Die biblische Sexualethik weise verteidigen

Artikel von Kevin DeYoung , Bryan Chapell und Timothy Keller
24. November 2021 — 33 Min Lesedauer
Vorbemerkung der Herausgeber: Die 47. Generalsynode der Presbyterian Church in America (PCA) beauftragte im Jahr 2019 einen Studienausschuss (zu dem u.a. Bryan Chapell, Kevin DeYoung und Tim Keller gehörten), eine Stellungnahme zum Thema der menschlichen Sexualität zu erarbeiten. Diese Stellungnahme wurde im Mai 2020 veröffentlicht und im Juni 2021 von der verspätet stattfindenden 48. Generalsynode entgegengenommen. Die vollständige Stellungnahme einschließlich ausführlicher Fußnoten ist online verfügbar, außerdem ein Video, in dem sie von den Mitgliedern des Ausschusses vorgestellt wird. Teil dieser Stellungnahme ist ein Abschnitt über apologetische Zugangswege, wie eine biblisch begründete Sicht von Homosexualität, gleichgeschlechtlicher Anziehung und Transgenderismus im Kontext einer Kultur formuliert und verteidigt werden kann, die diese Sicht ablehnt. Dieser Abschnitt wird im Folgenden vollständig (allerdings ohne Fußnoten) wiedergegeben.

Wenn man in unserer Kultur über Sexualität spricht, klingt das etwa so:

1. Unterdrückung in der Vergangenheit. In früheren Kulturen wurde Sex mit allen möglichen Tabus umgeben. Im Allgemeinen war Sex außerhalb der Ehe verboten. Auf diese Weise sollten Frauen unter Kontrolle gehalten werden und den Männern wurde es so ermöglicht, ihre Töchter und Ehefrauen als ihr Eigentum zu sichern.

2. Das Bedürfnis, authentisch zu leben. In moderner Zeit hat sich jedoch der Glaube an die Freiheit und die Rechte des Einzelnen durchgesetzt. Dazu gehört auch das Recht, im Rahmen einer einvernehmlichen Beziehung zu lieben, wen auch immer man lieben will. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Sex gesund ist und einen zentralen Teil unserer Identität ausmacht. Es handelt sich zudem um ein Menschenrecht. Daher werden wir als menschliche Wesen nur gedeihen und uns entfalten, wenn dieses Recht auf freie Wahl allen Menschen gleichermaßen zur Verfügung steht.

3. Der Kampf, lieben zu dürfen, wen man will. Im vergangenen Jahrhundert gab es eine Reihe von mutigen Einzelpersonen – meist Frauen, Homosexuelle und Transgender –, die sich heroisch gegen die unterdrückerische Kultur auflehnten und sagten: „Jawohl, das bin ich! Lass dir von niemandem erzählen, wen du zu lieben oder nicht zu lieben hast!“ Viele der Helden, die am Anfang dieser Bewegung aktiv waren, wurden ausgegrenzt und viele starben für ihre Bereitschaft, die kulturellen Eliten herauszufordern.

4. Unsere heutigen, hart erkämpften Rechte. Inzwischen haben wir eine Kultur, die wichtige Rechte bejaht: das Recht auf außerehelichen Sex, auf das Ausleben von gleichgeschlechtlichen Beziehungen einschließlich des Rechts, diese der gesetzlichen Institution der Ehe zu unterstellen, sowie das Recht der Menschen, ihr eigenes Geschlecht zu wählen. Mit all diesen Veränderungen sind wir dabei, die erste Gesellschaft der Menschheitsgeschichte zu schaffen, die eine positive Einstellung zu Sex hat und in der alle Menschen als gleichberechtigte sexuelle Wesen leben können.

5. Die ständige Gefahr. Trotz dieser großen Errungenschaften gibt es an den meisten Orten dieser Welt – und an vielen Orten in unserer eigenen Gesellschaft – immer noch Widerstand gegen diese gesunde Kultur der sexuellen Freiheit und Gerechtigkeit. Tatsächlich gibt es Leute, die die Uhr zurückdrehen und diese Rechte rückgängig machen wollen. Wir dürfen es keinesfalls zulassen, dass reaktionäre Kräfte – allen voran die religiösen – uns das wieder wegnehmen.

Dieses moderne moralische Narrativ der Sexualität zeichnet einen Handlungsverlauf, der von einem Kampf zwischen mutigen Helden und bigotten, unterdrückerischen Schurken erzählt – und in ein Happy End mündet.

Doch ebendiese moralische Erzählung basiert auf mehreren Überzeugungen, die nicht bewiesen, sondern lediglich Annahmen sind. Das betrifft das moderne Verständnis von Freiheit und Identität, und ebenso – wie deutlich werden wird – von Geschichte. Christen werden nicht in der Lage sein, mit dieser Welt überzeugend über Sexualität zu sprechen, wenn wir auf dieses Narrativ lediglich mit einer Liste von moralischen Imperativen reagieren, so biblisch diese auch sein mögen. Wir müssen die christliche Sexualethik in ein alternatives Narrativ einbetten – eines, das auf der großen biblischen Erlösungsgeschichte beruht. Und um das tun zu können, müssen wir uns drei Herausforderungen stellen.

Drei aktuelle Herausforderungen für Christen

Herausforderung Nr. 1: Auseinandersetzung mit dem modernen Identitätsnarrativ – mit nicht wahrgenommenen, tief verwurzelten Grundüberzeugungen bezüglich Identität sowie Freiheit und Macht.

Das Narrativ der modernen sexuellen Befreiung wirkt deshalb auf viele Menschen so überzeugend, weil es auf Grundüberzeugungen bezüglich Identität und Freiheit beruht, die seit nahezu drei Generationen durch kulturelle Institutionen tief in uns eingeprägt wurden.

