Gibt es in der Hölle nur Freiwillige?

Artikel von Justin Dillehay
1. Mai 2021 — 10 Min Lesedauer

Ich bin von klein auf daran gewöhnt, in Predigten zu hören: In Wirklichkeit schickt Gott niemanden in die Hölle – die Leute gehen freiwillig dorthin. Gott gibt ihnen nur das, was sie wollen. In diesen Predigten hallt ein Gedanke wider, der durch C.S. Lewis bekannt wurde:

„Nicht dass Gott einen Menschen ‚in die Hölle schickt‘. Nein, im Herzen eines jeden von uns wächst etwas heran, das ganz von selbst unsere Hölle wird – wenn wir nicht zulassen, dass es mit Stumpf und Stiel ausgerottet wird.“[1]

In diesem Zitat klingt die Hölle nicht so sehr nach einer von Gott gerichtlich verhängten Strafe, sondern mehr nach einer natürlichen Konsequenz – sie ist nicht so sehr wie die Geldstrafe, zu der man wegen Diebstahls verurteilt wird, sondern eher, wie wenn man vom Rauchen Lungenkrebs bekommt.

In die gleiche Richtung geht die Formulierung, dass Gott den Menschen erlaubt, in die Hölle zu gehen, womit er ihnen einfach das gibt, was sie wollen. C.S. Lewis formuliert das so:

„Am Ende gibt es nur zwei Arten von Menschen: die, die zu Gott sagen ‚Dein Wille geschehe‘, und die, zu denen Gott am Ende sagt ‚Dein Wille geschehe‘.“[2]

Das wird manchmal noch mit der Aussage verbunden, dass die Türen der Hölle „von innen verschlossen“ seien.

Ich kann als jemand, der selbst predigt, gut verstehen, warum man zu solchen Formulierungen greift. Wenn wir über die Hölle reden, möchten wir zeigen, warum sie eine gerechte Sache sein kann. Und wir wollen bei den Leuten nicht den Eindruck erwecken, Gott sei grausam – denn schließlich ist er das nicht. Aber die Hölle ist nun mal ein schrecklicher Ort und uns ist bewusst, dass unsere Zuhörer Gott möglicherweise für grausam halten werden, wenn er Menschen dorthin schickt.

„Als Prediger und Christen müssen wir sorgfältig darauf achten, der Bibel die funktionale Autorität über alles einzuräumen, was wir sagen und predigen.“
 

Gottes Charakter zu verteidigen und Anstöße zu vermeiden, können ehrenwerte Ziele sein. Aber als Prediger und Christen müssen wir sorgfältig darauf achten, der Bibel die funktionale Autorität über alles einzuräumen, was wir sagen und predigen – und vielleicht besonders über jene Themen, die aktuell die anstößigsten sind. Wir müssen bereit sein, all das zu sagen, was die Schrift sagt, und dem Drang widerstehen, Dinge zu leugnen oder abzuschwächen, die die Bibel ausdrücklich bezeugt.

Ich habe die Befürchtung, dass Aussagen wie „Gott schickt niemanden in die Hölle“ oder „Die Menschen, die in der Hölle sind, sind freiwillig dort“ irreführend sind, wenn wir uns in unserer Verteidigung der Hölle vor allem darauf konzentrieren. Wie ich aufzeigen möchte, ist darin etwas Wahres enthalten, aber andererseits widersprechen sie klaren biblischen Aussagen. Zudem besteht die Gefahr, dass die Hölle erträglicher erscheint als die Schrift sie darstellt.

Passende Strafe und passiver Zorn

Zunächst kann gesagt werden, dass tatsächlich in jedem von uns etwas Höllisches heranwächst, das mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden muss. Ist dir schon einmal aufgefallen, dass das Bild des Feuers nicht nur verwendet wird, um die Hölle zu beschreiben? Es wird auch verwendet, um Sünde zu beschreiben. Auch Sünde ist wie Feuer – mit ihrer Macht, Schmerz zu verursachen, mit ihrer zerstörerischen Kraft und mit ihrer nie endenden Gier (vgl. Spr 30,15–16).

