Was du bedenken solltest, ehe du deine Gemeinde verlässt

Artikel von Matt Hodges
5. Mai 2023 — 6 Min Lesedauer

Unbeständige Gemeindemitgliedschaft ist ein Charakteristikum unserer Zeit, und die letzten Jahre haben unsere Gemeinden zusätzlich destabilisiert. Menschen, die nur dem Namen nach dazugehörten und sich nicht wirklich engagierten, sind während der Covid-Pandemie verschwunden. Obendrein erleben wir den schmerzhaften Verlust von Gemeindegliedern, die sich viele Jahre lang eingebracht und in die Gemeinde investiert haben. Die Frage, wann, warum und wie ein Christ seine Gemeinde verlassen sollte, hat dadurch an Bedeutung gewonnen.

Für viele Pastoren und Gemeindeleiter ist das ein kaum durchdachtes (und unliebsames) Thema. Aber die Gegebenheiten und der Druck der Kultur lasten auf unseren Gemeinden. Die Situation erfordert, dass wir unsere Herde anleiten, wie ein gottgefälliger Austritt aus einer Gemeindefamilie aussehen kann.

Die Aufgabe: theologische Triage

In der Notaufnahme müssen die Ärzte durch Triage beurteilen, wie ernst der Zustand des Patienten und wie dringend erforderlich ihr sofortiges Handeln ist. Genauso müssen Christen eine Art Triage auf ihre theologischen Standpunkte anwenden, um zu entscheiden, bis zu welchem Grad sie für die Entscheidung relevant sind, mit wem wir Gemeinschaft pflegen.

Gavin Ortlund stellt einen hilfreichen Rahmen für die Beurteilung der Wichtigkeit theologischer Standpunkte zur Verfügung. Er teilt sie in verschiedene Rangstufen ein. Erstrangige Fragen sind essentiell für das Evangelium und stellen deshalb einen angemessenen Grund dar, die Gemeinschaft aufzukündigen, während man über dritt- oder viertrangige Fragen verschiedener Meinung sein und doch die Gemeinschaft in einer örtlichen Gemeinde aufrechterhalten kann.

Wie zentral eine Lehre für das Evangelium ist, sollte dafür ausschlaggebend sein, wo wir die rote Linie ziehen. Allerdings zeigen uns Erfahrung und Geschichte, dass der Prozess nicht immer so eindeutig ist, wie wir das gerne hätten.

Fallstricke vermeiden: trojanische Pferde

Vor allem müssen wir uns vor trojanischen Pferden hüten. So wie Odysseus seine Soldaten in einem Riesenpferd in die Mauern Trojas schmuggelte, so geben wir manchmal drittrangige Bedenken als erst- oder zweitrangige theologische Angelegenheit aus, um so unsere wahren Gründe zu verstecken, warum wir aus der Gemeinschaft ausbrechen möchten.

Diese Schmuggelaktion nimmt meistens eine von zwei Formen an. Die erste ist „Katastrophenalarm“. Dabei erheben wir eine Angelegenheit zu unangemessener Wichtigkeit, indem wir eine dritt- oder viertrangige Frage zum Ernstfall ersten Ranges machen. Wir nehmen ein eng begrenztes theologisches Thema und erklären es zum Lackmustest der Treue zum Evangelium.

„Es gibt legitime Bedenken, aufgrund derer man ernstlich abwägen muss, ob man Teil einer Glaubensgemeinschaft bleiben sollte.“
 

Die zweite Taktik, der „Theologiealarm“, sieht so aus, dass wir unsere persönlichen Vorlieben – seien sie kulturell, politisch oder sonstiges – als theologische Überzeugung tarnen. Wir messen moralisch neutralen Dingen oder Fragen des persönlichen Geschmacks einen moralischen und theologischen Wert bei.

Bei beiden Schmuggelmethoden – ob wir nun drittrangige Fragen zur Katastrophe oder kulturelle Präferenzen zu theologischen Themen erklären – nehmen wir etwas, was ansonsten kein Grund wäre, den Bund der Mitgliedschaft zu brechen, und machen daraus etwas, das einen Austritt rechtfertigt.

