Gnade in den Paulusbriefen
Das zentrale Motiv der Paulusbriefe ist die Herrlichkeit Gottes in Jesus Christus. Das Evangelium, das Paulus verkündigte, handelt in seinem Kern vom Sohn Gottes, dem Herrn Jesus Christus (Röm 1,2–4). Für Paulus ist das Evangelium von allerhöchster Wichtigkeit (1Kor 15,3) und weil das Evangelium von Jesus Christus handelt, folgt daraus, dass Christus von allerhöchster Wichtigkeit ist. Paulus fasst das Evangelium als die Botschaft zusammen, dass Christus für unsere Sünden gestorben und im Einklang mit dem, was im Alten Testament (1Kor 15,3–4) vorhergesagt wurde, wiederauferstanden ist. Das paulinische Evangelium verkündigt Jesus als Herrn (Röm 10,9) und betont, dass Sünder ihren Glauben auf Jesus als den gekreuzigten und auferstandenen Herrn setzen müssen, um gerettet zu werden (Röm 4,25).
„Die Erlösung ist ein Geschenk Gottes, das dem zuteilwird, der seinen Glauben auf Christus setzt.“
Wegen der für Paulus zentralen Rolle des Evangeliums sollte es uns nicht überraschen, dass die von Christus erwirkte Erlösung unter verschiedensten Gesichtspunkten beschrieben wird. Kein einzelner Begriff, keine einzelne Metapher vermag es, den Reichtum dessen zu erschöpfen, was Christus für uns getan hat. Deshalb wird Christi Heilswerk unter anderem unter den Aspekten der Rechtfertigung, Erlösung, Versöhnung, Adoption, Wiederherstellung, Sühnung, Heiligung, Wiedergeburt, Erwählung und dem Triumph über böse Mächte beschrieben. Jede einzelne dieser Begrifflichkeiten verlangt nach genauerer Ausarbeitung, denn sie färben uns das Bild der Geschichte der Erlösung. Es handelt sich bei all dem nicht einfach nur um abstrakte, theologische Fachbegriffe, wurden wir doch von einem göttlichen Richter für gerecht erklärt, aus Sünde errettet und von ihrer Macht befreit, zu Freunden Gottes gemacht und seiner Familie hinzugefügt. Wir durften mit ansehen, wie Gottes Zorn im Tod von Jesus getilgt wurde, durften Satan und seine Engel überwinden und wurden ins Reich der Heiligkeit versetzt. Wir wurden zu neuem Leben erweckt und von Gott selbst vor Grundlegung der Welt erwählt. Und hinter all diesen Facetten findet sich die Wahrheit, dass wir die Erlösung der Gnade Gottes verdanken. Die Gläubigen haben die Erlösung nicht auf Grund ihrer eigenen Gehorsamkeit oder Aufrichtigkeit erlangt. Die Erlösung ist ein Geschenk Gottes, das dem zuteilwird, der seinen Glauben auf Christus setzt (Eph 2,8–9).
Warum Erlösung notwendig ist
Die Paulusbriefe strahlen im Staunen über das Wunders der Erlösung, das den Gläubigen zuteilgeworden ist, eine Atmosphäre des Lobes und der Danksagung aus. Gläubige sind sich der Tatsache tief bewusst, dass ihnen alle Dinge, an denen sie sich erfreuen dürfen, geschenkt worden sind (1Kor 4,7).
Ihr Lob gründet sich außerdem auf der tiefen Erkenntnis der Sünde, die sie unwürdig macht, Gottes Gnade zu empfangen. Sünde ist im Grunde genommen die Weigerung, Gott Dank und Ehre zu geben (Röm 1,21). Nicht wiedergeborene Menschen geben Gott ihr Leben nicht – stattdessen widmen sie ihre Anbetung und ihre Treue der Schöpfung anstelle des Schöpfers (Röm 1,25). Anstatt Gott-zentriert zu leben, leben sie selbstzentriert und wenden sich daher von Gottes Herrschaft über ihr Leben ab. Mit anderen Worten: Sünde ist Götzendienst.
