Warum Pastoren sanftmütig sein sollten

Artikel von Dane Ortlund
28. März 2023 — 6 Min Lesedauer

Als Leiter von Gottes Volk sehnen wir uns alle danach, etwas für Christus zu bewirken. Wir wollen nicht fruchtlos sein. Wir wollen, dass unser Leben einen Unterschied macht. Wir sehen, wie die Uhr tickt, und wissen, dass wir in absehbarer Zeit nicht mehr hier sein werden und unsere Gelegenheit, Einfluss zu nehmen, für immer und ewig vorbei sein wird.

Deshalb sind wir oft dazu geneigt, dass unser Dienst von Feuereifer, Intensität und Stress geprägt ist – unsere Predigten, unsere Seelsorge, unsere Mitarbeitertreffen, unsere Rundbriefe, unsere Emails.

Lektionen im Fach Sanftmut

Was dabei vielleicht übersehen wird, ist das Streben nach einem sanftmütigen Geist. Achte mal darauf, was die Bibel über Sanftmut sagt:

  • „Eine heilsame Zunge ist ein Baum des Lebens …“ (Spr 15,4)
  • „Glückselig sind die Sanftmütigen …“ (Mt 5,5)
  • „Die Frucht des Geistes aber ist … Sanftmut ...“ (Gal 5,22)
  • „… mit aller Demut und Sanftmut …“ (Eph 4,2)
  • „… jage aber nach … der Sanftmut!“ (1Tim 6,11)
  • „Die Weisheit von oben aber ist … gütig …“ (Jak 3,17)

In diesem kurzen Artikel möchte ich Pastoren bitten, über die Förderung von Sanftmut in ihrem Leitungsstil nachzudenken. Ich nenne vier Gründe dafür und zeige dann einen Weg auf, um dieses Ziel zu erreichen.

Vier Gründe für Sanftmut

1. Sanftmut überrascht die Menschen

In dieser zornigen, verärgerten Welt sticht Sanftmut hervor. Sie erwischt uns auf dem falschen Fuß. Inmitten von Geschrei nimmt uns eine sanftmütige Stimme über all das Getöse hinweg gefangen.

„Sanftmut kann als ein mächtiger Bestandteil von Apologetik gesehen werden.“
 

Sanftmut kann somit als ein mächtiger Bestandteil von Apologetik gesehen werden. Es geht natürlich nicht darum, dass wir uns wünschen, sanftmütig zu sein, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Aber wenn wir dem Aufruf der Schrift zur Sanftmut folgen, dann kann uns das Wissen beruhigen, dass sie andere Menschen überraschen wird. Es fühlt sich vielleicht kontraproduktiv an, aber das liegt nur daran, dass wir in einer Kultur (manchmal sogar in einer Gemeindekultur) der Lautstärke und Aggression leben.

2. Sanftmut umwirbt die Menschen

Wie eine Seeanemone, die langsam überredet wird, sich wieder zu öffnen, überredet Sanftmut die Menschen dazu, sich zu öffnen. Sanftmut gibt Menschen ein Gefühl der Sicherheit.

Wenn wir anderen gegenüber streng oder unnötig energisch auftreten, dann zeigen sie es vielleicht nicht, aber sie gehen in eine Verteidigungshaltung. Sie sind auf der Hut. Wir gewinnen vielleicht die Diskussion, aber nicht den Menschen. Sanftmut gewinnt den Menschen, ganz egal, was auf der Ebene der rationalen Argumente abläuft.

3. Sanftmut ehrt die Menschen

Zwischen den Zeilen vermittelt ungestüme Aggressivität dem Gegenüber das Gefühl der Unterlegenheit. Wir werden ungeduldig und unfreundlich und sprechen lauter, weil wir in der Tiefe unseres Herzens denken, dass wir überlegen sind.

Sanftmut hingegen vermittelt zwischen den Zeilen etwas völlig anderes: Du bist wichtig. Du hast Bedeutung, und ich wage es nicht, das zu leugnen. Gott hat dich nach seinem Ebenbild gemacht.

„Sanftmut hingegen vermittelt zwischen den Zeilen etwas völlig anderes: Du bist wichtig. Du hast Bedeutung, und ich wage es nicht, das zu leugnen. Gott hat dich nach seinem Ebenbild gemacht.“
 

Es ist nicht nur so, dass jeder nach dem Bild Gottes gemacht ist. Sondern jeder hat Leid erlebt. Jeder Mensch geht umher und wird von einem schweren Rucksack an Enttäuschungen, Ablehnung und Ängsten zu Boden gedrückt. Sanftmut behandelt Menschen gemäß ihrer angeborenen Würde, jedoch nicht gemäß den Widrigkeiten des Lebens, die vielleicht dazu beigetragen haben, dass es schwierige Menschen sind.

