Vier Ursachen der Dekonstruktion

Artikel von Joshua Butler
24. April 2023 — 12 Min Lesedauer

Dekonstruktion ist ein Symptom und nicht die eigentliche Ursache.

Eine korrekte Diagnose ist wichtig, denn – medizinisch ausgedrückt – gibt es für jede Grunderkrankung ein anderes Heilmittel.

Als Pastor habe ich viele Menschen seelsorgerlich begleitet, die mit der Dekonstruktion des Glaubens ringen. Ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, möchte ich im Folgenden die vier häufigsten Ursachen beschreiben, die ich erkannt habe. Schauen wir uns den Behandlungsplan des Evangeliums für jede dieser Ursachen an.

1. Verletzungen durch die Gemeinde

Viele, die den Glauben dekonstruieren, wurden von missbräuchlichen oder manipulativen Gemeindeleitern oder durch ungesunde Gemeindekulturen verletzt. Oft waren es enge und prägende Beziehungen: der Pastor, mit dem man aufwuchs, oder der Mentor, dem man vertraute. Bei anderen handelte es sich eher um distanziertere Beziehungen. Christen wuchsen im Glauben unter dem Einfluss von Leitern wie Ravi Zacharias, Carl Lentz oder Mark Driscoll, deren Lehre und Charisma sie stark inspirierte und prägte – und plötzlich fiel der Vorhang. Ein solcher Verrat kann alles wie einen Betrug aussehen lassen. Der Schmerz ist oft quälend und verwirrend.

Es ist leichter, das Kind mit dem Bade auszuschütten, wenn man das Gefühl hat, ertränkt worden zu sein.

Verletzungen in der Gemeinde sind real. Aber Dekonstruktion ist das falsche Heilmittel.

Das Heilmittel des Evangeliums ist die Klage. In den Psalmen wird oft gegen die Misshandlung des Volkes Gottes protestiert und Gerechtigkeit erbeten. David, von dem ein Großteil der Psalmen stammt, erlebte die missbräuchliche Herrschaft durch König Saul am eigenen Leib. Aber er wandte sich an den gerechten Richter mit Klagen, Seufzen und Tränen.

Du brauchst die Probleme in deiner Gemeinde nicht zu ignorieren, nur um ihren Ruf zu schützen. Bring die Probleme vielmehr mutig vor Gott, so wie David es tat, und erfahre eine tiefere Vertrautheit mit ihm, indem du ihm ehrlich deine Wunden zeigst. Dekonstruktion umgeht diese tiefere Heilung. Sie ist nur eine Abkürzung, die den Kummer verinnerlicht, anstatt ihn vor Gott zu bringen.

Trauern fällt uns heutzutage nicht leicht. Zu einer Dekonstruktion kommt es in den meisten Fällen, weil es einfacher ist weiterzumachen, als traurig zu sein. Aber das einzig wahre und ewige Heilmittel für diese tiefen Wunden ist Christus.

Wenn man schlechte Erfahrungen mit einer Gemeinde gemacht hat, löst man das Problem nicht dadurch, dass man die Gemeinde grundsätzlich meidet, sondern indem man sich eine gute Gemeinde sucht. Zur Heilung wird letztendlich die Wiederherstellung einer guten christlichen Gemeinde mit gesunden Grenzen und guten Leitern beitragen. Keine Gemeinde ist perfekt, aber nach dem Klagen kann wieder Vertrauen entstehen – in gesunden Beziehungen, die sich auf Jesus und das gemeinsame Leben als sein Volk konzentrieren.

Diagnose: Verletzungen durch die Gemeinde
Heilung: Trauer und Klage

2. Schlechte Lehre

Einige Christen denken aufgrund von schlechter Lehre zu Genesis 1, sie müssten sich zwischen Glaube und Wissenschaft entscheiden. Andere wurden aufgrund von einer volkstümlichen Darstellung der Hölle zu der Überzeugung gebracht, Gott sei ein rachsüchtiger Sadist. Aufgrund von solch zweifelhafter und nachlässiger Lehre scheint es oft naheliegend zu sein, den christlichen Glauben einfach über Bord zu werfen.

Aber wenn das Problem durch schlechte Lehre verursacht wurde, muss man es durch gute Lehre lösen. Es gibt großartige Hilfsmittel, wie das kürzlich von TGC publizierte Buch Before You Lose Your Faith und die Videoserien Gen Z’s Questions About Christianity. Viele weise Pastoren begleiten geduldig Menschen, die mit schwierigen Fragen ringen. Es gibt gute Lehre und gute Lehrer.

