Wir brauchen eine Revolution der Liebe

Abtreibungen mit christlicher Nächstenliebe begegnen

Artikel von Rebecca McLaughlin
30. September 2022 — 6 Min Lesedauer

Einer der aussagekräftigsten Indikatoren für den Stellenwert der Frau in der antiken Welt ist die zur damaligen Zeit weit verbreitete Praktik des Aussetzens weiblicher Babys.

Das Aussetzen kleiner Mädchen führte in der graeco-römischen Welt zu einem Ungleichgewicht der Geschlechter. Durch den Brief eines römischen Soldaten an seine Frau aus dem Jahr 1 n.Chr. erhalten wir einen ernüchternden Einblick in dieses Vorgehen. Der ansonsten liebevolle Brief beinhaltet die Anweisung: „Zuallererst, wenn du ein Kind bekommst und es ein Junge wird, lass es leben; wenn es ein Mädchen wird, wirf es hinaus.“

Babys mit Behinderungen wurden ebenfalls entsorgt. In der Tat sprach sich der griechische Philosoph Aristoteles für ein Eugenik-Gesetz aus: „Lasset da ein Gesetz sein, dass es keinem entstellten Kind erlaubt sein soll, zu leben.“

Die Vorstellung, weibliche Baby auszusetzen, ist uns fremd. Und dennoch sehen wir die Fortführung dieser Praktik in den zwei größten, noch nicht nennenswert vom Christentum beeinflussten Ländern der Erde.

„Jesu Wertschätzung gegenüber Babys ist genauso bemerkenswert wie seine Wertschätzung gegenüber Frauen.“
 

Die chinesische Kirche wächst so rasant, dass sie die chinesische Kultur innerhalb der nächsten Generation umgestalten könnte. Trotzdem haben selektive Abtreibungen und Infantizide in den vorherigen Generationen zu einer Kluft von über 35 Millionen mehr Männern als Frauen geführt. Auch in Indien, wo der Hinduismus dominiert, beträgt der (durch selektive Abtreibungen und Infantizide verursachte) numerische Unterschied zwischen Männern und Frauen 25 Millionen Menschen.

Was also hat unsere Sicht auf das Aussetzen von Babys im Allgemeinen und das Aussetzen kleiner Mädchen im Speziellen verändert? Jesus. Jesu Wertschätzung gegenüber Babys ist genauso bemerkenswert wie seine Wertschätzung gegenüber Frauen.

Jesus schätzt Frauen und Kinder wert

Gleich nachdem Jesus gegen Ehescheidung gepredigt hatte (eine Praktik, die alleingelassene Frauen und Kinder hinterließ), versuchten Leute ihre Kinder zu ihm zu bringen, damit er sie segne (vgl. Mt 19,3–15; Mk 10,2–16). Lukas berichtet, dass „sogar kleine Kinder” zu ihm gebracht wurden (Lk 18,15). Jesu Jünger wiesen sie ab. Jesus aber wies sie zurecht:

„Lasset die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn solchen gehört das Reich Gottes. Wahrlich, ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen.“ (Mk 10,14–15)

Dann nahm Jesus die Kinder und Babys in seine Arme und segnete sie.

Wir spüren den Schock dieser Worte und Taten nicht, seine Zuhörer aber schon. Paul Offit, ein nicht-christlicher Professor für Kinderheilkunde an der Universität von Pennsylvania, nennt das Christentum „den größten Durchbruch gegen Kindesmisshandlung“ in der Geschichte. Seine Erklärung:

„Zur Zeit Jesu … war Kindesmisshandlung, wie ein Historiker anmerkt, ‚das lauteste Laster des römischen Reiches.‘ Infantizid war weit verbreitet. Aussetzen war weit verbreitet … Kinder waren Besitz, nicht anders als Sklaven. Jesus aber stand für Kinder ein, er sorgte sich um sie, wenn seine Zeitgenossen es üblicherweise nicht taten.“

Dem Beispiel Jesu folgend lasen die frühen Christen Babys auf, die von anderen ausgesetzt worden waren. Und als (zur Überraschung aller) der römische Kaiser Konstantin Christ geworden war, wurden rechtliche Schutzbestimmungen für Frauen und Kinder eingeführt.

Die Armut in Angriff nehmen

Im frühen vierten Jahrhundert erließ Konstantin Gesetze zum Schutz der Frau vor unbegründeter Scheidung und der Fürsorge für arme Kinder: „Sollte irgendein Vater oder eine Mutter berichten, dass die eigenen Nachkommen wegen Armut nicht ernährt werden können, sollen Essen und Kleidung ohne Verzögerung herausgegeben werden“ (Codex Theodosianus, II.27.1–2).

