„Und der Herr erhörte Hiskia …“

Rezension von Mario Tafferner
17. August 2023 — 11 Min Lesedauer

Hiskia gilt als das Aushängeschild der biblischen Archäologie. Seine Regentschaft kann nicht nur aus verschiedenen biblischen Texten wie etwa den Königebüchern, den Chronikbüchern und dem Buch des Propheten Jesaja rekonstruiert werden, sondern bietet mannigfaltige Berührungspunkte mit außerbiblischen Inschriften und archäologischen Funden. Im Vergleich dazu ist die Quellenlage für David und Salomo wesentlich umstrittener und dünner. Als Ausgangspunkt für eine Zusammenschau verschiedenster akademischer Perspektiven auf die alttestamentliche Geschichtsschreibung eignet sich Hiskia somit besonders. Mit seinem Werk „Und der Herr erhörte Hiskia …“ legt Andreas Späth eine solche Synopse für eine breite Leserschaft vor.

Spurensuche im Buch Hiskia

Das Buch gliedert sich grob in drei Teile. Auf eine kurze methodische Vorüberlegung (Kapitel 1) folgt zunächst der Hauptteil des Buches, nämlich die Untersuchung des biblischen Berichts über Hiskia vor dem Hintergrund verschiedener Quellen (Kapitel 2–17), und dann eine listenartige Diskussion weiterer Beobachtungen (Kapitel 18). Das Werk bietet zwei Anhänge zu neueren Funden, die im Zusammenhang zu Hiskia stehen. Diese sind in Zusammenarbeit mit dem Archäologen Pieter van der Veen entstanden. Die folgende Buchbesprechung wird sich vor allem auf die einleitenden Vorüberlegungen und den Hauptteil der Arbeit konzentrieren.

Im ersten Kapitel vergleicht Späth sein Vorgehen mit einer kriminologischen Spurensuche à la Sherlock Holmes. Es geht ihm darum, Hiskia und sein Umfeld einer „möglichst kleinteiligen Analyse“ mit einer „möglichst breiten Datenbasis“ zu unterwerfen (S. 5). Dabei scheint er im Kern zwei Ziele zu verfolgen: eine historische Rekonstruktion der Ereignisse und eine Evaluation der „Glaubwürdigkeit oder Unglaubwürdigkeit der Darstellung“ (S. 5).

„Späth plädiert dafür, wie ein weitestgehend unvoreingenommener Detektiv zunächst nur zu beobachten und im Zusammenhang seiner Beobachtungen dann die entsprechenden Schlüsse zu ziehen.“
 

Methodisch wünscht sich Späth vor allem eins: mehr Objektivität und weniger weltbildbehaftete Herangehensweisen im Umgang mit den biblischen Texten. Eine Annäherung an dieses Ideal versucht er über seinen „kriminologischen“ Zugang. Es gilt, allen „Spuren“ nachzugehen und so den Untersuchungsgegenstand durch ein „komplexes System aus Fragen“ zu durchdringen. Im Gegensatz zur Theologie, die unter einem bestimmten Weltbild operiert, plädiert Späth dafür, wie ein weitestgehend unvoreingenommener Detektiv zunächst nur zu beobachten und im Zusammenhang seiner Beobachtungen dann die entsprechenden Schlüsse zu ziehen.

Die eigentliche Diskussion bildet nun keinen Überblick über die gesamte Geschichte Hiskias, sondern konzentriert sich auf dessen Konfrontation mit dem Assyrerkönig Sanherib, der 701 v.Chr. Jerusalem belagerte. Strukturell orientiert sich Späth hier stark am Text des Königebuches (vgl. 2Kön 18,1–19,36), bemerkt allerdings richtigerweise, dass der Bericht der Krankheit und Genesung Hiskias (2Kön 20) chronologisch vor der Belagerung Sanheribs zu verorten ist. Da dieser aber nicht direkt mit Sanheribs Feindschaft gegenüber dem Judäerkönig in Verbindung gebracht werden kann, diskutiert Späth ihn nur am Rande.

