Brauchen wir eine Gemeindeordnung?
Gemeindeordnung – dieses Thema sorgt bei vielen Christen vermutlich für ein Stirnrunzeln: Warum ist so etwas überhaupt wichtig? Was steht in einer Gemeindeordnung? Kennt die Bibel ein solches Dokument? Um auf diese Fragen zu antworten, möchte ich zuerst einen kurzen Überblick über die wesentlichen Inhalte einer Gemeindeordnung geben. Danach kommen wir zum Schwerpunkt dieses Artikels: der Notwendigkeit einer Gemeindeordnung.
Der Inhalt einer Gemeindeordnung
Der Inhalt einer Gemeindeordnung wird zum großen Teil durch die Erklärung der Aufgaben und Verantwortung der verschiedenen Ämter der Gemeinde bestimmt. Aber nicht nur das Thema der Gemeindeleitung, sondern viele weitere Fragen des Gemeindealltags sind in einer Gemeindeordnung zu klären:
- Wer kann Mitglied werden und wie läuft der Aufnahmeprozess ab?
- Wie wird das Abendmahl gefeiert und wer kann teilnehmen?
- Wie werden Taufen durchgeführt und wer soll getauft werden?
- Wer kann getraut werden und was bedeutet das? Hier gilt es im Besonderen zu bedenken, dass nicht der Staat, sondern Gott bestimmt, was eine Ehe ist.
- Welche Verantwortung haben Mitglieder?
- Wie wird mit den Spendengeldern umgegangen? Gerade beim Thema Geld gibt es viel Misstrauen und leider auch immer wieder Missbrauch.
- Was tun, wenn es zu Streit in der Gemeinde kommt?
- Wie läuft die Zusammenarbeit mit anderen Gemeinden ab?
Darüber hinaus gibt es noch viele weitere Themen – nicht zuletzt die Frage der Gemeindezucht. Alle diese Fragen sollten in einer Gemeindeordnung auf Basis der Bibel geklärt werden, um die Einheit der Gemeinde – ihre Einheit in Christus – nicht in Gefahr zu bringen. Paulus schreibt der Gemeinde in Korinth, welche nicht nur mit Spannungen, sondern handfesten Parteiungen und Streit zu kämpfen hatte:
„Gott ist treu, durch den ihr berufen seid zur Gemeinschaft mit seinem Sohn Jesus Christus, unserem Herrn. Ich ermahne euch aber, ihr Brüder, kraft des Namens unseres Herrn Jesus Christus, dass ihr alle einmütig seid in eurem Reden und keine Spaltungen unter euch zulasst, sondern vollkommen zusammengefügt seid in derselben Gesinnung und in derselben Überzeugung.“ (1Kor 1,9–10)
Anschließend folgen gerade in den Korintherbriefen sehr viele konkrete Anordnungen des Apostels. Paulus ordnet das Gemeindeleben, indem er klare Anweisungen gibt. Wir müssen hier eine notwendige Schlussfolgerung ziehen: Eine Gemeinde braucht eine Ordnung, sonst kommt es zu Streit und Spaltung oder zu etwas noch Schlimmerem – das Evangelium gerät aus dem Zentrum.
Die Notwendigkeit einer Gemeindeordnung
Ist eine Gemeindeordnung heute wirklich noch wichtig? Gibt es nicht viel drängendere Themen? Welche Relevanz hat sie für uns bei all den Herausforderungen und vor allem unserem Auftrag zu evangelisieren? Reicht es nicht aus, wenn sich die Ältesten mit diesem Thema beschäftigen und die Gemeindeglieder davon verschont bleiben?
Der Herr regiert die Kirche
Die eigentliche Frage lautet jedoch: Wie möchte der Herr seine Kirche geleitet haben? „Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf Erden“ (Mt 28,18). Die Heilige Schrift sagt uns, dass Jesus Christus das Haupt der Kirche ist, die sein Leib ist (vgl. Eph 1,20–23; Kol 1,18). Dies ist wichtig für die Leiter einer Gemeinde ebenso wie für die Glieder, die sich den Gemeindeleitern unterordnen sollen, so wie sie sich Christus unterordnen. Das können sie aber nur von Herzen tun, wenn sie verstehen, dass die Gemeindeleiter nach den Ordnungen leiten, die der Herr in seinem Wort gegeben hat.
