Was sagt die Bibel zum Thema Behinderung?

Artikel von Ros Bayes
1. Dezember 2023 — 33 Min Lesedauer

Manchmal wird behauptet, die Bibel diskriminiere behinderte Menschen.[1] Häufig werden dann Verse wie 3. Mose 21,16–23 angeführt:

„Und der HERR redete zu Mose und sprach: Rede zu Aaron und sprich: Sollte jemand von deinen Nachkommen in ihren [künftigen] Geschlechtern mit irgendeinem Gebrechen behaftet sein, so darf er nicht herzunahen, um das Brot seines Gottes darzubringen. Nein, keiner, an dem ein Gebrechen ist, soll herzunahen, er sei blind oder lahm oder habe eine gespaltene Nase oder ein Glied, das zu lang ist; auch keiner, der einen gebrochenen Fuß oder eine gebrochene Hand hat, auch kein Buckliger oder Zwerg oder einer, der einen Fleck auf seinem Auge hat oder die Krätze oder Flechten oder zerdrückte Hoden. Wer nun von dem Samen Aarons, des Priesters, ein Gebrechen an sich hat, der soll nicht herzunahen, um die Feueropfer des HERRN darzubringen; er hat ein Gebrechen; darum soll er nicht herzutreten, um das Brot seines Gottes darzubringen. Doch darf er das Brot seines Gottes essen, vom Hochheiligen und vom Heiligen. Aber zum Vorhang soll er nicht kommen, noch sich dem Altar nahen, weil er ein Gebrechen hat, damit er mein Heiligtum nicht entweiht; denn ich, der HERR, heilige sie.“

Dieser Abschnitt wirft zwei Fragen auf.

Erstens: Stimmt es, dass die Bibel behinderte Menschen diskriminiert?

Und zweitens (wobei ich im Folgenden zeigen werde, dass das nicht zutrifft): Wie stellt die Bibel behinderte Menschen dar, und was verrät das über Gottes Herz für Menschen mit körperlichen, sensorischen oder kognitiven Beeinträchtigungen?

Priesterliche Vollkommenheit

Zunächst einmal müssen wir uns mit der obigen Passage auseinandersetzen. Der Text steht so in der Bibel und wir können ihm nicht ausweichen. Er muss aber im Kontext der gesamten Heiligen Schrift verstanden werden. Könnte der Gott, der auch sagte: „Du sollst dem Tauben nicht fluchen und dem Blinden keinen Anstoß in den Weg legen, sondern du sollst dich fürchten vor deinem Gott; ich bin der HERR!“ (3Mose 19,14), wirklich gemeint haben, dass behinderte Menschen minderwertiger sind als andere und unwürdig anzubeten?

Die Beschreibungen der Stiftshütte und des Gottesdienstes, der dort stattfinden sollte, sind voller Symbolik. Es hat sich gezeigt, dass viele Details auf das künftige Wirken des Messias Jesus hinweisen. Und deshalb macht diese Anweisung für den Tempelgottesdienst keine Aussage über die Minderwertigkeit von Menschen mit Beeinträchtigungen. Vielmehr ist sie ein Symbol sowohl für die Vollkommenheit, die Gott von uns erwartet – keine halbherzige Anbetung – als auch für das vollkommene, makellose Opfer, das Christus in seinem Tod am Kreuz darbringen sollte. Es ist interessant, dass Menschen mit geistigen Behinderungen nicht vom Priesteramt ausgeschlossen waren. Könnte es sein, dass wir etwas als Behinderung ansehen, was Gott anders sieht? Doch dazu später mehr.

Die Perspektive der Schöpfung

Schon am Anfang der Bibel wird deutlich, dass der Mensch eine von Gott gewollte Schöpfung ist, die in Liebe geschaffen wurde. Johannes, dessen Evangelium die ersten Worte der Genesis „Im Anfang“ wiederholt, betont dies in seinem ersten Brief: „Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Kinder Gottes heißen sollen!“ (1Joh 3,1).

So wie die Menschen in Liebe geschaffen sind, sollen sie ihrerseits die Welt in Liebe regieren:

„Und Gott sprach: Lasst uns Menschen machen nach unserem Bild, uns ähnlich; die sollen herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel des Himmels und über das Vieh und über die ganze Erde, auch über alles Gewürm, das auf der Erde kriecht!“ (1Mose 1,26)

Es liegt auf der Hand, dass ein Gott, der in Liebe erschafft und dessen „Barmherzigkeit waltet über allen seinen Werken“ (Ps 145,9), von seinem Volk erwartet, dass es mit Liebe regiert und nicht mit harter Herrschaft.