Vor der assyrischen Invasion

In Kapitel 2–5 beschäftigt sich Späth hauptsächlich mit den Personen Hiskia und Sanherib. Mit Bezug auf den Judäerkönig arbeitet er hier vor allem dessen Reformbestreben im Anschluss an die religiösen Verfehlungen seines Vaters Ahas heraus. In 2. Könige 18,3–6 sowie dem wesentlich längeren Parallelbericht in 2. Chronik 29–30 erscheint Hiskia als treuer Diener des Gottes Israels, der die illegitimen und heidnischen Gottesdienststätten aus dem Land verbannte. Das steht im starken Kontrast zum Nordreich Israel, dessen Verbleiben in der Sünde Jerobeams das assyrische Exil zur Folge hat. Sanherib, auf der anderen Seite, charakterisiert er als „Experimentator“, der als Herrscher Assyriens eher unkonventionelle Wege ging.

Die Kapitel 6 und 7 befassen sich vor allem mit der Zeit vor der assyrischen Invasion Judas und deren geschichtlichen Ursachen. Im Anschluss an den Tod Sargons II, des Vaters Sanheribs, auf dem Schlachtfeld und den Verlust seiner Leiche im Jahr 705 v.Chr. nutzte Hiskia die resultierende Unruhe im assyrischen Reich, um die fälligen Tributzahlungen an seinen imperialen Herren auszulassen. Späth vermutet, dass der Besuch der Gesandtschaft Merodach-baladans am judäischen Hof (vgl. 2Kön 20,12-19), der ja vor der assyrischen Invasion stattgefunden haben muss, eventuell Teil einer Bündnisbildung zwischen Babylon und dem aufständischen Juda darstellen könnte. Wie dem auch sei, archäologisch sind für die Regierungszeit Hiskias umfassende militärische Befestigungsmaßnahmen nachweisbar. Die bekannteste dieser Konstruktionen ist sicher der Siloam-Tunnel, der Jerusalem im Falle einer Belagerung mit Wasser versorgen sollte.

Der Konflikt und die Belagerung

Die Kapitel 8–16 sind dem Konflikt zwischen Hiskia und Sanherib bzw. zwischen Juda und Assyrien gewidmet. Im Jahr 701 v.Chr. unternimmt Sanherib den dritten Feldzug seiner Herrschaft, um den durch Juda angezettelten Aufstand niederzuschlagen. Nach der Befriedung anderer rebellischer Gebiete in Phönizien und bei den Philistern (die Bevölkerung von Ekron hatte sich von ihrem eigenen, pro-assyrischem König Padi befreit und ihn Hiskia übergeben), blieb allein das mit dem nubisch-regierten Ägypten verbündete Juda übrig.

Sowohl die assyrischen als auch die biblischen Quellen erwähnen im Besonderen die Kampfhandlungen um Lachisch und Jerusalem. Lachisch war im 8. Jahrhundert. v.Chr. eine stark befestigte Stadt südwestlich des im Bergland gelegenen Jerusalems im Bereich der flacheren Shephelah. Da Jerusalem nicht erobert werden konnte, errang Sanherib hier seinen größten Triumph im Krieg gegen Juda, ein Tatbestand, von dem auch das Arrangement der Lachisch-Reliefs im königlichen Palast von Ninive Zeugnis gibt. Mit der Eroberung der Stadt war der Weg nach Jerusalem frei.

Dem biblischen Text des Königebuches folgend (vgl. 2Kön 18,14–19,34) verwendet Späth mehrere Kapitel (10–15) auf die Diskussion der Ereignisse um Hiskia und seinen Hof während der assyrischen Belagerung von Lachisch und Jerusalem. Hier zeigt er auf, wie das im Bericht erwähnte diplomatische Personal und dessen Handlungen gut in das historische Bild der Assyrer dieser Zeit passen. Gleichzeitig übernimmt Späth die theologische Färbung der biblischen Darstellung dieser Ereignisse: Die Konfrontation zwischen Sanherib und Hiskia ist vor allem eine Frage des Vertrauens in den Gott Israels, der dem judäischen König die Befreiung von den Assyrern verheißt.