In Jakobus 3,6 werden diese Punkte miteinander verbunden, wenn unser sündiger Gebrauch der Zunge angesprochen wird:

„Und die Zunge ist ein Feuer, eine Welt der Ungerechtigkeit. So nimmt die Zunge ihren Platz ein unter unseren Gliedern; sie befleckt den ganzen Leib und steckt den Umkreis des Lebens in Brand und wird selbst von der Hölle in Brand gesteckt.“

Diese feurige Verknüpfung von Sünde und Hölle ist nicht willkürlich oder zufällig. Das Feuer unserer Zunge kommt direkt aus der Hölle, und wenn wir nicht lernen, es zu bekämpfen, wird es uns eines Tages ins Verderben bringen (vgl. Mt 12,36). Solche Aussagen können uns helfen zu verstehen, weshalb die Hölle eine passende Strafe für Sünde ist. Es ist angemessen, dass wir an die zerstörerische Macht übergeben werden, der wir bereits eifrig nachjagen (vgl. Röm 1,24.26.28). Das ist mit dem biblischen Prinzip des Säens und Erntens (Gal 6,7–9) gemeint. Es gibt eine organische Verbindung zwischen den Sünden, die wir säen, und dem Verderben, das wir ernten – und zwar sowohl im Hier und Jetzt als auch in der Ewigkeit.

Darüber hinaus lässt die Bibel einen gewissen Spielraum dafür, Gottes Zorn als passiv zu betrachten. Seine Freude am Retten und seine Freude am Verderben sind nicht ein spiegelverkehrtes Gleiches. Sein Gericht kann in einem wahren Sinn als sein „fremdes Werk“ bezeichnet werden. Er hat keinen Gefallen am Tod der Gottlosen, sondern möchte, dass sie umkehren (vgl. Hes 33,11). In der Gerichtsszene in Matthäus 25 wird zu den Schafen gesagt, dass das Reich für sie bereitet wurde (vgl. Mt 25,34). Die Hölle wurde ebenfalls bereitet, aber nicht für die Böcke, sondern für den Teufel und seine Engel (vgl. Mt 25,41).

Der Schrecken der Hölle und die Verdrehtheit der Sünde

Das Problem ist nicht so sehr, was in diesen gerne verwendeten Behauptungen ausgesagt wird, sondern was dadurch allem Anschein nach ausgeblendet werden soll. Es gibt weitere Bibelstellen über die Hölle, die es einfach nicht zulassen, Gott zu verteidigen, indem wir ausschließlich den passiven göttlichen Zorn und das aktive menschliche Handeln herausstellen.

In Matthäus 25 wird uns Jesus gezeigt, wie er auf einem Thron sitzt und im Endgericht sein Urteil spricht. Als er sich an die Böcke wendet, sagt er nicht: „Euer Wille geschehe“, sondern: „Geht hinweg von mir, ihr Verfluchten“ (Mt 25,41). Die Betonung liegt auf dem Urteilsspruch des Königs. Es ist sein Wille, der hier geschieht, nicht ihrer. Wenn sie „in die ewige Strafe hingehen“ (Mt 25,46), dann tun sie das aufgrund seines Befehls.

Außerdem klingt in der Bibel regelmäßig an, dass sie nicht freiwillig gehen. Jesus spricht nicht nur davon, dass Menschen in die Hölle geschickt werden, sondern dass sie sogar in die Hölle geworfen werden. Zum Beispiel:

„Der Menschensohn wird seine Engel aussenden; die werden aus seinem Reich alle Ärgernisse und alle die sammeln, welche die Gesetzlosigkeit üben, und werden sie in den Feuerofen werfen: dort wird lautes Weinen und Zähneknirschen sein.“ (Mt 13,41–42 [MENG]; vgl. Mt 13,50; 22,13; 25,30; Mk 9,47; Offb 20,15)

Wenn Jesus die Hölle hier als „Feuerofen“ beschreibt, in dem „lautes Weinen und Zähneknirschen“ sein werden, dann kann man sich unschwer vorstellen, warum Menschen dort nicht freiwillig hingehen, sondern hineingeworfen werden müssen. Solche Formulierungen verweisen klar auf eine Strafe, die zwangsweise auferlegt wird, nicht nur auf eine Konsequenz, die jemand freiwillig wählt und dann trotzig erträgt.

