Gottes Wort ist genug

Buchauszug von Kevin DeYoung
30. Oktober 2021 — 6 Min Lesedauer

Welchen Unterschied macht die Genugsamkeit der Schrift in Anbetracht dessen, wie du dein Leben als Christ führst?

1. Wenn wir an der Genugsamkeit der Schrift festhalten, verweisen wir die Traditionen auf ihren rechtmäßigen Platz

Die Tradition hat mit Sicherheit ihren Platz, was unser Verständnis vom Wort Gottes und die Formulierung der Lehre unserer jeweiligen Kirchengemeinde betrifft. Die Vielfältigkeit, die wir heutzutage in unserem Streben nach modernen Gottesdiensten am allermeisten übersehen, ist die Vielfältigkeit derer, die bereits gestorben sind. Wir sollten von den großen Lehrern, die vor uns hergegangen sind, lernen. Wir sollten fest auf dem Fundament der ökumenischen Glaubensbekenntnisse der Kirche stehen. All diejenigen unter uns, die traditionellen Konfessionen angehören – wie beispielsweise Lutheraner, Anglikaner, Presbyterianer oder Reformierte –, müssen die Versprechen ernst nehmen, die wir in der Absicht, unsere konfessionellen Bekenntnisschriften aufrechtzuerhalten, abgegeben haben. Und wir müssen sorgfältig und aufrichtig damit umgehen. Doch selbst diese großen Glaubensbekenntnisse, Katechismen und Bezeugungen sind nur insofern von Wert, als sie das, was in der Bibel gelehrt wird, auch wiedergeben. Kein untergeordneter, von Menschenhand geschriebener Text kann jemals unser Wissen über und unsere Loyalität gegenüber der Bibel ersetzen oder umstürzen.

„Die Tradition hat keine ebenbürtige Rolle, was unser Verständnis von der Wahrheit anbetrifft.“
 

Die Genugsamkeit der Schrift untermauert den reformatorischen Ruf des sola scriptura (dt. „allein die Schrift“). Das heißt nicht, dass wir versuchen sollten, der Bibel gänzlich ohne die Hilfe guter Lehrer, akademischer Ressourcen und geprüfter dogmatischer Schemata gegenüberzutreten. „Allein“ bedeutet nicht: „auf sich allein gestellt“ (solo scriptura), also unabhängig von jeglichen gemeindeinternen oder konfessionellen Betrachtungen, sondern einfach, dass die Schrift die oberste und letztgültige Autorität besitzt. Alles muss im Lichte des Wortes Gottes geprüft werden. Die Tradition hat keine ebenbürtige Rolle, was unser Verständnis von der Wahrheit anbetrifft. Vielmehr besteht die Rolle der Tradition darin, das, was wir in der Bibel lesen, bekräftigend, beleuchtend und unterstützend zu bestätigen. Wir können dogmatische Neuerungen wie die Unfehlbarkeit des Papstes, das Fegefeuer, die Unbefleckte Empfängnis oder die Marienverehrung nicht akzeptieren, da sich diese Lehren nicht im Wort Gottes finden und dem widersprechen, was tatsächlich darin offenbart ist. Obwohl wir unseren katholischen Freunden mit Achtung begegnen und für viele Aspekte ihres Glaubens und ihres Zeugnisses im sozialen Umfeld dankbar sind, dürfen wir von unserer Loyalität gegenüber dem sola scriptura nicht abweichen, da es einen unausgesprochenen Grundgedanken im biblischen Verständnis der Genugsamkeit der Schrift darstellt.

2. Da die Schrift genügt, werden wir weder dem Wort Gottes etwas hinzufügen noch etwas davon wegnehmen

Wenn wir die Bibel aufschlagen, müssen wir uns stets dessen bewusst sein, dass wir ein Buch des Bundes lesen. Dokumente, die auf einem Bund beruhen, schließen üblicherweise mit einer Bundesinschrift, die einen Fluch enthält. Solch einen Fluch finden wir in 5. Mose 4,2 und 12,32, wo die Israeliten davor gewarnt werden, dem Mosaischen Gesetz etwas hinzuzufügen oder davon etwas wegzunehmen (vgl. Spr 30,5–6). Einen Fluch gleicher Art finden wir auch am Ende des Buches der Offenbarung im Neuen Testament in Offenbarung 22,18–19:

