Komplementäre Schönheit

Mann und Frau und noch weit mehr

Artikel von Brett McCracken
22. April 2022 — 11 Min Lesedauer

Nein, es sollte kein typisches Gender Reveal-Event für Social Media sein, bei dem wir bekanntgeben würden, ob wir einen Jungen oder ein Mädchen bekommen sollten. Doch meine Frau und ich planten, den Tag, an dem wir das Geschlecht unseres Babys erfahren sollten, mit einer ganz privaten Feier zu begehen.

Zwei Restaurants standen zur Wahl. War unser Baby ein Junge, dann wollten wir das in der örtlichen Pommesbude feiern. War es ein Mädchen, dann wollten wir in unserem vegetarischen Lieblingsrestaurant in der Innenstadt von Los Angeles essen.

An jenem Abend aßen wir kein Gemüse.

Einige Monate zuvor waren wir in Vancouver gewesen und hatten in einem Restaurant hervorragende Porchetta-Sandwiches gegessen. In diesem Lokal fielen mir die subversiv altmodischen Toilettentüren auf. Statt der gewohnten Piktogramme oder „Unisex“-Beschilderungen trugen diese Toiletten andere Schriftzüge. Auf der einen Tür stand „Fleisch“, auf der anderen „Brot“.

Ist Essen geschlechtsspezifisch? Die Frage klingt absurd. Aber was hat es damit auf sich, dass meine Frau und ich sofort wussten: Wir können unseren kleinen Jungen viel besser mit Bratwurst und Pommes feiern als mit Grünkohl und karamellisierten Rübchen? Was hat es damit auf sich, dass in jenem Lokal in Vancouver jeder wusste, welche Toilette er benutzen sollte, einfach aufgrund des „Fleisch“- oder „Brot“-Schildes an der Tür? Und warum ist es so, dass Fleisch und Brot – oder Fleisch und Gemüse – derart gut zusammenpassen?

Es liegt daran, dass sie nicht gleich sind. Sie sind verschieden – wunderbar verschieden –, auf eine Weise, die aus dem anderen das Beste hervorholt und noch steigert. In ihren sich ergänzenden Unterschieden liegt Würde, nicht Herabsetzung. Sie sind Teil eines geordneten Kosmos voller binärer Paare: Mann und Frau, hell und dunkel, Land und Meer, salzig und süß. Sie verleihen dem Leben Struktur, Zusammenhalt und unwiderstehliche Schönheit.

Keine Klone. Ergänzung.

Als Gott sprach: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei“ (1Mose 2,18), schuf er nicht einfach nur einen Klon von Adam. Er schuf eine Ergänzung. Gottes Lösung für Adams „Nicht gut“-Problem waren nicht zwei von gleichem Fleisch, als wäre Gesellschaft alles gewesen, was Adam brauchte. Es war eine Ein-Fleisch-Einheit, zwei unterschiedliche Hälften, die zusammen ein Ganzes bildeten.

„Frau und Mann sind so etwas wie Schloss und Schlüssel.“
 

So sehr die aktuelle westliche Kultur auch versucht, uns etwas anderes zu erzählen, den Unterschied zwischen Mann und Frau gibt es und er ist von Bedeutung. Es handelt sich dabei nicht nur um einen zufälligen Unterschied, sondern um einen sich gegenseitig ergänzenden Unterschied – einen Unterschied, der anzeigt, dass die beiden füreinander gemacht sind. Frau und Mann sind so etwas wie Schloss und Schlüssel. Ein Schloss und ein Schlüssel sind von bedeutungsloser Unterschiedlichkeit, es sei denn, sie sind so gemacht, dass sie zusammenpassen. Doch dann öffnet ihr Unterschied eine Tür zu etwas, schließt etwas Umfassenderes und Tieferes in der menschlichen Erfahrung auf.