Die Befreiung Jerusalems

Kapitel 16 widmet sich der Niederlage Sanheribs in Jerusalem. Obwohl der Assyrerkönig die Stadt belagerte, konnte er Jerusalem nicht erobern. Die Bibel spricht davon, dass der Engel des HERRN die assyrischen Soldaten während der Nacht tötete (vgl. 2Kön 18,35–37). Späth vermutet hier die „Pest“, ohne damit die wunderhafte Befreiung der Stadt Gottes bestreiten zu wollen. An dieser Stelle wäre sicher eine detailliertere Diskussion zur Frage, ob Sanherib tatsächlich besiegt wurde, sei es durch die Pest oder eine andere Ursache, hilfreich gewesen. Einige Historiker vermuten, dass der Assyrerkönig schlicht abzog, da er mit der Unterwerfung Judas, der Eroberung von Lachisch und der Niederschlagung des Aufstands seine Ziele bereits erreicht hatte. Das erscheint im Angesicht der assyrischen Belagerung Jerusalems, der diplomatischen Versuche, Jerusalem in Besitz zu nehmen, und der Kämpfe mit den ägyptischen Bündnispartnern allerdings wenig wahrscheinlich (vgl. 2Kön 19,8). Sanherib wollte Jerusalem erobern, musste aber unverrichteter Dinge abziehen.

„Durch eine Zusammenschau der verschiedenen Quellen wird deutlich, dass der biblische Bericht sich gut in seinen historischen Hintergrund einfügt.“
 

Das letzte Kapitel (17) widmet sich dem Tod Sanheribs und Hiskias. Während der Assyrerkönig 681 v.Chr. durch die Hand seiner eigenen Söhne umkam (Späth vermutet hier als Motiv die problematische Innovationsfreudigkeit des Monarchen – seine gewalttätige anti-babylonische Haltung könnte ebenfalls eine Rolle gespielt haben), starb Hiskia 687 v.Chr. in Jerusalem.

Das Ziel erreicht

Späths Untersuchung wird ihrem gesteckten Ziel gerecht: Durch eine Zusammenschau der verschiedenen Quellen zu den Ereignissen um Hiskia und Sanherib zwischen 705 und 701 v.Chr. wird deutlich, dass der biblische Bericht sich gut in seinen historischen Hintergrund einfügt. Hier ist der Autor vor allem für seine Einbringung der relevanten außerbiblischen Primärquellen, vor allem der assyrischen Inschriften, zu loben. Auch die Bibliographie des Buches zeugt von einer gründlichen Erschließung der notwendigen Literatur, wenn auch die Fußnoten offenbaren, dass Späth sich für seine Rekonstruktion in der Mehrheit an wenigen Autoren wie Hoffmeier und Kitchen orientiert. Obwohl das Buch akademisch gründlich erarbeitet ist, fehlt durch das ausbleibende Abwägen verschiedener (und kritischer) Argumente ein entscheidendes Element, um es als Beitrag zur akademischen Debatte verstehen zu können. Es bietet sich daher primär für eine wissenschaftlich interessierte, breitere Leserschaft an. Das wird auch im Stil deutlich: Späth ist gut zu lesen und verfällt nicht in einen akademischen Jargon.

Fakten und Zeugnisse

Die folgenden kritischen Kommentare sollen nicht von der Qualität des Buches ablenken. Späths Werk erweist der konservativen Theologie in Deutschland einen wichtigen Dienst, indem es erneut aufzeigt, dass Geschichtsschreibung und Bibelauslegung nicht im Widerspruch zueinander stehen. Ganz im Gegenteil: Am Beispiel Hiskias wird deutlich, wie biblische Berichte als historische Quellen – „Spuren“, wie Späth sagen würde – ernst genommen werden müssen. Die folgenden Anmerkungen sind daher hoffentlich als konstruktiver Diskussionsbeitrag zu einem ansonsten guten Buch zu verstehen.

