ sind oder „keine religiöse Präferenz“ haben, voraussichtlich abnehmen.

B. Die Kraft der gewählten Religion

Einige Religionen können weitgehend vererbt werden. Das sind Religionen, denen man aufgrund des familiären Hintergrunds oder der Nationalität angehört.

  • „Natürlich bin ich Lutheraner. Ich bin Norweger.“
  • „Ich bin Italiener, also bin ich katholisch.“
  • „Ich bin Hindu, weil ich Inder bin.“

In der Moderne liegt der Schwerpunkt hingegen auf der individuellen Wahl und Entscheidung. Junge Menschen wollen keinen Weg gehen, den sie nicht für sich selbst gewählt haben. Deshalb ist die traditionelle Erbreligion – der Katholizismus und der Protestantismus der Großkirchen – stark rückläufig. Der Evangelikalismus ist für unsere kulturelle Situation weitaus besser geeignet, da er auf einer persönlichen Glaubensentscheidung und einem Bekehrungserlebnis des Einzelnen besteht. Nichtsdestotrotz stellt der Evangelikalismus, obwohl er gut an die Kultur der individuellen Entscheidung angepasst ist, diese auch angemessen in Frage. Wenn wir uns aus freien Stücken für die Nachfolge Christi entscheiden, entscheiden wir uns auch dafür, auf ein Leben nach unseren eigenen Wünschen zu verzichten und uns stattdessen seiner liebevollen Autorität zu unterwerfen.

C. Die kulturprägende Kraft der Städte

Wie wir oben gesehen haben, ist ein Großteil der Energie des christlichen Wachstums heute unter nicht-weißen, nicht-westlichen jungen Menschen zu finden, die eine gewählte und nicht eine ererbte Religion wollen. Aus diesem Grund können die großen Städte des Westens zu Brutstätten neuer, wachsender Kirchen werden, denn dort ist die Bevölkerung sowohl jung als auch multiethnisch.

Städte sind der kulturprägende Nährboden der modernen Gesellschaft. Durch Agglomeration – die Ansammlung von Talenten in städtischer Nähe – entstehen neue Innovationen und kreative Unternehmen, die Einfluss auf die übrige Kultur nehmen. Wenn die Kirchen in den Städten gedeihen und wachsen und wenn immer mehr urbane Christen ihren Glauben in ihre Arbeit in Wirtschaft, Kunst, Medien und an den Hochschulen integrieren, dann werden Christen weiterhin Salz und Licht in der Gesellschaft sein.

D. Alles passiert irgendwann zum ersten Mal

Bis 1900 hatte es in einem nicht-westlichen, vorchristlichen Land nie eine schnell wachsende Erweckung gegeben. Dann gab es eine (vgl. die koreanische und die ostafrikanische Erweckung). In einer post-christlichen, säkularen Gesellschaft hat es bisher nie eine schnell wachsende Erweckung gegeben. Aber jede große neue Sache ist ohne Vorläufer, bis sie geschieht. Es hat nie eine Erneuerungsbewegung des Mönchtums gegeben, bis es sie gab. Es hat nie eine Reformation gegeben, bis es sie gab. Es hat nie so etwas wie die Große Erweckung (das amerikanische Great Awakening) gegeben, bis es sie gab.

Jesus hat gesagt: „[Ich will] meine Gemeinde bauen, und die Pforten des Totenreiches sollen sie nicht überwältigen“ (Mt 16,18). Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass dieses Versprechen ein Verfallsdatum hat.