Zehn Gemeindemitglieder, die ich besonders lieben muss

Artikel von Tim Challies
26. September 2020 — 10 Min Lesedauer

In einem kürzlich erschienenen und mehrfach geteilten Artikel beschreibt ein Pastor eine Reihe von Gemeindemitgliedern, die ihn „auf die Palme treiben“ und seinem pastoralen Dienst „den Spaß rauben“ können. Obwohl er seine Ortsgemeinde liebt und sich ihr verpflichtet fühlt, sagt er, dass jede Gemeinde, die er kennt, „Mitglieder und Besucher hat, die einem Leiter unter die Haut gehen“. Sein Artikel gibt eine kurze Beschreibung dieser Personen, womöglich um sein Leid mit anderen betroffenen Pastoren zu teilen, oder auch anderen Christen eine Art Warnung zu geben, nach dem Motto: „Sei nicht so, wie diese Menschen“.

Wie die meisten Gemeindeleiter bin auch ich schon auf einige Mitglieder gestoßen, die aus dem ein oder anderen Grund ungewöhnlich schwierig waren (obwohl ich fairerweise davon ausgehen muss, dass die meisten Gemeindemitglieder auch schon auf Gemeindeleiter gestoßen sind, die ungewöhnlich schwierig waren). Es handelt sich um eine mikroskopisch kleine Minderheit von Personen, die unsere Gemeinde im Laufe der Jahre besucht hat. Aufgrund ihrer Eigenschaften neigt sie allerdings dazu, sich viel größer anzufühlen. Abgesehen von denen, die in reueloser Sünde leben oder versuchen, in der Gemeinde Uneinigkeit zu stiften (und die daher von der Gemeinde diszipliniert werden müssen), musste ich mir die Frage stellen: Wie soll ich mich als Pastor gegenüber solch besonders schwierigen Menschen verhalten?

„Als erstes mache ich mir bewusst, dass mein eigenes Verhalten in den Augen Gottes manchmal auch ‚weniger erfreulich‘ ist, und ich selbst so vieles tue, dass ‚unter seine Haut‘ gehen könnte. Trotzdem murrt er nicht über mich, obwohl er sicherlich Recht dazu hätte.“
 

Ich kann verstehen, warum ein Pastor das Gefühl hat, diese Art von Personen würden ihn auf die Palme treiben. Mir ging es genauso. Für meine geistige Gesundheit und meinen Erfolg im Dienst war es jedoch entscheidend, mein Denken zu ändern. Anstatt sie als Menschen zu sehen, die mich auf die Palme treiben, wollte ich sie als Menschen sehen, die zu lieben ich besonders berufen wurde – Menschen, die meine Fähigkeit zu lieben ausdehnen und erweitern. Als erstes mache ich mir bewusst, dass mein eigenes Verhalten in den Augen Gottes manchmal auch „weniger erfreulich“ ist, und ich selbst so vieles tue, dass „unter seine Haut“ gehen könnte. Trotzdem murrt er nicht über mich, obwohl er sicherlich Recht dazu hätte. Er ärgert sich nicht und schämt sich nicht, obwohl ich ihm jeden Grund dafür gebe. Er sieht mich nicht als Sorgenkind an, obwohl ich es auf jeden Fall bin. Vielmehr kümmert er sich weiterhin mit Geduld, Freundlichkeit und Langmut um mich. Er tut mir weiterhin Gutes. Er liebt mich weiterhin.

Mit diesem Hintergedanken habe ich auch die 10 verschiedenen Personen aufgelistet – 10 Personen, die meine Liebe besonders herausfordern. (Die Wörter in Anführungszeichen und/oder Kursivschrift stammen aus dem Originalartikel).

