Von Orthodoxie zu sexueller Unmoral

Drei Schritte, die christliche Institutionen auf diesem Weg beschreiten

Artikel von Joe Carter
3. Februar 2023 — 10 Min Lesedauer

Die Eastern University ist die erste nicht-mennonitische, christliche Hochschule im Council for Christian Colleges and Universities (CCCU), die ihre Richtlinien geändert hat, um die Rekrutierung von LGBT+-Lehrkräften zu ermöglichen und die sexuelle Orientierung in ihre Nichtdiskriminierungserklärung aufzunehmen. Daraufhin hat das CCCU die Mitgliedschaft der Eastern University pausiert und die Schule von ihrer Online-Liste gestrichen.

Diese Änderung der Richtlinien kommt jedoch nicht überraschend. Die Eastern University gehört zu den American Baptist Churches USA, einer Denomination mit einer langen Geschichte theologisch liberaler Positionen. Die Schule hatte zuvor LGBT+-Studenten öffentlich willkommen geheißen und einen von Studenten geleiteten Club bewilligt, der LGBT+-Studenten vertreten sollte. Es ist kein großer Schock, wenn eine breit akzeptierte, liberale, protestantische Schule die christliche Orthodoxie verwirft und falsche Ansichten zu sexueller Unmoral annimmt.

Dennoch stellt sich die Frage, warum solche Verschiebungen geschehen und ob sie unvermeidbar sind. Die Eastern University wurde 1925 als eine theologisch konservative Institution gegründet, die die Bibel und „die Grundlagen des Glaubens“ akzeptierte. In weniger als 100 Jahren hat die Schule jedoch die historische christliche Orthodoxie verworfen. Was führt zu solch einem Wandel?

Es ist vielleicht anmaßend zu sagen, dass der Weg von Orthodoxie zu Irrlehre in jeder Institution immer der gleiche ist. Es scheint aber ein wiederkehrendes Muster zu geben, das aus drei Schritten besteht.

1. Dem Egalitarismus Tür und Tor öffnen

Beginnen wir mit einer kontroversen, aber unleugbaren Behauptung: Jede christliche Institution, die heute die orthodoxe, christliche Sicht auf Sexualität ablehnt, hat zuerst eine egalitäre Sicht auf die Geschlechter angenommen. Darauf hinzuweisen, mag unfair erscheinen. Egalitarismus ist ein zweitrangiges Thema – auch orthodoxe Christen haben verschiedene Meinungen darüber. Trotzdem entstehen bei diesem Thema deutliche Grenzen.

„Diejenigen, die sich für die Akzeptanz von LGBT+ einsetzen wollen, treten durch die Tür des Egalitarismus ein.“
 

Dass Frauen predigen, ist beispielsweise ein zweitrangiges Thema, ähnlich wie die Art und Weise der Taufe. Aufrichtige Gläubige können hier zu verschiedenen Schlüssen kommen. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass sie auch Teil der gleichen Ortsgemeinde sein können. Die sexuelle Moral ist hingegen ein erstrangiges Thema, eine grundlegende Wahrheit des christlichen Glaubens. Jene, die gegen die sexuelle Ordnung verstoßen, Ehebrecher und Homosexuelle werden zu denen gezählt, die Gottes Reich nicht erben werden (vgl. 1Kor 6,9). Menschen zu lehren, dass sie sexuelle Unmoral akzeptieren und trotzdem in den Himmel kommen können, ist eine Verbreitung von Irrlehre.

Warum sind diese beiden Themen miteinander verbunden? Weil es ohne die durch den Egalitarismus gelegte Grundlage für Menschen schwierig (wenn nicht unmöglich) wäre, bestimmte Arten von Unmoral, wie beispielsweise LGBT+, zu akzeptieren und sich weiterhin als Christen zu bezeichnen. Wie Ligon Duncan erklärt:

„Die Ablehnung des Komplementarismus untergräbt das klare Bekenntnis der Kirche zur Autorität der Schrift (und schadet damit letztendlich und unweigerlich dem Zeugnis der Kirche für das Evangelium). Der erforderliche Spagat von ‚Ich erlaube aber einer Frau nicht, zu lehren, auch nicht, dass sie über den Mann herrscht‘ zu ‚Ich erlaube aber einer Frau zu lehren und dass sie über den Mann herrscht‘ in der tatsächlichen Praxis der Ortsgemeinde ist verheerend für die tatsächliche Autorität der Schrift im Leben von Gottes Volk.“

Diese Zerstörung der Autorität der Bibel ermöglichte es LGBT+-Gruppen, einen Fuß in die Tür christlicher Institutionen zu bekommen, vorrangig in Schulen und Universitäten. Durch die Ablehnung der geschlechtsspezifischen Unterschiede untergrub die egalitäre Bewegung zudem die Wesenhaftigkeit der Geschlechter. Natürlich sind die Anhänger des Egalitarismus nicht allein dafür verantwortlich, doch sie sind auch nicht völlig unschuldig.

