Ein Satz kann dein Leben verändern
1981 wollte der damals junge Pastor John Piper die Mitarbeiter im Kindergottesdienst seiner Gemeinde ermutigen. Sie betreuten die Kinder etwa eine Stunde in der Woche; den Rest der Zeit verbrachten dieselben Kinder viele Stunden vor dem Fernseher. Ist es nicht illusorisch anzunehmen, dass eine einzige Stunde am Sonntag irgendeinen langfristigen Einfluss auf junge Menschen haben kann, die die ganze Woche über von anderen Medien vollgepumpt werden? Nein, und zwar aus folgendem Grund, wie Piper ausführt:
Der Vergleich zwischen einer einzigen Stunde im Kindergottesdienst und etwa 20 Stunden Fernsehkonsum pro Woche wird oft angeführt. Und üblicherweise zieht man den Schluss, dass wenig Hoffnung besteht, mit dieser einen Stunde am Sonntag ein echtes Gegengewicht zu den säkularen humanistischen Ansichten schaffen zu können, die offen oder verdeckt durch das Fernsehprogramm vermittelt werden. Diese Sichtweise führt zu „quantitativer Hoffnungslosigkeit“. Sie vermittelt den Eindruck, dass eine lebensverändernde Wirkung sich proportional zu der Zeit verhält, in der man sich verschiedenen Einflüssen aussetzt. Doch der Versuch, den Einfluss auf unsere Kinder oder auch auf uns Erwachsene quantitativ zu messen, ist aus zwei Gründen falsch. Ich halte ihn für falsch, weil er erstens das Problem des Bösen und zweitens die Kraft eines besonderen „heiligen“ Augenblickes verschleiert. Ich will versuchen zu erklären, was ich damit meine.
Ist es erbaulich?
Erstens verschleiert dieses quantitativ geprägte Denken das Problem des Bösen in der Welt. Es führt zu dem irreführenden Eindruck, dass man den schädlichen Einflüssen – etwa des Fernsehens – dadurch begegnen könnte, dass man sie mit guten Einflüssen ausbalanciert. Das scheint der Ansatz zu sein. Er geht davon aus, dass es am besten oder überhaupt nur so funktioniert: dass wir den Stunden, die wir mit der Unterhaltung durch die Welt verbringen und lernen, die Welt zu lieben, dadurch entgegenwirken, dass wir uns eine entsprechende Menge Zeit von Gott oder Gottes Volk unterhalten oder belehren lassen. So könnten wir dann die schlechten Einflüsse ausgleichen. Die Annahme hinter dieser Annahme scheint zu sein, dass es entweder okay oder unvermeidlich ist, dass unsere Kinder (oder wir selber) uns von weltlichen Fernsehprogrammen unterhalten lassen.
Ich glaube, nichts von beidem trifft zu. Ich glaube nicht, dass es unvermeidlich ist, und ich glaube nicht, dass es okay ist. Erstens glaube ich nicht, dass es okay ist, wenn wir uns von etwas unterhalten lassen, was wir als nutzloses Fernsehprogramm beurteilen. Paulus lehrte, dass wir uns nur mit dem beschäftigen sollen, was „zur Erbauung“ dient und nicht zur Zerstörung (vgl. 1Kor 14,12.26, 2Kor 13,10). Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen in der Gemeinde Richtig und Falsch nicht auf dieser Basis beurteilen. Sie sagen: „Es ist doch nichts Falsches daran; es enthält auch nichts Falsches.“ Stattdessen sollte man besser fragen: „Baut es mich auf, macht es mich zu einem besseren Christen, formt es meinen Charakter?“ Es scheint, dass dies für Paulus Zweck und Ziel des ganzen Lebens sein sollte – und nicht nur, dass wir nach Dingen suchen, die wir für nicht ganz so schädlich halten.
Ich glaube, dass die meisten Fernsehprogramme uns nicht wirklich aufbauen. Die wenigen Sendungen, die ich anschaue, scheinen mir nicht von der Art zu sein, dass ich mich danach mehr an Gott freue, eher bereit bin, ihm zu gehorchen, mehr Zuneigung zu Christus empfinde oder eifriger darin werde, Gutes zu tun. Das ist einfach nicht ihre Wirkung.
