Eine Leidenschaft für Heiligkeit

Buchauszug von Mark Dever
27. Juli 2021 — 7 Min Lesedauer

Im Alten Testament finden wir [...] Gottes Leidenschaft für Heiligkeit. Die Frage, die diese Leidenschaft aufwirft, lautet: „Was bedeutet das für ein unheiliges Volk?“

Das Alte Testament wird von vielen Menschen mit einem zornigen Gott in Verbindung gebracht. Sie empfinden diesen alttestamentlichen Gott sogar als ungerecht. Nichts ist weiter von der Wahrheit entfernt sein. Er ist ein Gott der Liebe, der Bündnisse schließt. Wenn Gott im Alten Testament zornig wird, ist es ganz sicher nie ein Zeichen launenhafter Tyrannei. Er ist seinem eigenen heiligen, herrlichen Charakter treu und er ist seinem Bund mit seinem Volk treu. Die Sünde beraubt Gott seiner Herrlichkeit und bricht seinen Bund mit seinem Volk.[1] Es ist der Schuldige, der Gottes Zorn erweckt.

Der Bund

Was bedeutet dieses Wort „Bund“? Christen beziehen sich auf einen „Bund“, wenn sie sich zum Abendmahl treffen und sich an Jesu Worte erinnern: „Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird“ (Luk 22,20). Jesus benutzt dieses Wort weder kalt noch juristisch, wie manche denken mögen. Jesus übernimmt es aus dem Alten Testament, wo Bünde gebraucht werden, um eine Beziehung einzugehen. Ein Bund ist eine Verpflichtung zu Vertrauen, Liebe, und Fürsorge, die aus einer Beziehung erwächst. Im Alten Testament schließt Gott mehrere Bünde mit seinem Volk, zum Beispiel mit Abraham, Mose und anderen. Gottes Leidenschaft für Heiligkeit zeigt sich am deutlichsten, wenn sein Volk die Bedingungen ihrer Bundesbeziehung bricht. Diese Bedingungen werden im mosaischen Gesetz festgelegt und stimmen mit Gottes heiligem Charakter überein. Also können wir die Sünde definieren als Gesetzesübertretung. Dabei bedeutet Gesetzesübertretung, den Bund zu brechen, die Beziehung zu brechen, und – auf dem tiefsten Niveau – „sich an Gottes Heiligkeit zu vergehen“. Ist also der Gott des Alten Testaments ein zorniger Gott? Ja, aber dieser Gott ist zornig, gerade weil die Sünde ihn nicht kalt lässt und auch nicht die unglaublichen Schmerzen und Leiden, die sie verursacht.

„Ist also der Gott des Alten Testaments ein zorniger Gott? Ja, aber dieser Gott ist zornig, gerade weil die Sünde ihn nicht kalt lässt und auch nicht die unglaublichen Schmerzen und Leiden, die sie verursacht.“
 

Genau wie das Neue Testament lehrt uns auch das Alte Testament, dass jeder Mann und jede Frau schuldig ist, und dass keiner dieses Problem selbst lösen kann.[2] Die Sünde fordert eine Art der Wiedergutmachung. Aber wie kann man das wieder gut machen? Gott ist heilig und es scheint, dass die Gerechtigkeit nur wiederhergestellt werden kann, wenn Gott die Person gerecht richtet, die sein Gesetz (die Voraussetzungen seines Bundes mit Mose) gebrochen hat. So muss der Sünder verurteilt werden! Oder – und das ist unsere einzige Hoffnung – eine Art der Stellvertretung muss erbracht werden.

Die Sühne

Was ist Sühne? Das englische Wort für Sühne „atonement“, ursprünglich angelsächsisch, zeigt in seiner Zusammensetzung, was es bedeutet „at-one-ment“ (dt.: mit jemanden eins sein). Ein Sühneopfer zu bringen, ermöglicht es, dass zwei gegeneinander kriegführende Parteien sich wieder einigen, sich versöhnen. Das Volk Israel war nicht das einzige Volk der nahöstlichen Welt, dem bewusst war, dass es Sühnung mit Gott bräuchte. Dieses Konzept, dass man einen Gott besänftigen muss, war weithin geläufig. Doch nur im Alten Testament wird das Konzept der Sühnung in den Kontext einer aufrichtigen Bundesbeziehung zwischen Gott und Menschen gebracht.

Die Einzigartigkeit der Sühnung des Alten Testaments legt einen anderen Schwerpunkt. Sie wird, wie in vielen Kulturen, mit einem Opfer verbunden. In der Bibel jedoch hängt dieses Sühneopfer nicht von der menschlichen Initiative ab, wie zum Beispiel beim kläglichen Versuch, den Gott der Vulkane zu besänftigen, indem man einen geliebten Gegenstand in die Flammen herabfallen lässt. Im Alten Testament spricht der lebendige Gott und er sagt seinem Volk, wie es vor ihn treten kann. Er ergreift die Initiative, indem er den Weg der Versöhnung selber bereitet.