„Eine Gemeinde braucht eine Ordnung, sonst kommt es zu Streit und Spaltung oder zu etwas noch Schlimmerem – das Evangelium gerät aus dem Zentrum.“
So wie es unser Herzensanliegen ist, dass Christus das Zentrum der Gemeinde bildet, so sollten wir auch darum bemüht sein, dass es Strukturen und Ordnungen nach seinem Willen in der Gemeinde gibt. Schließlich sind wir keine menschliche Vereinigung. Unsere Gemeinschaft hat ihren Ursprung nicht in unserem Willen, sondern ist ein Geschenk Gottes. Er hat uns in seine Gemeinde eingefügt, indem er uns durch Christus gerettet hat. Die Gemeinde ist die Frucht des Evangeliums. Sie ist nicht unsere, sondern Gottes Schöpfung, wie es in dem bekannten Lied heißt: „Die Kirche steht gegründet allein auf Jesus Christ, sie, die des großen Gottes erneute Schöpfung ist.“
Trennung zwischen Staat und Kirche
Die Gemeinde ist in, aber nicht von dieser Welt. Der Druck, sich der Welt anzupassen und den Staat als oberste Autorität anzusehen, sind so groß, dass eine Gemeindeordnung unabdingbar ist.
Die Trennung von Staat und Kirche bedeutet, dass die Kirche ihr Gemeindeleben, ihr Bekenntnis und nicht zuletzt ihren Gottesdienst und ihre Verkündigung nicht vom Staat bestimmen lässt, sondern von Christus. Er ist der Herr über die weltliche Obrigkeit und über die Gemeinde. Die Trennung von Staat und Kirche muss darum nicht nur von staatlicher Seite, sondern auch seitens der Gemeinde geregelt sein. Wenn wir diese Trennung dem Staat und seinen Gesetzen allein überließen, wäre das das Ende der Religionsfreiheit. Deshalb muss geklärt werden, was auf Grundlage der Bibel eine Kirche ist.
Unser Zeugnis in der Welt: Ein geordnetes Gemeindeleben bezeugt unsere Liebe zueinander und zu Gott in der Welt
Gegenseitige Rücksichtnahme und ein geordnetes, friedliches Miteinander passieren nicht automatisch, auch nicht in der Gemeinde. Darum thematisiert Paulus den Gottesdienst in der Gemeinde in Korinth. Das Problem war nicht, was die Einzelnen sagten oder beteten, sondern das Chaos und Durcheinander dabei. So konnte es nicht zur Erbauung und auch nicht zum Lob Gottes geschehen. Die äußere Form, die Ordnung spielt eine große Rolle, nicht nur der Inhalt:
„Wie ist es nun, ihr Brüder? Wenn ihr zusammenkommt, so hat jeder von euch etwas: einen Psalm, eine Lehre, eine Sprachenrede, eine Offenbarung, eine Auslegung; alles lasst zur Erbauung geschehen!“ (1Kor 14,26; Hervorh.d.Verf.)
Die Botschaft der drei Kapitel zu den Geistesgaben und zum Gottesdienst (1Kor 12–14) lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Wir sollen einander dienen und erbauen – aus Liebe zueinander und zur Ehre Gottes. Wie kann das geschehen? Paulus erklärt das ganz konkret in 1. Korinther 14,27–39 und fasst zusammen: „Lasst alles anständig und ordentlich zugehen!“ (14,40), denn: „Gott ist nicht ein Gott der Unordnung, sondern des Friedens“ (14,33).