  1. Die Kategorie „Untergang und Finsternis“: Diese Person neigt dazu, sich ständig darüber zu beschweren, was im Gemeindeleben vor sich geht. Sie braucht offensichtlich zusätzliche Sicherheit. Ich muss ihr rücksichtsvoll die Unterschiede zwischen großen und kleinen Problemen verdeutlichen und ihr erklären, dass es Dinge gibt, die strengen Gehorsam gegenüber Gottes Wort erfordern und wiederum Dinge, die je nach Gewissenseinstellung anders wahrgenommen werden können. Vieles, was dieses Gemeindemitglied als Zeichen einer bevorstehenden Katastrophe sieht, kann in Wirklichkeit einem mangelnden Verständnis zwischen Dingen, die tatsächlich gesunde und kranke Gemeinden voneinander unterscheiden, und Dingen, die nicht seinen Vorstellungen entsprechen, zugrunde liegen.
  2. Die Kategorie: „Kurz davor, zu gehen“: Dieses Gemeindemitglied droht damit, dass es die Gemeinde wegen der ein oder anderen Angelegenheit verlassen werden müsse. In meinen schwächsten Momenten könnte ich versucht sein, mir zu wünschen, die Drohung würde wahr werden. Doch dann erinnere ich mich daran, dass der Gute Hirte weiß, dass wir manchmal die 99 verlassen müssen, um das Eine zu finden. Auch wenn uns das Eine manchmal hilflos und naiv erscheint: Wie können wir wissen, dass es sich nicht um ein verbittertes oder ungehorsames Schaf handelt, das sich bewusst abgewendet hat? Genau deshalb lasse ich mich vom einzig wahren Hirten leiten und tue, was ich kann, um das verloren gegangene Schaf zurückzubringen.
  3. Die Kategorie „Amateurtheologe“: Diese Person hat entweder ein umfassendes Wissen von Theologie oder glaubt zumindest, es zu haben. Dieses Wissen nutzt sie dann oft, um mit Pastoren zu diskutieren oder sie von ihrer Meinung zu überzeugen. Indem ich mir bewusst mache, dass viele Menschen klüger, weiser und besser gebildet sind als ich, freue ich mich über das Wissen und die Wissbegierde dieser Person und versuche gleichzeitig einen Weg zu finden, diese im Dienst für die Gemeinde einsetzen zu können. Natürlich muss ich aber auch versuchen, der Person (zum Beispiel mit einem Text wie Römer 14) aufzuzeigen, welche theologischen Fragen umstritten sind, und bei welchen die Antwort abhängig von der Einstellung oder Gewissenshaltung einer Person ist.
  4. Die Kategorie „Wusstest du schon?“: Dieses Gemeindemitglied möchte über alles in der Gemeinde „Bescheid wissen“. In Wirklichkeit ist es in jeglichen Klatsch verwickelt und zeigt sich beleidigt, wenn es nicht auf dem neuesten Stand ist. Diesem Menschen muss in Liebe und gegebenenfalls durch Gemeindedisziplin beigebracht werden, dass Klatsch Sünde ist. Die Bibel verbietet es und es ist uns als Mitglieder der Gemeinde untersagt. In diesem Fall sieht Liebe zu ihm und Liebe zu meiner Gemeinde so aus, dass ich ihn daran erinnere, dass er vieles nicht weiß, nicht wissen sollte und nicht weitertratschen darf.
  5. Die Kategorie „Neuaufmachung“: Diese Person taucht ungefähr alle sechs Monate auf, gibt ihr Leben Jesus ab und verschwindet dann für die nächsten sechs Monate wieder. Sie muss besonders sanft und mitfühlend behandelt werden, denn aller Ansicht nach zieht die Welt sie weiterhin an. Sie ist gefangen zwischen zwei Welten, zwei Herren! Sie muss die Gute Nachricht vom Evangelium hören. Iahr muss gesagt werden, dass sie eine Gemeinde hat, die sie liebt, und sie muss von denjenigen unterstützt werden, die dazu berufen wurden, sie zu hüten. Es liegt mir fern, mich über ein solches Mitglied zu ärgern! Sie ist besonders anfällig für Satans Angriffe und gehört somit definitiv zu der „Herde“, auf die ich achtgeben muss (Apg 20,28).
  6. Die Kategorie „Anwalt der Gemeindesatzung“: Diese Person kennt die Satzung der Gemeinde in- und auswendig und zitiert sie jedes Mal, wenn ihm etwas nicht gefällt. Sie wäre der perfekte Kandidat, um bei den Gemeindeversammlungen als eine Art Parlamentarier zu dienen – als die Person, die sich mit der Satzung und den Geschäftsordnungen bestens auskennt, um sicherzustellen, dass die formellen Versammlungen ordnungsgemäß abgehalten werden. Sie kann richtig aufblühen, wenn ihr diese Verantwortung übertragen wird. Außerdem: Warum sollte ich mich über eine Person ärgern oder mich vor ihr fürchten, die mich an die Satzung der Gemeinde erinnert, wenn ich Gefahr laufen könnte, sie absichtlich oder versehentlich zu brechen?
  7. Die Kategorie „Onlinepredigten“: Dieses Mitglied schaut sich die Predigten aller anderen online an, um meine dann zu kritisieren. Es möchte die Wahrheiten des christlichen Glaubens unbedingt lernen, ihm fehlt jedoch die Reife, zu verstehen, wie es mit dem gewonnenen Wissen umgehen sollte. Ich weiß, dass es viele Pastoren gibt, die weitaus besser predigen, als ich es kann oder jemals können werde. Ich schätze die Leidenschaft dieser Person und entscheide mich dafür, mir ihre Kritik an meinen Predigten nicht zu sehr zu Herzen zu nehmen. Ich weiß, vor wem ich stehe oder falle. Ich weiß auch, dass sie nicht qualifiziert ist, festzustellen, ob ich Gott gehorsam war und aus den Gaben, die Gott mir gegeben hat, das Beste gemacht habe.
  8. Die Kategorie „Nostalgie“: Diese Person kennt die Geschichte der Gemeinde in- und auswendig und sieht sich in der Verantwortung, gegen alles Neue anzukämpfen, um die Vergangenheit zu bewahren. Dies scheint eine besondere Herausforderung für ältere Menschen zu sein, und vielleicht ganz besonders für diejenigen, die viel Zeit und Geld investiert haben, um die Gemeinde dahin zu bringen, wo sie heute ist. Man muss ihren Dienst und ihre Liebe zur Gemeinde wertschätzen; man muss wertschätzen, dass sie versuchen, zwischen der Vergangenheit und Gegenwart eine Brücke zu schlagen. Eventuell benutzt Gott diese Menschen, um mich zu bremsen, wo ich zu übereilig nach vorne geprescht wäre. Wenn ich liebevoll und sanft mit dieser Art von Person umgehe, wird sie vielleicht beginnen können, mir mehr und mehr zu vertrauen, auch wenn ich die Gemeinde in eine Richtung führe, die nicht ihren Vorstellungen entspricht.
  9. Die Kategorie „Der unversöhnliche Heilige“: Dieser Mensch hat sich vor Jahren über etwas geärgert und weigert sich, es loszulassen. Wenn er darauf angesprochen wird, findet er immer einen geistlich erscheinenden Vorwand, um seinen Groll zu rechtfertigen. Meine erste Antwort an diese Art Mensch ist die Folgende: Habe ich wirklich gegen die Person gesündigt und gibt es etwas, für das ich sie um Vergebung bitten muss? Wenn ich nicht gegen sie gesündigt, oder ich mich bereits in der Vergangenheit für diese Sünde entschuldigt habe, muss ich liebevoll mit ihr über ihre mangelnde Fähigkeit, zu vergeben, sprechen. Ich muss ihr klar machen, was die Bibel über die Notwendigkeit der Vergebung derer sagt, die Buße getan haben. In diesem Fall kann Liebe auch eine Form von Gemeindedisziplin sein, um den Weg aus reueloser Sünde zu zeigen.
  10. Die Kategorie „Auszeit“: Egal, was man tut, dieses Mitglied weigert sich vehement, in der Gemeinde zu dienen. Es sagt Dinge wie: „Ich habe meine Pflicht bereits in der Vergangenheit erfüllt.“ Einige Gemeindemitglieder verstehen nicht, dass Gott nicht nur die Pastoren und Mitarbeiter zum Dienst beruft, sondern uns alle. Andere blühen regelrecht auf, wenn sie herausgefordert oder gebeten werden, einen Dienst zu tun, der ihren Gaben und Talenten entspricht. Wiederum andere tun viel mehr, als sie sollten, oder werden von Pastoren mit zu vielen Aufgaben beladen, sodass sie sich völlig verausgaben. Viele Pastoren nehmen sich ein wohlverdientes Jahr Auszeit – warum sollten wir das dann nicht auch auf diejenigen ausdehnen, die unseren Gemeinden so lange und so gut gedient haben?
„Ein Hirte weiß genau, dass er die Schafe nicht hütet, weil es Spaß macht, Schafe zu hüten. Vielmehr kümmert er sich um die Schafe, weil sein Meister, der wahre Hirte, ihn dazu berufen hat.“
 

