How to Find Yourself

Rezension von Joseph McMahon
1. Dezember 2022 — 4 Min Lesedauer

„Wer bin ich?“ – Das ist eine Frage, die eine ganze Generation bestimmt, zumindest im Westen. Wie findet man die Antwort und an wen ist die Frage überhaupt gerichtet? Intuitiv würden viele wohl sagen: „Wenn du wissen möchtest, wer du bist, dann musst du dich mit dir selbst beschäftigen. Letzten Endes kannst nur du selbst eine Antwort auf diese Frage finden.“ Aber stimmt das? Ist der Blick nach innen wirklich der beste Weg, um herauszufinden, wer man ist? In seinem Buch How to Find Yourself plädiert Brian Rosner, Rektor des Ridley College in Melbourne, dafür, dass der Blick nach innen nicht ausreicht. Man muss vielmehr nach oben schauen, denn Gott kennt uns besser, als wir uns selbst je kennen könnten.

Vier einfache Schritte

Die Frage nach unserer Identität ist nicht nur eine notwendige und persönliche, sondern auch eine, die in viele verschiedene Lebensbereiche vordringt. Sie besitzt damit Tiefe und Breite. Rosner steht also vor einer großen Herausforderung, wenn er versucht, die Frage der Identitätsfindung auf ungefähr 200 Seiten zu behandeln. Sein Vorgehen wie auch seine Art zu schreiben sind dabei leicht verständlich. Er geht in seinem Buch vier Schritte:

„Die Menschen im Westen stehen vor einer kollektiven Identitätskrise, weil sie bei der Suche nach sich selbst nur nach innen schauen.“
 

Zuerst zeigt er das Problem auf: Die Menschen im Westen stehen vor einer kollektiven Identitätskrise, weil sie bei der Suche nach sich selbst nur nach innen schauen. Dadurch hat unsere Selbstwahrnehmung die zentrale Rolle bei der modernen Identitätsfindung eingenommen. Schließlich besteht einer der größten Werte unserer Zeit darin, sich selbst treu zu sein, indem man so lebt, wie man sich selbst wahrnimmt. Diesen Blick nach innen, um die äußere Realität des Lebens zu gestalten, bezeichnet Rosner als „Expressiven Individualismus“. Damit antworten wir jedoch falsch auf die Frage: „Wie finde ich mich selbst?“

In den nächsten beiden Schritten entfaltet der Autor dann eine alternative Antwort auf seine Frage. Dabei zeigt er wunderbar auf, dass Menschen von Natur aus soziale und narrative Wesen sind. Dass wir soziale Wesen sind, bedeutet für unsere Identität, dass sie durch die Begegnung und Auseinandersetzung mit anderen Menschen geformt wird. Wir müssen uns selbst durch die Augen von anderen betrachten, um herauszufinden, wer wir sind. Dass wir narrative Wesen sind, bedeutet für unsere Identitätsfindung, dass wir uns als Teil einer Geschichte verstehen müssen, die größer ist als wir selbst. Diese beiden Aussagen bilden das inhaltliche Zentrum des Buches. Gerade hier zeigt sich auch eine besondere Stärke Rosners: Er schreibt und argumentiert auf eine Art und Weise, die biblisch begründet und dennoch für Nicht-Christen gut zugänglich ist. Gegen Ende des Buches fordert er seine nicht-christlichen Leser sogar heraus, über ihre Identität nachzudenken und lädt sie bewusst dazu ein, sie in der Geschichte Jesu zu finden.

„Wir müssen uns selbst durch die Augen von anderen betrachten, um herauszufinden, wer wir sind.“
 

Im letzten Schritt zeigt der Autor kompakt, aber gehaltvoll auf, wie wir praktisch unsere Identität in Christus finden und leben können. Dabei verlieren und finden wir uns selbst in der Geschichte Jesu.

Ein fünffacher Test

Wie der Titel schon verrät, stellt sich Rosner also der Frage: „Wie finde ich mich selbst?“ Er zeigt zuerst die Antwort unserer Gesellschaft und bietet dann eine alternative, christliche Antwort. Dabei prüft er beide Antworten anhand des gleichen fünffachen Tests mit folgenden Kategorien: Leid und Enttäuschung, Selbstzentriertheit, Umgang mit Hilfebedürftigen, Umgang mit Feinden sowie Freude und Genuss. Hierin liegt leider eine Schwäche von Rosners Argumentation. Der fünffache Test ist an sich ein hilfreiches Werkzeug zur Beurteilung eines Weltbildes, aber die Art und Weise, wie der Autor ihn anwendet, ist nicht zugespitzt genug. Er fragt anhand von fünf Lebensbereichen danach, ob der expressive Individualismus Gutes hervorbringt oder nicht. Dann untersucht er, wie unsere Gesellschaft sich in diesen fünf Lebensbereichen macht und entdeckt viele Probleme. Dabei zeigt er aber nicht deutlich genug auf, dass diese Probleme tatsächlich auf den expressiven Individualismus zurückgehen. Dadurch läuft der Autor Gefahr, das Phänomen des expressiven Individualismus zum Ursprung aller Probleme zu erklären. Generell entsteht beim Lesen manchmal der Eindruck, unsere Gesellschaft würde ausschließlich nach innen schauen, um die eigene Identität zu finden. Zum Glück gibt es aber das Kapitel „Looking Elsewhere“, in dem Rosner beschreibt, dass wir eben nicht nur nach innen, sondern auch an andere Orte schauen.

Wer sollte dieses Buch lesen?

Brian Rosner liefert eine scharfsinnige Analyse des modernen Zeitgeistes rund um die Themen Identität und Identitätsfindung. Wenn du dich also für diese Themen interessierst, dann ist dieses Buch etwas für dich. Du wirst aber auch ein gewisses Maß an Eigenarbeit mitbringen müssen. Rosner beendet nämlich jedes Kapitel mit gut durchdachten Reflexionsfragen. Dadurch wird aus einem allgemeinen gesellschaftlichen Thema ein persönliches Thema. Du kannst diese Fragen für dich allein beantworten oder das Buch auch mit anderen zusammen lesen und besprechen. Der besondere Wert dieses Buches liegt für mich persönlich darin, dass es mir geholfen hat, die Welt in der wir leben, ein wenig besser zu verstehen.

Buch

Brian S. Rosner, How to Find Yourself: Why Looking Inward Is Not the Answer, Wheaton: Crossway, 2022, 224 Seiten.