Der schwierigste Teil des Mutterseins
Keiner hatte mich gewarnt. Niemand hatte mir gesagt, was mich erwarten würde, nachdem ich meinen Kindern beigebracht hatte, die Nacht durchzuschlafen, nachdem ich sie den freundlichen Umgang mit anderen und den Wert harter Arbeit gelehrt hatte, nachdem ich ihnen die Freude am Lesen und am lebendigen Wort weitergegeben hatte, nachdem ich fest entschlossen alles für ihre Seelen investiert und mich selbst hingegeben hatte. Ich war nicht darauf vorbereitet, dass der schwierigste Teil des Mutterseins noch vor mir lag: das Loslassen meiner Kinder.
Der schwierigste Teil des Mutterseins kam für mich, als unsere Vögelchen aus dem Nest flogen. Es ist nicht so, dass ich mich nicht darauf gefreut hätte. Welche Mutter sehnt sich nicht nach ungestörten Nächten und nach Tagen, an denen sie nicht für die Sicherheit und das Glück ihrer Kinder verantwortlich ist? Wer freut sich nicht auf Verabredungen ohne Babysitter, auf das Kochen und Wäschewaschen für nur zwei Personen, auf ununterbrochene Gespräche mit dem Ehemann ohne darauf achten zu müssen, was kleine Ohren hören könnten?
Ray und ich hatten uns mit ganzem Herzen der Erziehung unserer vier Kinder verschrieben, in der Hoffnung, sie eines Tages auszusenden, damit sie unserem liebenden Herrn dienten, wie er es von ihnen verlangt. Ich gebe zu, dass ich mich in jenen Tagen intensiver Elternschaft auf ein gemäßigteres Lebenstempo gefreut habe. Als die Zeit kam, in der sie einer nach dem anderen aufs College gehen oder sich mit der Heirat endgültig von uns verabschieden sollten, zogen sie beflügelt in ihre Zukunft hinaus. Mit Gottes Hilfe hatten wir sie darauf vorbereitet. Das Problem war nur, dass ich mich selbst nicht vorbereitet hatte!
Klammere dich an ihn, nicht an sie
Ich hatte mich nicht auf das Fehlen ihrer wundervollen Gesichter an unserem Esstisch vorbereitet, auf das Ausbleiben der täglichen gegenseitigen Fürsorge und Liebe, darauf, dass sie nicht mehr Teil unserer Gebetszeiten und Familienandachten sein würden. Jedes Mal, wenn wir für einen der angehenden Erwachsenen einkauften und für das College packten, wollte ich am liebsten sagen: „Nein! Ihr könnt doch nicht schon 18 sein! Wir sind doch erst letzte Woche mit dir aus dem Krankenhaus gekommen!“ Und ich machte mir ständig Sorgen: „Habe ich genug getan, genug gesagt, bin ich genug gewesen?“ Ich hatte Angst um sie und ich hatte Angst um mich. Diese Angst führte dazu, dass ich sie in meiner Nähe behalten wollte. Wer würde sie leiten, sie korrigieren, sie unterstützen?
„Ich musste lernen, mich fester an Jesus zu klammern, während ich jedes Kind losließ.“
Also musste ich mir selbst predigen, was ich meinen Kindern schon unzählige Male gesagt hatte: Eure Seele wird allein in Gott wahre Ruhe finden. Schaut nicht auf irgendeine andere Sache oder Person oder Errungenschaft, um euer eigentliches Glück zu finden. Nur Gott wird durch Jesus Christus eure tiefsten Bedürfnisse stillen. Klammere dich an ihn. Oft habe ich mich an Psalm 62,1–2 gehalten: „Auf Gott allein wartet meine Seele in der Stille; von ihm kommt mein Heil. Er allein ist mein Fels und mein Heil, meine Festung; ich werde nicht erschüttert werden.“
Es ist unseren Kindern gegenüber ungerecht, wenn wir ihnen einen wichtigeren Platz in unserem Herzen einräumen als Jesus Christus. Eine solche Verantwortung ist zu groß für sie. Ich musste lernen, mich fester an Jesus zu klammern, während ich jedes Kind losließ.
Wenn Erziehung aufhört, muss Hingabe wachsen
Wie bei den meisten jungen Müttern waren meine Tage gefüllt mit elterlicher Erziehung und Disziplinierung. Ich bestand darauf, dass meine Kinder mir sofort gehorchten, wenn ich sie darum bat, damit sie als Erwachsene Gott ohne Widerrede oder Zögern gehorchen würden. Ich lehrte sie, ihre Betten zu machen und ihre Zimmer aufzuräumen, um sie darauf vorzubereiten, eines Tages einen Haushalt zu führen. Ich wollte, dass sie begriffen, dass gute Ernährung und gesundes Spiel Gott ehren, weil ihr Körper als Tempel des Heiligen Geistes geschaffen wurde. Ich half ihnen, ihre Sexualität zu verstehen und freudig darauf zu warten, wie eine glückliche Ehe für sie in den kommenden Jahren aussehen könnte.