Aus der Schöpfungsgeschichte geht auch hervor, dass Männer und Frauen nach dem Bilde Gottes geschaffen sind. Gott ist nicht auf eines der beiden Geschlechter beschränkt; Männer spiegeln sein Wesen nicht stärker wider als Frauen (oder umgekehrt!). Es ist auch klar, dass Männer wie Frauen jetzt durch die Sünde von Gott getrennt sind, wie in der Geschichte von Gott deutlich wird, der Adam und Eva nach dem Sündenfall sucht:

„Und sie hörten die Stimme Gottes des HERRN, der im Garten wandelte, als der Tag kühl war; und der Mensch und seine Frau versteckten sich vor dem Angesicht Gottes des HERRN hinter den Bäumen des Gartens.“ (1Mose 3,8)

Die Bibel hat also eine sehr hohe Meinung von der Menschheit, sowohl von Männern als auch von Frauen. Sie ist auch sehr realistisch in Bezug auf das Böse und das Leid, das uns begegnet. Sie versucht nicht, dessen Ausmaß herunterzuspielen oder die Tatsache zu leugnen, dass niemand von seinen zerstörerischen Auswirkungen verschont bleibt:

„Darum, gleichwie durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist und durch die Sünde der Tod, und so der Tod zu allen Menschen hingelangt ist, weil sie alle gesündigt haben.“ (Röm 5,12)

Leiden aus Gottes Perspektive

Die Heilige Schrift sagt uns, dass Gott sich so zärtlich wie ein Vater gegenüber seinen Kindern verhält: „Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt, so erbarmt sich der HERR über die, welche ihn fürchten; denn er weiß, was für ein Gebilde wir sind; er denkt daran, dass wir Staub sind“ (Ps 103,13–14). Wir lesen auch, dass er alle, die er geschaffen hat, ohne Ausnahme liebt und für sie sorgt: „Gnädig und barmherzig ist der HERR, geduldig und von großer Güte. Der HERR ist gütig gegen alle, und seine Barmherzigkeit waltet über allen seinen Werken“ (Ps 145,8–9). Gott wird außerdem als einer dargestellt, der an den Leiden seines Volkes teilhat: „Bei all ihrer Bedrängnis war er auch bedrängt“ (Jes 63,9). Und in Jesaja 53 wird ein Bild eines Gottes gezeichnet, der für sein Volk leidet und dessen Leiden er selbst trägt.

Leiden aus menschlicher Perspektive

Aus menschlicher Sicht erscheint Leiden oft ungerecht, so wie bei Hiob, dessen Leiden in keinem Verhältnis zu dem stand, was er getan haben könnte, um es zu verdienen:

„Denn was würde mir Gott vom Himmel her zuteilen, und welchen Lohn erhielte ich von dem Allmächtigen aus der Höhe? Ist denn das Unglück nicht für den Ungerechten und das Missgeschick für die Übeltäter? Sieht Er denn nicht meine Wege und zählt alle meine Schritte, sodass er wissen kann, ob ich mit Lügen umgegangen oder auf Betrug ausgegangen bin? Er wäge mich auf der Waage der Gerechtigkeit, so wird Gott meine Tadellosigkeit erkennen!“ (Hiob 31,2–6)

Aber die Bibel sagt auch (und viele von uns können dies aus eigener Erfahrung bezeugen), dass uns gerade leidvolle Erfahrungen zu Gott zurückbringen können, wenn wir uns von ihm entfernt haben: „Ehe ich gedemütigt wurde, irrte ich; nun aber befolge ich dein Wort … Es ist gut für mich, dass ich gedemütigt wurde, damit ich deine Anweisungen lerne“ (Ps 119,67.71).

C.S. Lewis drückt es so aus: „Gott flüstert in unseren Freuden, er spricht in unserem Gewissen; in unseren Schmerzen aber ruft er laut. Sie sind sein Megaphon, eine taube Welt aufzuwecken.“[2] Hier bekommen wir einen Eindruck davon, dass das Leiden auch erlösenden Charakter haben kann. Und so sehen wir, dass es überraschenderweise sogar eine gute Botschaft mit sich bringen kann: „Denn unsere Bedrängnis, die schnell vorübergehend und leicht ist, verschafft uns eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit“ (2Kor 4,17). „Denn ich bin überzeugt, dass die Leiden der jetzigen Zeit nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns geoffenbart werden soll“ (Röm 8,18).

Was Behinderung nicht ist

Aufgrund dieser Überlegungen gewinnen Beeinträchtigungen eine Bedeutung, die sie in fast allen Religionen und Philosophien nicht haben. Wir sehen nämlich, dass Behinderung kein Karma ist, wie es einige östliche Religionen behaupten:

„Und als er vorbeiging, sah er einen Menschen, der blind war von Geburt an. Und seine Jünger fragten ihn und sprachen: Rabbi, wer hat gesündigt, sodass dieser blind geboren ist, er oder seine Eltern? Jesus antwortete: Weder dieser hat gesündigt noch seine Eltern; sondern an ihm sollten die Werke Gottes offenbar werden!“ (Joh 9,1–3)

Eine Behinderung ist auch kein Fluch, wie manche Gemeinschaften es immer noch denken:

„Darum lassen wir uns nicht entmutigen; sondern wenn auch unser äußerer Mensch zugrunde geht, so wird doch der innere Tag für Tag erneuert. Denn unsere Bedrängnis, die schnell vorübergehend und leicht ist, verschafft uns eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit, da wir nicht auf das Sichtbare sehen, sondern auf das Unsichtbare; denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig.“ (2Kor 4,16–18)