In 1. Mose 1–2 verweist das Geschaffensein als Mann und Frau auf eine Schöpfungsabsicht für den Menschen, die nicht nur allgemein Beziehungsorientierung bedeutet, sondern Beziehung in einem sich ergänzenden Sinn. Todd Wilson argumentiert in Mere Sexuality (dt. etwa: Sexualität schlechthin), dass das männliche und das weibliche Geschlecht „nicht einfach nur nebeneinander passen so wie Erdnussbutter und Marmelade; sie passen auf eine sich miteinander verzahnende Weise zusammen, wie Puzzleteile. Sie wurden füreinander geschaffen, um sich gegenseitig auf tiefste Art und Weise zu vervollständigen“. Dies ist eine Beziehungsdynamik, die die Ehe miteinschließt, aber über sie hinausgeht. Wilson erklärt:

„Wir brauchen gegengeschlechtliche Beziehungen nicht nur, um das andere Geschlecht zu ergänzen und zu stärken, sondern auch, um mehr über unser eigenes Geschlecht zu erfahren … Karl Barth formulierte das treffend: ‚Je in ihrer Beziehung zur Gegenseite sind Mann und Frau, was sie für sich sind.‘“[1]

Die Schönheit der Komplementarität von Mann und Frau zeigt sich nicht nur in der Ehe. Sie zeigt sich auch im Zusammenspiel der beiden Geschlechter in sonstigen Beziehungen, ob in der Gemeinde, am Arbeitsplatz, in der Gesellschaft oder in der Verwandtschaft. Wie Barth anmerkte, wird in gewissem Sinne die Fülle dessen, was es bedeutet, „männlich“ zu sein, nur in Beziehung zum „Weiblichen“ verwirklicht. Und umgekehrt. Die Ehe ist eine kraftvolle Möglichkeit, wie diese Fülle sichtbar werden kann, aber sie ist nicht die einzige Möglichkeit.

Männlich und weiblich sind keine fluiden, einfach austauschbaren Konstrukte, die wir von unten her gestalten. Vielmehr repräsentieren sie eine komplementäre Einheit, die von oben her kommt – eine, die über die körperliche und sogar die geschlechtliche Polarität hinausgeht. Es handelt sich um eine komplementäre Einheit, die die Struktur der umfassenderen Welt widerspiegelt und auch den Gott, der diese geschaffen hat.

Schließlich sind Mann und Frau nicht die einzigen sich ergänzenden Pole in Gottes Schöpfungsabfolge von 1. Mose 1–2. Da gibt es auch Licht und Finsternis, Abend und Morgen (1,3–5), die Wasser oben und unten (1,6–8), Land und Meer (1,9–10). Wie N.T. Wright betont, zeigen sich solche Polaritäten durchgängig in der Schrift von 1. Mose bis zur Offenbarung:

„Die Binaritäten in 1. Mose sind so wichtig … Alles dreht sich darum, dass Gott komplementäre Paare erschafft, die dazu bestimmt sind, zusammenzuwirken. Die letzte Szene der Bibel ist der neue Himmel und die neue Erde, und das Symbol dafür ist die Hochzeit von Christus und seiner Gemeinde. Das sind nicht nur ein, zwei Verse hier und dort, die dieses oder jenes aussagen. Es ist ein umfassendes Narrativ, das mit dieser Komplementarität arbeitet. Daher ist eine Ehe zwischen Mann und Frau ein Hinweis oder ein Zeichen, wie gut die ursprüngliche Schöpfung war und wie gut auch Gottes Absicht für den schlussendlichen neuen Himmel und die neue Erde ist.“

Grundlegende Polarität

Dieses größere Bild von der komplementären Ausrichtung der Schöpfung – für die der Unterschied der Geschlechter nur ein grundlegendes Beispiel ist – beschreibt C.S. Lewis eindrücklich in Perelandra:

„Jeder wird sich zuweilen gefragt haben, warum in fast allen Sprachen bestimmte unbelebte Objekte männlich und andere weiblich sind. Was ist an einem Berg männlich oder an bestimmten Bäumen weiblich? … Unsere Vorfahren machten Berge nicht männlich, weil sie männliche Merkmale in ihnen sahen. Das Gegenteil ist der Fall. Das Geschlecht ist eine Realität, eine grundlegendere Realität als die Sexualität. Die Sexualität ist nur die Anpassung organischen Lebens an eine grundsätzliche Polarität, die alle erschaffenen Geschöpfe scheidet. Weibliche Sexualität ist nur einer der Aspekte weiblichen Geschlechtes; es gibt noch viele andere, und das Maskuline wie das Feminine begegnen uns auf Realitätsebenen, wo das Männliche oder das Weibliche keinerlei Bedeutung haben.“[2]

