Theologie zur Ehre Gottes

Artikel von Steven J. Lawson
7. April 2022 — 9 Min Lesedauer

Das Studium der Theologie darf nie zum Selbstzweck werden. Das Ziel gesunder Lehre ist es nie, Menschen mit vollen Köpfen, aber leeren Herzen und unfruchtbarem Leben hervorzubringen. Das Bestreben reformierter Theologie besteht zu keiner Zeit darin, gefühlskalte Christen (engl. „frozen chosen“) zu produzieren. Die Erkenntnis Gottes und seiner Wahrheit soll uns vielmehr dazu bringen, ihn zu erkennen und anzubeten. Die Lehre der Heiligen Schrift ist dazu da, unsere Herzen mit Hingabe an Gott zu entflammen und uns anzutreiben, für ihn zu leben. Kurz gesagt, eine solide Theologie muss eine lebendige Doxologie (dt. Lobpreis Gottes) zur Folge haben.

Wir studieren Theologie nicht, um „gebildet“ zu erscheinen. Theologie ist lediglich Mittel zum Zweck. Wir studieren die Wahrheit über Gott, um ihn besser kennenzulernen und um zu reifen. Theologie erneuert unseren Verstand. Sie entzündet unsere Herzen. Sie hebt unsere Anbetung auf die nächste Stufe. Sie lenkt uns beim Gebet. Sie demütigt unsere Seelen. Sie erhellt unseren Weg. Sie gibt uns Kraft für unseren Weg. Sie heiligt unser Leben. Sie stärkt unseren Glauben. Sie vertieft unsere Leidenschaft. Sie stählt unseren Dienst. Sie stärkt unser Zeugnis. Dies alles bewirkt Theologie – und noch viel mehr. Jeder Aspekt einer solcher Lebenseinstellung ehrt Gott.

„Der Auftrag, Gott zu ehren, schließt auch das Studium der Theologie ein.“
 

In allem, was wir tun, sollen wir Gott verherrlichen. Paulus schreibt: „Ob ihr nun esst oder trinkt oder sonst etwas tut – tut alles zur Ehre Gottes!“ (1Kor 10,31). Der Auftrag, Gott zu ehren, schließt auch das Studium der Theologie ein. Der Apostel warnt: „bloßes Wissen macht überheblich“ (1Kor 8,1 NGÜ), wenn es nicht dazu führt, Gott und andere zu lieben. Wir müssen den Glauben studieren, „der den Heiligen ein für alle Mal überliefert worden ist“ (Jud 3), um letztlich „Gott und Jesus, unseren Herrn, zu erkennen“ (2Petr 1,2). Diese Wahrheit wiederum wird uns dazu veranlassen, ihm die Ehre zu geben, die seinem Namen gebührt.

Alles in ihm

Ein wichtiger Vers macht diese Wahrheit besonders deutlich. Paulus schreibt: „Denn von ihm und durch ihn und für ihn sind alle Dinge; ihm sei die Ehre in Ewigkeit! Amen.“ (Röm 11,36). Mit diesem Bekenntnis schließt Paulus seine tiefgründige Lehre über Gottes Errettung der verlorenen Sünder ab. Er hat die großen Lehren von der Verurteilung, der Rechtfertigung, der Heiligung, der Verherrlichung und der Erwählung dargelegt, und dann bricht er in dieses inbrünstige Loblied auf Gott aus. Lasst uns diese Doxologie sorgfältig betrachten und die Antwort des Apostels, nämlich Gott zu preisen, nachahmen.

Dieser Vers beginnt mit drei Präpositionen: „von ihm und durch ihn und für ihn“, gefolgt von den drei allumfassenden Worten „sind alle Dinge“ (Röm 11,36). Dies ist der reichhaltigste Satz, der je geschrieben wurde. Er ist nicht weniger als eine vollständige christliche Weltanschauung, enthält quasi eine systematische Theologie. Er bringt die Geschichte der ganzen Bibel in wenigen Worten aufs Papier. Er fasst die Geschichte der Welt kurz und prägnant zusammen . Nichts liegt außerhalb der Parameter dieses Dreiklangs. „Alle Dinge“ umfasst alles in drei großen Bereichen: Schöpfung, Geschichte und Erlösung.