Gerade unsere Anbetung soll unsere Einheit aufzeigen. David P. Barry schreibt dazu:
„Unsere Anbetung soll uns und der zusehenden Welt demonstrieren, dass Jesus die Macht hat, eigensinnige Individuen in eine Familie zu verwandeln. Aber wenn wir nicht vereint handeln, dann wird ein außenstehender Beobachter aus der Unordnung zu Recht schließen können, dass wir uns nicht darauf geeinigt haben, was wir tun.“
Das gilt für alle Bereiche des Gemeindelebens. Wie oft werden wir zu Einheit und Einmütigkeit aufgefordert? Diese entstehen durch Unterordnung unter Christus und untereinander. Eine Gemeindeordnung, die dieses Miteinander beschreibt, stärkt und schützt die Einheit der Gemeinde, die wiederum ein Schutz gegen Angriffe von außen, aber auch ein Zeugnis der Liebe Jesu für die Welt ist.
Den Auswirkungen der Sünde wehren
Viele der neutestamentlichen Briefe enthalten Anordnungen der Apostel für das Leben der Gemeinde. Manche Christen meinen, es bedürfe keiner besonderen Ordnungen, wenn man einfach dem Beispiel der Urgemeinde in Jerusalem folgen würde. Beim Lesen der Briefe wird hingegen deutlich, dass es schnell zu Problemen, Streit, Ungerechtigkeiten, Sünden und Irrlehren in den jungen Gemeinden kam. Die ersten Christen hatten viele Geschenke bekommen. Sie erlebten sichtbar die Ausgießung des Heiligen Geistes, wurden direkt durch die Apostel unterwiesen, waren mit vielen Geistesgaben gesegnet und erlebten eine große Zahl von Bekehrungen. Trotzdem hatten sie eine Ordnung durch Ämter und weitere Regelungen nötig. Die Probleme bei der Witwenspeisung sind ein Beispiel dafür (vgl. Apg 6,1–7).
Die neutestamentlichen Briefe weisen immer wieder darauf hin, dass das Evangelium in allen Bereichen des Gemeindelebens und Glaubens prägend ist und wir uns vom Geist leiten lassen müssen (vgl. Röm 8). Ferner geben sie genaue Anweisungen, wie mit den Problemen umgegangen und manche Dinge generell gehandhabt werden sollen. Wie schon erwähnt, ist der erste Brief an die Korinther voll von solchen Beispielen.
In Korinth gab es nach der Abreise von Paulus durch das Wirken von Irrlehrern viel Chaos, Streit, Parteiungen und Sünde, obwohl Paulus gerade dieser Gemeinde bescheinigen muss, von Gott überreich mit Geistesgaben ausgestattet worden zu sein. Der Gemeindegründer musste vehement für Ordnung sorgen: „Was wollt ihr? Soll ich mit der Rute zu euch kommen, oder in Liebe und im Geist der Sanftmut?“ (1Kor 4,21). Anschließend folgen seine vielen Anordnungen:
- Paulus spricht in einem extremen Fall von Unzucht Gemeindezucht aus: „Denn ich … habe schon, als wäre ich anwesend, über den, der dies auf solche Weise begangen hat, beschlossen, den Betreffenden im Namen unseres Herrn Jesus Christus und nachdem euer und mein Geist sich mit der Kraft unseres Herrn Jesus Christus vereinigt hat, dem Satan zu übergeben zum Verderben des Fleisches, damit der Geist gerettet werde am Tag des Herrn Jesus“ (5,3–5).
- Paulus spricht Ehelosigkeit, Ehe und Scheidung an und ruft die Gemeindeglieder auf: „Doch wie Gott es jedem Einzelnen zugeteilt hat, wie der Herr jeden Einzelnen berufen hat, so wandle er! Und so ordne ich es in allen Gemeinden an“ (7,17).
- Das Gehalt des Pastors ist nicht von der Gnade der Gemeinde abhängig, sondern die Gemeinde verpflichtet sich, ihn zu versorgen, denn sie ist von der Bibel her dafür verantwortlich. Paulus selbst hat auf dieses Recht bei den Korinthern verzichtet, schreibt aber: „Wenn andere an diesem Recht über euch Anteil haben, sollten wir es nicht viel eher haben?“ (9,12a).