„Um das Problem der Abtreibung zu lösen, bedarf es nicht nur der Umkehrung eines einzelnen Gesetzes. Wir brauchen eine Revolution der Liebe.“
 

Der Historiker John Dickson merkt an, dass Konstantin Kirchen „als Verteilungszentren seines Wohlfahrtprogramms“ gebrauchte. Kindstötung wurde 374 n.Chr. unter einem nachfolgenden Kaiser zum Tötungsdelikt.

In unserer Kultur finden sich Lebensrechtler oft mit dem Vorwurf konfrontiert, sie würden sich nicht um bedürftige Frauen und Kinder nach der Geburt kümmern. Doch die erste Pro-Life-Gesetzgebung der Geschichte folgte auf Gesetze zum Schutz der Frau vor dem Verlassenwerden und der Fürsorge für arme Familien. Konsequente christliche Ethik muss alle diese Dinge miteinbeziehen.

Es ist kein Zufall, dass im Markus- und im Matthäusevangelium auf Jesu Lehre über die Ehe und das Aufnehmen der Kinder die Geschichte vom reichen Jüngling folgt: Jesus fordert ihn auf, alles zu verkaufen und es den Armen zu geben. Heute, wie auch im ersten Jahrhundert, bringen zwei zusammenhängende Faktoren Babys in Gefahr: Armut und Vaterlosigkeit.

Im Jahr 2018 waren 85 Prozent der Frauen in den Vereinigten Staaten, die eine Abtreibung suchten, unverheiratet und etwa drei Viertel lebten unterhalb oder knapp über der bundesweiten Armutsgrenze. Wegen größtenteils historisch bedingter Ungleichheiten werden schwarze Babys mehr als dreimal so oft abgetrieben wie weiße Babys. Diese kleinen, schwarzen Leben sind wertvoll. Doch anstatt den Müttern mit Unterstützung zur Hilfe zu kommen, entscheidet sich unsere Gesellschaft für die Schnelllösung der Abtreibung.

Glücklicherweise sinkt die Abtreibungsrate in Amerika – 2018 erreichte sie ihren bisher tiefsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen. Doch auch dieser steht noch immer für 619.691 verlorene Leben.

Wir brauchen mehr Kinder

Darüber hinaus ist die Abtreibung bei Weitem kein öffentliches Gut. Sie drückt die bereits eklatant niedrige Geburtenrate noch weiter nach unten. Mit einer Geburtenrate von 1,78 Kindern pro Frau – weit unter dem Ersatzniveau von 2,1 – sitzen die Vereinigten Staaten auf der demographischen Zeitbombe einer überalternden Gesellschaft.

Um es klarzustellen: Der Wert eines Lebens lässt sich nicht mit ökonomischen Messwerten bestimmten. Doch im Gegensatz zum gängigen Mythos, dass Kinder eine Bürde für die Gesellschaft darstellen, brauchen wir, aus rein wirtschaftlicher Perspektive, mehr Kinder.

Die meisten Frauen wollen ebenfalls mehr Kinder. In Amerika „ist die Diskrepanz zwischen der Anzahl der Kinder, die eine Frau haben möchte (2,7), und der Anzahl der Kinder, die sie tatsächlich haben wird (1,8), auf dem höchsten Stand seit 40 Jahren“, schreibt die New York Times.

Entgegen der verbreiteten Vorstellung, die meisten Abtreibungen seien Teenagerschwangerschaften geschuldet, wären die meisten abtreibenden Frauen mit der richtigen Unterstützung in der Lage, diese Kinder großzuziehen.

Die Bibel ruft uns nicht dazu auf, einer pseudo-christlichen Vergangenheit nachzuweinen, in der der Westen vermeintlich von christlichen Normen beherrscht wurde, Männer aber zu oft dafür entschuldigt wurden, mit Prostituierten oder Dienstmädchen zu schlafen und schwangere Frauen zu Tausenden zu verlassen. Sie ruft uns nicht dazu auf, eine Welt zu gestalten, in der unverheiratete Mütter verachtet, ausgegrenzt oder zu Hinterhof-Abtreibungen gezwungen werden.

Gott ruft uns stattdessen dazu auf, eine Welt zu gestalten, in der Frauen Männern ungeachtet ihres Familienstandes gleichgestellt sind, schwangere Frauen unterstützt werden, Männer dazu aufgerufen sind, entweder treue Ehemänner oder treue Singles zu sein und in der Babys wertgeschätzt und versorgt werden, nicht nur von ihren biologischen Eltern, sondern auch von ihrer geistlichen Familie.

Um das Problem der Abtreibung zu lösen, bedarf es nicht nur der Umkehrung eines einzelnen Gesetzes. Wir brauchen eine Revolution der Liebe.