Erstens schreibt der Apostel, dass alle Dinge „von ihm“ sind. Diese Aussage verweist auf die vergangene Ewigkeit, als Gott seinen Gesamtplan für alles, was jemals geschehen wird, entwarf. Gott ist der Urheber seines ewigen Plans („von ihm“), der alles umfasst, was geschehen wird. Vor Grundlegung der Welt entwarf er den Bauplan für die gesamte Schöpfung, einschließlich der detaillierten Spezifikationen für die Erde (Hiob 38–39). Außerdem hat er seinen ewigen Ratschluss gefasst, der alles einschließt, was in der Zeit geschehen wird (Jes 46,8–9). Vor langer Zeit hat Gott Menschen auserwählt (Röm 8,29; Eph 1,4; 2Thess 2,13). Dann hat er sie seinem Sohn anvertraut, um ihr Heil zu sichern (Joh 6,37). All diese Vorplanung der Schöpfung, der Geschichte und des Heils ist „von ihm“.

Zweitens sagt Paulus, dass alle Dinge „durch ihn“ geschehen. Das bedeutet, dass Gott innerhalb der Zeit „alle Dinge“, die er geplant hat, in die Tat umsetzt. Er ist der Schöpfer, der das Universum ins Leben gerufen hat (1Mose 1,1; Ps 33,6–7) und der es ständig durch seine Macht aufrechterhält (Kol 1,16; Hebr 1,2). Darüber hinaus herrscht er über das Geschehen der Vorsehung und wirkt alles nach dem Ratschluss seines Willens (Eph 1,11). Er weicht niemals von seinem ursprünglichen Plan ab, um eine andere Strategie zu verfolgen. Nichts geschieht, nicht einmal die kleinste Bewegung, ohne seine souveräne Absicht (Spr 16,33; Mt 10,29). Dinge wie Glück, Pech, Zufall oder blindes Schicksal gibt es nicht. Außerdem ist Gott vollkommen bei der Errettung aller seiner Auserwählten am Werk. Durch seinen Sohn und den Heiligen Geist überführt, beruft, zieht, schenkt die Wiedergeburt, heiligt, bewahrt und verherrlicht er alle seine Auserwählten (Joh 6,37–40.44; Röm 8,29–30).

Drittens schreibt Paulus dann, dass „alle Dinge“ „für ihn“ sind. Das bedeutet, dass Gott alles auf seine eigene Herrlichkeit ausrichtet. Der höchste Zweck der physischen Welt ist es, seine Majestät zu zeigen (Ps 19,1). Alles, was er in der Geschichte inszeniert, dient dazu, die Größe seines Namens zu demonstrieren (Jes 48,11). Alles, was er in der Erlösung tut, um die verlorenen Sünder zu retten, dient dem Lobpreis der Herrlichkeit seiner Gnade (Eph 1,3.6.12.14). Alles hat dieses höchste Ziel: Soli deo gloria – allein zur Ehre Gottes.

Alles ist „von“ Gott und geht auf seinen souveränen Willen in der vergangenen Ewigkeit zurück. Alles ist „durch“ Ihn, vollendet durch sein souveränes Handeln in der Zeit. Alles ist „für“ ihn und dient seiner souveränen Herrlichkeit für alle Zeiten. Was immer er geplant und vorherbestimmt hat, führt er aus und bewahrt es zu seinem eigenen Zweck und Wohlgefallen.

Theologie führt zu Doxologie

Paulus erklärt dann, dass es diese transzendente Theologie – und nur diese – ist, die folgende Doxologie hervorbringt: „Ihm sei die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.“ Die gewaltige Lehre über Gott führt zu tiefer Hingabe an ihn. Derjenige, der alles geschaffen hat und alles beherrscht, der alle seine Auserwählten bekehrt, verdient das ganze Lob. Kein Ruhm kommt dem Menschen zu. Der Ruhm sollte auch nicht zwischen Gott und Mensch geteilt werden. Unser eifersüchtiger Gott wird seine Herrlichkeit nicht mit einem anderen teilen (Jes 42,8).