- Selbst beim Abendmahl ging es in Korinth drunter und drüber, wie uns in Kapitel 11 ab Vers 17 berichtet wird. Paulus erklärt daraufhin nochmals die Bedeutung des Abendmahls und gibt konkrete Anweisungen zur Durchführung (vgl. 11,27–34), die er zukünftig sogar noch erweitern will: „Das Übrige will ich anordnen, sobald ich komme“(11,34b). Es scheint demnach so, als ob Paulus noch ein paar Dinge spezifisch für Korinth ordnen wollte, um auf die dortige Situation einzugehen. So müssen oder können Gemeinden Dinge angepasst an ihre Situation ordnen.[1]
- Wie schon erwähnt, widmet der Apostel mehrere Kapitel dem Thema Gnadengaben und Gottesdienst. Er zeigt die Pflichten jedes Gemeindeglieds für alle anderen Glieder durch das Bild des Leibes auf (vgl. 11,12–27). Dann geht er auf die von Gott gegebenen Ämter in der Gemeinde ein (11,28–30) und erklärt ausführlich, wie die geistlichen Gnadengaben im Gottesdienst angewendet werden dürfen (14,26–39), um am Ende diesen ganzen Themenkomplex mit folgenden Worten abzuschließen: „Lasst alles anständig und ordentlich zugehen!“ (14,40).
- Im letzten Kapitel geht Paulus auf die Sammlung für die verarmte Gemeinde in Jerusalem ein und erklärt dabei, auf welche Weise in der Gemeinde gespendet und wie mit den Geldern umgegangen werden soll. Interessant ist hier: Er betont besonders, dass diese Anordnungen in allen Gemeinden gelten sollen: „Was aber die Sammlung für die Heiligen anbelangt, so sollt auch ihr so handeln, wie ich es für die Gemeinden in Galatien angeordnet habe“ (16,1).
- Vor seinen abschließenden Grüßen geht Paulus noch einmal auf die Gemeindeleiter und Prediger ein, durch die es zu den erwähnten Parteiungen kam. Auch hier gibt der Apostel einige Anordnungen für den Umgang damit und fasst zusammen: „Ordnet auch ihr euch solchen unter und jedem, der mitwirkt und arbeitet“ (16,16).
Viele Gemeinden haben in sexuellen Fragen auch heute wieder mit den sprichwörtlichen „korinthischen Verhältnissen“ zu kämpfen. Wie viel Streit und Spaltung haben die meisten von uns wegen viel geringerer Anlässe, als die in den biblischen Briefen erwähnten, erleben müssen? Der Grund liegt oftmals im unterschiedlichen Verständnis von Gemeinde gepaart mit Hochmut. Wir müssen uns fragen: Ist die Liebe wirklich unser Hauptkennzeichen und somit ein Zeugnis für die Liebe unseres Herrn? Darum tun wir gut daran, uns auch heute an die biblischen Ordnungen für die Gemeinde zu halten, denn sie helfen uns, Christus und sein Wort im Zentrum zu halten und so die Einheit zu bewahren. Das führt uns zur wichtigsten Aufgabe einer Gemeindeordnung.
Die Hauptaufgabe einer Gemeindeordnung: schützende Mauer
Die Hauptaufgabe einer Gemeindeordnung ist es, soweit es irgend geht, sicherzustellen, dass das Evangelium im Zentrum bleibt, denn dies ist keinesfalls selbstverständlich – obwohl wir doch alle Jesus lieben, seinen Geist haben und eigentlich alle dasselbe wollen. Das Evangelium ist umkämpft. Der Teufel greift die Gemeinde auf allen erdenklichen Wegen an. Sein Ziel ist, die Gemeinde ihrer Grundlage, nämlich des Evangeliums, zu berauben. So greift er die Bekenntnisgrundlage entweder direkt durch Irrlehren an oder er versucht, dafür zu sorgen, dass wichtige Lehren an den Rand gedrängt werden. Doch ebenso sind Streit und Spaltung der Gemeinschaft seine beliebten Angriffstaktiken, um Gemeinden wegen zweit- oder drittrangiger Fragen auseinanderzubringen.