Lewis nötigt unsere gender-verwirrte Kultur in diesem provokativen Abschnitt, sich mit der Realität auseinanderzusetzen, dass maskulin und feminin Kategorien einer höheren Ebene sind, deren Tragweite sich auf die ganze Schöpfung erstreckt. Wie Wright ein „umfassendes Narrativ“ der biblischen Komplementarität feststellt, so verortet Lewis die Geschlechtlichkeit von Mann und Frau innerhalb einer „grundsätzlichen Polarität“, die alles Geschaffene unterteilt.

In der vom Vatikan produzierten Filmreihe Humanum schlägt Peter Kreeft einen ähnlichen Ton an. Er nennt das komplementäre Paar Land („eines der maskulinsten Dinge der Welt“) und Meer („eines der femininsten Dinge der Welt“) als eine weitere „grundsätzliche Polarität“ der Natur, die uns helfen kann, männlich und weiblich zu erfassen:

„[Land und Meer] sind zusammen etwas zutiefst Zufriedenstellendes, und wir können nicht einmal festmachen, weshalb wir diese Zufriedenheit und diesen Frieden und dieses Gefühl von Richtigkeit empfinden. … Die Küste ist der beliebteste Ort der Welt. Grundstücke am Wasser sind überall auf der Welt die teuersten Grundstücke. Denn dort treffen Land und Meer aufeinander. Dort treffen sich Mann und Frau. Das Land ist ohne das Meer in gewisser Weise langweilig, eine Wüste. Das Meer ist ohne das Land in gewisser Weise langweilig. Wann wird das Schiff an Land anlegen? Doch der Ort, an dem die beiden aufeinandertreffen, dort finden all die Aktivitäten statt. Und dort möchten wir sein.“

Wright, Lewis und Kreeft haben verstanden, dass männlich und weiblich mehr als soziale Konstrukte sind. Sie sind auch mehr (jedoch nicht weniger) als zwei biologische Kategorien. Männlich und weiblich sind weitaus bedeutendere Symbole, die als Teil der Schöpfung für die Leben spendende, sich beiderseitig bedingende Unterscheidung stehen.

Und nicht nur christliche Denker erkennen diesen Punkt.

Der Psychologe Jordan Peterson schreibt in seinem Buch 12 Rules For Life: Ordnung und Struktur in einer chaotischen Welt von der „grundsätzlich zweiseitigen konzeptionellen Unterteilung“ und der „strukturierten, schöpferischen Gegensätzlichkeit“, die in allem Vorhandenen zu erkennen ist. Die Unterscheidung männlich und weiblich ist nur ein Beispiel dafür, wenn auch das aussagekräftigste. Er meint, wir könnten auch ohne Religion die „grundlegende, über Metaphorik hinausgehende Realität dieser sinnbildlich feminin/maskulinen Unterscheidung“ sehen.

Die liberale feministische Wissenschaftlerin Camille Paglia meint: Wenn wir die Unterschiede zwischen Mann und Frau leugnen und behaupten, das seien austauschbare und bedeutungslose Kategorien ohne Bezug zur Biologie, dann schwächen wir beide Geschlechter.