Aber nun war die Zeit der Erziehung vorbei. Zu disziplinieren war nicht mehr meine Aufgabe. Es war also Zeit für etwas Neues: für eine Aufgabe tiefer Hingabe. Ich übernahm eine neue Rolle als ihre wichtigste Ermutigerin und Unterstützerin. Ich musste mich zurücknehmen und ihnen zutrauen, wichtige Lebensentscheidungen ohne meine mütterliche Einmischung zu treffen. Tiefere Hingabe bedeutete, sie freizugeben, anstatt sie mit Schuldgefühlen zu überhäufen oder ihnen meine Vorlieben aufzudrängen.
Ich hatte selbst die Chance gehabt, mich zu entscheiden – für ein College, einen Beruf, einen Ehemann. Warum sollten wir sie der Vorrechte berauben, für die wir sie von klein auf ausgebildet hatten? Jetzt waren sie an der Reihe und das bedeutete für mich, meine Zunge zu zügeln.
Weniger reden, mehr beten
Als die Kinder jünger waren, war meine Erziehungsmethode „Zeigen und Sagen“. Ich zeigte ihnen etwas und erklärte ihnen, warum oder wie wir es tun würden. Jetzt, wo sie erwachsen sind, zeige ich es ihnen einfach, so bescheiden wie ich kann. Ich versuche – wenn auch unvollkommen – die Art von Mutter zu sein, die Gott für unsere Enkelkinder will.
„Das bedeutet, dass wir weniger reden und mehr beten.“
Das heißt aber nicht, dass ich nicht über Situationen, Menschen und Entscheidungen spreche. Es bedeutet nur, dass ich mit Gott darüber spreche, anstatt dass (oder zumindest bevor) ich mit meinem Kind spreche. In meinem Gebetsbuch führe ich für jedes Mitglied unserer Familie eine Seite mit Bitten, Herzenswünschen und Bibelversen, um deren Erfüllung in ihrem Leben ich Gott bitte. Ich trage ihm meine Ängste und Sorgen vor. Wäre es nicht besser, wenn die elterliche Führung von ihrem himmlischen Vater käme als von einem irdischen Elternteil? Sein Beistand ist perfekt.
Ray und ich gehen auf die 70 zu. Bald wird unser Leben zu Ende sein. Wir beten, dass Gott unseren Kindern helfen möge, „auf ihren Weg zu achten und in Treue vor mir zu wandeln, von ganzem Herzen und von ganzer Seele“ (1Kön 2,4). Wir haben sie losgelassen, damit sie der Sache Christi in ihrer Generation dienen, hoffentlich ohne subtilen Druck von uns, wie das unserer Meinung nach aussehen sollte. Jetzt können sie Gott persönlich danach fragen, was sie studieren, wen sie heiraten, wo sie leben, wie sie ihr Geld, ihren Urlaub und ihre Energie gebrauchen sollen. Das bedeutet, dass wir weniger reden und mehr beten.
Leeres Nest, volles Leben
Obwohl mein Nest jetzt leer ist, ist mein Leben tatsächlich reicher geworden. Da meine Aufgaben zu Hause weniger geworden sind, kann ich mehr in unserer Heimatgemeinde dienen, vor allem in der Kinderarbeit. Ich habe mehr Zeit, mich mit jungen Frauen zu treffen und sie durch Gespräche und persönliche Zuwendung zu ermutigen, sich an Jesus zu halten und ihre Männer und Kinder zu lieben. Ich habe mehr Zeit, auch außerhalb unserer Gemeinde zu dienen, indem ich auf Reisen gehe, um Vorträge zu halten. Die Energie, die ich früher für meine eigenen Kinder brauchte, kann ich jetzt außerhalb unseres Hauses zur Ehre Christi einsetzen. Und unsere Kinder kommen häufig mit ihren eigenen Kindern zu uns nach Hause. Was haben wir dann für einen Spaß! Wir können gemeinsam essen, spielen, lesen und beten. Es gibt nichts Schöneres. Und zwischen ihren Besuchen bleibe ich mit Karten und Geschenken, mit Telefongesprächen und Besuchen bei ihnen zu Hause in Verbindung. Wir wollen die kommenden Generationen weiterhin dazu bringen, ihre Hoffnung auf Gott zu setzen (vgl. Ps 78,7).
Ja, dies war für mich die schwierigste Phase des Mutterseins, aber auch die herrlichste, und sie kann auch für dich herrlich werden. Zu sehen, wie deine Kinder den Herrn lieben, gottesfürchtige Ehepartner heiraten und ihr Leben mit Blick auf die Ewigkeit investieren, ist alles wert. Ray und ich finden uns in Davids Frage an Gott wieder (2Sam 7,18): „Wer bin ich, Herr, Gott, und was ist mein Haus, dass du uns so weit gebracht hast?“