Natürlich spielt das Bekenntnis einer Gemeinde eine herausragende Rolle, damit das Evangelium im Zentrum bleibt. Das ist aber nicht alles. Denn auch wenn die Inhalte der Gemeindeordnung nicht zu den Dingen gehören, die heilsnotwendig sind, so dienen sie doch dazu, diese wichtigen Glaubensgrundlagen zu schützen.
Wie wichtig ist es beispielsweise, genau zu klären, wer Pastor werden kann. Nicht wenige Gemeinden sind über die Jahre, anfangs unmerklich, doch irgendwann offensichtlich, auf Abwege gekommen. Wie konnte es dazu kommen? In vielen Fällen lief es folgendermaßen: Einst gab es einen Pastor, dessen Predigten eher Moral vermittelten als das Evangelium oder die Glaubensgrundlagen. Letztere wurden vorausgesetzt, bildeten aber nicht das Zentrum der Verkündigung. Später kam ein neuer Pastor, der gut predigen konnte und vielleicht sehr fleißig war, er hielt die Bibel aber nicht für das autoritative Wort Gottes. Wie sein Vorgänger predigte er christliche Moral, sodass der Gemeinde kaum ein Unterschied in der Verkündigung auffiel. Man dachte, alles sei gut, doch der Boden war nun bereitet für bibelkritische, liberale Theologen. Mit ihnen verschwand schließlich auch die Moral und Ethik der Bibel. Wenn sich irgendwann meist ältere Mitglieder fragen, wie es passieren konnte, dass nicht mehr biblische Themen (vom Evangelium ganz zu schweigen), sondern der Klimaschutz das Predigtthema Nummer eins geworden ist, ist es zu spät.
Vielleicht wurde Christus auch an den Rand gedrängt, weil ohne genauere Prüfung neue Gemeindeglieder aufgenommen wurden. So sind über die Jahre immer mehr Scheinchristen oder Moralisten Teil der Gemeinde geworden, die nun weitgehend den Kurs der Gemeinde bestimmen.
Eine wohldurchdachte Gemeindeordnung ist sicher keine Garantie, solche Entwicklungen zu verhindern, aber sie kann eine gute Hilfe sein. Man kann sie mit einer schützenden Mauer um einen Weinberg vergleichen (vgl. Jes 5,1–7). Sie ist nicht dazu gedacht, möglichst viele auszuschließen und die Gemeinde in ihrem eigenen Saft schmoren zu lassen, sondern um die Ausrichtung der Gemeinde auf Christus zu stärken und Irrlehrer sowie unbußfertige Sünder abzuweisen. Auf diese Weise sorgt die Ordnung auch dafür, dass es in der Gemeinde Recht und Gerechtigkeit gibt.
Christus ist der Weinstock, wir sind die Reben. Wie wir aus dem Gleichnis vom Weinberg aus Jesaja 5,1–7 erfahren, umgibt Gott den Weinberg mit einem schützenden Zaun. In der Gemeinde muss es Recht und Gerechtigkeit geben – sie bilden den Schutzzaun.
Sicher kann nicht jeder mögliche Fall, der über die Jahre und Jahrzehnte in einer Gemeinde vorkommt, in dieser Ordnung bedacht werden. Deshalb sind Älteste bei neuen Problemen immer wieder gefordert, zu erforschen und zu erklären, was die Bibel zum konkret vorliegenden Fall lehrt. Dennoch schafft eine Ordnung Freiheit für andere wesentliche Aufgaben der Leiter und der ganzen Gemeinde. Wenn die Grundlagen des Gemeindelebens und die am häufigsten auftretenden Probleme in der Ordnung aufgeführt und geklärt sind, erleichtert das die Arbeit der Ältesten ungemein, sodass sie ihre Kraft in andere wichtige Bereiche stecken können. Wenn das alltägliche Miteinander durch eine gute Gemeindeordnung geregelt und transparent geordnet ist, können die täglichen Herausforderungen besser gemeistert werden.