Die Sünde manifestiert sich zudem ganz konkret in den Leben der Menschen und ist damit keine bloße Abstraktion (Röm 1,24–32). Menschliches Leben wird von Unzucht, Ehebruch, Eifersucht, Zorn, Mord, Streitlust, Zwietracht, Täuschung, Lügen, Diebstahl, Arroganz, Stolz, Habgier und dem Ungehorsam den Eltern gegenüber gekennzeichnet. Anders ausgedrückt: Die Menschen haben darin versagt, Gottes Gesetz zu erfüllen. „Sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie vor Gott haben sollen.“ (Röm 3,23). Gott verlangt völligen Gehorsam, doch nicht einer von uns hat alles gehalten, was sein Gesetz gebietet (Gal 3,10; 5,3). Dem Gesetz nach, das heißt den Werken des Gesetzes nach, wird keiner vor Gott gerecht (Röm 3,20). Das Gesetz kann nicht retten, denn es offenbart die Sünde der Menschen. Bemerkenswerterweise neigen Menschen dazu, sich ihrer Gesetzestreue zu rühmen, obwohl sie Sünder sind (Röm 3,28; 4,1–5; 10,1–8; Phil 3,2–9, Gal 6,12–13; Eph 2,8–9). Diese Neigung offenbart, wie arrogant und verblendet wir Menschen doch sind. Der Glaube allein rettet, denn der Glaube verherrlicht Gott, weil er erkennt, dass Kraft und Stärke nur von ihm allein kommen (Röm 4,20–21). „Was aber nicht aus dem Glauben kommt, das ist Sünde“ (Röm 14,23), denn ein Mangel an Gottvertrauen spricht dafür, dass jemand sich auf das Fleisch und menschliche Leistung stützt und somit dem Menschen und nicht Gott die Ehre gibt.
Die Sündhaftigkeit der Menschen wird im Epheserbrief, Kapitel 2,1–3 aufgezeigt. Vor ihrer Erlösung stehen Menschen unter dem Einfluss der Welt, des Fleisches und des Teufels. Man könnte sagen, Sünde ist soziologisch, psychologisch und geistlich. Soziologisch treiben der Druck und der Einfluss der Welt Menschen dazu, zu sündigen. Psychologisch sind die Begierden in den Herzen der Ungläubigen fleischlich und eigennützig. Geistlich stehen Ungläubige unter der Herrschaft des Teufels und seiner Dämonen (Eph 6,10–19). Es ist daher keine Überraschung, wenn Paulus davon spricht, dass Sünder Sklaven der Sünde sind (Röm 6,6). Ihnen fehlt jegliche Fähigkeit, sich Gottes Gesetz zu unterwerfen und es zu halten (Röm 8,7–8). Menschen sind nicht bloß schwach oder krank, sondern „tot in (ihren) Übertretungen und Sünden“ (Eph 2,1). In der Tat kommen Menschen als Söhne und Töchter Adams auf diese Welt. Wegen der einen Sünde Adams, betreten wir diese Welt geistlich tot und als vor Gott verdammt (Röm 5,12–19). Das menschliche Leben ist nicht grundlegend individualistisch. Wir alle sind Kinder unseres Bundeshauptes Adam und treten daher als solche in die Welt, die vor Gott schuldig und ohne Leben sind.
Die Person Christi und der Heilige Geist
Was Paulus über Sünde schreibt, vermittelt ein eindrückliches Bild der Herrlichkeit der Erlösung, die Christus für die Seinen erworben hat. Eine außergewöhnliche Errettung musste das Werk einer außergewöhnlichen Person sein. Einer Person, Jesus Christus, deren Identität Paulus seinen Lesern offenbart. Er ist der Sohn Davids – der im Alten Testament verheißene Messias (Röm 1,2; 2Tim 2,8), der die Verheißungen erfüllt, die lange zuvor der Königsfamilie von David gemacht wurden. Er ist der zweite Adam, der die Sünde des ersten Adams überwunden und die Seinen mit seiner Gerechtigkeit bekleidet hat (Röm 5,12–19; 1 Kor 15,21–22). Er ist der erhabene Herr, der nach seinem Tod für sein Volk verherrlicht und erhoben wurde (Phil 2,6–11). Er ist der Sohn Gottes, der Gottes wahre Natur teilt (Röm 1,3–4) und daher Gott selbst ist (Röm 9,5; Tit 2,13). Jesus ist das „Ebenbild des unsichtbaren Gottes” (Kol 1,15) und der Schöpfer aller Dinge (Kol 1,16; 1Kor 8,6). Die ganze Fülle Gottes ist in Jesus, wodurch er in allem den Vorrang hat (Kol 1,18).
