Ruth

Rezension von Sebastian Götz
20. Juli 2023 — 8 Min Lesedauer

Es gibt bekannte und weniger bekannte Berichte in der Bibel. Das Buch Ruth gehört klar in die erste Kategorie. Wer christlich aufgewachsen ist, war in Kinderstunden oft mit Naemi und Ruth auf Wanderschaft, hat mit ihnen Hunger gelitten und schließlich mit Ruth und Boas Hochzeit gefeiert und so die Verwandlung von Leid in Glück durchlebt. So ging es auch mir, weshalb ich eine gewisse Skepsis hatte, ob ich bei John Pipers Buch über diesen Bericht für mich wirklich Neues entdecken würde. Seine Ausarbeitung hat mich dann aber Seite für Seite mehr begeistert und ich durfte mich von Naemi, Ruth und Boas ganz neu für mein Leben herausfordern lassen.

Ruth für heute

Piper folgt in seiner Gliederung der Struktur des biblischen Berichtes. Dabei ist sein Buch aber kein klassischer Kommentar, sondern möchte die dauerhaft gültigen Wahrheiten der Ruth-Erzählung in unsere Zeit und unser persönliches Leben transportieren.

Dies gelingt dem Autor hervorragend. Wenn er z.B. davon schreibt, dass Naemi in drei Dingen sicher ist: „Gott existiert, Gott ist souverän und Gott hat mir Leid zugefügt“, dann wird es viele Leser geben, die zustimmend nicken. Vielleicht ist auch unser Glaube durch schweres Leid erschüttert worden. Womöglich stehen auch wir vor der Frage, wie ein liebender Gott dies in unserem Leben zulassen konnte: Wie passt es zusammen, dass Gott seine Kinder liebt, alles in der Hand hat und seinen Kindern doch so viel Leid widerfährt?

Providenz als Kernthema

Für Piper ist Gottes Providenz im Leben von Naemi, Ruth und darüber hinaus ohne Frage das Kernthema des Buches Ruth. Providenz? Ja, du hast richtig gelesen: Providenz. Die Übersetzer haben bewusst dieses alte Wort gewählt, um den Leser herauszufordern, über das dahinterstehende Konzept nachzudenken, welches viel mehr bedeutet als ein simples Vorausschauen. Dies wirkt beim Lesen immer wieder ungewohnt, erreicht aber das gewünschte Ziel: Man denkt darüber nach, was die Providenz eines handelnden Gottes wirklich bedeutet.

Diese Frage nach der Providenz Gottes ist wie ein roter Faden durch das Buch Ruth gewebt und bestimmt aus diesem Grund auch Pipers Ausarbeitung. Weil sie so relevant ist, legt der Autor seinen Schwerpunkt darauf, uns am Leben von Naemi zu zeigen, dass selbst die bittersten Dinge in unserem Leben von Gott benutzt werden, um etwas Geniales zu schaffen. Pipers Blick auf Naemi und Ruth gibt uns Hoffnung und Ermutigung, wenn wir selbst durch dunkle Zeiten im Leben gehen müssen. Wenn wir beginnen, an Gottes Liebe zu zweifeln, und seine Wege nicht mehr verstehen, zeigt Piper uns im Blick auf Naemi, wie wir neuen Mut fassen können. Er verdeutlicht es anhand dessen, wie Gott in den Tiefen von Naemis Leben das Fundament legt, um ihr ein zukünftiges Glück zu schenken, das sie sich nie zu erträumen gewagt hat.

Für Piper steht am Ende über dem Buch Ruth die Ermutigung, dass das Leben für alle wiedergeborenen Kinder Gottes zwar nicht geradlinig in die Herrlichkeit führt, aber dass sie gewiss dort ankommen werden. So hat es auch Naemi erfahren, als sie am Ende in der tiefen Zufriedenheit über Gottes Providenz zur Ruhe kommen darf. Aus all dem Leid entspringt die königliche Linie Davids, welche später im Messias, dem wahren und einzigen Erlöser für diese Welt endet. Bei Naemi führt dies zu einem überschwänglichen Lobpreis Gottes. Was löst es bei uns aus, wenn wir dieses geniale Handeln Gottes erkennen?

Brandaktuelle Fragen

In seiner Betrachtung bleibt Piper aber nicht bei Naemi stehen, sondern wendet seinen Blick auch auf Ruth. In ihr sieht man eine junge Frau, die gegen alle rationalen Argumente Schutz beim Gott Naemis, dem Gott Israels, sucht. Er schafft es, dass das Risiko, welches Ruth auf sich nimmt, als sie alles verlässt, dem Leser plastisch vor Augen steht. Für alle, die der Glaube auch heute viel kostet, ist diese Betrachtung von Ruth eine enorme Ermutigung. Es lohnt sich, sein Vertrauen auf Gott zu setzen, auch wenn zunächst alles dagegenspricht. Spannend wird es, wenn sprachliche Details betrachtet werden und der Autor zeigt, was es bedeutet, dass Ruth Schutz unter den Flügeln Gottes sucht. Hier ist der Betrachter längst nicht mehr an der Oberfläche des biblischen Berichtes, sondern zeigt, wie hier auf sprachlicher Ebene Verbindung zum Schutzsuchen bei Boas besteht. Solche wertvollen Details motivieren, sich selbst wieder viel mehr mit dem biblischen Bericht zu beschäftigen.

Neben dieser großen Hauptlinie werden noch einige andere Fäden herausgearbeitet, die sich durch das Buch Ruth ziehen. Oft berühren diese brandaktuellen Fragen unsere Zeit. Dies wird deutlich, wenn der Autor zeigt, dass die Geborgenheit bei Gott für Ruth zu einer sehr bewussten Risikobereitschaft führt. Wer bei Gott seine Sicherheiten hat, der kann in diesem Leben mehr wagen und Risiken auf sich nehmen, denn die Zukunft ist gesichert.