Bedrängnisse oder Behinderungen sind kein Hindernis für Gott, seine Gnade in unserem Leben wirksam werden zu lassen – ganz im Gegenteil:

„Und damit ich mich wegen der außerordentlichen Offenbarungen nicht überhebe, wurde mir ein Pfahl fürs Fleisch gegeben, ein Engel Satans, dass er mich mit Fäusten schlage, damit ich mich nicht überhebe. Seinetwegen habe ich dreimal den Herrn gebeten, dass er von mir ablassen soll. Und er hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft wird in der Schwachheit vollkommen! Darum will ich mich am liebsten vielmehr meiner Schwachheiten rühmen, damit die Kraft des Christus bei mir wohne. … Denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark.“ (2Kor 12,7–10)

Und im Gegensatz zur Kultur der biblischen Zeiten, zur Kultur in einigen Teilen der heutigen Welt und zur versteckten Kultur, die unserem eigenen Herzen zusetzt, wenn wir uns vor behinderten Menschen scheuen (eine kürzlich durchgeführte Umfrage von Scope ergab, dass es 67 % der Befragten unangenehm ist, mit Behinderten zu sprechen[3]), sind behinderte Menschen nicht unberührbar. Jesus bewies dies, als sich eine an Blutungen leidende Frau hinter ihn schlich, um den Saum seines Gewandes zu berühren. Sie wurde geheilt, und er ehrte sie vor allen wegen ihres Glaubens (vgl. Lk 8,43–48). Als ein Mann mit einer ansteckenden Hautkrankheit das Gesetz brach, das ihm das Betreten der Stadt verbot, und zu Jesu Füßen fiel und ihn anflehte: „Herr, wenn du willst, so kannst du mich reinigen!“, war seine unmittelbare Reaktion, die Hand auszustrecken und diesen Mann zu berühren, was ihm vom Gesetz verboten war, und er erklärte: „Ich will; sei gereinigt!“ Und sofort verließ ihn der Aussatz (Lk 5,11–13). Als Gott beschloss, sich in der Person Jesu zu inkarnieren, war seine Haltung gegenüber behinderten Menschen für seine Zeit ziemlich revolutionär, und wenn wir ehrlich sind, auch für uns heute.

In der Bibel werden Behinderungen nicht als von Gott verursacht angesehen, obwohl er souverän über sie herrscht. Die Leiden Hiobs wurden zwar von Satan verursacht, aber von Gott zugelassen. Als Hiob sagte: „Der HERR hat gegeben, der HERR hat genommen; der Name des HERRN sei gelobt!“ (Hiob 1,21), erfahren wir, dass Hiob nicht gesündigt hatte. Doch in seinem Gespräch mit Gott wird deutlich, dass er sich geirrt hatte: Gott war nicht der, der ihm alles genommen hatte, sondern derjenige, der ihm mehr zurückgab, als er verloren hatte. Auch wenn eine Behinderung nicht von Gott verursacht wird, sind behinderte Menschen von ihm geschaffen, geschätzt und geliebt: „Da sprach der HERR zu ihm: ,Wer hat dem Menschen den Mund gemacht? Oder wer macht ihn stumm oder taub oder sehend oder blind? Bin ich es nicht, der HERR?‘“ (2Mose 4,11).

Behinderte Menschen in der Bibel

Joni Eareckson Tada, selbst Tetraplegikerin, sagte einmal: „Unser Erlöser hat es vorgezogen, sich durch den Dienst an behinderten Menschen als Messias auszuweisen. ... Eine Behinderung vergrößert die Gnade Gottes. ... Wir im Rollstuhl dürfen zeigen, wie groß und vertrauenswürdig Gott ist.“[4]

Positive Bilder von Menschen mit Behinderungen in der Bibel sind jedoch nicht auf das Wirken Christi beschränkt, sie finden sich auch im gesamten Alten und Neuen Testament. Das vielleicht bekannteste Beispiel ist Mephiboseth in 2. Samuel 9. Er war der Sohn von Jonathan und Enkel von Saul. Er wurde behindert, als seine Amme mit ihm in den Armen stürzte, als sie versuchte, vor einer Gefahr zu fliehen. Wir wissen nicht, ob er eine Verletzung an den Beinen erlitt oder eine Hirnverletzung, die die motorischen Reaktionen seiner Beinmuskeln beeinträchtigte – jedenfalls war er für den Rest seines Lebens in seiner Mobilität eingeschränkt. Als David König wurde, erkundigte er sich, ob es noch jemanden aus dem Hause Saul gab, dem er um seines Freundes Jonathan willen Gutes tun konnte. Als er Mephiboseth fand, wählte er ihn nicht wegen seiner Behinderung aus – er tat einfach das, was er für jeden Sohn Jonathans getan hätte. Als David entdeckte, dass er behindert war, schreckte er auch nicht davor zurück, ihn zu ehren; er behandelte ihn genauso, als wenn Mephiboseth ein starker Krieger gewesen wäre. Er ließ ihn an seinem Tisch essen, gab ihm Sauls Land und stellte ihm Diener zur Verfügung, die es für ihn bewirtschafteten. Diese Geschichte ist eine aussagekräftige Metapher für das Reich Gottes, in dem behinderte und nicht behinderte Menschen gleichberechtigt nebeneinander an der Festtafel sitzen.

