Mutig zum Gnadenthron – dank Jesu Himmelfahrt

Artikel von Peter Krell
18. Mai 2023 — 9 Min Lesedauer

An Christi Himmelfahrt erinnern wir uns an die Tatsache, dass Jesus Christus nach seiner Auferstehung in den Himmel auffuhr und nun zur Rechten Gottes sitzt. Wir glauben das. Wir singen Lieder darüber. Das ist gut, doch was genau bedeutet das für uns? Was ändert das an unserem täglichen Leben?

Es passiert schneller, als man denkt, dass wir zwar an die Tatsache der Himmelfahrt glauben, jedoch aus den Augen verlieren, was die Auswirkungen der Himmelfahrt für uns sind. Der folgende Bibeltext soll das ändern. Hier werden wir darüber aufgeklärt, welch eine geballte Ladung an Ermutigung Christi Himmelfahrt für uns bereithält. In Hebräer 4,14–16 heißt es:

„Da wir nun einen großen Hohenpriester haben, der die Himmel durchschritten hat, Jesus, den Sohn Gottes, so laßt uns festhalten an dem Bekenntnis! Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der kein Mitleid haben könnte mit unseren Schwachheiten, sondern einen, der in allem versucht worden ist in ähnlicher Weise wie wir, doch ohne Sünde. So laßt uns nun mit Freimütigkeit hinzutreten zum Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit erlangen und Gnade finden zu rechtzeitiger Hilfe!“

An Christi Himmelfahrt feiern wir nicht nur die Tatsache, dass Christus triumphierend in den Himmel eingegangen ist. Wir feiern auch die Tatsache, dass er nun für uns als ewiger Hoherpriester beim Vater für uns eintritt. Was das für uns bedeutet, möchte ich in drei Punkten beleuchten:

  1. Unser falsches Denken von Christus
  2. Eine herrliche Wahrheit über Christus
  3. Der mutige Zugang durch Christus

1. Unser falsches Denken von Christus

Der Text zeigt uns nicht nur, welch großen Hohenpriester wir haben (vgl. Vers 14). Es wird uns auch gesagt, welchen Hohenpriester wir nicht haben. Scheinbar müssen wir hören, wie Jesus nicht ist, weil wir dazu neigen, falsch über ihn zu denken. Da sich dieser Text eindeutig an bereits gläubige Christen richtet, bedeutet das praktisch: Auch als Christen können wir eine falsche Vorstellung davon haben, wie Jesus ist. Wie ist Jesus also ganz sicher nicht?

„Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der kein Mitleid haben könnte mit unseren Schwachheiten …“ (Vers 15, Hervorh.d.Verf.)

Jesu Amt als Hoherpriester wird hier mit unseren Schwachheiten verknüpft. Gerade dann, wenn wir schwach sind, brauchen wir Jesus. Tragischerweise denken wir jedoch genau in den Situationen, in denen wir Jesus ganz besonders brauchen, dass er distanziert von uns ist. Dann leben wir praktisch leider so, als würde es hier heißen: „Da wir nun einen kleinen Hohenpriester haben, der kein Mitleid mit unseren Schwachheiten hat, lasst uns nicht zuversichtlich zum Thron der Gnade kommen, denn wir haben keine Hilfe zu erwarten.“

„Gerade dann, wenn wir schwach sind, brauchen wir Jesus. Tragischerweise denken wir jedoch genau in den Situationen, in denen wir Jesus ganz besonders brauchen, dass er distanziert von uns ist.“
 

Wir vermuten vielleicht, dass er sich mit einem enttäuschten Blick von uns abwendet. Womöglich glauben wir, dass wir seine Geduld schon zu oft beansprucht haben. Eine „harte“ Vorstellung von Jesus wird dazu führen, dass wir uns ihm nicht nahen möchten und uns folglich auch nicht an ihn wenden.

Doch hier kommt das tröstende Wort: So ist Jesus nicht! Wenn wir versucht sind, unsere bisherigen Erfahrungen mit Menschen oder unsere Vergangenheit auf Jesus zu projizieren und finsteren Gedanken über Jesus in uns Raum geben, schallt diese Frohbotschaft uns zu: So ist Jesus nicht! Wenn Jesus also so nicht ist, wie ist er dann? Er ist herrlich!