„Eine außergewöhnliche Errettung musste das Werk einer außergewöhnlichen Person sein. Einer Person, Jesus Christus, deren Identität Paulus seinen Lesern offenbart.“
Das Leben als Christ ist daher radikal Gott- und Christus-zentriert. Was auch immer Gläubige tun, selbst Essen und Trinken, soll zur Ehre Gottes geschehen (1Kor 10,31). Eine andere Art, dies auszudrücken, ist das Gebot an die Gläubigen, alles im Namen Jesu zu tun, „Gott dem Vater Dank durch ihn“ zu geben (Kol 3,17). Wie können Gläubige ein gottgefälliges Leben führen? Gemäß Paulus wird ein solches Leben durch die Kraft des Heiligen Geistes geführt. Gläubige müssen mit dem Heiligen Geist erfüllt sein, um ein Leben zu führen, das von Freude erfüllt und im Einklang mit Gottes Willen ist (Eph 5,18). Wenn sie im Geist wandeln, sich dem Geist beugen, mit ihm im Einklang marschieren und auf ihn sehen, überwinden sie die Begierden des Fleisches (Gal 5,16, 18, 25; 6,8) Der Geist des Herrn bringt denen, die in ihm wandeln, Freiheit, den Willen des Herrn zu tun (2Kor 3,17; Röm 8,4). Paulinische Theologie ist demnach radikal trinitarisch – die große Erlösung, an der wir teilhaben dürfen, ist ein Werk des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Die Gemeinde
„Gläubige werden nicht für die Isolation gerettet. Es war schon immer Gottes Absicht, ein Volk zu seiner Herrlichkeit zu erretten – die Gemeinde Jesu Christi.“
Gläubige werden nicht für die Isolation gerettet. Es war schon immer Gottes Absicht, ein Volk zu seiner Herrlichkeit zu erretten – die Gemeinde Jesu Christi. Paulus betont, dass die Gemeinde Gott Ehre bringt (Eph 2,7; 3,10). Die Gemeinde wird Leib Christi (1Kor 12,27) und Gottes Tempel (1Kor 3,16) genannt. Die Einheit der Gemeinde ist Paulus besonders wichtig. Deshalb ermahnt er die Gläubigen, einander zu erbauen, wenn sie zusammenkommen (Eph 4,11–16; 1Kor 12–14). Der Geist gibt Gläubigen Gaben, damit sie sich gegenseitig ermutigen und erbauen, nicht um die eigene Frömmigkeit oder Begabung in den Vordergrund zu rücken. Schwache wie starke Geschwister sollten bedenken, was liebend ist und sich davon fernhalten, die eigenen Verlangen und Ansprüche durchzusetzen (1Kor 8–10, Röm 14–15).
Die Endzeitlehre
Ein Kernaspekt paulinischer Theologie ist die Endzeitlehre. Endzeitlehre sollte nicht auf die „letzten Dinge“ beschränkt werden, denn für Paulus sind die letzten Tage mit dem Tod und der Auferstehung Christi angebrochen. Sie sind angebrochen, aber noch nicht in Jesus Christus vollendet worden. Gläubige leben demnach in einer Übergangszeit zwischen dem “Jetzt” und dem “noch nicht”. Sie sind bereits gerettet und erwarten die Fülle ihrer Errettung am jüngsten Tag (Röm 5,9). Sie sind erlöst und erwarten ihre endgültige Erlösung – die Auferstehung des Leibes (Röm 8,23; Eph 1,7). Vollkommenheit wird im Jetzt nicht das Merkmal des Gläubigen sein, trägt doch ein jeder noch seinen sterblichen Leib und erwartet seine endgültige Heiligung (Phil 3,12–16; 1 Thess 5,23–24). Dennoch wird den Gläubigen eine sichere Hoffnung zuteil. Jesus wird wiederkommen und all jene, die auf ihn vertrauen, werden von den Toten auferweckt werden (1Thess 4,13–18). Der Tod wird als letzter Feind besiegt werden (1Kor 15,26) und alle, die Christus den Glauben verweigert haben, sehen einem ewigen Gericht entgegen (2Thess 1,5–10), während alle Gläubigen eine Freude erwartet, die niemals ein Ende finden wird.