Wenn das Beten schwerfällt

Artikel von Sibusiso Mlotshwa
20. Oktober 2023 — 8 Min Lesedauer

Warum verbringen wir nicht mehr Zeit im Gebet? Sind wir zu beschäftigt? Sind unsere Prioritäten vertauscht? Glauben wir nicht mehr an die Macht des Gebets? Oder an die Macht Gottes? Die meisten Christen werden zugeben, dass ein beständiges Gebetsleben schwer zu fassen ist. Und üblicherweise glauben wir, es liegt aus einem der bereits erwähnten Gründe brach. Wenn man jedoch die Gebete des Paulus für andere liest, dann erkennt er die Wurzeln der Gebetslosigkeit woanders und nicht in solchen Dingen.

Betrachten wir zwei wohlbekannte Abschnitte. Paulus betet um „erleuchtete Augen eures Verständnisses, damit ihr wisst, was die Hoffnung seiner Berufung“ ist (Eph 1,18). Später im selben Brief teilt er den Gläubigen in Ephesus mit, worum er Gott für sie bittet: „[damit ihr] dazu fähig seid, mit allen Heiligen zu begreifen, was die Breite, die Länge, die Tiefe und die Höhe sei, und die Liebe des Christus zu erkennen, die doch alle Erkenntnis übersteigt, damit ihr erfüllt werdet bis zur ganzen Fülle Gottes“ (Eph 3,18–19).

Ich weiß nicht, wie es bei dir ist. Aber wenn ich über mein Gebetsleben nachdenke, dann ist mein erster Gedanke nicht, dass meine größte Not oder mein größter Kampf darin besteht, die Liebe Christi und die Hoffnung seiner Berufung zu kennen und zur ganzen Fülle Gottes erfüllt zu werden. Aber Paulus glaubt, das würden wir am meisten brauchen! Wie soll mich das näher zu Gott bringen? Ist das Problem nicht, dass ich faul bin? Hänge ich nicht einfach zu viel am Fernseher rum? Sicher verbringe ich einfach mehr Zeit am Handy als auf den Knien? Ist nicht das das wirkliche Problem?

Es kann sehr entmutigend sein, über das Gebet zu sprechen

Ich wurde vor Kurzem aufmerksam auf diese Realität, als ich mit einer Gruppe von Gemeindeleitern zusammensaß und wir über unser Gebetsleben sprachen. Es war eine ziemlich deprimierende Situation. Ironisch, ich weiß. Man sollte annehmen, dass wir dieses Thema als Gruppe von Gemeindeleitern sehr spannend finden würden. Stattdessen stellte es uns bloß. Ich war nicht freudig gespannt, als ich darauf wartete, an die Reihe zu kommen. Tatsächlich bin ich noch nie einem Christen begegnet, dessen Gesicht zu leuchten beginnt, wenn er nach seinem Gebetsleben gefragt wird. Es ist, als würde man einen Sechsjährigen fragen: „Hast du heute dein Gemüse gegessen?“ Man bekommt keine Antwort. Vielleicht schaut er dich beschämt von der Seite an.

Die von den Gemeindeleitern angegebenen Gründe für unsere Gebetslosigkeit ähneln den oben beschriebenen. Sie reichten von Geschäftigkeit zu Faulheit, von Prokrastination zu fehlender Disziplin und einer Unmenge anderer pragmatischer Ausreden. Ich habe nicht einen Menschen gehört (und rechne auch mich nicht dazu), der seine Gebetslosigkeit mit einem tieferen Verständnis des Evangeliums in Verbindung gebracht hätte. Entmutigt saßen wir da. Ich dachte: „Sicher werde ich das mit dem Beten niemals hinbekommen. Ich werde mich auf keinen Fall jemals so fühlen, als hätte ich einen gesunden Gebetsrhythmus erreicht, ganz egal, wie der auch aussehen soll.“

Ich meine: Wie genau soll man das überhaupt messen? Wie viele Stunden sind ausreichend? Was muss passieren, bevor ich anderen selbstbewusst von meinem Gebetsleben erzähle? Wann können wir unsere Gebetsgewohnheiten als gesund bezeichnen? Zusammenfassend für die meisten dieser Fragen: Wie viel Aufwand ist für mich genug, um zu wissen, dass ich genug bete? Gibt es irgendeine Beziehung zwischen dem Evangelium und meinem Gebetsleben? Oder bin ich in dieser Sache sozusagen auf mich gestellt?

Die Antwort auf Gebetslosigkeit ist nicht schiere Anstrengung

Alle oben erwähnten Antworten haben eine Sache gemeinsam: Als Christen denken wir, wir würden Gott im Gebet näher kommen, wenn wir uns mehr anstrengen. Wir denken, das geschieht, indem wir pragmatischer sind. Die meisten von uns glauben, dass wir unseren Wecker früher stellen, mehr Gebetsveranstaltungen besuchen und weniger fernsehen müssen, wenn wir im Gebet wachsen wollen. Natürlich sind diese Dinge hilfreich. Aber sind das die Dinge, wegen denen Paulus uns ermahnen würde? Spiegeln sie seine Gebete für andere wider? Nochmal: An und für sich ist nichts falsch daran, sich mehr zu bemühen. Wir müssen uns jedoch fragen, was die Motivation für unsere Bemühungen ist. Sind sie vom Evangelium bevollmächtigt?

