Mehr als Komplimente

Wie Frauen einander ermutigen können

Artikel von Silvia Wambululu
4. April 2023 — 14 Min Lesedauer

Schöne Dinge fallen mir oft ins Auge. Besonders wenn ich sehe, dass sich jemand Mühe gegeben hat, freue ich mich darüber und möchte das auch wertschätzen. Schon kleine Dinge sprechen mich an, etwa ein sorgfältig ausgewählter Schal, der neue Haarschnitt oder die Ohrringe, die jemand trägt. Es kostet uns fast nichts, darüber ein Wort zu verlieren, und es kann unser Gegenüber aufrichtig erfreuen. Oft geht es dabei gar nicht so sehr um den Gegenstand. Ein Kompliment zeigt: „Ich sehe dich.“ Es ist wie ein „Schön, dass du hier bist!“, aber persönlicher. Ist es nicht das, wonach wir uns so oft sehnen? Wollen wir nicht alle gesehen und angenommen werden? Ich denke schon. Gott will gegenseitige Wertschätzung. In Sprüche 16,24 lesen wir: „Freundliche Worte sind wie Honigseim, süß für die Seele und heilsam für das Gebein.“

Mit Bemerkungen zu Kleidung und Accessoires schöpfen wir das Potential von Komplimenten allerdings nicht aus. Schönheit ist nicht nur etwas Äußerliches. Der Spruch Salomos ist vielen von uns bestimmt bekannt: „Anmut ist trügerisch und Schönheit vergeht, aber eine Frau, die den HERRN fürchtet, die wird gelobt werden“ (Spr 31,30). Gott beurteilt Menschen nicht aufgrund von Äußerlichkeiten. Er sieht das Herz an, das wir nicht sehen können. Das Herz steht in der Bibel für das Zentrum einer Person, für das, was Denken, Fühlen, Wollen und Handeln lenkt. Das sehen wir schon bei einer berühmten Begebenheit im Leben von Samuel. Der Prophet meinte, er würde den neuen König unter den Söhnen Isais an dessen Schönheit erkennen (vgl. 1Sam 16,6–7). Aber Gott blickt tiefer – ins Herz. Und wenn ihm das Herz wichtiger ist als die äußere Erscheinung, dann sollte das auch bei uns so sein.

Genau davon möchte ich in diesem Artikel erzählen. Ich will zeigen, dass es bei ermutigenden Gesprächen um mehr geht als nur um Äußerlichkeiten, Wohlfühlatmosphäre und Empathie. Dafür werde ich unseren Blick zuerst auf Jesus lenken. Jesus war – das werden wir gleich sehen – mehr als ein guter Zuhörer. Anschließend werde ich versuchen zu zeigen, dass Gespräche ruhig mal weh tun dürfen. Manchmal ist es sogar wichtig, dass wir Leute nicht einfach nur bestätigen, sondern sie hinterfragen. Und schließlich möchte ich herausstellen, dass in Gesprächen zwischen Frauen etwas Besonderes geschieht. Ich sage etwas über die Kunst des Ermutigens im Austausch von Frau zu Frau.

Starten wir bei Jesus. War er mehr als ein himmlischer Menschenversteher? Unbedingt!

Mehr als Verständnis füreinander

Es ist schon einige Zeit her, da saß mir Naomi (Name geändert, Anm.d.R.) gegenüber. Sie hatte den Kopf leicht seitlich gestellt und nickte mir freundlich zu: „Hm, ich verstehe dich.“ Ich war unglaublich froh darüber und spürte sogleich die Erleichterung, die sich breit machte. Endlich war da jemand, der sich die Zeit nahm, mir zuzuhören. Naomi verstand, wie schwer es für mich war. Sie hatte durchschaut, dass ich in einer Sackgasse steckte und dabei war, aufzugeben. Endlich konnte ich mit jemandem darüber sprechen.

Es ist so wertvoll, von jemandem verstanden zu werden, zu spüren, dass es einen Menschen gibt, der mich ernst nimmt. Gleichwohl reicht Empathie allein nicht aus, um andere geistlich zu ermutigen. Die Wahrheit liegt schließlich nicht in uns Menschen, sie muss uns von außen zugesprochen werden. Wenn wir uns anschauen, wie Jesus lebte und mit Menschen umging, können wir das sehen. Schauen wir uns zuerst an, was der Hebräerbrief über ihn sagt. Wir lesen in Hebräer 4,14–16:

„Da wir nun einen großen Hohepriester haben, der die Himmel durchschritten hat, Jesus, den Sohn Gottes, so lasst uns festhalten an dem Bekenntnis! Denn wir haben nicht einen Hohepriester, der kein Mitleid haben könnte mit unseren Schwachheiten, sondern einen, der in allem versucht worden ist in ähnlicher Weise [wie wir], doch ohne Sünde. So lasst uns nun mit Freimütigkeit hinzutreten zum Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit erlangen und Gnade finden zu rechtzeitiger Hilfe!“

Das ist ein sehr erstaunlicher Abschnitt aus der Bibel. Ein Hohepriester war so etwas wie ein Vertreter und Sprecher des israelitischen Volkes. Einmal im Jahr durfte er allein das Allerheiligste im Tempel betreten, und zwar am Versöhnungstag. Er trug dabei die Sünden des ganzen Volkes (gleichsam stellvertretend) vor Gott und ließ sie entsühnen (vgl. 3Mose 4 u. 16). Jesus wird uns im Hebräerbrief als der Hohepriester schlechthin vorgestellt, der ein Mittler zwischen dem heiligen Gott und den sündigen Menschen ist. Aber es ist nicht so, als ob er uns verurteilen würde. Der Schreiber des Hebräerbriefs sagt: im Gegenteil! Jesus versteht uns. Er kennt unsere Schwächen und unsere Anfechtungen. Er durchlebte sie selbst. Er fühlt mit uns mit. Er möchte uns aus unserer Verlorenheit retten.

Obwohl Jesus ganz Mensch war, gibt es doch einen sehr bedeutsamen Unterschied zwischen ihm und anderen Menschen. Jesus war ohne Sünde. Der Vater im Himmel hat den, „der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt“, schreibt der Apostel Paulus in einem anderen Brief des Neuen Testaments (2Kor 5,21).

Als gerechter Richter übertrug Gott die Verantwortung für unser Versagen auf seinen Sohn Jesus Christus, der selbst nie gesündigt hatte. Jesus starb stellvertretend für uns. Er wurde für uns zur Sünde gemacht. Und da Jesus den Willen seines Vaters in jeder Hinsicht erfüllte und damit gerecht ist, wird den an ihn Glaubenden seine Gerechtigkeit zugerechnet. Berühmte Lehrer der Kirchengeschichte sprachen vom „großen Tausch“.

Hier liegt der Grund dafür, dass Gott uns unsere Sünde vergeben kann. Jesus hat dafür bezahlt. Er hat uns vom Fluch freigekauft, indem er selbst wie ein Verfluchter den Kreuzestod starb (vgl. 5Mose 21,23; Gal 3,13). Er hat den Weg für uns freigeräumt, sodass Erlösung und Veränderung greifbar ist.

„Liebe ich meinen Nächsten, dann wünsche ich mir das Beste für ihn. Was wäre besser als eine lebendige Beziehung zu Gott, die zu wahrer Erfüllung und Freude führt?“
 

Wer an Jesus Christus glaubt, darf mit Freimut zum Thron der Gnade treten. Wie damals Naomi das im Gespräch mit mir tat, sagt Jesus zu uns: „Ich verstehe dich.“ Aber er lässt uns nicht an einem dunklen Ort in dem Glauben zurück, dass es keine Hoffnung, Vergebung und Veränderung gibt. Stattdessen ruft er uns zu sich, bietet Begnadigung und eine lebendige Zuversicht an und lässt uns auf unserem Weg der Nachfolge niemals allein. „Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“, sagte er zu seinen Jüngern, als er sie als Botschafter des Evangeliums aussandte (Mt 28,20).

Jesus ist also unser Erlöser und unser wichtigster Ermutiger. Er ist freilich noch mehr: Er ist unser HERR und unser Vorbild. Wir wollen so leben, wie es der Gemeinschaft mit Christus entspricht (vgl. Phil 2,5). Als seine Nachfolgerinnen wollen auch wir anderen zuhören und sie verstehen. Da wir die Menschen wirklich lieben, schenken wir ihnen allerdings mehr als unser Einfühlungsvermögen. Retten können wir die Menschen nicht. Aber wir können für sie eine Brücke sein, auf der sie den wahren Mittler zwischen Gott und den Menschen besser kennenlernen. Da wir den gefunden haben, von dem das Gesetz und die Propheten sprachen, reden wir freimütig von ihm: „Komm und sieh! Es gibt da jemanden, der dich noch besser versteht, als ich das kann. Jesus Christus versteht dich nicht nur, er ist gekommen, um dir zu helfen. Nur bei ihm finden die Beladenen und Erschöpften Ruhe für ihre Seelen“ (vgl. Mt 11,29).