Identität

Die christlichen Verbote in Bezug auf Ehe, Homosexualität und Transgenderismus ergeben für die meisten Leute keinen Sinn, weil sie glauben, dass Sexualität der zentrale Faktor ist, um die eigene Identität auszudrücken. Und was hinter diesem Glauben steht, ist das Konzept des modernen Ich.

In unserer Kultur wird Sex nicht mehr als ein Mittel betrachtet, um Gott zu ehren und neues menschliches Leben entstehen und heranwachsen zu lassen. Sondern die meisten Leute denken ungefähr so: „Wenn du Sex haben möchtest, um neues menschliches Leben hervorzubringen, dann ist das natürlich eine Option und deine Entscheidung. Aber das ist nicht der Hauptgrund, weshalb Menschen Sex haben. Tatsächlich geht es beim Sex um persönliche Erfüllung und Selbstverwirklichung.“ Diese moderne Auffassung von Identität wird immer wieder als „expressiver Individualismus“ bezeichnet – das ist die Vorstellung, dass tief in uns Gefühle und Sehnsüchte zu finden sind, die entdeckt, befreit und ausgelebt werden müssen, wenn man sein wahres Ich werden will. Man findet Identität jetzt also in den eigenen Sehnsüchten, während man sie in vergangenen Zeiten in den Verpflichtungen und Beziehungen des Einzelnen zu Gott, der Familie und der Gesellschaft fand. Dem Erkennen – und Ausleben – der sexuellen Sehnsüchte wird eine Schlüsselrolle in dem Prozess zugeschrieben, eine authentische Person zu werden.

Diese Auffassung von Identität wird heute nicht mit Argumenten vermittelt, sondern wird einfach als gegeben vorausgesetzt und nicht hinterfragt. Mottos wie „Sei dir selbst treu“ oder „Lebe deine eigene Wahrheit“ werden auf unzählige Arten verkündet, verbal und nonverbal, und prägen sich tief in die Herzen der Menschen ein. Jede davon abweichende Sicht wird als psychische Unterdrückung und somit als ungesund betrachtet.

Aber das moderne Ich ist extrem fragil. Da es auf nichts anderem als auf inneren Gefühlen beruht, verändert es sich ständig – von Jahr zu Jahr oder sogar von Monat zu Monat. Die moderne Identität erfordert es, die stets wechselnden und oft widersprüchlichen Emotionen und Wünsche abzuklopfen, um ein maßgebliches „Ich“ zu ermitteln. Und wenn du dich einmal entschieden hast, wer du sein möchtest, dann liegt es ganz bei dir, das auch zu erreichen – egal, ob deine Familie und die Gesellschaft dies unterstützen oder nicht. Das moderne Ich ist somit stark leistungsorientiert und kann zur erdrückenden Last werden.

„Das moderne Ich ist stark leistungsorientiert und kann zur erdrückenden Last werden.“
 

Ein weiteres Problem ist, dass diese Auffassung von Identität einen „weichen Relativismus“ erfordert. Unsere Gesellschaft bringt uns bei, zu sagen: „Nur ich selbst kann festlegen, was für mich richtig oder falsch ist“ – obwohl uns diese Gesellschaft im nächsten Atemzug eine Reihe von sehr klar umrissenen moralischen Normen präsentiert, nach denen sich die Menschen zu richten haben. Das ist zutiefst widersprüchlich: unbedingt gültige, moralische Grundsätze vorzuschreiben, während man zugleich betont, wir seien nun von derartigen Wahrheiten befreit. Das moderne Ich und die moderne Auffassung von Identität sind aus all diesen Blickwinkeln instabil und problematisch, so dominant sie auch scheinen mögen.

Freiheit und Macht

Zu dieser individualistischen Auffassung von Identität, die wohl spätestens seit der Zeit der Romantik im frühen 19. Jahrhundert an kulturellem Einfluss gewann, kommt noch die postmoderne Sicht von Freiheit und Macht. Diese besagt: Innerhalb einer Kultur wird von den Eliten, die in dieser Kultur hohen Status besitzen, durch von ihnen produzierte „dominante Diskurse“ – insbesondere durch Sprache und Wahrheitsansprüche – Macht ausgeübt. Alles, was wir als gut, wahr, richtig und schön betrachten, wurde durch die „diskursiven Systeme“ der jeweiligen Kultur konstruiert. Nur wenn wir die „dominanten Diskurse destabilisieren“, können wir frei werden, um uns selbst zu erfinden. Wenn es beispielsweise unser Anliegen ist, Transgender-Personen in die Gesellschaft zu integrieren, dann bestehe der Weg nach vorn nicht einfach nur darin, Einzelnen empathisch zu begegnen. Sondern wir müssen die ganze Idee der binären Geschlechterverteilung dekonstruieren. Nur dann werden Transgender-Personen in der Gesellschaft einen gleichgestellten Platz einnehmen.

Die Probleme dieser postmodernen Sicht von Freiheit und Macht sind ebenso schwerwiegend wie die der modernen Auffassung von Identität. Sie führt zu einem selbstwidersprüchlichen „harten Relativismus“. Wenn alle sozialen Systeme Ketten der Macht sind, die durch Diskurse geschmiedet wurden, und somit sämtliche Wahrheitsansprüche und moralischen Urteile in Wirklichkeit nur Mittel der Machtausübung sind – wie kann dann eine bestimmte Gruppe von Mächtigen „falsch“ oder „ungerecht“ sein? Wie soll man festlegen können, welche Arten von sozial strukturierten Machtverhältnissen ungerecht sind (und welche nicht), ohne eine objektive, nicht kulturell konstruierte moralische Norm zu besitzen, anhand derer man ein Urteil fällen kann? Und woher soll solch ein transzendentes moralisches Absolutum kommen, wenn es keinen Gott gibt?

