Was bedeutet die Lehre von der Sünde für unsere Evangelisation?

Artikel von Trell Ross
20. September 2023 — 5 Min Lesedauer

In seiner ersten Autobiographie gibt Frederick Douglass zu, dass er den Tag seiner Geburt nicht kennt. Geburtstage stehen für das Wissen um die eigene Identität, das die meisten von uns für selbstverständlich halten. Aber Douglass wurde in der Sklaverei geboren und deshalb wurde sein Leben als etwas betrachtet, das es nicht wert war, gefeiert zu werden. Bei einer jungen Frau, der ich vor Kurzem begegnete, war es ähnlich: Sie hatte gerade herausgefunden, dass ihre „Eltern“ tatsächlich ihre Großeltern gewesen waren. Ihr ganzes Leben lang war sie angelogen worden. Sie hatte gelebt, ohne ihre volle Identität gekannt zu haben. Die junge Frau fühlte sich betrogen durch das, was ihr gesagt wurde. Douglass fühlte sich betrogen durch das, was ihm nicht gesagt wurde.

Vielleicht hast du noch nie jemandem mit Absicht diese Art von Information vorenthalten. Aber was, wenn deine Evangelisationsmethoden den Menschen unabsichtlich wichtige Informationen vorenthalten und sie über ihre geistliche Identität getäuscht haben?

Gottes Wort sagt uns, dass die Person, die er rettet, eine „neue Schöpfung“ ist (2Kor 5,17). Die meisten von uns werden das klar kommunizieren, wenn sie evangelisieren. Aber vermitteln wir auch, dass sich in denen, die neu gemacht worden sind, gewisse Merkmale wie Reue, Bedauern der Sünde und ein Streben nach Heiligkeit zeigen werden? Ich fürchte, dass wir oft darin versagen, den Menschen mitzuteilen, dass Reue und Bedauern der Sünde notwendig sind. Ich fürchte, wir unterschätzen, wie sehr wir einen fortwährenden Hass gegen die Sünde brauchen, welcher jene, die „neu gemacht“ worden sind, nicht nur nach Heiligkeit streben, sondern auch Christus und das Evangelium auf eine ganz bestimmte Weise sehen lässt.

Was meine ich damit, das Evangelium auf eine „bestimmte“ Weise zu sehen? Ich meine damit, dass Christen damit übereinstimmen müssen, was das Evangelium über die Sünde sagt – sie ist nicht einfach nur ein Dilemma, das sich den Menschen in den Weg stellt und sie zu Opfern macht. Stattdessen ist sie ein persönlicher Beitrag von Unmoral, eine persönliche Übertretung der Ordnung Gottes, und ein persönlicher Angriff auf Gottes Charakter. Jeder Mensch bringt Sünde in die Welt hinein und muss persönlich dafür Buße tun. Aber das ist nicht alles. Christen als „neue Geschöpfe“ müssen auch Christus im rechten Licht sehen – nämlich als den Retter schuldiger Täter, nicht bemitleidenswerter Opfer. Und schließlich müssen sie das Evangelium im rechten Licht sehen – nämlich als Botschaft unverdienter Gnade und nicht als völlig zu Recht angebotene Gunst.

„Man kann nicht das Evangelium von Jesus weitersagen, ohne die Realität der Sünde zu erwähnen. Wenn wir das tun, dann täuschen wir Menschen darüber, was das Evangelium ist.“
 

Man kann nicht das Evangelium von Jesus weitersagen, ohne die Realität der Sünde zu erwähnen. Wenn wir das tun, dann täuschen wir Menschen darüber, was das Evangelium ist (selbst wenn es unabsichtlich geschieht). Wenn unsere Evangelisation ein unvollständiges Evangelium bietet, dann ist sie überhaupt keine Evangelisation. Wenn wir evangelisieren, müssen wir also drei Dinge beachten: 1) Die Botschaft des Evangeliums, 2) die Ewigkeit des Menschen und 3) die Last des Herrn.

1. Beachte die Botschaft des Evangeliums

Die meisten treuen Evangelisten haben gute Absichten. Sie wollen Menschen helfen, in Christus ewiges Leben zu finden. Aber gute Absichten führen nicht immer zu einer guten Umsetzung. Wenn wir wollen, dass Menschen echte Errettung erleben, dann müssen wir die vollständige Botschaft der Errettung weitersagen. Bei dieser Botschaft geht es genauso sehr darum, zur Herrlichkeit und zum Leben gerettet zu werden, wie darum, aus Sünde und Tod gerettet zu werden. Wenn Sünde die Wurzel des menschlichen Problems ist, dann muss sie dementsprechend betont werden.

2. Beachte die Ewigkeit des Menschen

Wir sollten auch den ewigen Zustand der Menschen bedenken, die wir evangelisieren. Wenn Buße und Glaube zur Errettung notwendig sind, dann dürfen wir keinesfalls vergessen, die Sünde zu erwähnen, damit sie die Gelegenheit haben, wirklich umzukehren und ihr sündiges Leben aufzugeben.

Natürlich wollen wir nicht verantwortlich sein für die unabsichtliche Täuschung, die jemanden dazu bringen könnte, seine geistliche Identität falsch zu verstehen, oder noch schlimmer, in der Hölle zu enden, nachdem er aus unserem unvollständigen Evangelium den Himmel versprochen bekommen hat. Wir müssen ein unverhülltes Evangelium teilen, indem wir den Menschen sagen, dass sie Sünder sind und Errettung durch Christus brauchen. Dann können wir darauf vertrauen, dass sie durch die Macht des Geistes ihre Identität als Sünder besser begreifen, was eine notwendige Voraussetzung für eine neue Identität als Heiliger ist.

3. Beachte das Anliegen Gottes

Zuletzt wollen wir Gottes Anliegen für die potentiellen Bekehrten beachten. Er möchte Menschen in die Gemeinde hineinretten, die ein Bild für Reinheit und Neuheit sind. Wenn das Gottes Anliegen ist, sollte es dann nicht auch unserer Anliegen sein?

Gott rettet seine Leute, indem er sie für die Realität ihrer Sünde erleuchtet. Wir müssen Gott nicht schützen oder verteidigen, wenn wir das Evangelium weitersagen. Er stellt in seinem Wort seine eigenen Maßstäbe dar, und deshalb sollten wir dasselbe tun.

Nochmal: Man kann nicht das Evangelium weitersagen, ohne Sünde zu erwähnen. Das ist notwendig. Die Menschen müssen ihre wahre Identität kennen. Wir müssen also Sorge dafür tragen, dass wir sie nicht unabsichtlich täuschen. Lasst uns das vermeiden. Sie sind Sünder wie wir auch. Und doch macht diese schlechte Nachricht die gute Nachricht gut: Christus erschafft uns eine neue Identität und macht uns neu, indem er unsere Sünde sühnt und uns ein neues Herz gibt, das seine Gerechtigkeit liebt.