„Wer bei Gott seine Sicherheiten hat, der kann in diesem Leben mehr wagen und Risiken auf sich nehmen, denn die Zukunft ist gesichert.“
 

In einer Zeit, die den Fokus darauf setzt, zu leben, wonach einem gerade ist, und in der sexuell alles möglich und ok ist, sind Boas und Ruth ein leuchtendes Vorbild, wie man anders, besser lebt. Hier schafft es Piper, dass dem Leser deutlich wird, in welch einer romantischen, gefühlsgeladenen Situation sich die beiden auf der Tenne des Boas wiederfinden. Um so ermutigender ist ihr Verhalten, Rechtschaffenheit vor das schnelle Vergnügen zu stellen. Ja, mehr noch: Um der Rechtschaffenheit willen setzen sie sogar all ihr zukünftiges Glück aufs Spiel, ohne zu wissen, wie es ausgehen wird. Welch ein Heldenmut!

Mit Blick auf den Ausgang macht Piper dann auch deutlich, dass es sich lohnt, mit demselben Fokus auf Rechtschaffenheit zu leben wie Boas und Ruth. Jeder Leser darf hier wissen: Im Blick auf die Ewigkeit ist die Reinheit des Augenblicks wertvoller als jedes kurzzeitige Vergnügen – es lohnt sich!

Herausfordernde Themen

Ein weiterer Faden, den Piper verfolgt, ist die Art, wie Ruth und Boas ihr Frau- und Mannsein leben. Dies ist besonders wertvoll, da ein solcher Beitrag gerade jungen Männern und Frauen Orientierung geben kann, ihre gottgegebene Rolle zu finden und auszufüllen.

Ebenfalls brisant für unsere Zeit ist das Zusammenleben verschiedener Ethnien. Im Buch Ruth spitzt sich das in der Ehe einer Moabiterin mit Boas zu, einem aufrichtigen Israeliten. Ja, mehr noch, Ruth wird in den Stammbaum Jesu aufgenommen. Piper nutzt dies, um deutlich zu machen, dass in der Nachfolge Jesu, in seiner Gemeinde, alle ethnischen Grenzen fallen. Als Christen dürfen wir hier besonders herausgefordert sein, keine neuen Grenzen und Mauern gegen Menschen aus anderen Nationen aufzubauen.

Zum Ende hin macht Piper nochmals deutlich, dass es im Buch Ruth nicht nur um das Leben von Naemi, Ruth und Boas geht, sondern dass Gott im Hintergrund eine viel größere Geschichte schreibt. Er bereitet die Linie des Erlösers vor. Herausfordernd für viele Leser werden dabei sicherlich seine Gedanken zu Gottes Souveränität über die Sünde sein. Hier sollte man sich Zeit nehmen, die Ausführungen in Ruhe zu lesen und zu durchdenken.

Zum Abschluss des Buches gibt der Autor seinen Lesern sieben Herausforderungen aus dem Buch Ruth mit auf den Weg, die jeder Leser praktisch in seinem Leben umsetzen kann.

Herausfordernd und ermutigend

Mit dem Buch schlägt Piper eine große Brücke über Jahrtausende hinweg aus der Zeit der Richter mitten in das Leben im 21. Jahrhundert. Schnell merkt man beim Lesen, wie die Fragen und Antworten des Buches Ruth heute noch genauso aktuell sind wie damals. Auch heute erfahren Christen ähnliches Leid wie Naemi, und die Fragen nach Gottes Providenz und dem Warum stehen im Raum. Der Blick auf Ruth will hier neuen Mut geben, Gott zu vertrauen, auch wenn alles gegen ihn spricht. Es stimmt, dass Gott am Ende für seine Kinder wirklich alles gut macht.

Auch die vielen kleinen Fäden treffen unser Leben: Wie kann ich meine Rolle als Mann oder Frau richtig ausfüllen? Wie sollen wir als Gesellschaft oder Gemeinde aus unterschiedlichen Nationen und Ethnien zusammenleben? Piper fordert heraus, ist aber vor allem ermutigend. Er macht Mut, Gott von ganzem Herzen zu vertrauen und deshalb mit ganzem Risiko für ihn zu leben.

Drei Zielgruppen

Wer soll dieses Buch lesen? Alle, die in ihrem Leben Leid erfahren haben oder durch Leid gehen und denen die Providenz Gottes bitter ist. Piper schafft es auf eine sehr freundliche Art, den Blick auf einen liebenden Gott zu lenken, der in allem Leid am Wirken ist und das Bittere in Freude verwandeln wird.

Als zweite Gruppe möchte ich das Buch vor allem jüngeren Lesern ans Herz legen. Sie dürfen sich herausfordern lassen, ihr Mann- und Frausein an anderen Maßstäben auszurichten als der Rest der Gesellschaft um sie herum. Piper macht Mut, hier wie Ruth und Boas gegen den Strom zu schwimmen und einen Unterschied zu machen.

Zuletzt sei das Buch jedem empfohlen. Das Lesen lässt uns neu über die Schönheit von Gottes Wirken und Handeln staunen. Dieses Buch wird dich ermutigen, dein Leben ganz neu auf Gott hin auszurichten, indem du Schutz unter seinen Flügeln suchst. Komm unter seine Flügel!

Buch

John Piper, Ruth: Sex, Rassismus und die Souveränität Gottes, München: Solid Rock Verlag, 2022, 128 Seiten, ca. 15 EUR.