„Fürwahr, ich bezeuge jedem, der die Worte der Weissagung dieses Buches hört: Wenn jemand etwas zu diesen Dingen hinzufügt, so wird Gott ihm die Plagen zufügen, von denen in diesem Buch geschrieben steht; und wenn jemand etwas wegnimmt von den Worten des Buches dieser Weissagung, so wird Gott wegnehmen seinen Teil vom Buch des Lebens und von der heiligen Stadt und von den Dingen, die in diesem Buch geschrieben stehen.“

Diese eindringliche Mahnung – die nicht ohne Grund ganz am Ende der Bibel steht – warnt uns nachdrücklich, dass wir der Schrift nichts hinzufügen dürfen – etwa, damit die Worte der Bibel besser oder sicherer klingen oder damit sie mehr an unsere Annahmen angelehnt sind –, noch dürfen wir irgendetwas davon weglassen, selbst wenn Erfahrungen, akademische Publikationen oder die gängige Stimmung der Gesellschaft darauf bestehen, dass wir es tun sollen.

3. Da die Bibel alleine genügt, können wir in dem Wissen an Gottes Wort herangehen, dass es für jeden Bereich unseres Lebens relevant ist

Gott hat uns alles gegeben, was wir zum Leben und zur Gottesfurcht brauchen (2Petr 1,3). Die Bibel genügt, um uns zur Errettung klug zu machen und uns zur Heiligkeit zu erziehen (2Tim 3,14–17). Wenn wir lernen, Gottes Wort in einer Art und Weise zu lesen, dass es in unseren Herzen Fuß fasst, sich auf den Handlungsstrang der gesamten Schrift bezieht, das Ende der Geschichte im Blick behält und uns emporzieht zur Herrlichkeit Gottes im Angesicht Christi, dann werden wir feststellen, dass wir von allem, was in der Bibel steht, profitieren. Die Genugsamkeit der Schrift zu bejahen, bedeutet nicht, dass die Bibel uns alles sagt, was wir über jedes beliebige Thema wissen wollen, aber sie sagt uns doch genau das, was wir über das wissen müssen, was am meisten zählt. Und obwohl uns die Schrift keine ausführlichen Informationen zu jedem beliebigen Thema liefert, so spricht sie doch über jedes Thema, das sie anspricht, nur das aus, was wahr ist. Diese Wahrheit ist es, die uns mit einem ausreichenden Wissen ausstattet, um von der Sünde umzukehren, unseren Erlöser zu finden, gute Entscheidungen zu treffen, Gott zu gefallen und die Wurzel all unserer tiefsten Probleme aufzudecken.

4. Die Lehre der Genugsamkeit der Schrift lädt uns ein, unsere Bibel mit dem Ziel aufzuschlagen, Gottes Stimme zu hören

Vor nicht allzu langer Zeit habe ich an einer konfessionellen Beratungsgruppe teilgenommen, in der uns der Auftrag erteilt wurde, als Gemeinschaft unsere „Sozialnormen“ herauszufinden. Als ich vorschlug, dass es unsere erste Norm sein sollte, alles im Licht der Bibel zu prüfen, sagte man mir – und ich zitiere –, dass wir „nicht hier sind, um unsere Bibel zu öffnen“. Das Ziel der Gruppe war es offenbar, dass die Teilnehmer auf ihre Herzen und aufeinander, nicht jedoch auf Gott hören sollten. Später wandte sich ein Pastor aus Südamerika an die Gruppe. Er hatte am hinteren Ende des Raumes einen Hinweis auf eine Veranstaltung entdeckt, bei der man Gottes Vision für seine Gemeinde „herausfinden“ konnte. Daraufhin sagte der Mann: „Herausfinden? Ich hoffe, ihr findet das, wonach ihr sucht. Und versucht, nicht zu lange dafür zu brauchen.“ Es war ein gezielter Seitenhieb auf die Tendenz innerhalb der westlichen Kirche, zu planen, zu träumen und Visionen und Programme zu entwickeln und in einem gemeinsamen Beschluss darüber abzustimmen, während die ganze Zeit über Gottes klare und deutliche Stimme verwahrlost auf unserem Schoß liegt.

Das Wort Gottes ist mehr als genug für das Volk Gottes, um sein Leben zu seiner Ehre zu leben. Der Vater wird mittels all dessen sprechen, was der Geist Gottes durch den Sohn bereits gesprochen hat. Die Frage ist, ob wir uns überhaupt die Mühe machen, unsere Bibeln zu öffnen.

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Dies ist ein Auszug aus dem Buch Gott beim Wort nehmen von Kevin DeYoung. Weitere Infos und eine Bestellmöglichkeit gibt es hier.