„Wenn die Grundlagen des Gemeindelebens und die am häufigsten auftretenden Probleme in der Ordnung aufgeführt und geklärt sind, erleichtert das die Arbeit der Ältesten ungemein, sodass sie ihre Kraft in andere wichtige Bereiche stecken können.“
Neue Gemeindeglieder wissen zudem von vornherein, woran sie in dieser Gemeinde sind. Nicht zuletzt kann eine ausreichend detaillierte Gemeindeordnung auch die Gemeinde vor der autoritären Herrschaft nur eines Ältesten schützen. Ein Ältester kann dann eben nicht einfach so entscheiden, wie es ihm gefällt, sondern auch er muss sich nach der Ordnung der Gemeinde richten.
Probleme können teilweise ganz ausgeschlossen oder schneller geklärt werden und so bleiben Zeit und Energie, das Wort zu verkünden und Werke der Nächstenliebe zu tun. Das Evangelium und der Auftrag, der damit verbunden ist, bleiben im Zentrum.
Gott möchte uns keine Fesseln anlegen, sondern uns bewahren und sicher führen. Gott will uns durch seine guten Ordnungen segnen. Wie in allen Bereichen sollten wir nicht nach unserem Gutdünken Gemeinde bauen und leben, sondern Gottes Willen zu unserem eigenen Besten beachten.
Vorbehalte gegen eine Gemeindeordnung
Warum kann es uns schwerfallen, eine Gemeindeordnung zu befürworten? Oftmals liegt es an unseren schlechten Erfahrungen, die wir in manchen Gemeinden gemacht haben. Durch jede Enttäuschung steigt das Misstrauen zur Gemeinde, ihren Leitern und ihren Regeln. Man möchte lieber unverbindlich bleiben, um neue Probleme auszuschließen oder sich leichter wieder von der Gemeinde trennen zu können. Zu diesem generellen Misstrauen und auch der Enttäuschung kann sich aber auch schnell Stolz gesellen. Wir wollen uns nicht (mehr) unterordnen und denken, dass wir am besten allein zurechtkommen. Sind wir durch das Evangelium nicht sogar von äußerlichen Ordnungen befreit? Genügen die Bibel und vor allem der Heilige Geist nicht zu unserer Wegweisung? Hier müssen wir gewarnt sein. Der Teufel nutzt solche scheinbar frommen Erklärungen, um uns schrittweise auf falsche Wege zu führen.
Der Geist leitet uns durchaus. Aber wie macht er das? Vorrangig durch das Wort, dem wir gehorsam sein sollen (direkte Leitung). Dennoch kommt es leider oft zu unterschiedlichen Beurteilungen, Auslegungen oder Umsetzungen des Wortes und infolgedessen zu Streit und Spaltung. Das geschieht jedoch nicht, weil Gottes Geist nicht mächtig genug wäre, wohl aber, weil wir noch Sünder sind und vor allem, weil Gott uns wahre Unterordnung, Demut und Vertrauen beibringen möchte. Dazu nimmt er uns in die Schule und bedient sich der Amtsträger der Gemeinde als eines seiner Werkzeuge (indirekte Leitung): „Und er hat etliche als Apostel gegeben, etliche als Propheten, etliche als Evangelisten, etliche als Hirten und Lehrer, zur Zurüstung der Heiligen, für das Werk des Dienstes, für die Erbauung des Leibes des Christus“ (Eph 4,11–12). Wie Paulus auch zu den Ältesten von Ephesus sagt: „So habt nun acht auf euch selbst und auf die ganze Herde, in welcher der Heilige Geist euch zu Aufsehern gesetzt hat, um die Gemeinde Gottes zu hüten, die er durch sein eigenes Blut erworben hat!“(Apg 20,28).
„Nicht im Alleingang, sondern in der Gemeinde, in enger, verbindlicher Gemeinschaft mit seinen Brüdern und Schwestern lernt ein Christ Demut, Sanftmut, Langmut und Liebe.“
Die indirekte Leitung (Älteste) löst die direkte (Wort Gottes) nicht auf. Wir haben das Priestertum aller Gläubigen, wir sind alle Glieder am Leib, jeder mit seiner Begabung und Verantwortung. Aber die indirekte Leitung, die ihre Umsetzung dann auch durch die Gemeindeordnung findet, gibt die Grenzen und die Struktur vor, in der jeder sich mit seinen Gaben entfalten kann und soll.
