Das neue Credo

Rezension von Samuel Wiebe
12. Oktober 2023 — 9 Min Lesedauer

Die moderne Welt ist eine Welt, die voll von christlichen Tugenden ist – das stellte G.K. Chesterton zu Beginn des 20. Jahrhunderts fest. Das Problem ist nur, so Chesterton weiter, dass die einzelnen Tugenden voneinander isoliert wurden und auf diese Weise viel Schaden anrichten: Die Wahrheit mancher Wissenschaftler kennt keine Liebe und die (Nächsten-)Liebe mancher Humanisten bleibt ohne Wahrheit. Für unsere postmoderne Welt des frühen 21. Jahrhunderts ließe sich eine ähnliche These formulieren. Wenn es sich beim Christentum um eine Religion der Liebe handelt, so fragen viele unserer säkularen Mitbürger, warum haben Christen dann ein Problem mit Homosexualität? Liebe ist Liebe, wo liegt da das Problem? Wenn Gott ein Gott der Gerechtigkeit ist, warum ist dann vielen Christen soziale Gerechtigkeit so unwichtig? Müssten nicht gerade sie sich gegen den Rassismus und für Menschenrechte einsetzen?

In ihrem Buch Das neue Credo: Fünf säkulare Glaubenssätze im Test stellt Rebecca McLaughlin sich diesen Fragen. Sie untersucht dabei fünf ausgewählte Aussagen zum Themenkomplex Rassismus, Sexualität und Geschlecht aus biblischer Perspektive und ordnet sie in ihrem kulturellen Kontext.

„Die Schwulenbewegung ist die neue Bürgerrechtsbewegung“?

In den ersten drei Kapiteln behandelt McLaughlin die Themenfelder Rassismus und Homosexualität, die in der heutigen öffentlichen Debatte häufig miteinander verflochten sind. „Die Schwulenbewegung ist die neue Bürgerrechtsbewegung“ (Kapitel 3) als säkularer Glaubenssatz macht es schwierig, für ein orthodoxes Konzept von Sexualität einzutreten, ohne gleichzeitig als rassistisch und diskriminierend zu gelten. Wer sich nicht auf die Seite der Befürworter homosexueller Partnerschaft und Ehe schlagt, steht letztlich „auf der falschen Seite der Geschichte“ (S. 80). Wie die Befürworter der Sklaverei von der Geschichte Lügen gestraft wurden, so müsse man sich (auch als Christ) der unausweichlichen Realität stellen, dass Liebe nun einmal Liebe sei und man sich deswegen, wie für die Rechte der Schwarzen, so auch für die Anerkennung von homosexueller Partnerschaft und Ehe einsetzen müsse.

„Die menschliche Ehe bekommt ihren richtigen Platz, nicht als Endziel menschlichen Daseins, sondern als Hinweis auf die viel größere Liebe: die Liebe Gottes.“
 

McLaughlin hinterfragt dieses Argument, indem sie aufzeigt, dass der Kampf gegen Rassismus und der Einsatz für gleichgeschlechtliche Partnerschaft zwei Paar Schuhe sind. Das tut sie zuallererst, indem sie einen biblisch-theologischen Befund zum Thema Rassismus (Kapitel 1: „Black Lives Matter“) und zum Themenfeld Ehe und Sexualität (Kapitel 2: „Liebe ist Liebe“) liefert. Während eine Ablehnung von Rassismus und Sklaverei sich zwangsläufig aus der biblischen Geschichte ergibt – auch schon im Alten Testament finden wir die Verheißung von Gottes multiethnischem Volk, Jesu Stammbaum selbst ist alles andere als ein „rein“ jüdischer, in Christus werden schließlich Juden und Heiden eins gemacht –, lässt die Bibel einen solchen Schluss in Bezug auf homosexuelle Partnerschaft schlicht nicht zu. Die Ehe wird in ihr stattdessen als eine Veranschaulichung der Liebe Gottes zu seinem Volk dargestellt – einer Liebe, die nicht auf Gleichheit, sondern auf Unterschiedlichkeit basiert. Das gibt den Ton vor für die menschliche Ehe: Sie bekommt so ihren richtigen Platz, nicht als Endziel menschlichen Daseins, sondern als Hinweis auf die viel größere Liebe: die Liebe Gottes. Nur die Ehe zwischen Mann und Frau kann außerdem die Beziehung von Christus und der Gemeinde darstellen, eine gleichgeschlechtliche Ehe nicht. Christen müssen sowohl dafür einstehen, dass das Leben von Schwarzen kostbar und wertvoll ist (ohne dabei den Glaubenssätzen der „Black Lives Matter“-Bewegung zuzustimmen), als auch für die Ehe zwischen Mann und Frau als den biblischen Rahmen von gelebter Sexualität.