Diese aktuellen Ansichten über Identität und Freiheit widersprechen sich in vieler Hinsicht selbst. (Die Sicht der Identität ist individualistisch und Freud’schen Ursprungs; die Auffassung von Macht ist marxistisch und von Nietzsche geprägt.) Und doch haben sie sich in den letzten 20 Jahren miteinander verbunden und wurden dominant und allgegenwärtig, insbesondere in unseren Massenmedien. Ob nun Liebesfilme, Komödien, Zeichentrickfilme, Kinderfilme von Disney oder von anderen – sie alle halten diese Überzeugungen hoch und formen daraus das Heldennarrativ unserer Zeit (jenes, das eingangs nacherzählt wurde). Der Sinn des Lebens liegt darin, festzustellen, wer du bist, und dich von den Fesseln einer unterdrückerischen Gesellschaft zu befreien, die sich weigert, dich zu akzeptieren und zu integrieren. Es ist diesesNarrativ, das bei unseren Lebensentscheidungen das Licht auf unserem Weg sein soll, und das als der gemeinsame Wert einer freien Gesellschaft fungieren soll.

Christen können vermutlich deshalb nicht plausibel für die biblische Sexualethik argumentieren, weil wir uns in der Gestaltung unserer Predigten und Dienste vielfach zu sehr an die zeitgenössischen Auffassungen über Identität und Freiheit angepasst haben – oder sie sogar übernommen haben. So wurde von einigen darauf hingewiesen, dass der Fokus in der evangelikalen Jugendarbeit seit Jahren stark auf den Emotionen liegt. Der Schwerpunkt war nicht die biblische Theologie und Lehre, sondern nahezu ausschließlich, wie Christus unser Selbstwertgefühl aufbaut und unsere emotionalen Bedürfnisse befriedigt. Auch das Wohlstandsevangelium, Gemeinden und Dienste, die auf Mitgliedschaft und Verbindlichkeit verzichten, besucherorientierte Megakirchen – sie alle passen sich in hohem Maß an die Kultur des expressiven Individualismus an, statt sie infrage zu stellen.

Fazit

Für Menschen unserer Kultur, die diese Auffassungen von Identität und Freiheit vertreten, kann das christliche Verständnis von Sexualität nicht plausibel sein. Die christliche Apologetik der Sexualität wird daher keine echte Wirkung erzielen, wenn man nicht Zeit und Mühe investiert, um die zutiefst problematische Natur dieser Grundüberzeugungen aufzudecken.

Kurz gefasst bedeutet das: Unsere Apologetik der Sexualität darf nicht nur über Sex sprechen. Nur innerhalb eines überzeugenden biblischen Rahmens für Identität (in Christus sein; Jüngerschaft; sich selbst in der Liebe zu Gott und im Dienst für ihn verlieren, um mein wahres Ich zu finden, vgl. Mt 10,39) wird die gesamte christliche Lehre über die Bedeutung von Sex Sinn ergeben.

Herausforderung Nr. 2: Auseinandersetzung mit dem Geschichtsnarrativ – Unwissenheit über die erste (christliche) „sexuelle Revolution“.

Wie wir oben bereits sahen, ist das zentrale kulturelle Narrativ über Sexualität zum großen Teil ein Geschichtsnarrativ – es erzählt die „Geschichte des Sex“, wie sie heute weithin geglaubt wird. Damit liefert es eine weitere Ebene von Vorstellungen, die die Reaktionen moderner Menschen auf die christliche Sicht der Sexualität prägen. Wer diese Darstellung unserer Sexualgeschichte glaubt, kann christliche Ansichten nicht plausibel finden. Für die Aufdeckung populärer Mythen über die Geschichte des Sex ist die bahnbrechende wissenschaftliche Arbeit von Kyle Harper in seinem Buch From Shame to Sin äußerst hilfreich.

Geschichte oder Mythen?

Die Populärgeschichte besagt: (a) Die römische Welt war eine Zeit und ein Ort der „vielgestaltigen sexuellen Freiheit“ und der „sexuellen Vielfalt“; (b) aber dann kam das Christentum mit seiner äußerst restriktiven Sexualethik, die es auf dem Weg der Gesetzgebung durchsetzte. Doch Harper schreibt: „Als die Geschichte der Sexualität im Lauf der letzten Generation zu einem Gegenstand ausgedehnter wissenschaftlicher Untersuchungen wurde, wurde die populäre Erzählung, nach der das Christentum der heidnischen körperlichen Freizügigkeit ein Ende setzte, als etwas entlarvt, das bestenfalls eine Karikatur darstellt.“ Wie das?

In der griechisch-römischen Welt war man der Meinung, dass ehrbare Frauen bei ihrer Heirat Jungfrauen zu sein haben und mit niemand anderem als ihren Ehemännern Sex haben dürfen. Von den Ehemännern erwartete man jedoch – wie von allen Männern –, dass sie Sex mit Bediensteten und Sklaven, Prostituierten, armen Frauen und Knaben hatten. Männer konnten sich im Grunde jedem aufdrängen, der in der sozialen Ordnung unter ihnen stand. Sie konnten mit jedermann Sex haben, außer mit der Frau eines anderen angesehenen Mannes. Zumindest für Männer war dies eine freizügige Sexualmoral. Doch wie kam es dann, dass die Kirche – schon lange bevor die Kaiser sich dem Christentum zuwandten – rasant wuchs, wobei Millionen von Menschen freiwillig die restriktiveren christlichen Maßstäbe für das Sexualverhalten annahmen? Wie konnte sich ein derart restriktiver Codex kulturell durchsetzen?