Mose ist ein weiteres Beispiel. Er fürchtete sich, mit dem Pharao zu sprechen, weil er nicht gut reden konnte (vgl. 2Mose 4,10–16). Wir wissen nicht, ob es sich dabei um einen tatsächlichen Sprachfehler handelte oder ob er unter einer Angststörung litt, die sein Sprechen behinderte. Wie auch immer, Gott stellte ihm seinen Bruder Aaron zur Seite, der als sein Sprecher mitgeschickt wurde.

„Es sind die Ausgestoßenen und Stigmatisierten, die zum Leben und zum Wohlergehen des Volkes Gottes beitragen.“
 

Elia gab in der Öffentlichkeit ein beeindruckendes Bild ab: Er rief vor dem ganzen Volk Feuer vom Himmel herab und beschämte die falschen Baalspropheten. Er besaß große geistliche Autorität und scheute sich nicht, das Fehlverhalten des Königs anzuprangern. Und doch versteckte er sich nach seinem großen Triumph, zutiefst niedergeschlagen, wollte am liebsten sterben und flehte Gott an, ihm das Leben zu nehmen. Die Antwort Gottes in 1. Könige 19 besteht darin, dass er sich liebevoll um seine körperlichen Bedürfnisse (Nahrung und Schlaf) kümmert, ihn an einen sicheren Ort bringt und ganz sanft zu ihm spricht. Wie kommt es dann, dass sich so viele Christen von ihren Glaubensgeschwistern stigmatisiert fühlen, wenn sie psychisch krank sind?

In 2. Könige 7 gibt es eine merkwürdige Geschichte, in der die Helden vier behinderte Männer sind: Ausgestoßene aufgrund ihres körperlichen Zustands, einer Hautkrankheit oder „Lepra“. Der König der Aramäer belagert Samaria. Die Menschen in der Stadt können diese nicht verlassen und niemand kann sie betreten; folglich hungern die Menschen. Der Kopf eines Esels wechselt für einen exorbitanten Preis den Besitzer, und die Menschen sind sogar gezwungen, die Leichen der Verhungerten zu essen. Gott bewirkt auf übernatürliche Weise, dass das Heer der Aramäer das Getöse herannahender Streitwagen hört, woraufhin es alles fallen lässt und flieht. Vier leprakranke Männer (die aus der Stadt verbannt worden sind, weil die Gesetze es ihnen nicht erlauben, mit einer ansteckenden Krankheit in der Gemeinschaft zu leben) diskutieren über ihre Zukunft. Sie sehen, dass sie nur zwei Möglichkeiten haben: einen langsamen Hungertod zu sterben oder sich den Aramäern zu ergeben, die sie vielleicht töten, sie möglicherweise aber auch gefangennehmen und ihnen zu essen geben werden. Sie wählen das Risiko anstelle des sicheren Verhungerns. Doch als sie im Lager der Aramäer ankommen, finden sie es verlassen vor, aber mitsamt allen Besitztümern und Lebensmitteln der Aramäer. Sie essen sich satt und kommen danach zu dem Schluss, dass sie diese gute Nachricht nicht für sich behalten können. Sie brechen die Regeln, indem sie in die Stadt Samaria zurückkehren, aus der sie eigentlich verbannt sind, und geben die gute Nachricht von ihrer Entdeckung weiter. Die Lebensmittel werden verteilt und die Samariter durch das Handeln dieser vier Männer vor dem Verhungern gerettet. Auch dies ist ein eindrucksvolles, lebendiges Gleichnis für die Kirche: Es sind die Ausgestoßenen und Stigmatisierten, die zum Leben und zum Wohlergehen des Volkes Gottes beitragen.

Natürlich werden die meisten von uns irgendwann auch behindert sein, selbst wenn sie momentan noch keine Beeinträchtigungen haben! Es gibt Beispiele von Menschen, die aufgrund ihres hohen Alters ihre körperlichen Fähigkeiten verloren haben, was aber kein Hindernis für sie ist, eine wichtige Rolle in Gottes Plänen zu spielen. Isaak ist am Ende seines Lebens zu blind und zu verwirrt, um zwischen seinen Söhnen unterscheiden zu können oder um zu erkennen, dass ihm ein Streich gespielt wird. Und doch verliert der Segen, den er seinem jüngeren Sohn Jakob zuspricht, nichts von seiner geistlichen Kraft, und die Dinge, die Isaak für seine Söhne voraussieht, gehen tatsächlich in Erfüllung.

Auch Jakob, der später Israel genannt wird und am Ende seines Lebens zu gebrechlich ist, um das Bett zu verlassen, vertauscht ganz bewusst seine Hände und legt seine rechte Hand, den Segen für den Erstgeborenen, auf den Kopf des Jüngeren seiner beiden Enkel. Als Josef, der Vater des Jungen, ihn zurechtweist, stellt er aber klar, dass dies kein Versehen ist. Trotz seiner körperlichen Gebrechlichkeit erkennt er, dass Gott etwas Besonderes mit dem Jüngeren vorhat, und wie bei seinem Vater Isaak gehen die Worte, die er in seiner Schwäche am Ende seines Lebens spricht, später in Erfüllung.