Es geht nicht um Schuldzuweisungen, sondern darum, auf eine offensichtliche Tatsache hinzuweisen: Jede Institution, die gegenwärtig den Egalitarismus vertritt, ist sehr anfällig dafür, von den Verfechtern einer irrigen Auffassung von Sexualität eingenommen zu werden. Diejenigen, die sich für die Akzeptanz von LGBT+ einsetzen wollen, treten durch die Tür des Egalitarismus ein.

2. Für eine Zukunft ohne Einschränkungen einstehen

Die egalitäre Bewegung verbreitete auch die Vorstellung, dass die Vergangenheit ignoriert werden kann, wenn sie unsere Wünsche – insbesondere die der Frauen – unterdrückt. Um zum Schluss zu kommen, dass die Bibel Frauen als Pastoren erlaubt, mussten die Gedanken, Lehren, Auslegungen und biblischen Betrachtungen von fast 2.000 Jahren über Bord geworfen werden. Größtenteils versuchten egalitäre Christen allerdings, mit logischen, hermeneutischen und vernunftbasierten Argumenten zu ihren von vornherein feststehenden Ergebnissen zu gelangen. Die Befürworter sexueller Unmoral, die in ihrem Kielwasser segeln, haben diese durchdachte Herangehensweise aufgegeben.

Mary Harrington stellt fest, dass viele Ideen, die von dieser Gruppe vorangetrieben werden, nicht danach bewertet werden, ob sie wahr oder auch nur vernünftig sind, sondern danach, wie sehr sie Wünsche unterdrücken – und Wünsche zu unterdrücken, ist heutzutage ein Tabu[1]. Harrington bemerkt, dass heute viele Leute glauben, dass der Feind „alles ist, was den Spielraum der individuellen Wünsche einschränkt“[1], und es gibt nichts, das Wünsche so sehr eingrenzt wie die Orthodoxie. Für die christlichen Institutionen stützt sich die Orthodoxie in erster Linie auf die Bibel, aber auch auf die Glaubensbekenntnisse, Katechismen und andere Schriften früherer Christen. Aus Sicht jener, die sexuelle Unmoral befürworten, muss dieser Feind – die Orthodoxie – überwunden werden, damit individuelle Wünsche in vollem Umfang regieren können.

„Um zum Schluss zu kommen, dass die Bibel Frauen als Pastoren erlaubt, mussten die Gedanken, Lehren, Auslegungen und biblischen Betrachtungen von fast 2.000 Jahren über Bord geworfen werden.“
 

Wenn diese Neigung zu ungehemmtem Begehren nur auf die „Woken“ beschränkt wäre, hätten christliche Organisationen keinen Grund zur Sorge. Der Widerstand gegen die Einschränkung der eigenen Wünsche ist Teil unserer DNA geworden. In der Tat ist die biblische Ethik für zu viele Christen ein bloßes Lippenbekenntnis, während sie der neuheidnischen Ethik „Tu, was du willst, solange es niemandem schadet“ vollends ergeben sind. Sie meinen, dass es keine Einschränkungen geben sollte, es sei denn, es würde anderen Menschen eindeutig und offensichtlich Schaden zufügen, wenn ein bestimmtes Verhalten zugelassen würde: Wem schadet es, wenn Frauen als Pastoren dienen? Wem schadet es, wenn dein Sohn seinen Freund heiraten möchte? Wem tut es weh, wenn deine Tochter möchte, dass die gesamte Gesellschaft die Realität verleugnet und sie so behandelt, als sei sie ein Mann?

Diese Fragen auch nur zu stellen bedeutet, sich in der angestaubten, unaufgeklärten, museumsreifen Vergangenheit (d.h. vor den 1960ern) einzuordnen. Niemand möchte ein alter Kauz auf der „falschen Seite der Geschichte“ sein. Darum lassen wir es zu, dass Grenzen angefochten werden, zuerst in unseren eigenen Herzen und dann in unseren Institutionen. Wie die jüngste Geschichte gezeigt hat, führt dies dazu, dass dort, wo Schranken angefochten werden, die Orthodoxie früher oder später aufgegeben wird.

3. Die neue Orthodoxie verbieten

Große moralische Verschiebungen beginnen mit einem Zugeständnis, etwas Geringfügigem, scheinbar Trivialem, einem nebensächlichen Kompromiss. Die Institution strebt danach, einen Weg zu finden, Beschränkungen durch eine zuvor unantastbare Lehre oder Praxis zu lockern, indem eine scheinbar unwichtige Geste toleriert wird. Auf dem Campus von Hochschulen beginnt es fast immer damit, dass eine LGBT+- Interessenvertretung offiziell anerkannt wird oder man Professoren erlaubt, die gleichgeschlechtliche Ehe zu unterstützen. Solche Gesten wirken belanglos und erlauben es einer Institution, sich großherzig zu fühlen. Die Geste vermittelt: „Wir nehmen euch wahr und ihr seid uns wichtig.“

