Lieber Pastor, kennst du deine Missionare?

Artikel von Elliot Clark
20. Februar 2023 — 7 Min Lesedauer

Ich spreche regelmäßig mit Pastoren aus allen Ecken des Landes. Aus unseren Gesprächen geht eines klar hervor: Die vergangenen Jahre waren besonders schwierig für sie. Als Corona-Regelungen, ethnische Spannungen und politische Spaltungen in den Gemeinden einen Cocktail der Verwirrung mischten, waren Pastoren gezwungen, von der bitteren Galle zu trinken, die unter den Mitgliedern entstanden war.

Es gibt aber noch etwas anderes, das ich in den Gesprächen mit Pastoren festgestellt habe – und das schon lange vor 2020. Viele von ihnen kennen ihre Missionare nicht oder wissen zumindest nicht, was diese Missionare tun. Aus meiner Sicht ist diese Unwissenheit genauso beunruhigend – wenn nicht sogar besorgniserregender – wie die vielen Stressfaktoren der letzten zwei Jahre.

Wenn Pastoren ihre Missionare nicht kennen

Es gibt unterschiedliche Gründe, warum Pastoren die von ihnen unterstützten und ausgesandten Arbeiter nicht kennen. Manche Pastoren sind neu in ihrem Dienst. Sie übernehmen die bereits existierende Liste von Missionaren, genauso wie ein professioneller Fußballtrainer ein Team von Fußballscouts übernehmen würde. Diese Gesandten, die an einem anderen Ort leben, werden wahrscheinlich die letzten Leute sein, die er innerhalb der Gemeinde kennenlernt.

In anderen Fällen kennen Pastoren und Älteste ihre Missionare nicht, weil sie die Vision und Verwaltung der missionarischen Unterstützung an andere Gemeindemitglieder delegiert haben. Dieses Vorgehen ist verständlich, vor allem wenn Gemeinden viele Anfragen für Unterstützung bearbeiten und mehrere Arbeiter im Erntefeld betreuen. Um auf die Fußballanalogie zurückzukommen: Für einen Fußballtrainer ist es sinnvoll, sich darauf zu konzentrieren, diejenigen Spieler weiterzubringen, die er in der Umkleidekabine vorfindet; das Personalbüro ist besser geeignet, diejenigen direkt zu betreuen, die auf anderen Plätzen nach zukünftigen Spielern Ausschau halten.

„Pastoren müssen darüber Bescheid wissen, was an der Front passiert.“
 

Aber ich frage mich, ob diese verständliche Arbeitsaufteilung nicht mehr Probleme schafft als behebt. Pastoren werden so vom strategisch wichtigsten Dienst der Gemeinde abgetrennt. Die Ältesten sind in den Überprüfungsprozess von wichtigen Personaleinstellungen praktisch nicht involviert. Für einen Pastor wäre es unvorstellbar, in die Suche nach einem neuen Mitarbeiter nicht involviert zu sein. Genauso sollte es meiner Meinung nach unvorstellbar für die Gemeindeleitung sein, nicht in den Aussendungsprozess der von der Gemeinde bewilligten Vertreter an der Front beteiligt zu sein.

Doch Verantwortung für die Wahl und Aussendung der Missionare zu übernehmen, ist erst der Anfang. Ich habe beobachtet, dass selbst Pastoren, die ihre Missionare kennen und sich um sie kümmern, nicht unbedingt gründlich über Missionsarbeit nachdenken. Sie lesen selten Bücher über Mission. Sie verfolgen die Entwicklungen im Bereich der Mission nicht. Sie wissen nicht Bescheid über Missionsorganisationen oder deren Theologie. Sie können auch die Methoden nicht klar bestimmen, die von diesen Organisationen unterstützt werden. Pastoren können zwar nicht alles wissen und sie müssen auch Aufgaben delegieren, aber sie müssen darüber Bescheid wissen, was an der Front passiert.

Der Stand der Missionswissenschaft

Ich möchte einige Beispiele nennen. Eine häufige Priorität für kulturübergreifende Missionare ist es heutzutage, einen „Menschen des Friedens“ ausfindig zu machen. Diese Person kann gläubig sein oder auch nicht. Aber wenn dieser „Mensch des Friedens“ dem Missionar wohlwollend gegenübersteht und einiges Ansehen in der Gesellschaft genießt, kann sein (oder ihr) Einfluss wirksam eingesetzt werden, um andere mit der Lehre von Jesus bekannt zu machen. Wenn die Missionare mit ihrer Hilfe eine Gruppe um sich versammeln können, die sich verpflichtet, dem zu gehorchen, was sie lernen, wird diese Gruppe oft als Gemeinde oder zumindest als neue Jünger gezählt.

Eine andere geläufige Strategie von Missionaren ist es, sich so früh wie möglich aus diesen Versammlungen zu entfernen. Schon früh werden die Einheimischen ermutigt, in den Treffen Leitungspositionen zu übernehmen und die Bibel selbst zu entdecken. In der Praxis heißt es dann, eine „Gemeinde“ konnte gegründet werden, geführt von und bestehend aus Personen, die weitgehend isoliert von zuverlässiger Lehre und überlieferter Tradition sind. Wenn sie das Evangelium nicht richtig verstehen und befolgen, kann es sein, dass der abwesende Missionar nichts davon mitbekommt. Wenn diese Gruppen von den Überzeugungen und Praktiken der historischen Kirche (oder anderer nationaler Kirchen) abweichen, zögern die Missionare unter Umständen, einzugreifen und „westliche“ Auffassungen durchzusetzen.