Die kurze Antwort lautet: Zwar war der heidnische Verhaltenskodex freizügiger, zumindest für Männer, aber die zugrundeliegende Logik bzw. Vision für Sex, die von den Christen vertreten wurde, war weitaus positiver und humaner. Und in der Praxis wurden dadurch die Interessen von Frauen und Kindern deutlich besser gewahrt. Wie das?

Jede Kultur besitzt eine Sexualmoral, und diese Moral beruht auf den jeweiligen Überzeugungen, was Sinn und Ziel von Sex ist. Ein sexueller Akt ist erlaubt, wenn er mit dem telos (d.h. Ziel) dieser Kultur für Sex übereinstimmt – und er ist nicht erlaubt, wenn er es nicht tut. In Rom wurde die Sexualmoral anhand des sozialen Status der beteiligten Parteien festgelegt und das bedeutet: durch Macht. Sex war für das persönliche Vergnügen und zur Aufwertung von Personen höheren Standes da. Ob ein sexueller Akt richtig oder falsch war, hing davon ab, ob er die Beteiligten in der richtigen Beziehung zur polis, der sozialen Ordnung und Hierarchie, hielt. Wer mehr Macht und soziales Ansehen hatte – also Männer vor Frauen, hoher sozialer Stand vor niedrigerem sozialem Stand –, hatte mehr sexuelle Freiheit als die Niedrigergestellten.

Die erste (christliche) sexuelle Revolution

Doch das Christentum löste die erste sexuelle Revolution des Westens aus. Das Christentum veränderte die „zugrundeliegende Logik“ von Sex, so dass „der Kosmos die Stadt als Bezugsrahmen für die Moral ablöste“. Sexuelle Akte wurden nun danach beurteilt, ob sie die Beteiligten in der richtigen Beziehung zum kosmos, nämlich zu Gottes Schöpfungs- und Heilsordnung hielten. Das Sexualverhalten des Christen sollte sich am Vorbild von Gottes rettender Liebe zu uns orientieren. Wie Gott selbst sich uns in Jesus Christus gegeben hat und wir uns ausschließlich ihm geben, so soll Sex einzig innerhalb des lebenslangen Bundes der Ehe praktiziert werden. Wie die Einheit mit Christus die Kluft überwindet und Gott und Mensch vereint, so soll Sex in einer Ehe praktiziert werden, die die beiden unterschiedlichen Geschlechter vereint (vgl. dazu auch die Herausforderung Nr. 3). Es bedeutete also einen revolutionären Bruch mit der Kultur, als die Christen hartnäckig behaupteten: Ob ein sexueller Akt richtig oder falsch ist, wird nicht durch sozialen Status und Macht festgelegt, sondern durch die mit einem Bund besiegelte Liebe und den Geschlechterunterschied.

Das hatte einen unmittelbaren, konkreten Effekt, den jeder sehen konnte. Indem die Verknüpfung von Sex und der sozialen Ordnung aufgelöst wurde, schützte das Christentum die Schwachen vor der Ausbeutung. Kein Mann konnte von einer Frau Sex verlangen, ohne seine eigene Unabhängigkeit aufzugeben und sein ganzes Leben an sie zu binden. Kein Mann konnte mehr von seinen Bediensteten Sex verlangen. Die Schwächeren – Frauen, Sklaven, Kinder – wurden durch die Vorgabe geschützt, dass Sex nur im sicheren Rahmen eines Ehebundes stattfinden darf. Doch die „zugrundeliegende Logik“ des Christentums bezüglich Sex ging über diese praktischen Effekte weit hinaus. Sie stellte Sex nicht länger als bloße Begierde dar, die wir kaum zügeln können, sondern als eine freudige, ja, heilige Ausdrucksform, in der sich die Art und Weise widerspiegelt, wie Gott die Welt rettet.

Die zweite (moderne) sexuelle Revolution

Wie verhält sich die christliche sexuelle Revolution zur zweiten, modernen „sexuellen Revolution“?

Erstens ist es wichtig zu erkennen, dass die sehr humanen Werte unserer Kultur – einschließlich der Bejahung von Sex und Einvernehmlichkeit – dem Christentum entstammen. Sowohl die moderne Betonung, dass der menschliche Körper wie auch Sex etwas Gutes ist, als auch die Betonung von Einverständnis und Gegenseitigkeit (1Kor 7,1–4) ohne doppelten Standard für Männer und Frauen sind Gaben des Christentums an die moderne Welt. Tatsächlich war Paulus’ Aussage, dass „der Mann nicht selbst über seinen Leib verfügt, sondern die Frau“, wie auch der Mann über den der Frau verfügt, eine radikale, in dieser patriarchalen Kultur noch nie dagewesene Erklärung. Harper schreibt:

„Die sozialen Grundeinstellungen der vorchristlichen Sexualmoral – wie etwa die leichtfertige Ausbeutung der Körper von [machtlosen] Nicht-Personen – erscheinen [uns heute] gerade deshalb so unverständlich, weil die christliche Revolution die alte Ordnung so vollständig hinweggefegt hat.“ (Kyle Harper, Frome Shame to Sin, 2013, S. 2)

Harper bezieht sich auf eine wachsende Anzahl von wissenschaftlichen Arbeiten, die zeigen, dass der moderne säkulare Mensch, der so leidenschaftlich an die Gleichberechtigung und Würde jeder einzelnen Person glaubt, tatsächlich einen Glauben über die Natur des Menschen borgt, der ursprünglich aus der Bibel stammt und von den christlichen Gesellschaften hervorgebracht wurde.