2. Eine herrliche Wahrheit über Christus

Was soll uns also besonders in unseren schwächsten und schwierigsten Momenten vor Augen stehen, wenn wir an Jesus denken? Wir sollen sein Mitleid, sein großes Herz für uns sehen! Aber – hier kommt wohl wieder unser skeptisches Herz zum Vorschein – für welche Situation gilt Jesu Mitleid? Es heißt im Text: „mit unseren Schwachheiten“ (Vers 15). Zunächst einmal ist es tröstend zu sehen, dass es sich tatsächlich um ein persönliches Mitgefühl handelt, denn es geht nicht um Schwachheiten im Allgemeinen, sondern um „unsere“ Schwachheiten, also auch um deine ganz persönlichen. Jesus weiß nicht nur von ihnen, sondern er fühlt mit!

Was genau ist mit Schwachheiten gemeint? Lassen wir uns an dieser Stelle von Thomas Goodwin helfen:

„Mit Schwachheiten ist all das gemeint, was uns auf irgendeine Weise entmutigt. Erstens, das Übel der Bedrängnisse – sie treffen uns von außen. Und zweitens, das Übel der Sünden, wodurch wir am meisten entmutigt werden – dies betrifft uns inwendig.“[1]

Ja, du hast richtig gelesen. Es geht nicht nur um Momente, in denen wir versucht sind, sondern auch um all die niederdrückenden, entmutigenden Momente, in denen wir der Sünde bereits nachgegeben haben. Das bestätigt uns auch der Kontext. In Hebräer 5,2–3, also im Abschnitt unmittelbar danach, wird das gleiche griechische Wort für Schwachheiten erwähnt, wenn die Hohenpriester des Alten Bundes beschrieben werden:

„Ein solcher kann Nachsicht üben mit den Unwissenden und Irrenden, da er auch selbst mit Schwachheit behaftet ist; und um dieser willen muß er, wie für das Volk, so auch für sich selbst Opfer für die Sünden darbringen.“

Die Hohenpriester des Volkes Israel waren mit Schwachheit behaftet, was bedeutet, dass sie selbst sündigten und deswegen Opfer bringen mussten. Das heißt im Klartext: Jesu Liebe für sein Volk ist so groß, dass er nicht nur Mitgefühl in Momenten der Versuchung hat, sondern auch, wenn wir tatsächlich in die Falle der Sünde gestolpert sind.

„Jesu Liebe für sein Volk ist so groß, dass er nicht nur Mitgefühl in Momenten der Versuchung hat, sondern auch, wenn wir tatsächlich in die Falle der Sünde gestolpert sind.“
 

Woher kommt sein Mitgefühl? Es resultiert aus zwei Tatsachen, die Jesus zum perfekten Hohenpriester machen: Erstens wurde er in jeder Hinsicht wie wir versucht. Zweitens blieb er ohne Sünde. Denken wir kurz an die 40 Tage der Versuchung Jesu in der Wüste. Er lebte 40 Tage ohne Nahrung, war also extrem hungrig. Er wurde von Satan persönlich versucht, also nicht von einem Dämon, sondern von ihrem mächtigsten Fürsten. Außerdem hatte er zu jeder Zeit die Möglichkeit, aus den Steinen Brot zu machen und so seinen Hunger zu stillen. Das alles ergab die perfekte Versuchung, und das bedeutet: Egal wie sehr wir versucht werden, er weiß, wie es uns geht.