Ohne Schmerz kein Tiefgang

Je persönlicher wir werden, desto mehr machen wir uns selbst verletzbar und können jemanden verletzen. Nähe und Verwundbarkeit gehören zusammen. Sie befähigen uns allerdings auch dazu, wahrhaft zu ermutigen. Auch wenn dies bedeutet, dass wir zuweilen „Minenfelder“ betreten müssen.

Ich will versuchen, das zu erklären: Liebe ich meinen Nächsten, dann wünsche ich mir das Beste für ihn. Was wäre besser als eine lebendige Beziehung zu Gott, die zu wahrer Erfüllung und Freude führt? Da wir alle dazu neigen, blinde Flecken zu haben oder unangenehmen Wahrheiten bewusst aus dem Weg zu gehen, sind wir auf Geschwister angewiesen, die uns dabei helfen, diese „blind spots“ aufzudecken.

Es gibt einige Bibelstellen, die uns auffordern, unsere Augen nicht vor den Schwächen und Sünden anderer zu verschließen. Die Warnungen, die wir dazu finden – etwa, keine Steine zu werfen, wenn wir nicht selbst ohne Sünde sind (vgl. Joh 8,7), oder den Splitter in unseren eigenen Augen zuerst zu entfernen (vgl. Mt 7,3ff.) –, sind kein Aufruf zum Schweigen. Vielmehr will damit gesagt sein, dass wir uns nicht heuchlerisch über andere erheben und Gottes Gebot nicht zu einem Spielzeug für unsere eigenen Machtspiele missbrauchen. Richter sollen wir nicht sein. Wohl aber Menschen, die selbst offen für Korrekturen sind und die anderen Menschen dabei helfen, in der Wahrheit zu leben.

In Matthäus 18,15 finden wir einen Vers, in dem es sogar um das konkrete Ansprechen von Sünde geht: „Wenn aber dein Bruder an dir gesündigt hat [bei einigen Handschriften fehlt das ‚an dir‘], so geh hin und weise ihn zurecht unter vier Augen. Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder gewonnen.“

„Offene und manchmal strenge Kritik kann zugleich fürsorglich und auf das Wohl der Person bedacht und damit Ausdruck aufrichtiger Liebe sein.“
 

So etwas fällt uns schwer. Aufgrund unserer kulturellen Prägung scheint es einfacher und menschlicher zu sein, jemanden einen Weg einfach weiter gehen zu lassen, auch wenn wir wissen, dass es ihm schadet. Wer will schon einem anderen mit der Wahrheit auf die Füße treten? Dabei ist die liebevolle und ehrliche Zurechtweisung, die das Wohl unseres Gegenübers sucht und aus einer dienenden Haltung heraus kommt, nicht nur wohltuend, sondern auch wichtig. Im Buch der Sprüche Salomos 27,5 lesen wir: „Besser Zurechtweisung, die aufdeckt, als Liebe, die verheimlicht.“ Dies legt nahe, dass offene und manchmal strenge Kritik zugleich fürsorglich und auf das Wohl der Person bedacht und damit Ausdruck aufrichtiger Liebe sein kann. Diese Art der Zurechtweisung ist machtvoll.[1]

Bevor ich zum Schluss komme, werfen wir noch einen Blick auf Eva.

Die Lebensgeberin

Die Urgeschichte in 1. Mose 1–3 steckt voller tiefer Wahrheiten, die für das Verständnis des christlichen Glaubens von enormer Bedeutung sind. Die Ausführungen zu Adam und Eva gehören dazu. Wir lesen, dass Gott Adam eine Frau als Hilfe und Gegenüber schenkte und Adam ihr später einen Namen zusprach: „Und der Mensch gab seiner Frau den Namen Eva; denn sie wurde die Mutter aller Lebendigen“ (1Mose 3,20). Die Tatsache, dass dies nach dem Sündenfall passierte, zeigt, dass die Verheißung, die mit diesem Namen einhergeht, trotz Einbruch der Sünde in der Welt Bestand hat. Der Name Eva bedeutet sehr wahrscheinlich so viel wie „Gebärerin“ oder „Lebensgeberin“[2]. Eva ist die Frau, die Leben schenkt, was sich wunderbar in ihrem Vermögen zeigt, Kinder zu gebären. Sie ist auch diejenige, die in den ersten Monaten und Jahren eine besonders fürsorgliche Beziehung zu ihrem Kind aufbaut, etwa beim Stillen.