Zweitens sollten wir uns darüber im Klaren sein, dass die moderne Bewegung der sexuellen Befreiung in vieler Hinsicht ein Rückschritt ist. Sie dreht die Uhr zurück auf die zugrundeliegende Logik Roms. Die moderne Kultur hat die Verbindung zwischen Sex und Gott aufgehoben und Sex wieder mit der sozialen Ordnung verknüpft. Damit ist Sex wiederum losgelöst von der Forderung einer lebenslangen Bindung durch die Ehe. Erneut geht es beim Sex um Selbsterfüllung, nicht um Selbsthingabe. Doch wie Harper bemerkt, behält die moderne sexuelle Revolution einige der christlichen Gaben an die Welt bei: das Konzept der Einvernehmlichkeit und dass Sex etwas Gutes ist. Daher ist die heutige sexuelle Kultur zwar weniger brutal als die damalige heidnische Kultur (dank der verbliebenen christlichen Elemente), sie entpersonalisiert aber dennoch und macht zum Objekt. Es gibt zahlreiche Studien und Erfahrungsberichte, die zeigen, dass die Menschen deutlich einsamer sind, da Sex nun nicht nur von der Ehe abgekoppelt wird, sondern durch das riesige, raffinierte Reich der Pornografie von persönlicher Beziehung überhaupt. Im alten Rom gab es gewöhnlich einen Beteiligten – den mit der Macht –, der den anderen Beteiligten als Objekt benutzte, um seine körperlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Heute benutzen sich die Beteiligten oft gegenseitig, indem sie den anderen als Objekt zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse gebrauchen – mit dem man nur so lange in Beziehung steht, wie diese Bedürfnisse befriedigt werden.

Das Bemühen der modernen Kultur, einige Teile der christlichen Sexualethik beizubehalten, aber andere nicht, hat enorme Spannungen erzeugt.

„Der Gedanke der Einvernehmlichkeit passt am besten zu einem Bund, nicht zu sexuellen Abenteuern.“
 

Der Gedanke der Einvernehmlichkeit passt am besten zu einem Bund, nicht zu sexuellen Abenteuern. Insbesondere Frauen können sich als Objekt missbraucht fühlen. Die frühen Christen wurden mit dem gleichen Vorwurf wie wir konfrontiert – dass unsere Sexualethik erdrückend, eine Spaßbremse, negativ, repressiv und unrealistisch sei. Doch sie wussten auch: Selbst wenn sexuelle Selbstbeherrschung auf kurze Sicht schwer ist, ist doch die christliche Sexualethik auf lange Sicht erfüllender und weniger entmenschlichend. Wir müssen auch heute Wege finden, um zuversichtlich über die revolutionär gute Nachricht des Christentums bezüglich Sex zu sprechen.

Herausforderung Nr. 3: Die christliche Lehre über Sex in der gesamten Theologie zu verankern, statt lediglich über Ethik zu sprechen.

Die christliche Sexualethik lässt sich kurz und einfach formulieren: „Kein Sex außerhalb einer Ehe, die zwischen einem Mann und einer Frau besteht“. Aber heute werden die meisten jüngeren Leute zurückfragen: „Warum? Warum soll Sex außerhalb der Ehe (oder mit jemandem des gleichen Geschlechts) falsch sein?“

Die christliche Theologie antwortet auf diese Frage, dass Sex Teil der Gottebenbildlichkeit ist – er soll Gott und besonders Gottes erlösende Liebe abbilden. Es geht beim Sex nicht darum, selbst Stärke zu gewinnen, sondern gegenseitig in Liebe zugunsten des anderen Stärke aufzugeben, wie es Christus für uns tat. Die christliche Antwort auf die Frage „Warum gehört Sex in eine heterosexuelle Ehe?“ führt uns mitten ins Zentrum des Evangeliums. Wir sollten daher nicht über Sexualethik reden, ohne sie in den biblischen Lehren über Gott, die Schöpfung und die Erlösung zu verankern. Schon Paulus argumentiert auf diese Weise. Nachdem er uns daran erinnert hat, dass wir durch den Geist mit Christus vereint sind („Wer aber dem Herrn anhängt, ist ein Geist mit ihm“), sagt er als nächstes: „Flieht die Unzucht [porneia]!“ (1Kor 6,17–18). Warum ist Sex außerhalb der Ehe falsch? Beachte, dass Paulus nicht einfach nur feststellt: „Es ist falsch, weil Gottes Wort das so sagt“, obwohl er das durchaus hätte tun können. Stattdessen schreibt er: „Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des in euch wohnenden Heiligen Geistes ist?“ (1Kor 6,19).

Er erklärt, dass sexuelle Unmoral aufgrund unserer Einheit mit Christus falsch ist, die das Vorbild für sexuelle Einheit darstellt.

Wozu ist Sex also da? Er ist ein Wegweiser, der auf Gottes Konzept der rettenden Liebe hinweist. Und er ist ein Mittel, um auf der horizontalen Ebene – zwischen zwei menschlichen Wesen – etwas von dem gleichen Liebesmuster zu erleben, das wir auf vertikaler Ebene in Christus kennen. Wir wollen das nun durchbuchstabieren:

Wie ist der Sinn von Sex in der biblischen Theologie verankert?

1. Wie die Einheit mit Christus eine Beziehung der exklusiven, durch einen Bund besiegelten, sich selbst hingebenden Liebe ist, so soll sexuelle Intimität nur innerhalb des Ehebundes erlebt werden.