Im Neuen Testament gibt es neben dem Heilungsdienst Jesu an vielen behinderten Menschen auch Beispiele, in denen Behinderte positiv dargestellt werden und wo Gott eine Behinderung zum Wohle der Menschen einsetzt. Zachäus scheint von ungewöhnlich kleiner Statur gewesen zu sein, da er auf einen Baum klettern musste, um Jesus über die Köpfe der Menge hinweg sehen zu können. Er machte sich selbst „groß“, indem er die Leute beim Eintreiben ihrer Steuern betrog. Jesus bemerkte ihn, schätzte ihn, setzte sich mit ihm zusammen und aß mit ihm in seinem Haus. Von Jesus geliebt zu werden, ermöglichte es ihm, sich zu ändern und großzügig zu werden.

Der heilige Paulus wurde durch seine Begegnung mit Christus auf der Straße nach Damaskus blind. Aus seinen eigenen Schriften und aus der Tatsache, dass er den Hohenpriester nicht erkannte (vgl. Apg 23,5) und zum Schreiben seiner Briefe einen Sekretär benötigte (vgl. Röm 16,22), wissen wir, dass er auch nach der Entsendung von Ananias, der ihm das Augenlicht wiedergab, weiterhin ein Augenproblem hatte. Er schrieb an die Galater:

„Ihr wisst aber, dass ich euch in Schwachheit des Fleisches zum ersten Mal das Evangelium verkündigt habe. Und meine Anfechtung in meinem Fleisch habt ihr nicht verachtet oder gar verabscheut, sondern wie einen Engel Gottes nahmt ihr mich auf, wie Christus Jesus. Was war denn eure Glückseligkeit? Denn ich gebe euch das Zeugnis, dass ihr wenn möglich eure Augen ausgerissen und mir gegeben hättet.“ (Gal 4,13–15)

Dies sind nur einige von vielen Beispielen der Menschen, die für Gottes Ziele wichtig waren und eine Behinderung hatten. Gideon scheint unter einer Angststörung gelitten zu haben; Lea schielte vermutlich; Jabez wurde von anderen negativ etikettiert, weigerte sich aber, dadurch definiert zu werden; Naaman war mehr durch seinen Stolz als durch seinen körperlichen Zustand behindert; Simson zerstörte trotz seiner Blindheit den Tempel des Götzen Dagon; einer der ersten Evangelisten war ein blindgeborener Mann (vgl. Joh 9). Die Bibel ist voll von Menschen, deren Beeinträchtigungen sie nicht daran hinderten, eine wichtige Rolle in der Geschichte des Volkes Gottes zu spielen.

Wie sieht die Bibel Behinderungen?

Beeinträchtigungen werden in der Bibel als etwas betrachtet, das Gottes Aufmerksamkeit erregt:

„[Da] saß ein Sohn des Timäus, Bartimäus der Blinde, am Weg und bettelte. Und als er hörte, dass es Jesus, der Nazarener, war, begann er zu rufen und sprach: Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich über mich! Und es geboten ihm viele, er solle schweigen; er aber rief noch viel mehr: Du Sohn Davids, erbarme dich über mich! Und Jesus stand still und ließ ihn [zu sich] rufen. Da riefen sie den Blinden und sprachen zu ihm: Sei getrost, steh auf; er ruft dich! Er aber warf seinen Mantel ab, stand auf und kam zu Jesus. Und Jesus begann und sprach zu ihm: Was willst du, dass ich dir tun soll? Der Blinde sprach zu ihm: Rabbuni, dass ich sehend werde!“ (Mk 10,46–51)

Dieser Mann, den andere als lästig empfanden und zum Schweigen bringen wollten, wurde von Jesus wahrgenommen, geliebt und schließlich geheilt. Wer behinderte Menschen gut behandelt, tut nicht nur ihnen, sondern auch sich selbst etwas Gutes:

„Er sagte aber auch zu dem, der ihn eingeladen hatte: Wenn du ein Mittags- oder Abendmahl machst, so lade nicht deine Freunde, noch deine Brüder, noch deine Verwandten, noch reiche Nachbarn ein, damit nicht etwa auch sie dich wieder einladen und dir vergolten wird; sondern wenn du ein Gastmahl machst, so lade Arme, Krüppel, Lahme, Blinde ein, so wirst du glückselig sein; denn weil sie es dir nicht vergelten können, wird es dir vergolten werden bei der Auferstehung der Gerechten.“ (Lk 14,12–14)

Noch deutlicher wird dies im Brief des Paulus an die Korinther, wo er bekräftigt, dass Gott denen mehr „Ehre“ zukommen lässt, die scheinbar keine besitzen:

„Nun aber hat Gott die Glieder, jedes einzelne von ihnen, so im Leib eingefügt, wie er gewollt hat. Wenn aber alles ein Glied wäre, wo bliebe der Leib? Nun aber gibt es zwar viele Glieder, doch nur einen Leib. Und das Auge kann nicht zur Hand sagen: Ich brauche dich nicht!, oder das Haupt zu den Füßen: Ich brauche euch nicht! Vielmehr sind gerade die scheinbar schwächeren Glieder des Leibes notwendig, und die [Glieder] am Leib, die wir für weniger ehrbar halten, umgeben wir mit desto größerer Ehre, und unsere weniger anständigen erhalten umso größere Anständigkeit; denn unsere anständigen brauchen es nicht. Gott aber hat den Leib so zusammengefügt, dass er dem geringeren Glied umso größere Ehre gab, damit es keinen Zwiespalt im Leib gebe, sondern die Glieder gleichermaßen füreinander sorgen. Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit; und wenn ein Glied geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit.“ (1Kor 12,18–26)

Wie geht Jesus mit Behinderten um?

Jesus ist jemand, der seinen Vater anrufen kann, um seine Feinde zu vernichten, aber stattdessen den Weg der Schwäche wählt. Damit identifiziert er sich mit all jenen, die sich ihre Schwäche nicht selbst ausgesucht haben:

„Und während er noch redete, siehe, da kam Judas, einer der Zwölf, und mit ihm eine große Schar mit Schwertern und Stöcken, [gesandt] von den obersten Priestern und Ältesten des Volkes. Der ihn aber verriet, hatte ihnen ein Zeichen gegeben und gesagt: Der, den ich küssen werde, der ist’s, den ergreift! Und sogleich trat er zu Jesus und sprach: Sei gegrüßt, Rabbi!, und küsste ihn. Jesus aber sprach zu ihm: Freund, wozu bist du hier? Da traten sie hinzu, legten Hand an Jesus und nahmen ihn fest. Und siehe, einer von denen, die bei Jesus waren, streckte die Hand aus, zog sein Schwert, schlug den Knecht des Hohenpriesters und hieb ihm ein Ohr ab. Da sprach Jesus zu ihm: Stecke dein Schwert an seinen Platz! Denn alle, die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert umkommen! Oder meinst du, ich könnte nicht jetzt meinen Vater bitten, und er würde mir mehr als zwölf Legionen Engel schicken? Wie würden dann aber die Schriften erfüllt, dass es so kommen muss?“ (Mt 26,47–54)

Dies wiederum dient uns als Beispiel, dem wir folgen sollen:

„Denn ihr sollt so gesinnt sein, wie es Christus Jesus auch war, der, als er in der Gestalt Gottes war, es nicht wie einen Raub festhielt, Gott gleich zu sein; sondern er entäußerte sich selbst, nahm die Gestalt eines Knechtes an und wurde wie die Menschen; und in seiner äußeren Erscheinung als ein Mensch erfunden, erniedrigte er sich selbst und wurde gehorsam bis zum Tod, ja bis zum Tod am Kreuz.“ (Phil 2,5–8)

Jesus ist auch ein Meister, der dient und uns wiederum ein Beispiel gibt. Damit der Leib Christi voll funktionsfähig ist, müssen wir eine Haltung und eine Praxis des gegenseitigen Dienens haben, aber wir müssen auch unseren behinderten Geschwistern erlauben, uns zu dienen, und wir müssen bereit sein, von ihnen zu lernen und uns von ihnen leiten zu lassen:

„Jesus … stand er vom Mahl auf, legte sein Obergewand ab, nahm einen Schurz und umgürtete sich; darauf goss er Wasser in das Becken und fing an, den Jüngern die Füße zu waschen und sie mit dem Schurz zu trocknen, mit dem er umgürtet war. Da kommt er zu Simon Petrus, und dieser spricht zu ihm: Herr, du wäschst mir die Füße? Jesus antwortete und sprach zu ihm: Was ich tue, verstehst du jetzt nicht; du wirst es aber danach erkennen. … Nachdem er nun ihre Füße gewaschen und sein Obergewand angezogen hatte, setzte er sich wieder zu Tisch und sprach zu ihnen: Versteht ihr, was ich euch getan habe? Ihr nennt mich Meister und Herr und sagt es mit Recht; denn ich bin es auch. Wenn nun ich, der Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt auch ihr einander die Füße waschen; denn ein Vorbild habe ich euch gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Der Knecht ist nicht größer als sein Herr, noch der Gesandte größer als der ihn gesandt hat. Wenn ihr dies wisst, glückselig seid ihr, wenn ihr es tut!“ (Joh 13,3–17)

Jesus handelte auch völlig inklusiv. Tatsächlich war es für seine Zeit absolut revolutionär, wen er alles annahm: ansteckende Menschen (vgl. Mk 1,40–42); Behinderte (die Evangelien sind voller Geschichten über seinen Dienst an Behinderten); Ehebrecher (vgl. Joh 8,1–11); sozial Ausgestoßene (vgl. Mk 2,14); Fremde (vgl. Mt 8,5–13) und Frauen (vgl. Lk 10,39). Sein Leben wurde durch seine Lehre bekräftigt; in der Bergpredigt stellte er die Wertvorstellungen der Welt auf den Kopf und erklärte diejenigen für selig, die die Gesellschaft als verflucht ansah.