Was will ich damit andeuten? Frauen können – ob als leibliche Mutter, Adoptiv- oder Pflegemutter oder „geistliche Mutter“ – Gaben einbringen, die Männer nicht haben. Sie tragen besonders das Fürsorgliche in sich, sie können auf eine geheimnisvolle Weise helfen und stärken. Damit soll keinesfalls gesagt sein, dass Männer nicht auch andere betreuen und fürsorglich sein können. Natürlich können sie das. Aber ich denke, es gibt Eigenschaften, mit denen Gott vor allem die Frauen beschenkt hat. Dazu gehört dieser fürsorgliche Wesenszug. Nicht umsonst gebraucht der Prophet Jesaja das Bild von einer Mutter, um den Israeliten vor Augen zu führen, wie Gott sich um sie kümmert: „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet; ja, ihr sollt an Jerusalem getröstet werden“ (Jes 66,13).

Von Frau zu Frau

Sollten wir zwischen der Ermutigung von Männern und Frauen unterscheiden? Noch einmal: Selbstverständlich sind auch Männer oft Ermutiger! Doch ich glaube, dass das Gespräch zwischen Frauen in einer eigentümlichen Weise Gold wert sein kann. Wir neigen nämlich dazu, Aussagen nicht neutral wahrzunehmen, sondern sie an die Person zu binden, von der sie ausgesprochen werden. So nehmen wir es beispielsweise anders auf, wenn uns ein Mann zur Unterordnung oder aufopfernden Liebe gegenüber dem Ehemann zu ermutigen versucht, als wenn dies eine Frau tut. So überrascht es nicht, dass Paulus etwa ältere Frauen dazu auffordert, jüngere Frauen zu lehren. In seinem Brief an Titus schreibt er:

„Du aber rede, was der gesunden Lehre entspricht: dass die alten Männer nüchtern sein sollen, ehrbar, besonnen, gesund im Glauben, in der Liebe, in der Geduld; dass sich die alten Frauen gleicherweise so verhalten sollen, wie es Heiligen geziemt, dass sie nicht verleumderisch sein sollen, nicht vielem Weingenuss ergeben, sondern solche, die das Gute lehren, damit sie die jungen Frauen dazu anleiten, ihre Männer und ihre Kinder zu lieben, besonnen zu sein, keusch, häuslich, gütig, und sich ihren Männern unterzuordnen, damit das Wort Gottes nicht verlästert wird.“ (Tit 2,1–5)

Frauen, die zu geistlichen Müttern werden, spiegeln Jesus in ihrem Leben wider. Sie machen anderen Frauen Mut, wenn diese ihren schönen Glauben sehen. Wenn wir solche Vorbilder haben, fällt es uns leichter, viel von Gott zu erwarten. Wir schauen auf unseren himmlischen Vater und seine Verheißungen, seine Treue und seine Liebe und Gnade. So finden wir Trost, Kraft und Geduld und können sogar in schwierigen Situationen „dran bleiben“. So wächst der Glaube, dass Gott sein Wort treu umsetzt und in jeder Lage unser Herr bleibt.

Ich sehe dich

Ich schließe mit einem Gruß an die Frauen, die mich bis jetzt auf meinem Weg als Christin begleitet haben: Dein Vertrauen auf Gottes Güte und dein Ausharren in schwierigen Lagen bestärkt mich, mehr auf Gottes Herrschaft im Hier und Jetzt zu vertrauen. Deine Freundlichkeit spornt mich an, Jesu Liebe an meine Mitmenschen weiterzugeben, unabhängig von ihrem Verhalten mir gegenüber. Dein fürsorglicher Umgang mit deinen Kindern lässt mich über Gottes Sicht auf die Familie staunen. Wie du deinen Mann unterstützt und ihm hilfst, der Mann zu sein, den Gott vorgesehen hat, bestärkt mich, meine eigene Bestimmung ebenfalls zu leben. Deine Gastfreundschaft führt dazu, dass ich die Tür zu meinem Haus für andere öffne. Wie du dein Leben mit Weisheit und Gottesfurcht lebst, ist in einer Welt voller Götzen nicht bloß eine willkommene Abwechslung, sondern stellt mir vor Augen, welche Prioritäten Gott setzt.

Stell dir vor, jemand sagt zu dir: „Die Art, wie du andere über dich stellst und den Menschen um dich herum dienst, lässt mich erahnen, wie Jesus Christus sein Leben hier auf Erden lebte.“

Wäre das nicht das größte Kompliment, das du bekommen könntest?


[1] Vgl. dazu Bruce K. Waltke, et al., Proverbs: A Shorter Commentary, Michigan: Wm. B. Eerdmans Publishing Co., 2021, S. 381.

[2] Siehe dazu: A. S. Kapelrud, חַוָּה. In: G. J. Botterweck, H. Ringgren u. H.-J. Fabry (Hrsg.), Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Bd. 2, S. 796–797.