Es gibt keine Vertrautheit mit Gott, ohne in einen Bund mit ihm zu treten, und so soll es auch keine sexuelle Vertrautheit geben, ohne in eine exklusive, dauerhafte, durch einen Bund besiegelte Beziehung mit deinem Partner zu treten. Die moderne Kultur verwandelt alle sexuellen Beziehungen in konsumorientierte, transaktionale Beziehungen. In einer Konsumbeziehung geht es um gegenseitige Selbsterfüllung; die Bedürfnisse des Einzelnen sind nicht verhandelbar und wichtiger als die Beziehung, die vorläufig ist und leicht beendet werden kann. Ein Bund beruht dagegen auf gegenseitiger Selbsthingabe und darauf, die Bedürfnisse des Gegenübers und das Wohl der Beziehung über sich selbst zu stellen. In der Ehe geben die Partner ihre Unabhängigkeit zugunsten einer gegenseitigen Abhängigkeit auf. Sie geben sich einander mit ihrem ganzen Ich hin – emotional, körperlich, rechtlich, wirtschaftlich. Wir dürfen das Ich nicht aufspalten, wie es die Moderne tut – in der Sexualpartner einander nur ihre Körper hingeben, aber nicht den Rest ihrer selbst. Für moderne Menschen klingt die Regel „Kein Sex außerhalb der Ehe“ „sexualitätsfeindlich“, aber das Gegenteil ist der Fall. Sie erhebt Sex vom bloßen Konsumgut zu einem Mittel, um tiefste Gemeinschaft zwischen zwei menschlichen Wesen zu erschaffen – und ebenso zu einem Mittel, den Einen zu ehren und widerzuspiegeln, der sich selbst ganz für uns gegeben hat, um uns zu befreien, so dass wir wiederum uns exklusiv ihm geben können.

2. Wie die Einheit mit Christus eine Beziehung zwischen zutiefst unterschiedlichen Wesen ist (Gott und Mensch), so soll sexuelle Intimität nur in einer Einheit, die über den tiefgreifenden Unterschied zwischen den Geschlechtern hinweg besteht, erlebt werden.

Epheser 5,31–32 legt 1. Mose 2,24 christologisch aus. Paulus erklärt, dass Gott die eheliche Gemeinschaft schuf, um uns ein mysterion zu geben – ein Zeichen, das auf Christi Liebe und seine Einheit mit uns hinweist. Der Bund zwischen Mann und Frau kann nur dann als Analogie für die Einheit von Christus und der Gemeinde dienen, wenn sich die Parteien deutlich voneinander unterscheiden.

Das Wunder unserer Einheit in Christus besteht darin, dass Menschheit und Gottheit – durch die Sünde einander entfremdet – nun vereint sind, zunächst in der Person Christi selbst, und dann in unserer Einheit mit ihm durch den Heiligen Geist. Und eine der großen Errungenschaften der Ehe besteht darin, dass die Geschlechter – ebenfalls durch die Sünde einander entfremdet (1Mose 3,16–17) – in einer liebevollen Einheit zusammengebracht werden. Die Regel „Ehe nur zwischen Mann und Frau“ klingt für moderne Ohren eng, aber das Gegenteil ist der Fall. Sexuelle Beziehungen benötigen diese wertvolle Vielfalt der Perspektiven und des geschlechtsspezifischen Menschseins, und Homosexualität wird dem nicht gerecht. Es ist eine der großen Ironien unserer spätmodernen Zeit, dass wir in so vielen anderen kulturellen Bereichen die Vielfalt feiern, aber die ultimative Einheit in Vielfalt entwertet haben – die gemischtgeschlechtliche Ehe. Mann und Frau haben jeweils Vorzüge und Stärken, Perspektiven und Fähigkeiten, die das andere Geschlecht nicht hat und auch nicht reproduzieren kann. Wie es keine rein männliche oder rein weibliche Gesellschaft oder Gemeinde ohne Verarmung geben kann, so kann es auch keine solche Ehe geben.

3. Wie die Einheit mit Christus neues Leben in die Welt bringt, so hat Gott nur der Ehe zwischen Mann und Frau die Fähigkeit verliehen, neues menschliches Leben zu erschaffen, und sie zudem mit den besten Ressourcen ausgestattet, dieses Leben zu versorgen.

In 1. Mose 1 sagt Gott zu den Menschen als Mann und Frau (V. 27): „Seid fruchtbar und mehrt euch und füllt die Erde“ (V. 28). Nur dieser Verbindung von Mann und Frau verleiht Gott die Fähigkeit, neues menschliches Leben hervorzubringen. In der Ehe verbinden sich Mann und Frau zu einer tiefen Einheit, die die Kraft hat, Leben zu schenken. Und wenn in einer Ehe neues Leben zur Welt gebracht wurde, ermöglicht die Anwesenheit von Vater und Mutter den Kindern tiefe, langfristige Beziehungen mit und Zugang zu den beiden Geschlechtern, die jeweils die Hälfte der Menschheit ausmachen. Entsprechend haben die Kinder auch Zugang zu der ganzen Bandbreite der menschlichen Stärken und Fähigkeiten. Dies passt wiederum in das Muster unserer Einheit mit Christus. Wie die Einheit von Mann und Frau „Leibesfrucht“ als „eine Belohnung“ (Ps 127,3) hervorbringt, so bringt die Einheit Christi mit seinem Volk die Frucht des neuen Lebens in Christus hervor, durch Bekehrung (Joh 15,16; Röm 1,13; Kol 1,6.10) und das Wachsen in der Christusähnlichkeit (Gal 5,22–23).