Unschätzbar wertvolle Momente
Nun gibt es aber noch einen weiteren Grund, warum ich den Versuch für falsch halte, die Wirkung des Kindergottesdienstes quantitativ zu bewerten. Dieser Ansatz übersieht oder verdunkelt den Wert eines besonderen „heiligen“ Moments. Was ich damit meine, kann unwahrscheinlich ermutigend für die Mitarbeiter im Kindergottesdienst, in der Seelsorge oder in anderen Diensten sein. Ich denke, es betrifft uns alle. Dieser „unschätzbare Moment“ lässt sich nicht quantitativ bewerten.
Was der quantitative Ansatz übersieht oder verschleiert, ist die langfristig verwandelnde Kraft einer einzigen Einsicht. Eine solche Einsicht kann in einem Augenblick stattfinden und ein Leben für immer verändern. Das meine ich mit einem „unschätzbaren Moment“. Die Auswirkungen eines einzigen Augenblicks durch ein gesprochenes Wort können ganz und gar unverhältnismäßig zu der Zeit sein, die dafür aufgewendet wurde. Was ich in über zwanzig Jahren gründlichen Lesens gelernt habe (ich sage zwanzig, aber es waren nicht ganz zwanzig; da wäre ich fünfzehn Jahre alt gewesen, aber ich habe erst mit etwa 17 angefangen zu lesen. Ich hasste Lesen, bis ich in die High School kam; dann habe ich angefangen zu lesen. Ich habe das Lesen seitdem sehr ernst genommen und so ist es bis heute geblieben. Ich lese also seit etwa zwanzig Jahren) – ich weiß nicht, ob du die gleiche Erfahrung gemacht hast, aber ich glaube, den meisten geht es so: Was das Leben verändert, ist ein frischer Blick auf eine Wahrheit, eine gute Herausforderung, die Lösung für ein Problem, das mich schon lange beschäftigt hat. Und häufig findet sich dies konzentriert auf wenig Raum. Ein Absatz, ein Satz, und wumm! – es haut voll rein, und wir vergessen es nicht mehr, und es wirkt sich unser Leben lang aus.
„An 99 Prozent dessen, was ich gelesen habe, kann ich mich nicht mehr erinnern. Aber wenn das eine Prozent eine lebensverändernde Einsicht enthält, tut es mir um die 99 Prozent nicht leid.“
An neunundneunzig Prozent dessen, was ich gelesen habe, kann ich mich nicht mehr erinnern. Vielleicht ist das nur bei mir so, weil ich ein lausiges Gedächtnis habe. Ich glaube aber, es ist ziemlich typisch. Aber wenn das eine Prozent jedes gelesenen Buches oder Artikels, das mir im Gedächtnis bleibt, eine lebensverändernde Einsicht enthält, tut es mir um die neunundneunzig Prozent nicht leid. Ich werde damit klarkommen und es als meine Schwachheit akzeptieren. Gewöhnlich begegnen mir lebensverändernde Einsichten – und ich wurde durch Lesen verändert – in einem Moment, in einem Absatz, in einem Satz und nicht durch ein ganzes Buch. Ich erinnere mich nicht an ganze Bücher.
Lasst mich ein paar Beispiele unschätzbar wertvoller Momente in meinem Leben geben.
