Ein Gott geweihtes Leben

Rezension von Jonathan Malisi
6. Oktober 2022 — 8 Min Lesedauer

„Noch so ein frommes Buch über Heiligung? Vielleicht eine Mischung aus Lebenstipps und Stress für Jesus?“ Diese Fragen kommen nicht nur bezüglich des Themas, sondern auch des ungewöhnlichen Untertitels „Blaupausen zur Heiligung“ auf. Kann es bei Glaubensthemen so etwas wie „Blaupausen“ überhaupt geben? Formuliert Ferguson in diesem Buch abgedroschene Standard-Tipps für ein gelingendes Leben mit Gott?

Blaupausen für Heiligung – was soll das sein?

Hat man das Buch erst einmal in die Hand genommen und die ersten Seiten gelesen, dann verflüchtigt sich diese Sorge schnell. Bereits im Vorwort formuliert der Autor nämlich seine Hauptthese, die den Grundtenor des Buches bestimmt:

„Im Gegensatz zu den heutigen Erwartungen sagt das Neue Testament relativ wenig darüber aus, ‚wie‘ man sein Glaubensleben führen soll, auch wenn es nicht wenig über das ‚wozu‘ sagt.“ (S. 13)
„Heiligkeit bedeutet Freude und Erfüllung. Danach zu streben bedeutet nicht Verzicht, sondern Gewinn.“
 

Laut Ferguson möchte das Neue Testament „vielmehr unser Denken verändern, sodass sich daraus organisch ein neuer Lebensstil entwickelt“ (S. 13). Darin liegt auch das signifikante Alleinstellungsmerkmal des Buches. Über zehn Kapitel hinweg entfaltet Ferguson anschaulich anhand von jeweils einer Schlüssel-Passage (sieben aus den Paulusbriefen und je einer aus dem 1. Petrusbrief, dem Matthäus-Evangelium und dem Hebräerbrief), was das Neue Testament in seiner Gesamtheit über Wesen und Ziel der Heiligung lehrt. Eine umfassende Besprechung aller Kapitel würde den Rahmen dieser Rezension sprengen. Daher seien an dieser Stelle drei exemplarisch herausgegriffen, die helfen, einen Gesamteindruck der Stärken und Schwächen des Buches zu gewinnen:

Was bedeutet „heilig“ eigentlich?

In Kapitel 1 („Der Grundriss“) zeichnet Ferguson ausgehend von 1. Petrus 1,1–25 sehr anschaulich nach, was, biblisch betrachtet, eigentlich mit dem Wort „heilig“ gemeint ist. Er setzt nicht einfach voraus, dass unsere Vorstellungen davon mit denen von Gott übereinstimmen. Seine Ausführungen mit diesem Text zu eröffnen, muss man als eine theologisch und didaktisch weise – ja, sogar brillante – Entscheidung loben. Es bereitet große Freude, durch Ferguson von Petrus und schlussendlich von Gott selbst erinnert zu werden, zu welchem Leben man als Christ berufen ist: Heiligkeit bedeutet Freude und Erfüllung. Danach zu streben bedeutet nicht Verzicht, sondern Gewinn:

„Wenn Heiligkeit unser himmlisches Glück ist und wahres Glück letztlich Heiligkeit bedeutet, dann wird die Aussicht auf die Zukunft unser Leben auch im Hier und Jetzt beeinflussen und prägen.“ (S. 51)

Theologisch ausgedrückt: Ferguson widmet dem Indikativ (dass Gläubige in Christus bereits heilig sind) viel Raum und setzt ihn ins richtige Verhältnis zum Imperativ (dass wir mehr werden sollen, was wir bereits sind). Gerade wenn man jemandem mit Fragen zur (vermeintlichen?) Spannung zwischen Heilsgewissheit und Heiligung beistehen und helfen möchte, ist es wertvoll, so pointierte Ressourcen zur Hand zu haben.

Mit diesem ersten, grundlegenden Kapitel legt Ferguson seine theologischen Karten auf den Tisch, räumt die Befürchtung von „Heiligungsstress“ aus und stiftet Mut und Freude zu einem heiligen Leben mit und für Gott. Für den Autor ist Heiligung schließlich kein Selbstzweck oder unsere Seite eines „Deals“ mit Gott, sondern Ausdruck unserer bereits bestehenden Gemeinschaft mit ihm.