Zusammenfassung

„Die theologischen Ziele von Sex erklären die Ethik – warum sexuelle Intimität nur innerhalb der Ehe zwischen einem Mann und einer Frau erlebt werden soll.“
 

Um es nochmals ins Gedächtnis zu rufen: Sinn und Ziel von Sex liegt (a) in der Selbsthingabe, die nur im Rahmen eines lebenslangen Bundes vollständig ist, (b) in der Überbrückung der Unterschiede über die Grenze zwischen Mann und Frau hinweg, und (c) in der Erschaffung und Versorgung von Leben. Diese theologischen Ziele erklären die Ethik – warum sexuelle Intimität nur innerhalb der Ehe zwischen einem Mann und einer Frau erlebt werden soll.

Unterwegs zu einer Apologetik der christlichen Sexualethik

Die Begründung einer christlichen Sicht von Ehe

Wie können wir nun also vorgehen, um die Sexualethik zu verteidigen? Wir haben die drei Ziele von Sex in unserer biblischen Theologie verankert und sollten sie nun auch mit den bestehenden kulturellen Narrativen in Verbindung bringen – sowohl, um diese zu kritisieren, als auch, um daran anzuknüpfen. Daher können wir der Welt erklären, dass sexuelle Intimität aus christlicher Sicht folgendermaßen zu verstehen ist:

1. Mehr als nur einvernehmlich

Christen glauben, dass sexuelle Intimität nicht für jene gedacht ist, die nur ein zeitlich begrenztes Ja zu einer sexuellen Begegnung haben. Sie ist für jene gedacht, die durch die Ehe dem anderen ein dauerhaftes Ja geben, das das ganze Leben umfasst. Und selbst innerhalb der Ehe soll Sex nur mit beiderseitiger Zustimmung stattfinden (1Kor 7,1–4). Wir glauben, dass sich darin widerspiegelt, wie wir Gott kennen – nur durch einen Bund der exklusiven Liebe.

2. Diversität der Geschlechter

Christen glauben, dass Gott den beiden Geschlechtern jeweils einzigartige Fähigkeiten, Blickwinkel und weitere Gaben gegeben hat. Wir glauben nicht, dass Männer alle Gaben reproduzieren können, die Frauen haben, und ebenso wenig, dass Frauen das reproduzieren können, was Männer haben. Wir glauben, dass eine Ehe zwischen Personen desselben Geschlechts es versäumt, die Diversität der Geschlechter zu praktizieren, die wir in anderen Lebensbereichen wünschenswert finden. Dagegen glauben wir, dass die Einheit von Mann und Frau die Einheit von Gott und Mensch durch Christus widerspiegelt.

3. Lebensspendend

Christen erkennen die biologische Tatsache, dass die sexuelle Vereinigung von Mann und Frau neues menschliches Leben hervorbringen kann, als Gottes Willen. Aus diesem Grund glauben wir, dass es richtig ist, die Institution der Ehe nur einer Mann-Frau-Beziehung zu verleihen. Diese Beziehung ist nicht nur die einzige, die neues menschliches Leben hervorbringt, sondern sie ermöglicht den heranwachsenden Kindern durch die Anwesenheit von Mutter und Vater auch den Kontakt mit der ganzen Bandbreite unseres geschlechtlichen Menschseins.

Das alternative Sexualitäts-Narrativ aus christlicher Sicht

1. Die Brutalität von Sex in der antiken Welt

Die griechisch-römische Gesellschaft war der historische Vorläufer der gesamten westlichen Kultur. In der antiken Welt gab es sehr freizügige sexuelle Normen. Sex wurde als bloßes Mittel betrachtet, um das persönliche Vergnügen und die Erfüllung derer zu steigern, die Macht besaßen. Daher war jeglicher Sex erlaubt, so lange er nicht an der sozialen Ordnung der damaligen Zeit rüttelte – Männer stehen über Frauen, Herren über Sklaven, Reiche über Armen. Während Ehefrauen keinen Sex mit anderen haben durften, konnten ihre Männer ganz nach Belieben mit nahezu jedem Sex haben. Das führte zu viel Brutalität.

2. Eine neue, persönliche Identität

Das Christentum kam mit einer Botschaft der Gnade in die Welt: Aufgrund des Werkes Jesu, des Sohnes Gottes, der für uns starb und auferstand, ist es möglich, mit Gott in einer liebevollen Beziehung persönliche Gemeinschaft zu haben – ein pures Geschenk. Diese Botschaft der Rettung durch Gnade – nicht durch gute Werke, Moral, Ehrbarkeit oder Herkunft – hatte eine sozial angleichende Wirkung. Christen, die in der Gesellschaft einen hohen Rang einnahmen, standen nun exakt an gleicher Stelle wie die sozialen Außenseiter und moralischen Versager: Sie waren Sünder, die Gnade nötig haben (vgl. Joh 3 und Joh 4).

3. Eine neue Sozialethik

Diese neue, persönliche Identität war einzigartig. Die Selbsteinschätzung der Christen basierte nicht mehr auf Leistung oder darauf, wie man von der Familie oder der Gesellschaft angesehen wurde. Die Macht der Kultur, die Persönlichkeit des Gläubigen zu definieren, war gebrochen. Diese Identität bedeutete außerdem, dass alle Christen in Christus gleich waren – gleichermaßen Sünder, die Gnade benötigten, und gleichermaßen geliebt, gerechtfertigt und von Gott als seine geliebten Kinder adoptiert. Die neue Identität hatte viele praktische Auswirkungen. Die christliche Gemeinschaft war die erste multiethnische Religionsgemeinschaft, sie führte Reiche und Arme auf noch nie dagewesene Weise zusammen. Die Beziehungen innerhalb der christlichen Gemeinschaft sollten auf Selbsthingabe und opferbereiter Liebe beruhen statt auf Klasse und Status.

