
Über den Tod
Tim Keller, ein bekannter amerikanischer Prediger, wurde einmal von einer schwer kranken Frau gebeten, bei ihrer Beerdigung das Evangelium zu verkünden. Aufgrund der positiven Rückmeldungen verfasste er auf Grundlage jener Predigt später ein Büchlein. Wenige Wochen danach erfuhr er, dass er selbst todkrank war, und veröffentlichte etwas später einen Artikel, in dem er die ersten Monate nach der Diagnose, im Angesicht des Todes, reflektiert. Die Zusammenführung dieser beiden Texte liegt seit Kurzem in deutscher Übersetzung vor: ein kurzes Buch, doch tief und persönlich. (Anm.d.Red.: Zwischen dem Verfassen dieser Rezension und ihrer Veröffentlichung ist Tim Keller heimgegangen.)
Angst und Trauer
Im ersten Kapitel ist hinführend über die Angst vor dem Tod zu lesen. Keller schreibt darüber, wie unsere westlichen Gesellschaften den Tod verdrängen – und doch holt er jeden ein. Die Säkularisierung hat dazu geführt, dass im Unterschied zu den meisten Kulturen und Religionen Sinn und Hoffnung des Lebens rein diesseitig gesehen werden. Somit zerstört der Tod alle Perspektiven des Menschen. Und so wird mangels Antwort versucht, ihn zu verdrängen, anstatt sich darauf vorzubereiten. Auch wenn nicht mehr von Sünde geredet wird, so ist das Bewusstsein von Schuld nicht auszulöschen und tritt angesichts des Todes häufig an die Oberfläche. Keller nennt den Tod das „Riechsalz“, welches Menschen aufschrecken und den Blick auf das Evangelium öffnen kann.
„Der Tod zerstört alle Perspektiven des Menschen. Und so wird mangels Antwort versucht, ihn zu verdrängen, anstatt sich darauf vorzubereiten.“
Das zweite Kapitel widmet sich der Trauer über den Tod eines anderen Menschen. Da der Tod kein natürlicher Teil des Lebens ist, sondern eine Folge des Sündenfalls, ist Trauer angemessen. Für Christen soll die Trauer jedoch nicht zur Verzweiflung werden, da wir unsere Glaubensgeschwister einmal in viel herrlicheren Umständen wiedersehen werden. Uns erwarten Beziehungen der Liebe ohne Sünde, verwandelte Auferstehungsleiber und vor allem die Gemeinschaft mit Gott – und das für alle Ewigkeit. Durch Christi vollbrachtes Werk ist dies alles keine unsichere Hoffnung, die von unseren Werken abhängt, sondern darf für Kinder Gottes gewisse Erwartung sein. Der Tod hat seinen größten Schrecken verloren.
Herzensarbeit
Das dritte Kapitel des Buches besteht aus dem Artikel, welchen Keller einige Monate später verfasste. Er berichtet, wie er, nachdem er so viele kranke Menschen begleitet hatte, selbst eine schwere Krebsdiagnose bekam. Trotz aller Beschäftigung mit dem Thema in der Vergangenheit fiel es auch ihm anfangs schwer, den nahenden Tod zu akzeptieren. Die Wahrheiten, die er kannte, mussten nun in seinem Herzen umgesetzt werden. Keller beschreibt einige Methoden dieser „Herzensarbeit“, z.B. die Beschäftigung mit der Auferstehung und den Psalmen. Auch wenn seine grundsätzlichen Überzeugungen nicht wankten, so musste er doch feststellen, dass er wie viele andere die Möglichkeit eines baldigen Todes verdrängt hatte. Unbewusst war er in gewisser Hinsicht von der Lüge unserer Kultur geprägt worden, dass uns ein angenehmes Leben zustehen würde. Als nun diese Perspektive mit ihren falschen Erwartungen erschüttert wurde, wurden er und seine Frau in einem längeren Prozess dafür bereit, Gottes gute Gaben tiefer zu genießen.
Zuletzt folgt ein zweiteiliger Anhang. Zuerst wird der Leser angesprochen, der selbst den Tod nahen sieht, anschließend der Trauernde. Beiden wird nach einer Einleitung je ein Wochensatz an Bibelpassagen mit kurzem Gedankenanstoß zum Nachdenken mitgegeben.