Sind lernbehinderte Menschen die Torheit dieser Welt?

Jesus erkannte, dass Gottes tiefste Botschaft nicht durch Worte den Verstand der Weisen erreichte:

„Zu derselben Stunde frohlockte Jesus im Geist und sprach: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, dass du dies den Weisen und Klugen verborgen und es den Unmündigen geoffenbart hast.“ (Lk 10,21)

Oder, wie die Zürcher Bibel es widergibt, nicht den „Unmündigen“, sondern den „Einfältigen“.

Diejenigen von uns, die mit geistig behinderten Menschen arbeiten, stellen fest, dass sie häufig schneller auf etwas von Gott hören als wir anderen. In den Augen dieser Welt werden sie oft als töricht angesehen, aber vor Gott sind sie weise. Paulus sagt uns in 1. Korinther 1,25, dass das Törichte Gottes weiser ist als menschliche Weisheit und das Schwache Gottes stärker ist als menschliche Stärke.

Wir sehen also, dass Gott besondere Pläne mit Menschen mit Lernschwierigkeiten hat:

„Seht doch eure Berufung an, ihr Brüder! Da sind nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Mächtige, nicht viele Vornehme; sondern das Törichte der Welt hat Gott erwählt, um die Weisen zuschanden zu machen, und das Schwache der Welt hat Gott erwählt, um das Starke zuschanden zu machen; und das Unedle der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, und das, was nichts ist, damit er zunichtemache, was etwas ist, damit sich vor ihm kein Fleisch rühme.“ (1Kor 1,26–29)

Wichtig ist, dass wir so, wie wir „die Geringsten“ behandeln, auch Christus behandeln: „Und der König wird ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr einem dieser meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan!“ (Mt 25,40).

Amos Yong fasst es im Folgenden ausgezeichnet zusammen:

„Wenn Menschen mit geistiger Behinderung die Torheit der Welt darstellen, was hindert uns daran, sie als Verkörperung der Weisheit Gottes zu betrachten?“[5]

Daher sollten wir – aus der Perspektive der Ewigkeit betrachtet – unsere gesamte Auffassung von Behinderung überdenken. Wir, die wir dachten, alle Vorteile im Leben zu haben – als Starke und Kluge, die in weltlicher Sicht als „begabt“ gelten – stellen fest, dass wir, geistlich gesehen, schwer behindert sein können im Vergleich zu unseren Geschwistern, denen diese intellektuellen Begabungen fehlen, die aber über geistliche Fähigkeiten und Begabungen verfügen können, die wir nie vermutet hätten.

Behinderungen und die christliche Gemeinschaft

Was können wir also als christliche Gemeinschaft – sei es als Organisation, Gemeinde oder christliche Vereinigung – tun, um dafür zu sorgen, dass behinderte Menschen heute im Volk Gottes denselben Stellenwert wie in der Bibel erhalten?

Zunächst müssen wir Behinderten mit Demut begegnen, so wie wir gemäß der Bibel allen Menschen entgegentreten sollen:

„Denn ich sage kraft der Gnade, die mir gegeben ist, jedem unter euch, dass er nicht höher von sich denke, als sich zu denken gebührt, sondern dass er auf Bescheidenheit bedacht sei, wie Gott jedem Einzelnen das Maß des Glaubens zugeteilt hat. Denn gleichwie wir an einem Leib viele Glieder besitzen, nicht alle Glieder aber dieselbe Tätigkeit haben, so sind auch wir, die vielen, ein Leib in Christus, und als einzelne untereinander Glieder, wir haben aber verschiedene Gnadengaben gemäß der uns verliehenen Gnade.“ (Röm 12,3–8)
„Tut nichts aus Selbstsucht oder nichtigem Ehrgeiz, sondern in Demut achte einer den anderen höher als sich selbst. Jeder schaue nicht auf das Seine, sondern jeder auf das des anderen.“ (Phil 2,3–4)

Wir sollten behinderten Menschen so dienen, als ob wir Gott selbst dienten:

„Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf; und wer mich aufnimmt, der nimmt den auf, der mich gesandt hat. … Und wer einem dieser Geringen auch nur einen Becher mit kaltem Wasser zu trinken gibt, weil er ein Jünger ist, wahrlich, ich sage euch, der wird seinen Lohn nicht verlieren!“ (Mt 10,40–42)

Entscheidend ist, dass wir Menschen mit Beeinträchtigungen die Möglichkeit geben, ihre Gaben in den Dienst der Kirche und der Gemeinde zu stellen:

„Damit wir … wahrhaftig in der Liebe, heranwachsen in allen Stücken zu ihm hin, der das Haupt ist, der Christus. Von ihm aus vollbringt der ganze Leib, zusammengefügt und verbunden durch alle Gelenke, die einander Handreichung tun nach dem Maß der Leistungsfähigkeit jedes einzelnen Gliedes, das Wachstum des Leibes zur Auferbauung seiner selbst in Liebe.“ (Eph 4,14–16)

Die christliche Behindertenhilfsorganisation Through the Roof hat kürzlich eine Umfrage über die Erfahrungen beeinträchtigter Menschen mit der Kirche durchgeführt.[6] Dabei zeigte sich, dass es unter christlichen Behinderten einen solchen Reichtum an geistlicher Weisheit und Reife gibt, dass wir uns fragen müssen, warum nicht mehr von ihnen in Kirchenleitungen vertreten sind.

