Pointing to the Pasturelands

Rezension von Daniel Vullriede
18. Juli 2022 — 5 Min Lesedauer

Wer in unübersichtlichen Zeiten nach Orientierung sucht, hat die Qual der Wahl. Viele, laute und oft schrille Stimmen buhlen um unsere Aufmerksamkeit. Aber auch differenziertere Meinungsmacher treffen nicht immer den richtigen Ton oder den Kern der Sache und binden Menschen manchmal ungewollt an ihre Agenda.

Nein, die Lösung ist nun nicht allgemeines Misstrauen oder der Rückzug in die private Meinungsblase. Vielleicht mag jedoch ein bewusster Blick zurück, ringsum und voraus helfen. Dazu lädt uns jedenfalls ein altgedienter christlicher Leiter ein.

Ein Blick zurück

Während im Juli 2020 eine Pandemie die Welt im Griff hatte und die Nachrichten bestimmte, zog eine bestimmte Meldung in christlichen Kreisen unerwartet große Kreise: Der britische Theologe James Innell Packer war nach längerer Krankheit im Alter von 93 Jahren verstorben. Bekannt durch tiefgehende und zugleich verständliche Bücher wie Gott erkennen, setzte sich der Anglikaner über Jahrzehnte engagiert und gewinnend dafür ein, das alte Evangelium wieder neu zu entdecken.

Schon 1998 wurden, ergänzend zu seinen bekannteren Titeln, mehrere Themensammelbände mit kürzeren Schriften veröffentlicht. Eine wahre Fundgrube! Pointing to the Pasturelands (dt. „Auf die grünen Auen hinweisen“, vgl. Psalm 23) setzt diesen Weg fort. Allerdings beschränken sich die Herausgeber diesmal nicht auf bisher übersehene theologische Aufsätze. Vielmehr präsentieren sie eine Auswahl allgemeinverständlicher Texte, die der Autor, Prediger und Professor zwischen 1958 und 2015 für die Zeitschrift Christianity Today schrieb.

Nach einem Vorwort des baptistischen Theologen Russell Moore sind zunächst 27 Kolumnen von Packer abgedruckt, die in der Regel nicht länger als drei Seiten sind. Darunter finden sich prägnante Meinungsbeiträge zu unterschiedlichen Themen wie Kriminalromanen, Jazzmusik, Bungee-Jumping, Gebet, der Arbeit von Theologen und kulturellen Entwicklungen. Packers Alltagshumor, seine freundliche und doch treffende Ironie und sein britisches Understatement machen diese kurzen Texte anregend und unterhaltsam zugleich.

Der zweite Teil des Sammelbandes bietet 19 längere Artikel. Sie gehen auf komplexere Fragestellungen aus Theologie, Kirche und globaler Christenheit ein. Mal apologetisch oder kirchengeschichtlich akzentuiert, dann wieder praktisch pastoral oder mit Bezug auf politische Ereignisse – Packer informiert, durchdenkt und argumentiert, um seine Leser persönlich, geistlich und auch fachlich zu stärken. Dies tut er durchgehend mit Rückbezug auf jenen Glauben, der den Heiligen ein für alle Mal überliefert worden ist. Seine Erläuterungen, warum er 1994 das Statement von „Evangelicals and Catholics Together“ unterzeichnet hat und wieso er sich als loyaler Anglikaner 2002 dennoch gegen seine eigene Kirchensynode stellte, stechen aus der Sammlung besonders hervor.

Im dritten Teil von Pointing to the Pasturelands stoßen wir schließlich auf 11 kürzere Texte, in denen Packer auf Leserbriefe antwortet. Noch einmal wird deutlich, wie Theologen idealerweise mit emotionaler Intelligenz, exegetischem Gespür, theologischem Tiefgang und praktischer Lebenserfahrung auf die Glaubensfragen unterschiedlichster Menschen eingehen können. Neben einem Quellen- und Bibelstellenverzeichnis runden Packers Rückblick auf sein eigenes Leben sowie eine Einschätzung des Geschichtsprofessors Mark Noll, der auf Packers Bedeutung für die evangelikale Bewegung weltweit eingeht, den Sammelband ab.