Doch was ist, wenn wir gesündigt haben? Haben wir dann nicht die Grenze des Mitgefühls von Jesus erreicht, da er selbst ja ohne Sünde blieb? Da er selbst nie sündigte, weiß er doch gar nicht, wie das ist und dürfte demnach auch kein Mitgefühl mehr mit uns haben, oder? Nein, gerade die Tatsache, dass er ohne Sünde blieb, offenbart sich als unsere Hoffnung. Weil er nicht gesündigt hat, wurde sein heiliger Charakter der Liebe und Sanftmut niemals von Sünde vergiftet. Gerade weil er kein sündiges Wesen hat, schaut er als absolut Heiliger nicht hochmütig und missmutig auf solche hinab, die gesündigt haben. Wir können also sagen: Dass er versucht wurde wie wir und dass er der Sünde nie nachgab, macht ihn genau zu dem großen und mitfühlenden Hohenpriester, den wir brauchen.

Wenn wir in dieser Weise auf Jesus schauen, den Anfänger und Vollender unseres Glaubens (vgl. Hebr 12,2), werden unsere Herzen zu ihm hingezogen, sodass wir uns dem Thron der Gnade durch Christus nähern.

3. Der mutige Zugang durch Christus

„So laßt uns nun mit Freimütigkeit hinzutreten zum Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit erlangen und Gnade finden zu rechtzeitiger Hilfe!“ (Vers 16)

Wenn Jesus solch ein Hoherpriester ist, dann dürfen wir nicht nur zum Gnadenthron kommen, sondern uns wird sogar geboten, freimütig – also geradeheraus, mutig, nicht verunsichert – vor diesem Thron zu erscheinen! Martyn Lloyd-Jones sagte einmal: „Wir sollten uns darüber im Klaren sein: Es ist kein Anzeichen von Demut, keine wahre Frömmigkeit, wenn wir in die Gegenwart Gottes zaghaft gehen, ob er uns denn wirklich vergibt.“[2] Auch Martin Luther ermahnt uns in seiner wunderbar schlagfertigen Art, uns Gott nicht halbherzig zu nahen, wenn er sagt:

„Darum ist es ein schädlicher Wahn derer, die also beten, dass sie nicht dürften … gewisslich schließen, dass Gott erhört, sondern bleiben in dem Zweifel und sagen: wie sollte ich doch so kühn sein und rühmen, dass Gott mein Gebet erhöre? bin ich doch ein armer Sünder? Das macht, dass sie nicht auf Gottes Verheißung, sondern auf ihre Werke und eigene Würdigkeit sehen, damit sie Gott verachten und Lügen strafen“[3]

Das rechte Bild von Christus zu haben, zeigt sich in unserem Alltag also daran, dass wir gern und mutig zum Thron der Gnade kommen. Welch ein Befreiungsschlag für unsere zaghaften Herzen!

Jesu Werk am Kreuz und sein Amt als Hoherpriester lädt uns ein zu kommen, doch hier hört es nicht auf. Wenn wir nun zum Gnadenthron des Vaters kommen, wird uns tatsächlich in unserer Schwachheit geholfen, weshalb wir ohne Zögern und in jeder Situation kommen dürfen und sollen. Rechtzeitige Hilfe kann bedeuten, dass wir Hilfe suchen, um aus einer Versuchung gerettet zu werden. Rechtzeitige Hilfe kann jedoch auch bedeuten, dass wir nach einem Fehltritt umgehend kommen, um Vergebung zu empfangen, statt uns von Gott für eine Zeit zu distanzieren, um losgelöst von ihm Buße zu suchen und Sünde zu bekämpfen.

Vielleicht warst du in deinem Leben schon einmal an dem Punkt, an dem niemand mehr Verständnis und Mitgefühl für dich hatte. So ein Gefühl der Einsamkeit und Trennung ist schmerzhaft. Es gibt jedoch einen, bei dem selbst die größten und schlimmsten Sünder nicht verzagen müssen, wenn sie auf den vertrauen, der in den Himmel gefahren ist: Jesus Christus, unser großer Hoherpriester!


[1] Thomas Goodwin, Das Herz Christi, Waldems: 3L Verlag, 2021, S. 48.

[2] Jason Meyer, Lloyd-Jones on the Christian Life: Doctrine and Life as Fuel and Fire, Wheaton: Crossway, 2018, S. 54.

[3] Martin Luther, Wie man beten soll, Gießen: Brunnen Verlag, 2017, S. 88–89.