4. Eine neue Vision für die Sexualität

Eine der eindrücklichsten Auswirkungen dieser neuen Identität und Sozialethik betraf den Bereich der sexuellen Beziehungen. Christen riefen dazu auf, dass die Grundlage für Sex nicht (wie in der römischen Gesellschaft) Macht, sondern Liebe sein sollte; ebenso dazu, sich nicht von der Kultur, sondern Christus vereinnahmen zu lassen, der sich selbst für uns gab und uns in eine exklusive, durch einen Bund besiegelte Beziehung zu sich gebracht hat. Sexuelle Liebe sollte Gottes rettende Liebe widerspiegeln, und das bedeutete, dass Sex von zwei Prinzipien geprägt war. Erstens: Dem Prinzip der Selbsthingabe. Wie man die Erlösung und die Vertrautheit mit Gott nur im Rahmen einer exklusiven, lebenslangen Bundesbeziehung mit Gott erhält, so soll auch sexuelle Vertrautheit nur im Rahmen der Ehe erlebt werden. Zweitens: Dem Prinzip der Geschlechterdiversität. Wie die Erlösung eine Einheit zwischen Gott und Mensch schafft – eine Einheit über tiefe Unterschiede hinweg –, so bringt die Ehe das, was unterschiedlich ist, zusammen (Mann und Frau). Da jedes Geschlecht einige Stärken und Fähigkeiten hat, die das andere Geschlecht nicht reproduzieren kann, bündelt die Praxis der ehelichen Geschlechterdiversität das volle Spektrum der menschlichen Vorzüge und Fähigkeiten.

5. Das Versagen der westlichen Gesellschaft

Als die Gesetze, die die christlichen Sexualnormen in ganzen Ländern durchsetzen sollten, von der lebendigen, großen Vision der Liebe und Gnade Christi abgekoppelt wurden, entstand tatsächlich eine Art „Sexualitätsfeindlichkeit“. Man betrachtete vielerorts jeglichen Sex als schändlich. Wo es eine weitgehend namenschristliche Bevölkerung gab – der das klare Bewusstsein fehlte, selbst Sünder zu sein, welche aus reiner Gnade gerettet werden –, wurde die christliche Sexualmoral oft sehr rigoros durchgesetzt, so dass man schwangere Teenager oder homosexuelle Jugendliche mit grausamer Härte behandelte. Und häufig war es nicht nur so, dass Führungspersonen der Gesellschaft gegen die Moral, die sie offiziell hochhielten, verstießen, sondern sie nutzten auch ihre Macht, um nach römischem Muster Sex zu erzwingen. Die Machtlosen fühlten sich ausgeschlossen und unterdrückt.

6. Die moderne sexuelle Revolution

Die moderne sexuelle Revolution war zu einem gewissen Grad eine Reaktion auf dieses harte Regiment. Doch es gibt deutliche Anzeichen, dass die Revolution in vieler Hinsicht scheitert. Die Menschen von heute haben zwar den Gedanken der Einvernehmlichkeit (der dem Christentum entstammt) beibehalten, sie haben aber Sex von der lebenslangen Bindung abgekoppelt. Das bedeutet, dass wir „die Uhr zurückgedreht haben“ zur antiken Welt, in der es beim Sex um Selbsterfüllung ging, nicht um liebende Selbsthingabe. Sex wird zu einer Transaktion, zu einer Konsumware, wobei zwei Parteien nur so lange Liebesdienste austauschen, wie es ihre Bedürfnisse befriedigt. Das hat zur Folge, dass viele Menschen zwar Sex haben, sich dabei aber benutzt fühlen (und deshalb auf sexuelle Intimität verzichten und stattdessen auf digitale Stimulation oder andere Formen gesellschaftlich anerkannter Befriedigung und Ablenkung ausweichen); dass viele Menschen nicht das Bedürfnis haben, zu heiraten und Kinder zu bekommen; dass sich viele Menschen einsam und isoliert fühlen, während die Zahl der Menschen, die in Familien leben, abnimmt. Diese Trends sind für die ärmsten Bevölkerungsgruppen besonders verheerend, und so trifft die moderne Sexualethik wohl diejenigen am härtesten, die am wenigsten Macht und sozialen Schutz haben.

7. Die christliche Alternativkultur für Sex

Christen glauben immer noch, dass Sex in der größeren Geschichte von Gottes rettender Liebe verankert werden muss. Unsere Kultur sagt, wir sollen unsere tiefsten Sehnsüchte entdecken und ausleben, um unser authentisches Ich zu werden. Aber tatsächlich haben wir in unserem Herzen widersprüchliche Impulse. Wir benötigen einen äußeren Maßstab, der uns hilft zu entscheiden, welche unserer Sehnsüchte und Instinkte gefördert werden sollen und welche nicht. Wie die Menschen der Antike lassen sich auch die modernen Menschen diese Maßstäbe von ihrer Kultur vorgeben. Doch das Christentum sagt: Lass dich nicht von deiner Volksgruppe oder deiner Kultur bestimmen und deinen Wert von ihr festsetzen. Nimm Gottes Wort als moralisches Raster, um dein Herz zu erkennen. Und lass dir von Gottes Liebe und Gnade durch Jesus Christus deine tiefste Bestätigung und Identität geben.

Wir glauben, dass die Verknüpfung von Gottes Liebe mit der Sexualität, wie sie durch das biblische Modell der Ehe verkörpert wird, die beste Art und Weise ist, wie Menschen leben und sich entfalten können.