Jesus ist das beste Beispiel dafür, wie man schlechte Lehre durch gute Lehre ersetzt. Ich liebe seinen Slogan in der Bergpredigt: „Ihr habt gehört, dass gesagt ist ... ich aber sage euch“ (vgl. Mt 5–7). Jesus dekonstruiert die schlechte Lehre, um die gute Lehre zu rekonstruieren. Nicht alle Dekonstruktionen sind schlecht.

Die schlechte Form der Dekonstruktion wird – wie mein Freund Seth Troutt feststellte – in der Frage der Schlange im Garten Eden anschaulich: „Sollte Gott wirklich gesagt haben?“ (vgl. 1Mose 3). Der Feind will, dass wir unser Vertrauen zu Gott verlieren und uns von ihm und seinem Volk distanzieren. So funktioniert heutzutage im Allgemeinen Dekonstruktion.

Jesus hingegen zeigt uns einen besseren Weg. Im Gegensatz zur Schlange verkündet Jesus: „Ihr habt gehört, dass gesagt ist ... ich aber sage euch.“ Die Schlange will Vertrauen zerstören – Jesus will Vertrauen aufbauen. Die Schlange will uns von Gott entfernen – Jesus will uns näher zu Gott bringen.

Manche denken fälschlicherweise, dass Jesus das Alte Testament kritisiert, wenn er sagt: „Ihr habt gehört, dass gesagt ist …“ Aber Jesus liebt seine hebräische Bibel. Er sagt ständig Dinge wie: „Es steht geschrieben ...“, „Habt ihr nicht gelesen?“ und „Ich bin nicht gekommen, um aufzulösen, sondern um zu erfüllen!“ Jesus hat eine höhere Meinung vom Alten Testament als die meisten von uns.

Jesus kritisiert nicht die Heilige Schrift, sondern fehlerhafte Traditionen und unzureichende Auslegungen. Es hat sich nicht viel geändert seitdem. Ungenaue Karikaturen und Fehlinterpretationen der Heiligen Schrift sind heute allgegenwärtig und werden sogar in einigen Kirchen gefördert.

„Die heutige Dekonstruktion des Glaubens überlässt schlechten Lehren das letzte Wort. Sie führt zu einer verzerrten Sichtweise und verpasst die Begegnung mit dem Eigentlichen: dem lebendigen Gott.“
 

Wir müssen gute Lehre ernst nehmen. Unser Slogan sollte lauten: „Ihr habt gehört, dass gesagt ist, aber Jesus sagt ...“ Ich habe Bücher über die Hölle, das Gericht, den Heiligen Krieg, das Opfer, den Zorn und die Sühne geschrieben. Ich versuche oft, populären Karikaturen des christlichen Glaubens entgegenzutreten und sie durch ein gesundes, biblisches und historisches Verständnis zu ersetzen.

Die heutige Dekonstruktion des Glaubens überlässt schlechten Lehren das letzte Wort. Sie führt zu einer verzerrten Sichtweise und verpasst die Begegnung mit dem Eigentlichen: dem lebendigen Gott. Ein solches „Heilmittel“ tötet die Patienten, die es zu heilen versucht, und trennt sie von der reinen Medizin (Christus), die allein wirklich heilen kann. Der Behandlungsplan des Evangeliums hingegen beseitigt nicht einfach die schlechte Lehre, sondern ersetzt sie durch gute Lehre.

Diagnose: Schlechte Lehre
Heilung: Gute Lehre

3. Der Wunsch zu sündigen

Manche dekonstruieren den Glauben aus dem Wunsch heraus, ihre Sünde zu rechtfertigen. Viele Freunde im geistlichen Dienst hatten plötzlich „große Fragen über Gott“ und waren schnell dabei, zu dekonstruieren. Oft stellte sich später heraus, dass sie eine Affäre hatten – lange bevor sie mit der Dekonstruktion ihres Glaubens begannen.

Ich arbeite als Pastor in einer Universitätsstadt an der Arizona State University, in der Studenten regelmäßig dekonstruieren, sobald sie angefangen haben, mit ihrer Freundin oder ihrem Freund zu schlafen. Idealer Zeitpunkt. Andere dekonstruieren, wenn sie in Süchten gefangen sind (Drogen, Alkohol, Pornos), um sich von ihren Schuldgefühlen zu befreien.