Trost im Evangelium
Dieses Buch ist durch seine ungewöhnliche Entstehungsgeschichte ein besonderes Dokument. Es rüttelt auf, sich die Endlichkeit des Lebens bewusst zu machen, und ist vom Evangelium durchzogen. Inhaltlich bewegt sich Keller meist innerhalb allgemeiner christlicher Grundüberzeugungen und grundlegender Gesellschaftsbetrachtung, sodass sich nur relativ wenige Passagen finden, an welchen man nicht so ganz zustimmt. Da das Buch nicht exegetisch, sondern seelsorgerlich und evangelistisch ausgerichtet ist, muss auch nicht jede Formulierung auf die Goldwaage gelegt werden. Sehr angenehm ist, dass Keller die Bibel nicht nur gelegentlich kurz erwähnt, sondern vor allem im zweiten Kapitel und dem Anhang eine breite Auswahl an Einzelversen und ganzen Passagen einfließen lässt. Zusammen mit dem Aufzeigen der säkularen und religiösen Irrwege im Blick auf den Tod sowie dem Bericht von der persönlichen Änderung der Perspektive bietet das Buch eine kraftvolle Erklärung der Besonderheit christlicher Hoffnung.
Schreibstil und Zitate
Der Schreibstil ist sauber und verständlich, wie von dem erfahrenen Autor zu erwarten war. Allerdings ist die flüssige Übertragung in eine andere Sprache und Kultur nicht bei jeder Formulierung möglich, gerade bei solch einem emotional beladenen Thema. So stolpert man stellenweise ein wenig, weil – wie in fast jedem übersetzten Buch – einzelne Formulierungen im Deutschen etwas unangemessen oder trocken klingen. Dies hält sich jedoch in Grenzen und das Buch ist trotzdem gut lesbar. Dennoch stellt sich die Frage: Wo sind unter uns die Autoren, die in ihrer Muttersprache solche seelsorgerlichen und evangelistischen Themen allgemein verständlich behandeln – und dabei dem deutschen Leser vertraute Trostzeilen von Paul Gerhardt anstatt übersetzter Reime mitgeben?
„Für Christen soll die Trauer nicht zur Verzweiflung werden, da wir unsere Glaubensgeschwister einmal in viel herrlicheren Umständen wiedersehen werden.“
Eine kleine Kritik muss auch bei diesem Buch noch angebracht werden: Wenngleich viele der zahlreichen verwendeten Zitate interessant und hilfreich sind, stolpert man bei der Lektüre einige wenige Male über fragwürdige Referenzen. Hier wäre, wie auch schon in manch anderem Keller-Buch, etwas mehr Vorsicht wünschenswert gewesen, unter anderem da Zitate wie eine Empfehlung wirken können.
Wert und Nutzen des Buches
Was ist der praktische Wert und Nutzen des Buches? Es ist gut lesbar und interessant geschrieben und spannt dabei einen weiten Bogen. Der bibelkundige Leser wird wenig grundsätzlich Neues lernen und doch von dem Buch profitieren, indem Perspektiven erweitert und Wahrheiten anschaulich werden. Prinzipiell bietet es eine Anregung, über dieses große Thema vertieft zu reflektieren und sich auf künftige Situationen der Trauer – ob nun selbst erlebt oder im seelsorgerlichen Beistand – vorzubereiten. Ob ein Trauernder direkt beim Lesen Trost erfährt, ist nicht allgemein zu beantworten und hängt sicherlich vom persönlichen Charakter und der konkreten Situation ab. Durch die überlegte Hinleitung und verständliche Erklärung bietet sich das Buch auch an, um es an Bekannte – vermutlich insbesondere mit traditionskirchlichem Hintergrund – zu verschenken und ihnen in der Trauer den Trost des Evangeliums bekannt zu machen. Am allgemeinsten kann man das Buch wohl den Predigern empfehlen: Wer selbst Trauerreden hält, wird hier auf wenigen Seiten gebündelt hilfreiche Anregungen für diese schwere Aufgabe erhalten.
Buch
Timothy Keller, Über den Tod: In Sterben und Tod die Hoffnung behalten, Gießen: Brunnen-Verlag, 2023, 96 Seiten, ca. 12 EUR.