Transgenderismus und Frauenrechte

In den letzten beiden Kapiteln geht die Autorin auf das Thema der Geschlechtlichkeit ein. In „Frauenrechte sind Menschenrechte“ (Kapitel 4) argumentiert sie, dass die These, das Christentum wäre schlecht für Frauenrechte, nicht haltbar ist. Vielmehr könnten die Menschenrechte ohne das Christentum bzw. ohne den Glauben an einen liebenden Schöpfer gar nicht überzeugend argumentiert werden. In einer säkularen Welt ohne Gottesbezug würden universalen Werten, wie der Gleichwertigkeit von Mann und Frau oder auch der Gleichwertigkeit von Schwarzen und Weißen, jegliche Grundlage fehlen. Moralische Grundsätze wären der Beliebigkeit des Einzelnen bzw. des Stärkeren unterworfen. Das Christentum hingegen gibt der Frau als Gottes Ebenbild den gleichen Wert wie dem Mann. Diese Tatsache, wie auch der Normen sprengende Umgang Jesu mit Frauen, stellt einen starken Kontrast zur griechisch-römischen Kultur zur Zeit des Neuen Testaments dar. Neben dem innerbiblischen Nachweis liefert McLaughlin weitere spannende Argumente, die sich aus Studien ergeben: Frauen sind etwa in der Kirche überproportional vertreten und Frauen in religiösen Ehen tendenziell glücklicher als Frauen in nicht-religiösen Ehen.

„In einer säkularen Welt ohne Gottesbezug würden universalen Werten, wie der Gleichwertigkeit von Mann und Frau oder auch der Gleichwertigkeit von Schwarzen und Weißen, jegliche Grundlage fehlen. Moralische Grundsätze wären der Beliebigkeit des Einzelnen bzw. des Stärkeren unterworfen.“
 

Was ist aber mit Menschen, die fühlen, sie seien im falschen Körper? Sind Transfrauen auch Frauen (Kapitel 5)? Ohne das Leid von Menschen mit Genderdysphorie zu leugnen, zeigt McLaughlin zum einen auf, dass eine Akzeptanz dieser Aussage den Rechten der Frau im letzten Ende einen Bärendienst erweist, da jegliche Definition dessen, was eine Frau ist, dadurch unmöglich wird. Zum anderen hält sie die Aussage „Transfrauen sind Frauen“ auch deshalb für problematisch, weil ihr ein Dualismus zwischen dem Körper und dem eigentlichen Ich eines Menschen zugrunde liegt, der dem christlichen Glauben fremd ist. Der Körper eines Menschen, also auch sein biologisches Geschlecht, ist unzertrennlich mit der Identität des Menschen verwoben – so sehr, dass auch der Auferstehungsleib nicht geschlechtslos sein wird.