Die Dekonstruktion wird hier in der Regel als ein quälender Prozess ehrlichen Ringens dargestellt („Ich verstehe einfach nicht, warum Gott sich nicht zeigt und mir antwortet“). Der Fragesteller erscheint als Held, der sich authentisch mit einem Gott auseinandersetzt, der zu weit entfernt ist, um ihm zu vertrauen, oder an den man kaum glauben kann.

Damit wird jedoch verschleiert, worum es wirklich geht. „Was das Herz will, rechtfertigt der Verstand“, sagt ein altes weises Sprichwort. Gott lässt zu, dass wir denken, wir würden ihn „verurteilen“, während es sich in Wahrheit um Gottes Urteil über uns handelt. Es entlarvt, wie weit wir bereit sind zu gehen, um unsere Sünde zu rechtfertigen. Gott überlässt uns der Verderbtheit unseres Geistes, damit wir die verdorbenen Wünsche unseres Herzens erfüllen können.

Wenn das Problem darin besteht, einfach sündigen zu wollen, kann es nur durch Bekennen und Buße gelöst werden. Jesus lädt alle ein, „ihnen die Augen zu öffnen, damit sie sich bekehren von der Finsternis zum Licht und von der Herrschaft des Satans zu Gott, damit sie Vergebung der Sünden empfangen und ein Erbteil unter denen, die durch den Glauben an mich geheiligt sind!“ (Apg 26,18).

Dekonstruktion ist Gift, keine Medizin. Sie fördert die Sünde, die dich umbringt, anstatt sie zu heilen. Sie ermöglicht es dir, das Gesicht zu wahren und deiner Abkehr von Gott einen tugendhaften Anstrich zu geben („Er ist das Problem, nicht ich“), während sie dich davon ablenkt, dich deinen wahren Beweggründen zu stellen.

Dekonstruktion ist ein Spiel mit dem Feuer – Gnade hingegen ist real und heilsam. Jakobus gibt einen klugen Rat: „Reinigt die Hände, ihr Sünder, und heiligt eure Herzen, die ihr geteilten Herzens seid!“ Aber er gibt auch denjenigen eine hoffnungsvolle Verheißung, die im Begriff sind, ihren Glauben zu dekonstruieren: „So unterwerft euch nun Gott! Widersteht dem Teufel, so flieht er von euch; naht euch zu Gott, so naht er sich zu euch!“ (Jak 4,7–8).

Diagnose: Der Wunsch zu sündigen
Heilung: Sünde bekennen und Buße tun

4. Ansehen und Akzeptanz in der Welt

Zweifeln ist im Trend. Der Wunsch, sich dem Ethos der Gegenwartskultur anzupassen, ist stark. Deshalb klingen so viele Dekonversionsgeschichten, als hätten alle das gleiche Drehbuch benutzt. Die darin enthaltenen abgedroschenen Klischees signalisieren Konformität mit akzeptierten Normen.

Prominente sind hierbei Vorreiter. Es besteht die Chance, Einfluss zu gewinnen, Plattformen zu schaffen und Geld zu verdienen. Rob Bell tritt bei Oprah auf, Glennon Doyles Buchverkäufe werden angekurbelt und Rhett & Link können auf ihrem beliebten YouTube-Kanal für Nacho Libre und Harry Potter Werbung machen.

Eine Welle von „#exvangelikalen“ Podcastern und TikTok-Stars folgt ihrem Vorbild – mit einer ganzen Industrie, die sie willkommen heißt und anfeuert. Es macht Eindruck, sich von „überholten“ Ansichten über Sex und Gender, einer „obskuren“ Bibel mit sprechenden Schlangen und verbotenen Schalentieren und „anstößigen“ Lehren wie Zorn und Hölle zu distanzieren.

Ich behaupte nicht, zu wissen, was diese Influencer innerlich bewegt. Es können auch andere Motive als der Wunsch nach Anerkennung eine große Rolle spielen. Ich beobachte lediglich, dass sozialer Druck als starker Anreiz wirkt – nicht nur für Prominente.