Älteste sind nicht einfach dafür da, den Laden am Laufen zu halten. Sie sind ebenso wenig bloße Dienstleister oder Herrscher der Gemeinde. Sie sollen allen dienen, und das tun sie, indem sie leiten. Gott will durch sie die Gemeinde führen und bewahren, unterweisen und bauen. Natürlich muss geprüft werden, was Älteste tun und lehren. Aber Unterordnung unter Gott und sein Wort bedeutet praktisch, dass man sich der Leitung der von ihm eingesetzten Ältesten anvertraut. Alles andere ist Unterordnung nur in der Theorie. In der Praxis bleiben leider häufig die persönliche Auslegung und vor allem der eigene Wille und die Begierden das Entscheidende. Sobald einem aber der Kurs der Gemeinde oder die Entscheidungen der Ältesten nicht mehr zusagen, entzieht man sich dann ihrer Leitung oder der Gemeindezucht. (Der Fall ist natürlich anders gelagert, wenn Älteste unbiblische Entscheidungen treffen.)
Es bleibt dabei: Jeder Christ braucht Gemeinde. Gemeindemitgliedschaft ist nicht optional, kein nice-to-have. Nicht im Alleingang, sondern in der Gemeinde, in enger, verbindlicher Gemeinschaft mit seinen Brüdern und Schwestern (Ortsgemeinde!) lernt ein Christ Demut, Sanftmut, Langmut und Liebe.
Die Gemeinde ist der Leib Christi und der Tempel des Herrn. Sie ist seine Schöpfung und Jesus ist der Herr. Er hat einen wunderbaren Plan mit ihr. Er will sich vor der sichtbaren und der unsichtbaren Welt durch sie verherrlichen. Wir sollen ihn widerspiegeln, Jesus bezeugen und an seiner Stelle in der Welt handeln. Doch das ist nur möglich, wenn wir uns durch sein Wort leiten lassen. Sein Wort ist die Grundlage und Christus der Eckstein, auf dem wir gebaut sind. Die Bekenntnisse dienen uns als eine Art Geländer, damit wir auf dieser Grundlage bleiben. Und die Gemeindeordnung ist die schützende Mauer, die uns umgibt und uns hilft, das Evangelium im Zentrum zu halten.
1 Nicht jede Aussage einer Gemeindeordnung muss demnach direkt in der Bibel zu finden oder von ihr herleitbar sein. Dennoch bleibt die Bibel die normative Grundlage. Ein ähnliches Beispiel ist der Gottesdienstablauf: Im NT gibt es keinen fest vorgeschriebenen Gottesdienstablauf. Die einzelnen Elemente eines Gottesdienstes gibt die Bibel klar vor, aber bezüglich der Reihenfolge, Zeiteinteilung, musikalischen Begleitung und dergleichen besteht ein gewisses Maß an Freiheit. Da, wo die Bibel „schweigt“, ist die Kirche frei, den Gottesdienst und ihr Gemeindeleben zu ordnen und zu regulieren, doch stets mit dem Streben nach einer guten Ordnung (1Kor 14,33.40) und entsprechend der grundlegenden Prinzipien, die wir im Wort finden.
Ein Grund, dass die Bibel keine starre Ordnung vorgibt, ist sicherlich, dass die äußerliche Ordnung der jeweiligen Kultur und Zeit angepasst werden darf und muss. Der Gottesdienst muss immer biblisch sein, aber er sollte auch so geordnet sein, dass jeder die Inhalte verstehen kann.
Genauso muss auch die Gemeindeordnung immer biblisch sein. Dort, wo sie für unsere aktuelle Gemeindesituation keine Anweisung gibt, müssen Älteste Ordnungen aufstellen, die verständlich und umsetzbar sind und sich im Rahmen der biblischen Prinzipien bewegen.