Paglia, die sich selbst an unterschiedlicher Stelle als lesbisch oder transgender bezeichnet hat, schreibt in ihrem Essayband Frauen bleiben, Männer werden, dass sie das Geschlecht als „formbar und von der Kultur dynamisch geformt“ betrachtet. Es gebe aber trotzdem eine unbestreitbare männlich-weibliche Binarität, zu der die Menschen wieder und wieder zurückkehren würden:

„Die Häufigkeit, mit der die Geschlechterrollen zu einer polarisierten Norm zurückkehren, sowie die verblüffende Ähnlichkeit der Geschlechterrollen in Gesellschaften, die zeitlich und räumlich weit voneinander entfernt sind, legen nahe, dass es da etwas grundlegend Konstantes im Geschlecht gibt, das auf konkreten Fakten beruht. … Die Mehrheit der Erdbewohner scheint klare Geschlechterrollen als hilfreiche Orientierungspunkte für die oftmals konfliktreiche Identitätsbildung zu betrachten.“

Die Schönheit zurückgewinnen

Was geht verloren, wenn das Geschlecht lediglich zu einem fluiden sozialen Konstrukt ohne „Orientierungspunkte“ wird, oder einfach zu einer Requisite unter vielen für den expressiven Individualismus? Was geht verloren, wenn die Idee der „Komplementarität“ aufgegeben oder abgewertet wird, weil sie (wie alles Gute) auch missbraucht oder in problematischer Weise verwendet werden kann?

Neben vielen anderen Dingen geht die Schönheit verloren.

„Kontrast ist grundlegend für unser Schönheitsempfinden.“
 

Die unverwechselbaren, sich ergänzenden Merkmale von Männern und Frauen zu leugnen oder zu verdunkeln, bedeutet, den schöpferischen Genius des Menschenschöpfers abzulehnen. Diese Ablehnung schmälert auch unseren eigenen ästhetischen Genuss, denn wir sind so gestrickt, dass wir uns an einer Welt voll erstaunlicher Gegensätze und komplementärer Kontraste erfreuen.

Stell dir vor, die Erde bestünde nur aus Ozean, ohne sichtbares Land. Stell dir vor, alle Gemälde im Louvre wären einfarbig. Stell dir vor, wir könnten nur Salziges schmecken oder nur die Dur-Akkorde hören.

Kontrast ist grundlegend für unser Schönheitsempfinden. Kontrast steht im Mittelpunkt der faszinierendsten Gemälde, der unvergesslichsten kulinarischen Erlebnisse, der ergreifendsten Sinfonien.

Warum fühlen sich Menschen generell von Sonnenaufgängen und Sonnenuntergängen angezogen, empfinden sie als die malerischsten Augenblicke des Tages und als seltsam transzendent? Weil dies die Augenblicke mit dem intensivsten Kontrast zwischen Licht (Tag) und Finsternis (Nacht) sind.

Es zieht uns an die Strände wegen des Kontrastes von Wasser und Fels. Wir halten inne vor einer tiefen Schlucht oder einem hochaufragenden Berg, weil diese einen so dramatischen Kontrast zum Flachland ringsumher bilden. Wir genießen die Kombination von Fleisch und Brot, Speck und Ahornsirup, herzhaft und süß, weil unsere Geschmacksknospen für Kontraste geschaffen sind.

Kontraste sind für uns attraktiv und schön, und das teils deswegen, weil durch sie Leben entsteht. Ökosysteme gedeihen dort, wo Wasser und Fels ineinander übergehen. Neues Leben wird geboren, wenn männlich und weiblich sich verbinden. Aus der Einheit von „zwei Hälften, die ein Fleisch werden“, wird ein neues Fleisch geboren.

Diese Wahrheit wird für mich jedes Mal spürbar, wenn ich meine Hand auf Kiras Bauch lege und fühle, wie sich mein Sohn im Mutterleib bewegt. Er ist ein Junge, doch wenn er geboren wird, wird er zweifellos sowohl das Bild seines Vaters als auch seiner Mutter tragen. Er ist die Frucht unserer Liebe und ein Zeugnis für das eindrucksvolle Geheimnis und die sich fortpflanzende Schönheit von Gottes komplementärem Design.


[1] Karl-Barth-Zitat siehe: Karl Barth, Die kirchliche Dogmatik, III/4: Die Lehre von der Schöpfung, Zollikon-Zürich: 1951, S. 182 (§ 54).

[2] Clive Staples Lewis, Die Perelandra-Trilogie, Stuttgart, Wien: Weitbrecht, 1992, S. 336.