Die kulturelle Feindseligkeit ist real. Ob in progressiven städtischen Zentren (wie in meiner Heimatstadt Portland) oder im Umfeld von Universitäten (wie dort, wo ich derzeit lebe) – hier gehören Christen definitiv nicht zu den coolen Kids. Es ist schwer, der Außenseiter zu sein, der allein beim Mittagessen sitzt. Viele von uns spüren den sozialen Druck – und das Entlastungsventil ist nur einen einfachen Instagram-Post entfernt.

Das „Heilmittel“ dafür besteht in der Kreuzigung des eigenen Images. Das Evangelium fordert dich auf, dein Verlangen nach Einfluss und Prestige abzutöten. Jesus warnt uns vor denen, die „die Ehre der Menschen“ mehr lieben als „die Ehre Gottes“ (vgl. Joh 12,43). Es ist nicht falsch, Liebe und Bestätigung zu wollen; es ist nur falsch, sie mehr bei wankelmütigen Freunden zu suchen als bei deinem treuen Gott.

Johannes warnt: „Habt nicht lieb die Welt, noch was in der Welt ist! Wenn jemand die Welt lieb hat, so ist die Liebe des Vaters nicht in ihm.“ (1Joh 2,15). Die Welt bezieht sich hier nicht auf Gottes gute Schöpfung, sondern auf sündige Muster, die in der Gesellschaft durch unsere Rebellion gegen Gott als normal gelten. Der Kern dieser Muster ist unser Wunsch nach Autonomie von Gott  – genau das, worauf die Dekonstruktion des Glaubens heute abzielt.

Dekonstruktion kann deine Eitelkeit entzünden. Sie kann deine Unsicherheit und dein Verlangen nach Anerkennung nähren, indem sie dich mit der heißen Luft der Welt aufbläst. Das Evangelium dagegen ruft dich auf: „So demütigt euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, damit er euch erhöhe zu seiner Zeit!“ (1Petr 5,6). Gott demütigt dich in den Augen der Welt, um dich am Ende mit ihm zu erhöhen.

Töte dein Verlangen nach Akzeptanz und Ansehen in der Welt, damit du Gemeinschaft mit Gott erfahren kannst.

Diagnose: Ansehen und Akzeptanz in der Welt
Heilung: Kreuzigung des Images

Diagnose und Heilung

Als Pastor habe ich festgestellt, dass es hilfreich ist, diese Ursachen zu kennen, wenn ich mit Menschen darüber spreche, wie sie die Dekonstruktion ihres Glaubens überwinden können. Mit der richtigen Diagnose kann man das richtige Heilmittel finden.

Es ist sehr bedauernswert, wenn jemand von der Gemeinde verletzt wurde und von dir nur einen Stapel apologetischer Bücher zum Lesen bekommt. Auch dann, wenn er eigentlich nur seine Sünde rechtfertigen will, werden ihm diese Bücher nichts nützen.

Es lohnt auch, sich einmal klarzumachen, dass die wahren Motive der Menschen oft andere sind als die angegebenen Motive. Ich hatte schon mit Leuten zu tun, die mit „großen Fragen über Gott“ zu mir kamen, nur um später festzustellen, dass sie nur sozialen Druck in der Schule verspürten oder eine Büroaffäre hatten.

„Es gibt letztlich nur eine Heilquelle, zu der wir den Menschen führen müssen: zum Heilmittel in Jesus Christus.“
 

Außerdem können Menschen mehrere Motive haben. Offene theologische Fragen, eine schlechte Erfahrung in der Gemeinde und der Wunsch nach Akzeptanz können alle zusammen im Kessel des Herzens schmoren. Um ein guter Pastor, Mentor oder Freund zu sein, muss man jede Situation individuell betrachten.

Die Herausforderung besteht darin, dass alles seine Zeit braucht. Seelsorge im Zeitalter der Dekonstruktion erfordert Aufmerksamkeit im Gespräch, Sensibilität für das Wirken des Heiligen Geistes und die Risikobereitschaft, etwas zu investieren – wohl wissend, dass die Person am Ende vielleicht doch aufgibt. Gute Ärzte nehmen sich Zeit für ihre Patienten, und als Diener des Evangeliums müssen wir das auch. Doch auch wenn es klug ist, unterschiedliche Behandlungspläne in Erwägung zu ziehen, gibt es letztlich nur eine Heilquelle, zu der wir den Menschen führen müssen: zum Heilmittel in Jesus Christus.