Unangenehm fällt der methodische Positivismus des Werkes auf. Späth schreibt von „Fakten“ und will seinen Forschungsgegenstand, den biblischen Text, möglichst „kleinteilig“ zerlegen, um mehr „Objektivität“ zu erlangen. Weltbildbezogene Untersuchungen lehnt er, soweit es geht, ab. Sein Buch, das strukturell der Erzählung des Bibeltextes folgt, zeigt allerdings selbst, wie unausführbar ein solches Unterfangen in der Realität ist. Die Geschichte des Aufeinandertreffens Hiskias und Sanheribs ist eben keine Rekonstruktion der historischen Tatschen „wie es eigentlich gewesen ist“, sondern ein Akzeptieren (oder eben nicht-Akzeptieren) geschichtlicher Zeugnisse zu diesen Ereignissen. Am Ende können wir nur so viel über die Vergangenheit wissen, wie uns die Quellen, etwa 2. Könige 18–19 oder die assyrischen Inschriften mitteilen. Gleichzeitig erfahren wir die Vergangenheit nur durch die Brille der Interpretation dieser Quellen. Geschichte besteht nicht aus „Fakten“, sondern aus Zeugnissen über die Vergangenheit. Dass diese Zeugnisse auf ihre wissenschaftlich befragbaren Einzelteile zerlegbar wären, war der große Irrtum der historisch-kritischen Herangehensweise an die Bibel.

Die Rede des Rabschake

Das soll an einem Beispiel verdeutlicht werden. Späth stellt im Rahmen seiner Diskussion des diplomatischen Personals Sanheribs die Frage, ob die Rede des Rabschake in 2. Könige 18 authentische assyrische Formulierungen widerspiegelt und somit als geschichtlich gelten kann. Hier betont er vor allem das wiederkehrende rhetorische Motiv des „Vertrauens“ als „assyrische Standartphrase“ im Umgang mit rebellischen Untertanen. Dieses Vertrauensmotiv ist im biblischen Bericht allerdings nicht auf die Rede des Rabschake beschränkt, sondern bildet ein Grundmotiv des gesamten Berichtes über Hiskia. Bereits in 2. Könige 18,5 wird das Gottvertrauen des Königs als zentrales Merkmal seiner Herrschaft dargestellt.

Das wirft die Frage auf, ob wir es bei diesen Formulierungen mit der ipsissima vox (sinngemäße Wiedergabe) oder den ipsissima verba (wortgetreue Wiedergabe) der Rede des Rabschake zu tun haben. Wie dem auch sei, im Kontext des Königebuches wird das Vertrauensmotiv nicht als Zeugnis für die assyrische Redeart des Rabschake, sondern für die Frömmigkeit Hiskias gebraucht. Auch wenn diese beiden Elemente sich nicht ausschließen müssen, zeigt sich hier doch, dass wir keinen Zugang zur Rede des Rabschake „wie es eigentlich gewesen ist“ haben. Wir haben ein theologisch interpretiertes Zeugnis, nicht mehr, aber auch nicht weniger.

In seinem viel beachteten Buch Jesus and the Eyewitnesses (dt. „Jesus und die Augenzeugen“) hat der Neutestamentler Richard Bauckham diese Kategorie des Zeugnisses als Zugang zur Geschichte theologisch fruchtbar gemacht. Entgegen dem modernen Selbstbild des aufgeklärten Individuums, das Fakten objektiv bewertet, behauptet Bauckham überzeugend (Wortspiel intendiert), dass das Zeugnis der Bibel über die Geschichte uns nicht fragt, es kleinteilig zu zerlegen, sondern ihm zu vertrauen. Das ist schlussendlich auch die Frage der geschichtlichen Rekonstruktion: Welchen Zeugnissen über die Vergangenheit vertrauen wir? Das bedeutet keinesfalls, dass die geschichtliche Untersuchung Späths hinfällig wird. Es bedeutet allerdings, dass die Objektivität der Geschichte an die Subjektivität ihrer Zeugnisse gebunden ist. Gerade deshalb ist die Glaubwürdigkeit der Bibel zwar durch geschichtliche Untersuchungen zu untermauern, aber nicht zu etablieren.

Das Buch ist wärmstens zu empfehlen. Hoffentlich erfreut es sich einer breiten Leserschaft.

Buch

Andreas Späth, „Und der Herr erhörte Hiskia ...“ : Eine biblisch-archäologische Zusammenschau, Windsbach: Logos Editions, 2022, 192 Seiten, ca. 19,95 EUR.