Brauchen Christen das Gesetz, um heilig leben zu können?

Manche Fragen stellen sich mir beim Lesen von Kapitel 8 („Das Gesetz geht tief“; die „Blaupause“ dazu ist Mt 5,17–20): Gewinnbringend ist dieses Kapitel, weil Ferguson hier auf sehr kompaktem Raum einen prägnanten Überblick über die reformierte Argumentation für die fortlaufende Geltung des Sinai-Gesetzes gibt.

Je nachdem, ob man die Vorannahmen des Autors teilt, kann man seinen Standpunkt teilen oder nicht. Persönlich konnte er mich nicht überzeugen: Zwar bemüht er sich hier seitenweise um eine Unterscheidung verschiedener Aspekte der mosaischen Gebote und beharrt darauf, dass es bleibenden und bindenden Wert für Christen hat. Ich frage mich bei dieser Ansicht jedoch, wo denn dann das Neue am Neuen Bund bleibt?

Zugutehalten muss man ihm dabei, dass er nicht von der üblichen Dreiteilung in Moral-, Zeremonial- und Judizialgesetz, sondern „Dreidimensionalität“ des mosaischen Gesetzes ausgeht. Paradigmatisch für diese (hermeneutisch und biblisch-theologisch doch nicht unerhebliche) Diskussion ist die Spannung, die der Autor meines Erachtens unnötig zwischen der Bergpredigt und dem mosaischen Gesetz erzeugt.

Dennoch muss auch im Blick auf dieses Kapitel hervorgehoben werden, dass Ferguson das Evangelium als Treibstoff für Heiligung groß machen will, was ihm wirklich ausgezeichnet gelingt. Auch das Vertrauen in die Unveränderlichkeit Gottes und den moralischen Nutzen des Alten Testaments als Garant und Orientierungspunkt für unser Leben als Nachfolger Jesu stärkt er durch dieses Kapitel enorm.

Gottes Ziel: eine neue, heilige Familie

Das letzte Kapitel hat der Autor der Auslegung eines einzigen Verses gewidmet, nämlich Römer 8,29. Die treibende Frage darin lautet: Welches letztendliche, große Ziel verfolgt Gott mit unserer fortlaufenden Heiligung? Die Antwort, die das Kapitel durchzieht, lautet: Ziel unserer Heiligung ist es, schlussendlich wie Jesus Christus zu werden.

„Ziel unserer Heiligung ist es, schlussendlich wie Jesus Christus zu werden.“
 

Besonders ermutigend ist, dass es Ferguson gelingt, unsere individuelle, persönliche Heiligung theologisch in den Zusammenhang der Gemeinde einzubetten. Durch seine Ausführungen zeigt er auf, dass Gott sich durch Jesus in der Gemeinde eine neue Menschheit geschaffen hat. Weil wir wortwörtlich „mit Leib und Seele“ zu Jesus gehören, wird unsere Umwandlung in das Bild Jesu durch die Auferstehung vervollständigt und der Heiligungsprozess endgültig abgeschlossen.

Bedenkenswert ist auch die Betonung, dass Jesus ähnlicher zu werden sowohl einen aktiven (Was bedeutet es, so zu leben wie Jesus?) als auch einen passiven Aspekt umfasst (Jesus wird man durch Leiden ähnlicher.). Dass Leid Teil von Gottes Plan zu unserer Heiligung ist und uns nicht einfach trifft, ist wahrscheinlich einer der am schwersten zu verdauenden Aspekte biblischer Blaupausen zur Heiligung. Es ist kostbar, weil realitätsnah, dass Ferguson auch darauf zu sprechen kommt.

Lesenswerte Anhänge

Die fünf Anhänge am Ende des Buches sind nützlich und lesenswert. Besonders Anhang 1 („Die Trinität im Neuen Testament“) hat mich beeindruckt, da dieser nicht nur einen kompakten Überblick des neutestamentlichen Befundes zur Dreieinigkeit bietet, sondern auch zusammen mit Kapitel 1 die Relevanz des innersten Wesens Gottes für ein heiliges Leben aufzeigt. Gerade wenn man als Pastor, Elternteil oder Jugendleiter mit Fragen zu diesem Themenkomplex aus der Gemeinde konfrontiert ist, bieten Fergusons Ausführungen einen validen Ausgangspunkt, um nicht allein bei biblisch-korrekten Antworten zu bleiben. Erfahrungsgemäß scheitert ein grundlegendes Verständnis der Trinität nämlich nicht an „Belegstellen“, sondern eher daran, was sich durch die Dreieinigkeit Gottes an unserem Leben tatsächlich ändert. Dem Autor gelingt es, diese Verbindung neutestamentlich solide und nachvollziehbar aufzuzeigen. Dafür muss man Ferguson wirklich danken.