Jonathan Edwards
Jonathan Edwards schrieb 70 (oder 73?) Entschlüsse auf, als er auf dem College war – Entschlüsse für sein ganzes Leben. Nummer 6 habe ich nie vergessen: „Ich bin entschlossen, mein ganzes Leben mit all meiner Kraft zu leben.“
Ich habe das nie vergessen. Dieser Satz hat mir mehr bedeutet als Tausende von anderen Sätzen, die ich gelesen habe. Lebe dein ganzes Leben mit aller Kraft. Lass dich nicht nur durchs Leben treiben. Lebe lebendig. Lebe. Zweitens sagt er in seinen Religious Affections (dt. Sind religiöse Gefühle zuverlässige Anzeichen für wahren Glauben?): „Wahre Religion besteht zum großen Teil aus heiligen Zuneigungen.“ Das Buch hat (im Original, Anm.d.Red.) etwa vierhundert Seiten, und ich erinnere mich an das meiste davon nicht mehr. Aber nie zuvor hatte ich ein Buch gelesen, das aufzeigt, dass wahre Religion hauptsächlich aus heiligen Zuneigungen besteht. Das ist einfach nur ein Wort des 18. Jahrhunderts für Gefühle.
Ich wurde gelehrt zu denken: „Tatsache, Glaube, Gefühl. Tatsache, Glaube, Gefühl. Tatsache, Glaube, Gefühl. Das ist die richtige Reihenfolge. Und das Gefühl kann ruhig hinten runterfallen – das ist ohnehin nur der Begleitwagen. Darauf kann man notfalls verzichten.“ Aber das ist nicht wahr. Das Neue Testament ist von so radikalen Forderungen durchzogen, dass man dafür unbedingt Freude, Frieden, Hoffnung und Dankbarkeit braucht. Ich zögere, Liebe zu erwähnen, weil alle aufspringen und sagen werden: „Liebe ist kein Gefühl.“ Aber wenn man die Definition in 1. Korinther 13 liest, kann man die Tatsache nicht leugnen, dass Liebe nicht nur ein Gefühl ist, dass aber Gefühl zumindest ein Teil davon ist. Zum Beispiel ist Liebe nicht eifersüchtig (vgl. 1Kor 13,4). Eifersucht ist ein Gefühl, und wenn du liebst, hast du dieses Gefühl nicht. Es war einer dieser atemberaubenden Sätze, ein unschätzbarer Moment, Jonathan Edwards sagen und verteidigen zu hören: „Wahre Religion besteht zum großen Teil aus heiligen Zuneigungen.“
Paulus
Der heilige Paulus. Die Bibel ist selbstverständlich voll mit solchen Sätzen. Ich will aber nur einen erwähnen, weil er einen Hinweis geben kann und hilft, mich und viele meiner Predigten besser zu verstehen. Was denkst du, welchen Satz von Paulus ich mit einem unschätzbaren Moment verbinde? Philipper 2,12–13: „Verwirklicht eure Rettung mit Furcht und Zittern; denn Gott ist es, der in euch sowohl das Wollen als auch das Vollbringen wirkt nach seinem Wohlgefallen.“ Dieser Satz hat mich in meinem ersten Jahr im Seminar wie eine ganze Ladung Ziegelsteine getroffen, denn (fast) die ganze Theologie von Paulus ist darin enthalten – dieses Zusammenbringen des souveränen Wirkens Gottes in unserem Leben mit unserem Bemühen. Du arbeitest, weil er das Wollen und Vollbringen wirkt.
C.S. Lewis
Der nächste ist C.S. Lewis. Dieser Satz steht auf der ersten Seite seines Buches Das Gewicht der Herrlichkeit:
„Wenn wir die unverblümten Verheißungen der Belohnung und die schwindelerregende Natur der in den Evangelien versprochenen Belohnungen betrachten, scheint es, dass unser Herr unser Verlangen nicht zu stark, sondern zu schwach findet. Wir sind halbherzige Geschöpfe, die mit Alkohol, Sex und Ehrgeiz herumalbern, wenn uns unendliche Freude angeboten wird, wie ein unwissendes Kind, das in einem Elendsviertel weiter Schlammkuchen backen will, weil es sich nicht vorstellen kann, was das Angebot eines Urlaubs am Meer bedeutet. Wir sind viel zu leicht zufrieden zu stellen.“
Dieser Satz, neben einigen anderen, hat mich zum Umdenken gebracht und mich zu einem „christlichen Hedonisten“ gemacht. Jesus verlangt von uns nämlich nicht, dass wir gegen unseren Wunsch nach Glücklichsein ankämpfen. Er will, dass wir ihn bis zu einer Intensität steigern, bis er durch nichts anderes gestillt werden kann als durch Gott, die Erfüllung unserer Freude.
