Das Evangelium bei Jesaja

Artikel von Kelly M. Kapic
10. Februar 2021 — 4 Min Lesedauer

Die Relevanz von Jesaja

Beim Lesen des Jesaja-Buches werden wir an einen besonderen Ort zwischen Warnung und Wunder, Unglauben und Treue, Kompromiss und Überzeugung geführt. Es ist die Welt, in der ein gefallenes Volk den heiligen Gott hört: Göttliche Worte voller Wahrheit und Gnade; sie legen die Sünde offen und bieten gleichzeitig neben allem Versagen Hoffnung und Erlösung. Das Wort Gottes im Buch Jesaja fordert folgendes: die demütige Antwort der Ehrfurcht, demütiges Vertrauen und ehrfürchtigen Gehorsam dem Herrn und seinem Königreich gegenüber.

„Göttliche Worte voller Wahrheit und Gnade; sie legen die Sünde offen und bieten gleichzeitig neben allem Versagen Hoffnung und Erlösung.“
 

Obwohl sich der direkte Kontext des Jesaja-Buches auf die Bedrohung durch Assyrien und Babylon und auf die dramatischen Übergänge zwischen Exil und Rückkehr bezieht, wurde die Relevanz dieses prophetischen Buches für die Gegenwart nie in Frage gestellt. Spätere Verfasser blicken auf Jesaja zurück, im Neuen Testament eines der meist zitierten Bücher aus dem Alten Testaments. Sie identifizieren Jesus entschieden als den verheißenen Messias, der alle Verheißungen dieses prophetischen Buches erfüllt. Das messianische Profil des Jesaja-Buches zeigt sich in der Darstellung Jesu als der leidende Gottesknecht, der durch seine lebenspendende Auferstehung eine neue Schöpfung schenkt.

Gott hatte mit Israel einen Bund geschlossen, mit dem im Falle von Gehorsam eine Verheißung göttlichen Segens und im Falle von Ungehorsam eine Warnung vor Flüchen einherging (z.B. 3. Mose). Traurigerweise liebäugelte Israel mit Götzen und sobald Schwierigkeiten auftraten, setzten sie ihr Vertrauen eher in ungerechte fremde Mächte als in ihren souveränen Herrn. Wegen ihrer Verstocktheit gaben sie ihr uneingeschränktes Vertrauen in den Herrn auf, waren Ungerechtigkeit gegenüber gleichgültig und übersahen die Bedürftigen. Im ganzen Jesaja-Buch lesen wir ernste Warnungen, die nicht nur den götzendienerischen Nationen galten, sondern auch Gottes eigenem Volk, das seinen Bund missachtete. Israel hat unter Beweis gestellt, dass es nicht das „Licht für die Nationen” ist, zu dem Gott es berufen hatte.

In Christus erfüllte Verheißungen

Wo gibt es nun eine Grundfeste für Hoffnung und Erlösung? Sie ist verankert in den Verheißungen, die aber und abermals im Jesaja-Buch verdeutlicht werden - Verheißungen, die  letztlich allein in Jesus Christus gesichert sind (2Kor 1,19–20). Eine Stichprobe der Schlüsselgedanken des Jesaja-Buches zeigt, wie sehr unser Verständnis von Christus und seinem Königreich durch dieses wunderbare Buch geprägt ist.

Zunächst rückt ein bewahrter „Überrest” in den Blickpunkt der Verheißungen des Jesaja-Buches. Dieser wird schließlich durch und mit seinem messianischen Stellvertreter identifiziert: mit dem Gesalbten, Jesus selbst.

Zweitens wird dieser Gesalbte für andere leiden: Im Neuen Testament sehen wir, dass Jesus, der Messias, die Bundesflüche auf sich nimmt, damit diejenigen, die durch den Glauben mit ihm vereint sind, in seinem Bundessegen leben mögen. Wir müssen uns aber zu Christus wenden und ihm als Retter und Herrn vertrauen.

Drittens erinnert uns Jesaja daran, dass Gottes Volk dazu bestimmt ist, Gottes Herz widerzuspiegeln. Immer wieder lesen wir von Israels Ringen mit Ungehorsam und dem durchgehenden Problem, dass ihnen Gottes Herzensanliegen egal sind (z. B. die Armen und Schutzbedürftigen sowie Fragen der Gerechtigkeit). In ihrer Widerspenstigkeit untergraben sie die alten Vorschriften und Bräuche, die Gott eingeführt hat, um sein Volk, dem vergeben wurde, anzuhalten, Gerechtigkeit und Erbarmen auszuüben. Tun sie dies nicht, muss angenommen werden, dass sie an erster Stelle womöglich erst gar nicht von Gottes Gnade gekostet haben.

„Die Botschaft Jesajas lautet: Gott ist großartig – und seine Gnade ist erstaunlicherweise genauso großartig.“
 

Viertens erstreckt sich Gottes Ruf jenseits von Israel bis in die Welt. Das Buch Jesaja behält trotz seiner häufigen Fokussierung auf Juda eine globale Perspektive bei. Gott wird nicht nur als der Schöpfer Israels, sondern auch als der Schöpfer der Welt im Allgemeinen beschrieben (z.B. Jes 17,7; 29,16; 40,28; 43,15; 51,13; 54,5). Gott möchte, dass sein Volk ein Segen für die Welt ist (1Mose 12,1–3; 18,17–18; 28,14; Jer 4,2; vgl. Apg 3,25; Gal 3,14). Dass sein Volk widerspenstig war und Dunkelheit erzeugt hat, anstatt Licht zu bringen, ist unter anderem der Grund dafür, warum Gottes Gericht so häufig im Buch Jesaja auftaucht. Nichtsdestotrotz erweitert der Schöpfer, der auf so einzigartige Weise Israel als Erlöser dient, die Hoffnung auch für die Nationen, welche umkehren und im Glauben auf den einzig wahren Gott schauen sollen (Jes 19,16–25; 44,6+24).

Weil Gottes Volk im Messias und seiner Erlösung verwurzelt ist, ist es frei, Gott und den Nächsten zu lieben. Geschieht dies, so wird es zum Licht für die Völker und wartet nicht nur auf Vergebung, sondern auch auf die neue Schöpfung. Die Botschaft Jesajas lautet: Gott ist großartig – und seine Gnade ist erstaunlicherweise genauso großartig.