Es ist zweifellos wahr, dass die Menschen, die in der Hölle sind, weder Gott lieben noch bei ihm sein wollen. Aber das bedeutet nicht, dass sie in der Hölle sein wollen – es bedeutet einfach nur, dass es die Option, die sie gerne hätten (persönliche Autonomie und Erfüllung unabhängig von Gott), nicht gibt. Das ist die verdrehte Natur der Sünde. Um nochmals C.S. Lewis zu zitieren: „Eben das ist das Kennzeichen eines verdrehten Verlangens, dass es nach etwas strebt, was nicht zu haben ist.“ Aber genau so funktioniert Sünde.

Die Tatsache, dass Menschen die Sünde wollen, welche dann zur Strafe führt, heißt nicht, dass sie die Strafen wollen. Ein uneinsichtiger Dieb will vermutlich nicht im Gefängnis sitzen und er würde fliehen, wenn sich eine Möglichkeit böte; aber wenn er wieder frei wäre, würde er dennoch nicht mit dem Stehlen aufhören. Umgekehrt bedeutet die Tatsache, dass Menschen der Strafe entkommen wollen, noch lange nicht, dass sie bereit sind, Gottes Bedingungen zu akzeptieren. Das widerspenstige Volk Israel wollte keine 40 Jahre in der Wüste umherwandern. Tatsächlich spürten sie plötzlich ein starkes Verlangen, in das verheißene Land zu kommen – doch das erst, als sie es nicht mehr durften (vgl. 4Mose 14,39–45; Lk 13,24–28).

Wir alle geben getrennt von der Gnade ein solch verdrehtes Bild ab. Wir wollen das Vergnügen der Sünde, ohne den Preis dafür zahlen zu müssen. Aber die Vergnügungen sind flüchtig. Und wenn wir nicht umkehren, wird uns die Rechnung präsentiert werden – ob wir das wollen oder nicht.

Wie Jesus über die Hölle redet

Jesus ist weit weniger vorsichtig als viele von uns, wenn er über diese Wahrheiten spricht. Daher müssen wir uns fragen, warum wir die Formulierungen vermeiden wollen, die Jesus so freimütig verwendete.

Kann es sein, dass auch wir selbst unsere Bedenken haben, wie ein liebender Gott Menschen in die Hölle schicken kann, und dass wir ihn deswegen lieber als passiv beschreiben? Hegen wir insgeheim die Befürchtung, dass der Gedanke eines göttlichen Richters, der seine Engel anweist, Menschen in einen Feuerofen zu werfen, heutigen Menschen einfach nicht zu vermitteln sein wird?

„Lasst uns nicht furchtsam sein, über die Hölle so zu predigen wie der eine, der gekommen ist, um uns vor ihr zu erretten!“
 

Ich weiß es nicht. Aber es gibt Dinge, die ich weiß. Das erste ist: Selbst wenn es den Leuten nicht gefällt, was du ihnen zu sagen hast, ist es ihnen lieber, dass du ehrlich mit ihnen bist. Sie können ebenfalls die Bibel lesen, und dann werden sie merken, inwiefern wir uns für unser heiliges Buch schämen. Und selbst wenn sie uns äußerlich dafür Anerkennung geben, dass wir bereit sind, den Text hinzubiegen, um sie zu beruhigen, werden sie doch innerlich den Respekt vor uns verlieren (eine weitere Verdrehtheit der Sünde).

Das zweite ist: Wie mitfühlend und liebevoll wir Sündern gegenüber auch sein mögen, wir werden niemals mitfühlender und liebevoller als Jesus sein. Und wir sollten uns nichts vormachen und meinen, wir wären es doch. Lasst uns deshalb mehr Gottes Wort fürchten als die Antwort der Menschen! Lasst uns der Bibel die funktionale Autorität über alles einräumen, was wir sagen, insbesondere bei so anstößigen Themen wie der Hölle! Und lasst uns nicht furchtsam sein, über die Hölle so zu predigen wie der eine, der gekommen ist, um uns vor ihr zu erretten!


[1] C.S. Lewis, Gott auf der Anklagebank, Basel und Gießen: Brunnen, 1982 (2. Aufl.), S. 92 (Rechtschreibung wurde angepasst).

[2] C.S. Lewis, Die grosse Scheidung, Freiburg: Johannes Verlag, 1996 (9. Aufl.), S. 78.