Der Autor des Originalartikels schreibt Folgendes: „Um ehrlich zu sein, können solche Personen dem Dienst als Pastor an manchen Tagen den Spaß rauben.“ Doch ein Hirte weiß genau, dass er die Schafe nicht hütet, weil es Spaß macht, Schafe zu hüten. Vielmehr kümmert er sich um die Schafe, weil sein Meister, der wahre Hirte, ihn dazu berufen hat. Er weiß, dass er nicht dazu berufen wurde, ein leichtes Leben zu führen, sondern ein Leben im Dienst, selbst für diejenigen, die diesen Dienst manchmal zu einer Prüfung werden lassen. Er weiß, dass er nicht nur für die Schafe verantwortlich ist, die es ihm leicht machen, sondern auch für diejenigen, die sein Leben schwerer machen, die irren, die leicht zu verärgern sind. Er weiß, dass die Schafe – auch diese Schafe – zu seinem Dienst gehören. Der Autor schlägt vor: „Nimm dir Zeit, um speziell für diese Mitglieder deiner Gemeinde zu beten. Vielleicht wird Gott ein paar von ihnen verändern, sodass sie dich nicht mehr auf die Palme bringen.“ Vielleicht wird er es aber auch nicht tun. Wenn du ernsthaft betest, kann er zumindest dich verändern, damit du seinen Schafen ein guter, treuer Hirte sein kannst.