Das soll nicht heißen, dass Missionare nie die Führung übernehmen. In einigen Fällen ermutigen sie neue „Jünger“ aktiv dazu, ihre eigenen Wege in der Nachfolge Jesu zu entwickeln, die Option eingeschlossen, ihre früheren religiösen Praktiken weiter auszuüben (z.B. den Vorfahren Gaben zu opfern oder die Moschee zu besuchen). In den letzten Jahrzehnten haben Missionare zudem Bibelübersetzungen ausgearbeitet, die kontroverse Themen umgehen (z.B. Jesus als Gottes Sohn zu bezeichnen), um den Empfindlichkeiten von Nicht-Christen entgegenzukommen.

Einige Pastoren erschrecken, wenn sie das hören. Sie kennen sich in der Missionspraxis nicht aus, und noch weniger in der Theorie. Noch einmal: Solche Unwissenheit ist verständlich. Es ist schwierig, mit der Vielzahl der angebotenen Modelle mitzuhalten – Beispiele sind die gehorsam-basierte Jüngerschaft (engl. Obedience-Based Discipleship), Bibelentdecker-Kurse, Jüngerschaftsbewegungen oder Insider-Bewegungen –, geschweige denn mit all den unzähligen Varianten, die entstehen, wenn Missionare hier und dort etwas herauspicken.

Verantwortung übernehmen

Nehmen wir an, unser imaginärer Fußballtrainer würde sich nicht nur um seine Spieler kümmern. Angenommen, ihm liegt etwas daran, gute Scouts in der Organisation zu haben. Würde es ausreichen, einfach talentierte Mitarbeiter (Missionare) ausfindig zu machen und einzustellen? Würde er nicht auch ihre Arbeitsweise, insbesondere ihre Prioritäten und Methoden bei der Anwerbung künftiger Spieler kennen wollen?

Neben Pastoren spreche ich auch regelmäßig mit Missionaren in aller Welt. Und von jungen, internationalen Mitarbeitern habe ich gehört, dass sie sich wünschen, ihre Gemeindeleiter zu Hause hätten sie auf die strategischen Herangehensweisen vorbereitet, die von ihren Missionsorganisationen vertreten werden. Sie lehnen nicht unbedingt alles ab, was mit diesen Methoden im Zusammenhang steht. Aber diese Missionare sind tief besorgt, nicht nur über das, was sie beobachten, sondern auch über das, was von ihnen zu tun erwartet wird.

In den letzten Jahren habe ich mit vielen Missionaren gesprochen, die ihren Dienst quittiert haben, weil sie gezwungen waren Methoden zu übernehmen, die ihrem Gewissen widersprechen und, ihrer Meinung nach, auch der Schrift (was natürlich nicht auf diejenigen Missionare zutrifft, die blindlings dem neuesten Trend folgen, weil ihnen gesagt wurde, dass es funktionieren würde). Das sollte für die Gemeinden, die diese Missionare entsenden, von größter Bedeutung sein. Aber traurigerweise wissen Pastoren oft nichts über diese Probleme und sind schlecht ausgerüstet, um die nächste Generation von internationalen Mitarbeitern zu betreuen. Die lokale Gemeinde und ihre Ältesten müssen mehr Verantwortung in der Missionsarbeit übernehmen, zuerst durch Information und dann durch Leitung.

Eine globale Chance ergreifen

Lieber Pastor, das alles bietet eine unglaubliche Chance für dich. Indem du mehr Verantwortung darin übernimmst, Missionare auszuwählen und auszusenden, kannst du mithelfen, die grundlegende Rolle der Gemeinde in unserer gemeinsamen weltweiten Aufgabe wiederherzustellen. Wenn du deine Missionare kennst und dich um sie kümmerst, kümmerst du dich auch um diejenigen, die von ihnen noch nicht erreicht worden sind. Aber was vielleicht noch wichtiger ist: Du kannst auch dazu beitragen, ihre zukünftigen Gemeinden – und die von dir unterstützten Mitarbeiter – vor Fehlern zu bewahren.

„Wenn du deine Missionare kennst und dich um sie kümmerst, kannst du dazu beitragen, ihre zukünftigen Gemeinden vor Fehlern zu bewahren.“
 

Du musst kein Experte in Missiologie sein. Es genügt, sich in der Bibel auszukennen, deine Missionare zu kennen und dich dazu zu verpflichten, dich über die vorherrschenden Methoden zu informieren. Denn der Dienst am Evangelium – und die damit verbunden Herausforderungen – ist nicht grundlegend anders, sobald man die Kultur wechselt und Grenzen überschreitet. Das bedeutet, dass du als Pastor deinen Missionaren eine Menge zu bieten hast, wenn sie die vor ihnen liegenden Schwierigkeiten zu meistern versuchen. Es bedeutet auch, dass sie wahrscheinlich Verständnis dafür haben, warum die letzten Jahre für dich so stressig waren.

Vielleicht ist es an der Zeit, dass du sie kennenlernst.