Das Wort Ruhm (gr. doxa) beinhaltet die Bedeutung von „eine richtige Meinung oder Einschätzung von jemandem haben“. Es geht um den Ruf, den jemand hat. Von doxa leitet sich das deutsche Wort orthodox ab, das „eine korrekte Meinung über etwas“ bedeutet. Es beschreibt eine hohe Meinung über eine bemerkenswerte Person von großem Ansehen und Ruf. Es bezeichnet die Ehre, die einer Person von hohem Rang gebührt. Je größer die Person ist, desto mehr sollte sie verehrt werden. Je mehr wir Theologie studieren, desto höher werden wir von Gott denken. Als Ergebnis werden wir ihn umso mehr preisen.

In der Bibel gibt es zwei verschiedene Arten von Ruhm bzw. Herrlichkeit, die zu unterscheiden sind. Das erste ist die Herrlichkeit Gottes, die ihm innewohnt (engl. intrinsic glory). Sie ist die Summe und Essenz von allem, was Gott ist. Sie stellt die Gesamtheit seines göttlichen Wesens dar. Sie umfasst alle Vollkommenheiten seiner göttlichen Eigenschaften. Sie bleibt für immer gleich, sie nimmt weder zu noch ab. Von Ewigkeit zu Ewigkeit ist Gott der, „der war und der ist und der kommt“ (Offb 4,8). Wir können nichts zu Gottes seinem Ruhm hinzufügen oder etwas davon wegnehmen.

„Je mehr wir Gottes Herrlichkeit erkennen, desto mehr werden wir ihn verherrlichen.“
 

Die Bibel spricht auch von Gottes Verherrlichung (engl. ascribed glory). Dies ist die einzig richtige Reaktion auf den Anblick seiner Herrlichkeit. Das ist der Ruhm, den wir ihm schulden. Je mehr wir Gottes Herrlichkeit erkennen, desto mehr werden wir ihn verherrlichen. Je mehr wir Gott verstehen, desto mehr werden wir ihn verehren und anbeten. Eine hohe Meinung von Gott wird ein umso größeres Lob Gottes hervorrufen. Wer Gott immer besser kennenlernt, wird ihn immer mehr loben.

Diese Verherrlichung soll Gott „für immer“ – oder wörtlich: „bis in alle Ewigkeit“ – zuteil werden. Paulus bestätigt, dass es weder in der Zeit noch in der Ewigkeit einen Moment geben wird, in dem er Gott nicht verherrlichen wird. Das ist nicht nur sein gegenwärtiges Anliegen, sondern wird seine treibende Leidenschaft in den kommenden Zeitaltern sein. Das ist der eigentliche Zweck, für den er geschaffen wurde. Und das ist auch der Grund für unsere Existenz. Wir sollen uns danach sehnen, zur Ehre Gottes zu leben, sowohl jetzt als auch in Ewigkeit.

Wir werden nie aufhören, Gott zu verherrlichen, denn er ist unsterblich und wird nie enden: „Dem König der Ewigkeit aber, dem unvergänglichen, unsichtbaren, allein weisen Gott, sei Ehre und Ruhm von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen“ (1Tim 1,17). „Ehre und Ruhm“ werden ihm „von Ewigkeit zu Ewigkeit“ zuteil, weil er in allen kommenden Zeitaltern unangefochten als König herrschen wird.

Das letzte Wort dieses Verses ist Paulus’ endgültige Bestätigung der Theologie, die er gerade gelehrt hat. Er schließt mit „Amen“. Das ist ein lautes „Es ist wahr“. Mit anderen Worten: „Es ist richtig“; „So soll es sein“; „Ja!“

Theologie sollte diese inbrünstige Reaktion in unseren Herzen hervorrufen. Die Wahrheit über Gott sollte das beherrschende, zentrale Thema in unserem Leben sein. Das muss unser größter Herzschlag und unsere stärkste Leidenschaft sein. Dies muss unser tiefster Eifer und unsere höchste Motivation sein. Wir müssen für die Herrlichkeit Gottes leben und sterben – und dann für immer leben.

Möge unser Studium der Theologie der Ehre Gottes dienen. Möge es uns dazu führen, ihm das Lob zu geben, das ihm allein gebührt. Amen.