Der Anfang der liberalen Theologie
Friedrich Schleiermacher (1768–1834) hat das theologische Denken grundlegend verändert. Er führte drei große theologische Wendungen herbei. In seinem Essay Über die Religion: Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern (1799) behauptet er erstens, dass wir in der Lage sind, das Christentum gemäß den Standards der damaligen Zeit intellektuell attraktiv zu machen. Er tat dies, indem er am Spirituellen festhielt und zugleich die dogmatische Lehre über Bord warf. Zweitens definierte er die christliche Theologie als ein Gefühl, nämlich als „Gefühl der Abhängigkeit“. Drittens reduzierte er alles auf die Hermeneutik. Seiner Meinung nach war alles eine Sache der Auslegung. Mit diesen drei großen „Innovationen“ wurde Schleiermacher so etwas wie der Vater der liberalen Theologie. Erstens, indem er meinte, Theologie müsse gegenüber dem Geist der Zeit intellektuell reputabel gemacht werden. Zweitens, indem er lehrte, Theologie sei als Gefühl und Erfahrung zu betrachten. Drittens, indem er behauptete, dass letztlich alles eine Frage der Interpretation sei.
„Die Möglichkeit, solch eine göttliche Offenbarung zu leugnen und die Bibel auf ein normales Buch zu reduzieren, versperrt uns tatsächlich den Weg, diesen Graben zu überqueren.“
Dicht auf den Fersen dieser Entwicklung folgte dann das, was wir die historisch-kritische Methode nennen. Mit dieser Methode behandelt man die Bibel genauso wie jedes andere Buch der Antike.
An dieser Stelle müssen wir kurz innehalten und noch einmal zu Lessing zurückkommen. Den von ihm identifizierten „garstigen Graben“ gibt es nämlich tatsächlich. Der einzige Weg, diesen Graben zu überqueren, besteht darin, dass Gott uns Menschen eine Offenbarung schenkt. Die Möglichkeit, solch eine göttliche Offenbarung zu leugnen und die Bibel auf ein normales Buch zu reduzieren, versperrt uns tatsächlich den Weg, diesen Graben zu überqueren. Die Entscheidung, in der die Kirche dann in der Neuzeit steht, ist ziemlich einleuchtend: Sie kann entweder intellektuellen Respekt ernten oder wirklich orthodoxes Christentum sein. Aber sie kann nicht beides gleichzeitig sein. So sieht es zumindest die intellektuelle Elite von heute. Das ist die Entscheidung, vor der die Kirche aus ihrer Sicht steht. Entweder stellt sich ihre Theologie den Ansprüchen der aufgeklärten Wissenschaft oder sie hält an den althergebrachten Dogmen fest.
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Dieser Auszug stammt aus Reformation heute: Was wir von den Südlichen Baptisten lernen können von Albert Mohler (S. 11–12). Das Booklet kann hier bestellt oder als PDF heruntergeladen werden.