Schau dir nochmal Epheser 1,18 und Epheser 3,18–19 an. Die Gebete des Paulus gründen auf dem Evangelium. Es ist das einzig angemessene Fundament für jegliche Bemühungen, in unserer Beziehung zu Gott zu wachsen. Wachstum im Gebet gründet in der Anwendung und im Verständnis des Evangeliums.

„Gebet ist letzten Endes das natürliche Ergebnis eines Herzens, das über die Reichtümer dessen nachsinnt, was Christus getan hat, sie wertschätzt und sich an ihnen erfreut.“
 

Nach diesem runden Tisch mit anderen Gemeindeleitern lasen wir Epheser 3,14–21. Und Gott öffnete meine Augen, sodass ich diese unschätzbare Einsicht im Gebet des Paulus sah. Anstatt um mehr Disziplin zu beten, betet Paulus für mehr Licht. Er betet für etwas weitaus Grundlegenderes. Er betet, dass Gläubige ein tieferes Verständnis des Evangeliums erlangen. Es sieht fast so aus, als würde er annehmen, die pragmatischen Aspekte des Gebets würden sich von selbst erledigen, je tiefer die Gemeinde das Evangelium versteht.

Gebet ist letzten Endes das natürliche Ergebnis eines Herzens, das über die Reichtümer dessen nachsinnt, was Christus getan hat, sie wertschätzt und sich an ihnen erfreut. Das ist unsere Motivation: das Evangelium. Meines Erachtens ist unsere Gebetslosigkeit größtenteils das Ergebnis dessen, dass wir die Tiefen der Liebe Gottes nicht verstehen. Wenn wir sie verstehen, wird das Gebet keine Pflicht mehr sein. Es wird zu einer instinktiven und freudigen Reaktion. Aber unsere natürliche Reaktion in unserem Streben nach mehr Gebet ist ein Streben nach besserer Leistung und nicht ein Streben nach tieferem Verständnis.

Vorsicht vor heuchlerischem Gebet!

Leistung hat einen starken Hang zu Heuchelei. Das scheint das zu sein, was Jesus in Matthäus 6,5–7 herausfordert. Er warnt vor einem Beten, um gesehen zu werden, und vor nutzloser Wiederholung. Kurz gesagt: Solche Gebete haben keine Ahnung davon, wer Gott ist, und lassen den Menschen zu gut dastehen. Das ist ein Beten ohne ein richtiges Verständnis davon, wer wir sind oder zu wem wir beten. Jesus fährt also fort und lehrt das Vaterunser. Indem er das lehrt, bietet Jesus uns ein richtiges Verständnis des Vaters. Er ist es, der unser Gebet hört. Einer, der uns als seine Kinder bezeichnet. Die Menschenmengen vor Jesus glaubten wie so viele von uns heute, dass Anstrengung und ein strengeres Beachten des Gesetzes sie näher zu Gott bringen würden.

Bist du mutlos zu beten? Fühlst du dich, als würdest du dich nicht stark genug um dein Gebetsleben bemühen? Ist das Gebet eine Pflicht und eine Last geworden, statt dass es eine Freude ist? Hast du wie die Pharisäer das Gebet auf Leistung reduziert? Was wäre, wenn das Problem nicht darin besteht, dass du dich zur Verbesserung deines Gebetslebens zu wenig anstrengst? Was wäre, wenn du die Tiefe des Evangeliums nicht verstanden hast? Sicher würdest du viel eifriger beten, wenn du die Liebe Christi besser verstehen würdest! Es wäre unheimlich spannend für dich, mit ihm zu sprechen, wenn du die Hoffnung seiner Berufung kennen würdest! Dann wäre es keine lästige Pflicht mehr, Stunden in Gemeinschaft mit Gott zu verbringen und dafür früh aufzustehen oder Gebetsveranstaltungen zu besuchen. Es würde zu einem Hochgenuss werden.

Schütte Evangeliums-Treibstoff in den Gebetsmotor

Um Diagnosen zur Gebetslosigkeit zu stellen, müssen wir Fragen stellen, die ganz anders sind als die üblichen Fragen. Wir brauchen auch bessere Lösungen: vom Evangelium angetriebener Hochgenuss; einen Wunsch nach größerer Gemeinschaft mit Gott. Keine Pflicht. Keine bloße Disziplin. Wie heißt es doch so schön: kein Rauch ohne Feuer. In ähnlicher Weise wird das Wachsen eines tieferen Verständnisses des Evangeliums zu neu sortierten Prioritäten führen und dazu, nach mehr Zeit mit Gott zu streben und sie wertzuschätzen.

„Das Wachsen eines tieferen Verständnisses des Evangeliums wird zu neu sortierten Prioritäten führen und dazu, nach mehr Zeit mit Gott zu streben und sie wertzuschätzen.“
 

Gebet ist demütigend. Es gibt uns niemals das befriedigende Gefühl, dass wir es endlich gemeistert haben. In gewisser Weise könnte ich vielleicht sagen, dass ich Wayne Grudems Biblische Dogmatik gemeistert habe. Schließlich kann ich seine Gedanken und Ansichten zu bestimmten Themen und Lehren in Worte fassen. Aber Gott wird keine derartigen Belohnungen verteilen. Gott stellt durch das Gebet sicher, dass wir von ihm abhängig bleiben. Und wenn wir tiefer verstehen, anstatt einfach stärker daran zu arbeiten, wird unser Gebetsleben mehr und mehr gesunden. Anders geht es nicht. Also, meine christlichen Brüder und Schwestern: Verständnis, Hochgenuss, Buße und Gebet. In dieser Reihenfolge.