Ein Plädoyer, sich durch das Evangelium verändern zu lassen

Wie bereits betont, muss man Ferguson nicht bei allen theologischen Ausführungen und Standpunkten zustimmen, um von seinem Buch profitieren zu können. Die Lektüre der zehn Kapitel mit gründlicher, aber nicht ausschweifender Auslegung und Anwendung kann und sollte man auf mehrere Tage verteilen. Da Ferguson sich an den biblischen Texten abarbeitet und nicht bloß über sie schreibt, empfiehlt es sich, es ihm gleichzutun und das Buch mit einer offenen Bibel durchzuarbeiten.

Vor allem gelingt es dem Autor, ein evangeliumszentriertes Bild von Heiligung zu skizzieren. Diesem Anspruch, den man bei Titel und Zielsetzung des Buches gerne erheben darf, wird Ferguson umfassend gerecht. Weil Heiligung oft nur als fromme Worthülse gebraucht wird oder manch ungute Erinnerungen an pietistische Forderungen auslöst, bietet Ein Gott geweihtes Leben ein gleichermaßen notwendiges wie auch ausgewogenes Grundlagenwerk.

Die Übersetzung liest sich flüssig, was mit Sicherheit auch dem verständlich gehaltenen Stil des Autors zu verdanken ist. Dennoch sei hier auch dem Übersetzer für seine gute Arbeit gedankt, die das Buch einer größeren Leserschaft zugänglich macht. In der nächsten Auflage sollten jedoch kleine Makel, die den Lesefluss stören und die weiterführende Arbeit mit dem Buch ins Stocken bringen, behoben werden. Ein nochmaliges Lektorat durch einen Theologen hätte dem Buch in dieser Hinsicht gutgetan. Auf keinen Fall soll damit jedoch der herausragende Wert infrage gestellt werden, den Fergusons Werk darstellt.

Seelsorgerlich und theologisch

Ein Gott geweihtes Leben ist insgesamt ein lesenswertes Buch, welches vor allem durch seine einzigartige Herangehensweise einen echten Mehrwert darstellt. Besonders lohnend dürfte es für Seelsorger und Pastoren sein, die nach einer kompakten Darlegung suchen, die sich auf wenige Passagen konzentriert, dafür aber viel Tiefgang hat. Ferguson ist zugutezuhalten, dass er gründlich durchdachte, auf Anwendung abzielende Theologie an der Schnittstelle von Bibelauslegung und alltäglicher Jesus-Nachfolge vermittelt. Darum wird er verhältnismäßig wenig konkret und liefert kein Nachschlagewerk oder Kompendium für spezielle, seelsorgerliche Fragestellungen, sondern skizziert vielmehr neutestamentliche „Blaupausen“ nach. Als Ausgangspunkt für eine kompakte Themenreihe (im Hauskreis, als Predigtreihe oder zur Bibelarbeit mit jungen Christen) stellt es aber eine wahre Fundgrube dar.

Für meinen persönlichen Dienst als Pastor in der Arbeit mit jungen Menschen hat es mir vor allem geholfen, die entscheidenden Kernpunkte und -passagen bezüglich persönlicher Heiligung ausgewogen im Auge zu behalten. Mit der Bibel in der einen und Ein Gott geweihtes Leben in der anderen Hand ist man gut ausgerüstet, auf das Zentrum von Heiligung zu sprechen zu kommen: ein Leben voller Freude mit und für den dreieinigen Gott der Bibel – ein gottgeweihtes Leben.

Buch

Sinclair B. Ferguson, Ein Gott geweihtes Leben. Blaupausen zur Heiligung, Waldems: 3L Verlag, 2022, 372 Seiten, 16,50 Euro.
Das Buch kann auch direkt beim Verlag bestellt werden.