4. Sanftmut gibt den Menschen ein lebendiges Bild von Jesus selbst

Neben dem Wort und den Sakramenten gibt es einen Ort, an dem Menschen in dieser gefallenen Welt Jesus selbst am nächsten kommen können: bei Christen, die Christus ähneln. Christen sind lebendige Gefäße der sanftmütigen Liebe Christi. Wie du andere behandelst, sagt ihnen, was du wirklich darüber denkst, wie Jesus ist. Deine Worte darüber, wie Jesus deiner Ansicht nach ist, spielen da keine große Rolle.

Die Quelle der Sanftmut

Aber wo finden wir diese schwer greifbare Sanftmut?

Sie ist uns nicht angeboren. Aber der Aufruf zur Sanftmut in der Schrift ist ein Aufruf zu mehr Ähnlichkeit mit Gott. Vielleicht sehen wir Tsunamis und Elefanten und ziehen die Schlussfolgerung, dass Gott alles andere als sanftmütig ist. Aber die Bibel sagt: „Er wird seine Herde weiden wie ein Hirte; die Lämmer wird er in seinen Arm nehmen und im Bausch seines Gewandes tragen; die Mutterschafe wird er sorgsam führen“ (Jes 40,11).

So ist Gott.

Und Sanftmut ähnelt Gott nicht nur allgemein. Sie ähnelt Christus ganz besonders. An der einen Stelle in allen vier Evangelien, an der Jesus uns mitteilt, wie sein Herz ist, sagt er, dass es „sanftmütig und demütig“ ist (Mt 11,29). Das widerspricht dem Grimm und dem gerechten Zorn Jesu nicht. C.S. Lewis drückte es gegen Ende seines Lebens in einem Brief folgendermaßen aus:

„,Der milde Herr Jesus‘, allerdings! Das Eindrucksvollste an unserem Herrn ist der Zusammenklang von großer Heftigkeit und extremer Milde. … Zudem ist er auch noch ein ausgesprochener Ironiker, Dialektiker und (gelegentlich) auch Humorist. Und so können Sie fortfahren! Jetzt sind Sie auf der richtigen Spur: Sie nähern sich dem wirklichen Menschen hinter all den Gipsfiguren, die man an seine Stelle gesetzt hat. Dies ist die Erscheinung (in menschlicher Gestalt) des Gottes, der den Tiger und das Lamm erschuf, die Lawine und die Rose. Er wird Sie erschrecken und vor Rätsel stellen – aber den wahren Christus kann man lieben und bewundern – eine Gipsfigur nicht.“[1]

Wir neigen jedoch mehr dazu, den Eifer Christi zu imitieren als seine zärtliche Sanftmut. Ich bitte dich, darüber nachzudenken, in eine Sanftmut einzutreten, die dein Leben und dein Dienst vielleicht noch nie gekannt haben.

Und ich bin der Meinung, dass du das nur dann tun wirst, wenn du die sanftmütige Art und Weise, wie Jesus selbst mit dir umgeht, ständig in Erinnerung hast. Von wie vielen Sünden weiß nur er? Wie viele Male hast du vor ihm versagt, ihn an den Rand gedrängt, ihn als selbstverständlich gesehen? Und in wie vielen dieser Fälle ist er dir voller Härte begegnet? Geht er nicht zärtlich und sanftmütig mit dir um? Hast du nicht am eigenen Leib erlebt, dass er „das geknickte Rohr … nicht zerbrechen“ wird (Mt 12,20)?

Vertrau Gott und tauch deinen Dienst in Sanftmut. Lass den Geist die Arbeit tun, die deine Aggressivität nicht tun kann. Gib durch dein eigenes sanftmütiges und demütiges Herz das sanftmütige und demütige Herz von Jesus selbst weiter an andere.

Buchempfehlung

Dane Ortlund, Gütig und sanft. Wie Sünder und Leidtragende das Herz Christi erfahren, Waldems, 3L 2021, 14,50 EUR. 


[1]  Titus Müller (Hrsg.), C.S. Lewis: Ein Leben in Briefen, Asslar: Adeo, 2021, S. 264.