Ein bisschen Griechisch kann ganz schön ablenken

Artikel von Peter Krol
14. Juni 2021 — 5 Min Lesedauer

Um die Bibel zu studieren, braucht man nicht zwangsläufig Griechisch- oder Hebräischkenntnisse. Sie können zwar hilfreich sein und mehr Pastoren sollten sich die Zeit nehmen, die Ursprachen zu lernen und immer wieder aufzufrischen. Aber man kann auch mit einer guten deutschen Übersetzung (z.B. Elberfelder, Schlachter oder Luther) Bibeltexte entdecken, verstehen und anwenden.  In manchen Fällen kann nur ein bisschen Griechisch sogar davon ablenken, eine Bibelstelle sorgfältig zu studieren.

In Johannes 21,15–19 frühstücken Jesus und Simon Petrus miteinander und unterhalten sich über Liebe und Lämmer. Dreimal fragt Jesus Petrus: „Liebst du mich?“ Dreimal bestätigt Petrus seine Liebe und Jesus beruft ihn, ein guter Hirte über seine Schafe zu sein.

Diejenigen, die sich mit dem griechischen Text von Johannes 21 beschäftigen, merken ziemlich schnell, dass Johannes zwei verschiedene Worte für „Liebe“ benutzt. In den ersten zwei Fragen Jesu findet man das Wort agape. In seiner dritten Frage und in allen drei Antworten von Petrus wird das Wort philia verwendet.

„Liebst (agape) du mich?“
„Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb (philia) habe.“
„Liebst (agape) du mich?“
„Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb (philia) habe.“
„Hast du mich lieb (philia)?“
„Du weißt, dass ich dich lieb (philia) habe.“

Es stellt sich die Frage: Was ist der Unterschied zwischen agape und philia? Was wird in dem Gespräch gesagt, das im Deutschen nicht ersichtlich ist?

Und so wird in Kommentaren nachgelesen und in Wörterbüchern nachgeschlagen. Viele Blogartikel haben genau diese Frage zum Thema (tippe einfach bei Google „agape philia Johannes 21“ ein und du wirst mit Unmengen an Lesestoff versorgt sein). Manche sagen, dass agape eine höhere Form der Liebe sei und dass Jesus sich in seiner dritten Frage sozusagen auf Petrus’ Ebene herabbegibt. Andere wiederum meinen, es sei genau umgekehrt: dass Petrus Jesus am Ende des Gesprächs überzeugt, er habe die richtige Form der Liebe.

Das Problem dieser Herangehensweise besteht darin, dass sie davon ausgeht, jedes griechische Wort habe eine einzige, spezifische Bedeutung. So werden Wörterbücher wie Gebrauchsanweisungen verwendet – fast so, als ginge es darum, bestimmte Schritte zu befolgen, um einen Geheimcode zu entschlüsseln. Aber keine Sprache funktioniert so. Weder Deutsch noch Englisch, ebensowenig Griechisch oder Hebräisch.

Natürlich haben Worte sich im Laufe der Zeit verändert und weisen ein Spektrum an Bedeutungen auf. Wörterbücher können uns helfen zu verstehen, wie Worte in verschiedenen Kontexten verwendet werden. Aber Literatur ist nicht nur eine Wissenschaft, sondern auch eine Kunst. Autoren vermitteln ihre Ideen, indem sie diese schön gestalten. Und dafür kommen Synonyme, Redewendungen, Metaphern und weitere stilistische Mittel zum Einsatz.

In Bezug auf Johannes 21,15–19 sagt D.A. Carson Folgendes:

Manche Ausleger dieser Verse fokussieren sich auf die Verwendung der zwei unterschiedlichen Worte für „lieben“. [...] Das ist aus folgenden Gründen kein guter Ansatz. [...] Die zwei Worte werden in diesem Evangelium als Synonyme gebraucht. [...] Der Evangelist benutzt aufgrund seines Schreibstils durchgängig allerlei leichte Abwandlungen von Begriffen. Auch in diesem Abschnitt wird das deutlich. Zu den zwei Worten für „lieben“ kommen noch drei weitere Wortpaare hinzu: bosko und poimaino („weide“ und „hüte“ die Schafe), arnia und probata („Lämmer“ und „Schafe“) sowie oida und ginosko in Vers 17 (meist beides mit „du weißt“ übersetzt). Diese anderen Wortpaare haben nicht für so viel Predigtmaterial gesorgt; es ist schwer nachzuvollziehen, weshalb das erste Wortpaar Grund dafür geben sollte. (The Gospel According to John, S. 676 f.)

Welche Schätze hätten wir in diesem Abschnitt heben können, wenn der Abstecher ins Griechische uns nicht abgelenkt hätte?

Schau dir die folgenden Beobachtungen an, auf die man ohne Probleme allein mit dem deutschen Text kommen kann.

  1. „Es ist kein Zufall, dass Kohlenfeuer nur in diesen zwei Szenen im Johannesevangelium erwähnt werden.“
     
    Situation: Das Gespräch spielt sich an einem Kohlenfeuer ab (Joh 21,9), das gleiche Setting, bei dem Petrus Jesus dreimal verleugnete (Joh 18,18). Es ist kein Zufall, dass Kohlenfeuer nur in diesen zwei Szenen im Johannesevangelium erwähnt werden.
  2. Verlauf: Das Kapitel beginnt damit, dass Petrus seinen vorherigen Beruf als Fischer wieder aufgreift (Joh 21,3). Jesus möchte aber aus ihm einen Hirten machen (Joh 21,15–17). Das ist bei Petrus auch angekommen. Denn als er später Anweisungen an Gemeindeälteste richtet, ruft er sie nicht dazu auf, Menschenfischer zu sein. Stattdessen ermahnt er sie, die Herde Gottes zu hüten (1Petrus 5,1–2).
  3. Vorbild: Jesus möchte, dass Petrus ihm nachfolgt (Joh 21,19b). Petrus soll ein Hirte sein, wie Jesus einer war (Joh 21,15–17), und das bedeutet, für das Wohl der Schafe zu sterben, so wie Jesus es tat (Joh 21,18–19; 10,11–15).

Johannes 21 zeigt, wie Jesus Petrus zu aufopfernder Leiterschaft in der Gemeinde bereit macht und beruft. Das wird auch in der Übersetzung deutlich.

„Johannes zeigt, wie Jesus Petrus zu aufopfernder Leiterschaft in der Gemeinde bereit macht und beruft. Das wird auch in der Übersetzung deutlich.“
 

Zugegeben, der griechische (oder hebräische) Text enthält manchmal Wortspiele, die sich nicht gut übersetzen lassen. Manchmal sind der Aufbau und die Argumentation eines Abschnitts im Original klarer als in der Übersetzung. Außerdem sind Griechisch und Hebräisch wunderschöne Sprachen, die Freude machen. Nochmals: Ich möchte Pastoren ermutigen, sich nicht mit Online-Hilfsmitteln zufrieden zu geben, sondern sich dem wirklichen Verstehen dieser Ursprachen zu widmen.

Um aber die Kernaussage eines Bibeltextes zu verstehen, braucht man normalerweise keine fundierten Ursprachenkenntnisse.