Können wir Gott überhaupt richtig verstehen?

Artikel von Matthias Lohmann
7. September 2023 — 5 Min Lesedauer

Unter Christen gibt es teilweise sehr unterschiedliche Verständnisse über eine Vielzahl von Fragen. Bestehen die besonderen Geistesgaben (v.a. Zungenrede, Prophetie, Heilung) fort? Was ist die Taufe und wen sollte man taufen? Was ist das tausendjährige Reich und steht uns das noch bevor? Was bedeutet es, dass Gott Menschen erwählt? Und was wird aus dem Volk Israel? Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen.

Können wir Gottes Wort wirklich richtig verstehen? Oder müssen wir uns damit abfinden, dass einfach jeder seine eigene Wahrheit hat? Ist die Schrift nicht klar genug, sodass es keine eindeutige Antwort gibt? Oder ist sie zumindest so schwer zu verstehen, dass ein besonderes Lehramt benötigt wird, das uns sagt, wie die Bibel richtig zu verstehen ist, so wie es die römisch-katholische Kirche behauptet?

Klarheit in der Bibel

Die Bibel selbst lehrt etwas anderes. Sie geht davon aus, dass ihre Lehren von allen verstanden werden können, die sie verstehen wollen, indem sie Gottes Hilfe suchen und bereit sind, dem Wort Gottes zu folgen.[1] Ja, tatsächlich ist Gottes Wort so klar, dass es von Kindern richtig verstanden werden kann. Das gilt gerade auch im Hinblick auf das vermeintlich schwer verständliche Alte Testament. So lehrt das 5. Buch Mose in Kapitel 6,6–7:

„Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du auf dem Herzen tragen, und du sollst sie deinen Kindern einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Haus sitzt oder auf dem Weg gehst, wenn du dich niederlegst und wenn du aufstehst“.

Das war wohlgemerkt ein Auftrag an alle Eltern in Israel. Es wird also vorausgesetzt, dass alle Israeliten Gottes Wort so verstehen können, dass sie selbst es ihre Kinder lehren können. Ähnlich fordert auch Josua 1,8: „Lass dieses Buch des Gesetzes nicht von deinem Mund weichen, sondern forsche darin Tag und Nacht, damit du darauf achtest, alles zu befolgen, was darin geschrieben steht.“ Auch das Neue Testament lehrt eindeutig, dass Gottes Wort verständlich ist und die Kraft hat, Menschen „weise zu machen zur Errettung durch den Glauben, der in Christus Jesus ist“; die Schrift ist „nützlich zur Belehrung, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit, damit der Mensch Gottes ganz zubereitet sei, zu jedem guten Werk völlig ausgerüstet“ (2Tim 3,15–17).

„Gottes Wort bewirkt das, wozu der Herr es gesandt hat, und er hat sein Wort nicht gesandt, um Verwirrung zu stiften, sondern damit seine Kinder durch sein Wort ihn und seinen Willen erkennen können.“
 

Die Bibel kann also auch von Ungläubigen verstanden werden, die sie auf der Suche nach dem Heil aufrichtig lesen. Gott hat durch seinen Geist Menschen dazu befähigt, sein Wort so aufzuschreiben, dass es verstanden werden kann (vgl. 2Petr 1,20f). Durch denselben Heiligen Geist befähigt Gott jeden Christen, sein Wort immer besser zu verstehen. Gottes Wort bewirkt das, wozu der Herr es gesandt hat (vgl. Jes 55,11), und er hat sein Wort nicht gesandt, um Verwirrung zu stiften, sondern damit seine Kinder durch sein Wort ihn und seinen Willen erkennen können. Zweifellos ist der allmächtige Gott in der Lage, durch sein Wort so zu kommunizieren, dass Menschen ihn verstehen können. Als liebender Vater wird er durch sein heiliges Wort so zu seinen geliebten Kindern reden, dass sie ihn wirklich verstehen können. Zweifellos ist Gottes Wort verständlich.

Unklarheit bei den Lesern

Das heißt natürlich nicht, dass es kinderleicht ist, alle biblischen Aussagen richtig zu verstehen. Das sagt die Bibel selbst, wenn Petrus zum Beispiel über die Paulusbriefe schreibt: „In ihnen ist manches schwer zu verstehen, was die Unwissenden und Ungefestigten verdrehen, wie auch die übrigen Schriften, zu ihrem eigenen Verderben“ (2Petr 3,16). An dieser Aussage wird jedoch deutlich, dass manche Kontroverse um das richtige Verständnis der Bibel damit zu tun hat, dass Menschen biblische Lehren mutwillig verdrehen und damit andere verwirren. Oft werden dabei schwer zu überprüfende außerbiblische Thesen in die Diskussion eingebracht. Angeblich neue Erkenntnisse sind dann oft vor allem durch den Zeitgeist getrieben und kommen eben nicht vom Heiligen Geist, der Menschen zu allen Zeiten der Kirchengeschichte dabei geholfen hat, biblische Aussagen zu verstehen.

„Manche Kontroverse um das richtige Verständnis der Bibel hat damit zu tun, dass Menschen biblische Lehren mutwillig verdrehen und damit andere verwirren.“
 

Manch andere Kontroverse entsteht, weil Menschen die Bibel nicht sorgfältig genug studieren und zum Beispiel den literarischen oder auch den heilsgeschichtlichen Kontext nicht ausreichend beachten. Die Bibel selbst betont immer wieder, dass sie sorgfältig studiert werden soll und dass ihre Leser intensiv darüber nachdenken sollten, was die Schrift lehrt (vgl. Ps 1,2). Zuletzt kommt es manchmal zu Kontroversen über die richtige Auslegung bestimmter Bibelstellen, weil versucht wird, in Texten Antworten auf Fragen zu finden, über die dieser Text gar nicht spricht.

Letztendlich müssen wir anerkennen, dass das Problem bei unterschiedlichen Auslegungen nie in der Bibel selbst, sondern in uns Menschen liegt. Obwohl unsere Sünde die Fähigkeit beeinträchtigt, Gottes Wort zu verstehen, dürfen wir doch darauf vertrauen, dass wir – durch gründliches Studium, unter der Anwendung von Prinzipien, die die Bibel uns selbst lehrt, und vor allem befähigt durch den Heiligen Geist – alles verstehen können, was wir brauchen, um nach Gottes Willen zu leben.

Möge der Herr uns die Bereitschaft geben, mit diesem Ziel sorgfältig die Bibel zu studieren, im festen Vertrauen darauf, dass Gott uns gern dabei helfen wird, sein heiliges Wort zu verstehen, sodass wir dann auch danach leben können.


1 Siehe dazu Wayne Grudem, Biblische Dogmatik, VKW & Arche Medien, 2013, S. 118.