
Du bist nicht gut, so wie du bist
Das ärgert mich jetzt schon seit einiger Zeit. Es kommt oft vor, dass eine Person, die es gut mit mir meint, oder ein motivierendes Meme mich davon überzeugen möchte, dass ich, so wie ich bin, gut bin. Die Vorstellung hört sich zwar verlockend an, dennoch muss ich jedes Mal, wenn ich diese Lüge höre, aktiv gegen sie ankämpfen.
Ich will ja glauben, dass ich gut bin, so wie ich bin; das will ich wirklich. Und ich bin dankbar für den Versuch, die Überhöhung von Leistung, Perfektion und gefilterter Schönheit in unserer Kultur in Frage zu stellen. Mit der Aussage „Du bist gut, so wie du bist“ versuchen die Leute nur, mir und anderen unsicheren Frauen dabei zu helfen, ein Leben in Freiheit und Freude zu leben.
Doch diese Aussage macht nicht wirklich Sinn. Um genau zu sein, scheitert sie an zwei Fronten. Sie wird weder der unglaublichen Schönheit und dem Potential, die aufgrund von Christus in mir sind, gerecht, noch den tiefen Abgründen des Neids und Zorns, die aufgrund der Sünde in mir sind. „Du bist gut, so wie du bist“ kann nicht alle Wahrheiten gleichzeitig erfassen; dass ich geschaffen wurde, um perfekt zu sein, dass ich aufgrund der Sünde zutiefst fehlerhaft bin, und dass ich gleichzeitig durch das Werk Jesu eine geliebte Tochter des Gottes dieses Universums bin.
Ich allein bin nicht gut genug
Wir wurden als schöne, makellose Kronen der Schöpfung geschaffen. Als Meisterwerk des Meisterkünstlers, dessen Kreativität sich über riesige Galaxien und mikroskopisch kleine Kieselalgen erstreckt, sind wir als Menschheit zu Höherem bestimmt als nur „gut genug“ zu sein. Wir wurden erschaffen, um in perfekter Harmonie mit Ihm zu leben, doch durch den Sündenfall wurden wir zu einem verzerrten Abbild unserer selbst, die Verursacher von Schmerz, Elend und Trauer. Simon Blocker sagte einmal:
„Der Mensch ist von Natur aus nicht so, wie Gott in geschaffen hat. Eine große Verwüstung hat ihn getroffen. Nichtsdestotrotz ist er noch großartig inmitten dieser Ruinen. Wie eine atemberaubende Kathedrale nach einem Bombenangriff steckt im Menschen immer noch die Herrlichkeit, die er hatte, als er nach Gottes Ebenbild geschaffen das erste Mal auf der Erde wandelte.“
Die Schönheit ist in den Menschen immer noch präsent, doch die Hässlichkeit häuft sich an. Wenn ich nach einem langen, anstrengenden Tag die Geduld mit meinen Kindern verliere, sehe ich wieder ganz klar, dass ich nicht gut genug bin. Und auch an meinen besten Tagen, wenn ich Schokokekse backe und Legos mit meinen Kindern spiele, bin ich trotzdem nicht gut genug. Ich bin nicht gut genug für meinen Mann, der nicht gut genug für mich oder meine Kinder ist. Wir sehnen uns nach perfekten Eltern oder einem perfekten Partner, und werden in dieser gefallenen Welt doch nie perfekt oder gut genug sein.
Gut genug durch Ihn
Doch wenn ich zugebe, dass ich nicht gut genug bin, dass ich manchmal versagen, meine Familie enttäuschen und selbst an meinen besten Tagen nicht alles richtig machen werde, entdecke ich endlich die Kraft, die mir der Spruch „Du bist gut, so wie du bist“ nicht bieten kann.
Wenn ich zugebe, dass ich nicht gut bin, bin ich frei zu Gott zu kommen und mich an dem festzuhalten, der gut ist.
„Das Evangelium zeigt mir zwei Wahrheiten in vollem Ausmaß: Ich allein bin nicht gut genug. Durch ihn bin ich mehr als gut genug.“
In ihm übertreffe ich alles. Ich verabschiede mich von der Mittelmäßigkeit und dem ständigen Druck, mit anderen mithalten zu müssen, da Seine perfekte Kraft durch meine Schwachheit hindurchscheint (2Kor 12,9). Durch ihn werde ich von Herrlichkeit zu Herrlichkeit verwandelt (2Kor 3,18), indem ich über menschliche Standards hinaus das ergreife, was mich ergriffen hat (Phil 3,14). Er verändert mich, bis ich dem Ebenbild dessen, der mich befreit hat, ähnlich werde (Röm 8,29).
Das Evangelium zeigt mir zwei Wahrheiten in vollem Ausmaß: Ich allein bin nicht gut genug. Durch ihn bin ich mehr als gut genug.
Zwei Wahrheiten zusammenhalten
G.K. Chesterton beschreibt in seinem Meisterwerk „Orthodoxy“, wie das Evangelium auf eine einmalige Art und Weise an zwei Paradoxen festhält, ohne ihre Bedeutung dadurch abzuschwächen.
„Das Christentum überwand die Schwierigkeit, extreme Gegensätze zu vereinen, indem sie an beidem festhält, ohne eine der beiden Seiten abzuschwächen. Die Kirche war von beiden Punkten überzeugt. Man kann nie zu wenig von sich selbst halten. Man kann nie zu viel von seiner eigenen Seele halten.“
Ich lehne die Aussage „Du bist gut, so wie du bist“ ab. Nicht aus dem Grund, weil ich denke, die Leute meinen es nicht gut mit mir, sondern weil Gottes Lösung für unser menschliches Dilemma weit besser ist als ein einfacher Spruch. Auch wenn es anfangs schwieriger ist, sie zu schlucken.