Augustinus
Und schließlich Augustinus mit zwei Sätzen aus den Bekenntnissen. Ich glaube, ich habe die Bekenntnisse von Augustinus zum ersten Mal in meinem zweiten Jahr als Student gelesen. Es war im Kurs „Literatur der Westlichen Welt“. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann genau ich diesen Kurs belegt habe, aber es war in meinem ersten oder zweiten Jahr am College. Zwei Sätze daraus haben mich massiv geprägt.
Der erste Satz: „Meine ganze Hoffnung beruht allein auf deinem übergroßen Erbarmen. Gib, was du befiehlst, und befiehl, was du willst.“ Es ist in Wirklichkeit dieselbe Aussage wie in Philipper 2,12–13, aber überaus kraftvoll formuliert. Welchen Einfluss hatte dieser Satz auf mich? Er zeigte mir, dass Joseph Fletcher in seinem Buch Situation Ethics, das ich damals las, im Unrecht war. Fletcher argumentierte, Liebe könne keine Gefühle beinhalten, weil sie geboten wird. Man könne Gefühle nicht befehlen. Somit müsse Liebe eine Tat sein – und beinhalte keine Gefühle. Aber das ist nicht richtig. Es gibt einen theologischen Irrtum in Fletchers Argumentation – nämlich die Annahme, Gott könne nichts befehlen, was wir ohne seine Hilfe nicht geben könnten. Aber er kann das befehlen, was wir ohne seine Hilfe nicht geben können, weil er die Hilfe geben kann. Augustinus sagt dazu: „Gib, was du befiehlst, und befiehl, was du willst.“
Im Kontext dieser Aussage in den Bekenntnissen geht es um sexuelle Enthaltsamkeit. Augustinus war ein von Leidenschaften getriebener Mann. Er hatte sich auf sexuellem Gebiet sehr verunreinigt, bevor er Christ wurde. Nachdem er Christ geworden war, hatte sich sein Problem mit sexueller Versuchung erledigt. Er sprach über sexuelle Enthaltsamkeit, sich selbst zu enthalten und in seinen sexuellen Beziehungen nichts Unerlaubtes zu tun. Und dann sagte er: „Ich kann das nicht. Gib, was du befiehlst, und befiehl, was du willst.“
Und dann gibt es da einen anderen Satz von ihm. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wann es war, jedenfalls habe ich immer mit der Frage gerungen, wie man einen Sonnenuntergang, eine Ehefrau, ein Kind, Schokoladeneis, Popcorn etc. lieben kann, ohne dass es meiner Treue zu Gott in die Quere kommt. Ich weiß nicht, ob du je damit zu kämpfen hattest. Wie kann man vor einem wunderschönen Gemälde oder vor einem herrlichen Sonnenuntergang stehen und sagen: „Das ist wunderschön. Ich liebe es!“, ohne dass Gott dabei herabschaut und sagen muss: „Hey, du sollst eigentlich mich lieben und nicht das da.“ Augustinus formulierte es folgendermaßen: „Denn zu wenig liebt dich, wer außer dir noch etwas liebt, was er nicht deinetwegen liebt.“ Das war ein unschätzbar wertvoller Moment, als ich diesen Satz las. Darüber muss man erstmal nachdenken, oder? Wir können Menschen, Dinge, Sonnenuntergänge, Essen etc. um Jesu willen lieben.
Sätze verändern Leben
Das ist meine Liste. Ich könnte noch weitermachen. Aber was ich mit diesen Beispielen sagen will: Lebensverändernde Momente entstehen durch Sätze und Abschnitte, nicht durch ewig lange Erinnerungen an ganze Bücher. Ein Licht leuchtet auf, unsere Herzen erglühen auf besondere Weise, wir erleben einen unschätzbar wertvollen Moment – und werden für immer verändert.