Drei Schlüsselfragen für die wohlüberlegte Triage

Aber nicht immer ist ein trojanisches Pferd im Spiel, wenn jemand die Gemeinschaft mit einer Gemeinde aufkündigt. Es gibt legitime Bedenken, aufgrund derer man ernstlich abwägen muss, ob man Teil einer Glaubensgemeinschaft bleiben sollte. Gemeinden fallen von zentralen Lehren des rechten Glaubens ab; Pastoren erkennen die Autorität der Schrift nicht mehr an. Fragen bezüglich der Sakramente oder der Geschlechterrollen können zu legitimer Trennung führen. Der Schlüssel zu einer wohlüberlegten Triage ist, sich mit den Gründen für ein Verlassen der Gemeinde auseinanderzusetzen und sie sorgfältig und bewusst zu bewerten.

1. Mach deine Hausaufgaben

Wenn du in Erwägung ziehst zu gehen, mach deine Hausaufgaben. Werde dir darüber klar, ob dein Denken über die theologischen Kategorien korrekt ist. Wenn du glaubst, dass eine Gemeinde „das Evangelium verlässt“ – definierst du das Evangelium richtig, das heißt biblisch? Hast du die Angelegenheit mit der gebotenen Sorgfalt recherchiert und dich mit den besten Argumenten der Gegenseite gründlich auseinandergesetzt? Es ist möglich, dass du dich in einer Gemeinde in einer unüberwindbaren theologischen Sackgasse befindest und sie verlassen musst. Aber weil das eine so gewichtige Entscheidung ist, solltest du sicher sein, dass du alles wirklich richtig verstanden hast.

2. Stell Fragen

Geh nicht weg, ohne Fragen gestellt zu haben. Beachte: Fragen zu stellen ist etwas anderes, als einen kritiksüchtigen Geist zu haben, der alles infrage stellt. Aufrichtiges und demütiges Nachfragen zeigt, dass wir wirklich zu verstehen suchen. Wenn wir Fragen in einem zynischen Geist stellen, wollen wir von vornherein beweisen, dass der andere im Unrecht ist. Wenn du dir Sorgen machst, ob dein Pastor zur Autorität der Schrift steht, dann frage nach, welche Ansichten er vertritt. Tu es auf eine Weise, die ihm das Beste unterstellt. Wie Paulus in 1. Korinther 13 sagt, glaubt die Liebe alle Dinge. Anders gesagt, votiert die Liebe im Zweifel für den Angeklagten. Frage im Geist echter Liebe nach, die das Beste von ihm glaubt. Vielleicht gibt es wirklich eine besorgniserregende Abweichung, aber geh nicht einfach davon aus, ehe du sie wirklich entdeckt hast.

3. Halte Ausschau nach blinden Flecken

Bitte andere, die dich gut kennen, dir zu helfen, deine Gedanken richtig einzuordnen. Weil Sünde von Natur aus zu Selbstzentriertheit führt, stecken wir alle schnell in unseren persönlichen Vorlieben und Ansichten fest. Offene Gespräche können uns helfen, diese blinden Flecken bei uns aufzudecken und, falls nötig, unsere Triage anzupassen. Triff diese gewichtige Entscheidung des Gemeindeaustritts nicht, ohne von weisem Rat und einer Außenperspektive zu profitieren.

Eifer für die Einheit

In diesem ganzen Prozess strebe nach Einheit und bete dafür. Alle diese wohlbedachten Schritte – von der Triage zu Beginn bis hin zu demütigen Gesprächen – sollten so weit wie irgend möglich von einem Bestreben nach Einheit geprägt sein (vgl. Eph 4,3). Das heißt nicht, dass wir alle Fragen in die Kategorie „Unwichtig“ einsortieren. Manche zweitrangigen, aber unvereinbaren Standpunkte (die sich nicht auf das Evangelium an sich beziehen), werden unvermeidlich dazu führen, dass man im Gemeindedienst vor Ort nicht mehr zusammenarbeiten kann – und das ist auch okay so.

„Triff diese gewichtige Entscheidung des Gemeindeaustritts nicht, ohne von weisem Rat und einer Außenperspektive zu profitieren.“
 

Aber wir müssen uns klarmachen, was bei unseren Trennungen auf dem Spiel steht. Ehe Jesus ans Kreuz geht, betet er, dass seine Nachfolger eins sein mögen und dass die Welt durch diese Einheit die Liebe Gottes sieht (vgl. Joh 17,20–24). Nach Jesu Worten ist unsere Einheit ein wichtiges Zeugnis. Vielleicht ist es unumgänglich, deine derzeitige Gemeinde zu verlassen, aber tu es mit angemessener Nüchternheit (und sogar Trauer). Und lasst uns immer durch Gebete und Taten die Einheit der Gemeinde des Christus anstreben. Unsere Einheit wird die Schönheit des Evangeliums Christi zum Ausdruck bringen.