Hat Jesus eine oder zwei Naturen?

Artikel von R.C. Sproul
21. Februar 2023 — 2 Min Lesedauer

Das große Konzil von Chalcedon, das die Kirche im Jahr 451 n.Chr. einberief, ist eins der wichtigsten ökumenischen Konzilien der Kirchengeschichte. Ziel des Konzils war die Bekämpfung mehrerer Irrlehren, wovon der Monophysitismus die bedeutendste war.

Im Wort monophysitisch sind die Vorsilbe mono und der Wortstamm physis enthalten. Die Vorsilbe mono bedeutet „ein, einzig“; der Wortstamm physis heißt übersetzt „Natur“. Das Wort monophysis bedeutet also schlicht „eine (einzige) Natur“. Die Monophysiten behaupteten, Jesus habe nicht zwei Naturen gehabt – eine göttliche und eine menschliche –, sondern nur eine. Diese eine Natur sei weder ganz menschlich noch ganz göttlich gewesen, sondern je nach Blickwinkel eine vergöttlichte menschliche Natur oder eine vermenschlichte göttliche Natur.

„Christus war vere homo, vere Deus, das heißt ‚wahrer Mensch und wahrer Gott‘. Er besaß zwei Naturen in einer Person.“
 

Aus zwei Gründen war diese Irrlehre sehr problematisch. Sie bestritt einerseits, dass Christus ganz Gott war. Andererseits leugnete sie, dass Jesus wahrer Mensch war. Dagegen erklärte das Konzil von Chalcedon, dass Christus vere homo, vere Deus war, das heißt „wahrer Mensch und wahrer Gott“, und diese zwei Naturen in einer Person besaß.

Wie ist diese Vereinigung der menschlichen und der göttlichen Natur zu verstehen? Die Bibel sagt, dass die zweite Person der Dreieinigkeit in der Fleischwerdung eine menschliche Natur annahm. Doch als sie Fleisch wurde und die menschliche Natur annahm, vergöttlichte sie diese menschliche Natur nicht. Die menschliche Natur blieb menschlich.

In seiner Auseinandersetzung mit dem Geheimnis der Menschwerdung bestätigte das Konzil von Chalcedon die zwei Naturen Jesu. Dabei kam es zu dem Schluss, dass seine beiden Naturen vollkommen vereint sind, und zwar so, dass sie sowohl unverändert und unvermischt als auch ungetrennt und ungeteilt sind. Man darf sie nicht vermischen, wie die Monophysiten es taten, indem sie das Fleisch vergöttlichten oder den Geist vermenschlichten. Gleichwohl darf man sie auch nicht trennen. Sie sind immer und überall vereinigt.

„Die beiden Naturen Jesu sind unverändert und unvermischt, ungetrennt und ungeteilt.“
 

Diese vier Negationen von Chalcedon werden folgendermaßen weiter konkretisiert: „wobei die Eigentümlichkeit jeder der beiden Naturen gewahrt bleibt“. Das heißt, bei der Menschwerdung gab der Sohn keine seiner Eigenschaften auf. Die göttliche Natur ist weiterhin ewig, unendlich, allwissend, allgegenwärtig und allmächtig. Sie besitzt alle Attribute der Gottheit. Gott hörte nicht auf Gott zu sein, als er in Jesus eine menschliche Natur annahm. Gleichzeitig behielt die menschliche Natur die ihr eigenen Attribute: Sie war endlich und beschränkt; sie konnte nicht an mehreren Orten gleichzeitig sein und ihr Wissen und ihre Macht waren begrenzt. All diese Eigenschaften des Menschseins blieben auch Attribute von Jesu Menschsein.