Das Opfer

Die Sühnung wird im Alten Testament nicht nur durch das Bild des Opfers beschrieben,[3] aber Opfer spielen von Anfang an eine zentrale Rolle. Unmittelbar nach dem Sündenfall bringen Kain und Abel Opfer dar (1Mose 4,3f). Bevor die Israeliten Ägypten verlassen, wird ihnen geboten, ein makelloses Passahlamm zu schlachten und sein Blut an die Türpfosten ihres Hauses zu streichen (2Mose 12). Da wo das Blut des Lammes an die Türpfosten gestrichen wurde, ging der Geist Gottes am Haus vorüber, um das Leben des Erstgeborenen (als Vertreter der ganzen Familie) vor Gottes gerechtem Gericht über die Sünde zu verschonen. In alledem gilt der Opferritus Gott allein. Opfer werden gebracht, um Gott zu befriedigen und seine gerechten Anforderungen zu erfüllen. So sagt Gott dem Mose: „Und wenn ich das Blut sehe...“ (2Mose 12,13).

Das 3. Buch Mose spielte eine große Rolle, um das israelitische Volk zu lehren, wie die Beziehung zu Gott durch Opfer wiederhergestellt werden sollte. Jedes Opfer sollte freiwillig, kostbar und durch ein Sündenbekenntnis begleitet werden. Alles sollte genau nach Gottes Vorschrift geschehen. Das Leben des geopferten Tieres, das durch sein Blut symbolisiert wurde, wurde im Austausch für das Leben des sündigen Menschen gegeben. Was hat ein Tier mit der Schuld eines Menschen zu tun? Einerseits gar nichts. Das Tier sollte makellos sein.[4] Und es war notwendig, dass die Sühnung durch Blut geschehe.[5] Gott sagt dem Volk: „Das Leben des Fleisches ist im Blut, und ich habe es euch auf den Altar gegeben, um Sühnung zu erwirken für eure Seelen. Denn das Blut ist es, das Sühnung erwirkt für die Seele“ (3Mose 17,11). Gott gebrauchte den Akt des Opfers, um in den Gedanken seines Volkes ein Bild zu setzen und zwar das Bild, dass das Leben eines Unschuldigen gegen das Leben eines Schuldigen getauscht wird. Das vergossene Blut zeigte deutlich, dass die Sünde zum Tod führt. Die Sünde ist teuer. Errettung und Vergebung sind teuer. Mir ist klar, dass der Gedanke an blutige Opfer bei vielen Menschen heutzutage unpopulär ist – um es vorsichtig auszudrücken! Doch dies ist die Art und Weise, wie das Alte Testament Gottes Heiligkeit und seinen Zorn gegen die Sünde zeigt. Im Gegensatz zu anderen Opfern in der Antike wurden die Opfer der Bibel nicht primär aus Dankbarkeit, sondern wegen der Schuld dargebracht. Sie wurden meist nicht von Unwissenden, sondern von Unterrichteten dargebracht.

„Die Opfer waren ironischer Weise dann am wirksamsten, wenn sie mit der Einstellung gebracht wurden, dass sie nicht wirksam waren, sondern nur Gottes Gnade rettet.“
 

Auch die Einrichtung des alttestamentlichen Tempels sollte dem Volk verständlich machen, dass ihre Sünde sie von Gott trennte. Vielleicht finden sie am Ende ihrer Bibel eine Zeichnung des Tempels, wo man sieht, dass er als eine Reihe von konzentrischen Quadraten und Rechtecken gestaltet wurde. Die Anbeter waren außerhalb und getrennt von Gott, der sich im innersten Quadrat aufhielt, das als das Allerheiligste bezeichnet wurde. Allein die physische Anordnung des Tempels zeigt deutlich, dass die Sünde den Zugang zu Gott verhindert. Es war ein eindrückliches Bild, wie die Sünde die Menschen von ihrem Schöpfer trennt. Zusätzlich zu dem Opfern, das im Laufe des Jahres immer wieder im äußeren Vorhof stattfand, ging der Hohe Priester einmal im Jahr in das Allerheiligste hinein, um für das ganze Volk zu opfern (3Mose 16). Dies war der Versöhnungstag.

Allein die Tatsache, dass es notwendig war, jedes Jahr diese Opfer zu bringen, zeigt, dass die Opfer an und für sich nie die Hauptsache waren. Die Wiederholungen deuteten eher darauf hin, dass das Volk im Status der Sünde war und dass kein Opfer die Sünde vollkommen wegnehmen konnte.[6] Die Opfer waren ironischer Weise dann am wirksamsten, wenn sie mit der Einstellung gebracht wurden, dass sie nicht wirksam waren, sondern nur Gottes Gnade rettet.

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Dies ist ein Auszug aus dem Buch Der große Plan. Von Gott. Für uns von Mark Dever. Weitere Infos und die Bestellmöglichkeit gibt es hier.


[1] Spr 15,29; Jes 59,2; Hab 1,13; vgl. Kol 1,21; Hebr 10,27.

[2] 1Kön 8,46; Ps 14,3; Spr 20,9; Pred7,20; vgl. Mk 10,18; Röm 3,23.

[3] Jesaja, zum Beispiel, gebraucht das Bild einer glühenden Kohle, die unreine Lippen reinigt (Jes 6,6–7); Hosea beschreibt wie eine Verbrecherin erkauft wird (Hos 3,2f); Sacharja spricht vom Ausziehen von unreinen Kleidern (Sach 3,4).

[4] z.B. 3Mose 1,3.10; 3,1.6; 4,3.23.28.

[5] z.B. 1Mose 9,5; 3Mose 1,4; 4,4; 14,51; 16,21.

[6] Dies merkt man beim Lesen von Jeremias Verurteilung solcher Opfer in Jeremia 7.