Ein Blick ringsum

Einerseits zeigen Packers griffige Beiträge, wie essenziell es für Christen ist, in der Bibel gegründet zu sein und aus der Kirchengeschichte zu lernen. Die Gemeinde Jesu darf immer wieder zurückblicken und erkennen, was den Glauben und die Gläubigen ausmacht, um sich als Herde des einzig wahren, guten Hirten zu verstehen.

Andererseits geht er noch einen Schritt weiter. Fast in jedem seiner Texte lässt sich sehen, wie Packer die Kirche, die Welt und die Glaubensgeschwister herausfordert, ihre Augen für die wirklich saftigen Weiden zu öffnen. Er ermutigt sie, sich auf den Weg dahin zu machen – trotz oder gerade auch wegen der Herausforderungen der Gegenwart.

Dabei unterstreicht der Brite zwar, wie wichtig eine historisch-orthodoxe Theologie für die Gegenwart ist. Diese ist für Packer aber nie ein Selbstzweck. Auch kernige Kultur- und Kirchenkritik hat bei ihm ihren Platz, doch bleibt sie nicht in der reinen Polemik stecken. Vielmehr möchte Packer bewährte Alternativen zu liberaler Theologie, flacher Frömmigkeit oder einem rein pessimistischen Glauben präsentieren. Beispielhaft malt er den Lesern daher vor Augen, auf welch schöne, gute und richtige Art die christliche Lehre und das Leben in Christus im Hier und Heute zusammenpassen können.

Ein Blick voraus

Der Untertitel, den die Herausgeber für Pointing to the Pasturelands gewählt haben, ist vielsagend: Reflections on Evangelicalism, Doctrine, & Culture (dt. „Überlegungen zu Evangelikalismus, Glaubenslehre und Kultur“). Nicht alle Leser werden in sämtlichen Punkten mit Packer übereinstimmen. Trotzdem lassen sich seine Argumente nicht pauschal abschwächen oder kritisch abtun. Im Gegenteil! Verschiedene Impulse lassen sich wunderbar auf den deutschen Kontext übertragen. Interessierte an der Kirchengeschichte des 20. Jahrhunderts dürften das Buch vor allem als wichtige Quellensammlung wertschätzen. Langjährige Packer-Fans wiederum werden (bei aller Vorsicht vor evangelikaler Heldenverehrung) die gesammelten Beiträge mit viel Genuss lesen.

Zugleich geht es aber um mehr. Die Kolumnen, Artikel und Antwortschreiben eines altgedienten Theologen dürfen die aktuelle und auch die kommende Generation von Bibellesern und Bibellehrern neu motivieren, korrigieren, sensibilisieren und inspirieren. Wie das? Indem wir gemeinsam und lernbereit unseren Blick auf Gottes Wort und auf Gottes Werk in der Vergangenheit richten. So wird es leichter, uns einen unverstellten Blick auf die heutigen Herausforderungen in der Welt, in der Gemeinde Jesu und bei uns persönlich anzueignen. Erst durch den bewussten Blick zurück erhält der Blick ringsum seine Klarheit, und der Blick voraus seinen Sinn.

Die unterschwellige Botschaft von Pointing to the Pasturelands, die daraus folgt, ist am Ende also recht offensichtlich. Sie ist gerade nicht vorwurfsvoll, aber doch ernst gemeint und eine wichtige Erinnerung, ganz im Sinne von Philipper 3,1: Würden wir uns wieder neu auf den wahren Hirten und auf seine wirklich grünen Auen hinweisen lassen, könnten wir umso zuversichtlicher den Blick nach vorne richten und mit Gottes Hilfe gemeinsam mutig vorangehen, egal welche Täler noch vor uns liegen. Dafür hat sich J. I. Packer über Jahrzehnte eingesetzt, ohne sich selbst allzu wichtig zu nehmen. Wer ist bereit, es ihm gleichzutun?

Buch

J.I. Packer, Pointing to the Pasturelands: Reflections on Evangelicalism, Doctrine, & Culture, The Best of Christianity Today, Bellingham: Lexham Press, 2021. Hardcover mit Schutzumschlag, 304 Seiten, ca. 25 Euro; auch für Logos und Kindle erhältlich.

Daniel Vullriede ist fröhlich verheiratet und hat ein Herz für die Menschen und Jesu Gemeinde in Europa, für gesunde Theologie und für gutes Essen.