Doch dieses Zugeständnis, so gering es auch sein mag, zeigt, dass die Institution die Orthodoxie als eine Frage der persönlichen Vorliebe betrachtet. Die Rechtfertigung für eine Lehre lautet nicht mehr: „So spricht der Herr, und so sollen wir handeln“, sondern: „Das ist es, was wir glauben, aber wir können es auch so machen, wie ihr wollt.“ Eine solche Veränderung resultiert darin, wovor uns Richard John Neuhaus warnt:

„Wo Orthodoxie freiwillig wird, wird Orthodoxie früher oder später verboten.“[2]

Was er mit dem „Neuhaus’schen Gesetz“ meinte (Anm. d. Ü.: so lautet der Untertitel des zitierten Artikels), ist, dass Orthodoxie eine eindeutige Richtlinie voraussetzt, aber indem man Orthodoxie freiwillig macht, gibt man diesen Standpunkt auf. Und aufgrund der Maxime der liberalen Toleranz „kann sie gar nicht anders, als intolerant zu sein gegenüber dem Thema richtig und falsch, wahr und falsch“[2]. Den Orthodoxen ist es erlaubt, weiterhin zu glauben, was sie wollen, solange sie nicht die Frechheit (oder die Macht) haben, die Wünsche derer zu beschneiden, die die orthodoxe Sichtweise ablehnen.

Viele Institutionen sind sich nicht bewusst, wie dieser Wandel die institutionelle Dynamik verändert. Sie glauben, dass sie einen Mittelweg eingehen, aber das genaue Gegenteil ist der Fall: Indem sie die Orthodoxie aufgeben, liefern sie sich den Verfechtern der sexuellen Unmoral aus. Zu dieser feinen Unterscheidung, wer an der Macht ist, kommt noch hinzu, dass jene, die für die Auflösung traditioneller Positionen einstehen, dazu neigen, ihren Vorteil nicht zu schnell auszunutzen. Das Neuhaus'sche Gesetz hat in christlichen Institutionen oft eine beträchtliche Verzögerungszeit.

Der Grund dafür ist, dass die Christen in den Institutionen nett sind. Die netten Christen wollen den Wunsch von Frauen, Predigerinnen zu werden, nicht unterbinden, aber sie wollen auch nicht all die freundlichen Senioren verdrängen, die am Komplementarismus festhalten. Sie wollen die Wünsche ihrer LGBT+-Mitglieder nicht unterdrücken, aber sie wollen auch nicht die wenigen jungen Leute verdrängen, die an der Überzeugung festhalten, dass homosexuelles Verhalten unmoralisch ist. Warum nicht einfach abwarten, bis die alten Leute weggestorben sind und die jungen Leute dem Druck der Gesellschaft nachgegeben haben? Warum die Eile? Sicher, irgendwann wird die Institution die neue Orthodoxie des ungehemmten Verlangens verbieten müssen, wie es in der methodistischen Kirche geschehen ist[3]. Die meisten Institutionen können es sich aber leisten, geduldig zu sein, da ihnen die Zukunft gehört.

Der Niedergang ist nicht unabwendbar

Es ist entmutigend, mit ansehen zu müssen, wie dieses Muster unsere Institutionen ins Wanken geraten lässt. Die Tatsache, dass der Ablauf wiedererkennbar ist, sollte uns jedoch Hoffnung geben. Wenn wir das Muster erkennen, können wir daran arbeiten es aufzuhalten. Wir können aktiv werden, um unsere Institutionen davor zu schützen, in die Irrlehre abzugleiten und Menschen in die Hölle zu führen. Wir können daran arbeiten, die Integrität unserer Institutionen wiederherzustellen, oder eingestehen, dass sie verloren sind und sie verlassen, um neue zu gründen. Der Niedergang der christlichen Institutionen ist nicht unvermeidlich. Ihn zu verhindern, erfordert jedoch viel Fleiß und Mut. Wenn wir jetzt damit beginnen, können wir unseren Brüdern und Schwestern in der Zukunft vielleicht orthodoxe Gemeinden, Einrichtungen, Ämter und Universitäten weitergeben.


[1] Mary Harrington, „Deconstruct reality, but give predators a pass“, 03.11.2020, online unter: https://reactionaryfeminist.substack.com/p/this-never-happens-again (Stand: 19.12.2022).

[2] Richard John Neuhaus, „The unhappy fate of optional orthodoxy. Neuhaus’s Law.”, März 2009, online unter: https://www.firstthings.com/article/2009/03/the-unhappy-fate-of-optional-orthodoxy (Stand: 19.12.2022).

[3] Peter Smith, „United Methodists are breaking up in a slow-motion schism.”, 10.10.2022, online unter: https://apnews.com/article/religion-gay-rights-f3fc3ec9e1f39501495d227d5a0963f8 (Stand: 19.12.2022)