Stärken und Schwächen

Eine der größten Stärken des Buches ist der Ton, in dem die brisanten Themen behandelt werden. Bereits in ihrer Einleitung gibt McLaughlin diesen selbst vor, wenn sie schreibt, dass sie „[m]it einem Rotstift anstelle eines Hammers in der Hand“ vorgehen möchte. Dieses Versprechen hält sie ein und versteht es, die Wahrheit in Liebe auszusprechen. Als Frau, die sich seit der Kindheit „romantisch zu Frauen hingezogen fühlt“ (S. 50), spürt man ihr eine große Empathie für die Betroffenen ab. Ihr gelingt es, mit großem Einfühlungsvermögen ihre Wertschätzung für Menschen auszudrücken, die anders denken und empfinden, ohne deren Weltbild und daraus folgende Praktiken zu bestätigen. Sie gesteht dabei ein, dass wir Christen in der Vergangenheit (und in der Gegenwart) durch unser Versagen dazu beigetragen haben, dass andere den christlichen Glauben als lieblos wahrnehmen oder sogar mit Hass konfrontiert werden; darüber müssen wir Buße tun. McLaughlin schafft es außerdem darzulegen, dass der christliche Glaube eine überzeugendere Grundlage für den Einsatz für universale Werte wie die Gleichwertigkeit von Mann und Frau oder von Schwarzen und Weißen bietet als der Atheismus. Gleichzeitig behält sie sich eine ehrliche Differenziertheit bei, wenn sie z.B. schreibt, dass Studien zum Zusammenhang von Transsexualität und Suizid von Jugendlichen nicht eindeutige Schlüsse in die eine oder andere Richtung zulassen.

Die Autorin vermittelt in einem relativ kompakten Umfang viel Inhalt auf eine leicht verständliche, erzählende Weise. Das macht das Lesen angenehm leicht, wenngleich einige Beispiele und Erzählungen, die McLaughlin geschickt einbaut, dem amerikanischen Leser vertrauter sein dürften als dem deutschen. Gleichzeitig leiden unter dem Erzählstil bisweilen Struktur und Stringenz. Mir selbst wurde z.B. erst zu Beginn des dritten Kapitels klar, dass die ersten drei Kapitel einen gemeinsamen roten Faden bilden und argumentativ zusammengehören. Erst an dieser Stelle wird deutlich, warum sie das Thema des Rassismus dem Buch voranstellt. Das hätte die Autorin schon zu Beginn des Buches klarer aufzeigen können. Als Historiker hätte ich mir außerdem an manchen Stellen mehr Nachweise gewünscht, etwa wenn sie über die Praktik der Kindesaussetzung im römischen Reich schreibt. Das ist aber angesichts des Buchformates absolut verzeihlich.

Fazit

Mit ihrem Buch Das neue Credo gibt Rebecca McLaughlin dem christlichen Leser, der im Dialog mit der umgebenden säkularen Kultur steht, ein wertvolles Hilfsmittel an die Hand. Ihre Analyse der säkularen Glaubenssätze zu Rassismus, Sexualität und Geschlechtlichkeit sowie ihre Einordnung in das biblisch-christliche Narrativ helfen – trotz kleinerer Mängel in der Struktur – sprachfähig zu sein und den christlichen Glauben und christliche Werte in einer post-christlichen Welt plausibel und schmackhaft zu machen. Insofern ist das Buch nicht nur für den Christen geschrieben, der auf der Suche nach apologetisch überzeugenden Argumenten ist, sondern auch für den säkularen Skeptiker, der das Christentum als rückständig oder gar gefährlich ansieht. McLaughlin lädt beide ein, sich auf einen Dialog über das christliche Weltbild einzulassen.

„Das Buch ist nicht nur für den Christen geschrieben, der auf der Suche nach apologetisch überzeugenden Argumenten ist, sondern auch für den säkularen Skeptiker, der das Christentum als rückständig oder gar gefährlich ansieht.“
 

Vor allem aber lädt sie dazu ein, die christlichen Tugenden von Wahrheit und Liebe, von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit wieder in Einklang miteinander zu bringen. Die Gemeinde Jesu ist dazu aufgefordert, den Mitmenschen, die unter den Sünden anderer oder der eigenen Sünde leiden, die in einem realen Kampf mit der eigenen Sexualität und Geschlechtlichkeit stehen, mit Liebe auf Grundlage von befreiender Wahrheit zu begegnen. So kann ein Wohlklang entstehen – „ein Liebeslied über jegliche ethnischen Unterschiede hinweg, ein Lied, das Männer und Frauen, Verheiratete und Singles … in eine ewige Liebesbeziehung mit ihm [Gott] ruft“ (S. 183).

Buch

Rebecca McLaughlin, Das neue Credo: Fünf säkulare Glaubenssätze im Test, Dillenburg: Christliche Verlagsgesellschaft, 2023, 192 Seiten, 17,90 EUR.
Das Buch kann auch direkt beim Verlag bestellt werden.