„Behinderte Menschen müssen nicht nur inkludiert werden (obwohl das ein guter Ausgangspunkt ist) – sie müssen dazugehören.“
 

Wir müssen behinderten Menschen mehr und nicht weniger Respekt und Ehre erweisen. Wie wir gesehen haben, sollen sie einen Ehrenplatz an der Festtafel erhalten (vgl. Lk 14,12–14) und mit größerer Ehre behandelt werden (vgl. 1Kor 12,23): „So gebt nun jedermann, was ihr schuldig seid: Steuer, dem die Steuer, Zoll, dem der Zoll, Furcht, dem die Furcht, Ehre, dem die Ehre gebührt“ (Röm 13,7).

Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass Gott die ungerechte Behandlung von benachteiligten Menschen sehr ernst nimmt:

„Wegen drei und wegen vier Übertretungen von Israel werde ich es nicht abwenden: Weil sie den Gerechten um Geld verkaufen und den Armen für ein Paar Schuhe; weil sie selbst nach dem Erdenstaub auf den Köpfen der Geringen gierig sind.“ (Am 2,6–7)

„Stärkt die schlaff gewordenen Hände und macht fest die strauchelnden Knie; sagt zu denen, die ein verzagtes Herz haben: Seid tapfer und fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Die Rache kommt, die Vergeltung Gottes; er selbst kommt und wird euch retten!“ (Jes 35,3–4)

Das kann bedeuten, dass wir manchmal für die Rechte Behinderter kämpfen müssen: „Es ist dir gesagt, o Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert: Was anders als Recht tun, Liebe üben und demütig wandeln mit deinem Gott?“ (Mi 6,8). Wir müssen jedoch über die reine Inklusion hinausgehen. Behinderte Menschen müssen nicht nur inkludiert werden (obwohl das ein guter Ausgangspunkt ist) – sie müssen dazugehören. Und gerade in der Kirche darf es kein „sie und wir“ geben. John Swinton erklärt sehr deutlich, worin dieser Unterschied besteht:

„Wir müssen in unserer Gesellschaft unbedingt – und zwar zu Recht – auf Inklusion achten. In einer Hinsicht ist das meiner Meinung nach auch in Ordnung. Aber Inklusion ist nicht genug. Menschen in die Gesellschaft einzubeziehen bedeutet, dass sie einfach nur da sein müssen. Alles, was wir dazu tun müssen, ist, die Kirche zugänglich zu machen, die richtigen politischen Strukturen zu haben, dafür zu sorgen, dass die Menschen am Ende des Gottesdienstes eine Tasse Tee bekommen oder was auch immer. Aber es gibt einen großen Unterschied zwischen einbezogen werden und dazugehören. Um dazuzugehören, musst du auch vermisst werden. Das ist etwas sehr, sehr Wichtiges. Um dazuzugehören, müssen Menschen danach verlangen, dass du wieder unter ihnen bist. Wenn du nicht da bist, müssen sie nach dir suchen. Wenn etwas nicht in Ordnung ist, sollten Menschen empört sein – absolut empört darüber, wenn behinderten Menschen etwas angetan wird.“[7]

Wir sind der Leib Christi, und deshalb sollten wir alles tun, was der Leib Christi tat, als Jesus hier auf der Erde war. Wir sollten behinderte Menschen berühren, umarmen und lieben, wie er es tat. Selbst nach seiner Himmelfahrt gibt uns Jesus ein erstaunliches, aber deutliches Beispiel für gelebte körperliche Zuwendung. In Offenbarung 1 erscheint der auferstandene und erhöhte Herr Johannes, seinem engsten irdischen Freund. Johannes sah ihn mit einem langen Gewand bekleidet und mit einem goldenen Gürtel um seine Brust. Die Haare auf seinem Haupt waren weiß, wie weiße Wolle, wie Schnee. Seine Augen waren wie eine Feuerflamme, seine Füße waren wie schimmerndes Erz, als glühten sie im Ofen, und seine Stimme war wie das Rauschen vieler Wasser. In seiner rechten Hand hielt er sieben Sterne, aus seinem Mund ging ein scharfes, zweischneidiges Schwert hervor, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne in ihrer Kraft. Der Anblick war so überwältigend für ihn, dass Johannes wie tot zu seinen Füßen fiel. Und dann tat Jesus etwas wirklich Bemerkenswertes. Diese hoch aufragende Gestalt legte ihre rechte Hand auf Johannes. Das konnte er nur tun, indem er sich direkt in den Staub und den Schmutz begab, in dem Johannes lag. Mögen wir bereit sein, dorthin zu gehen, wo behinderte Menschen sind, und direkt bei ihnen zu sein, sie zu berühren und ihnen die Liebe und Fürsorge Gottes zu zeigen.


1 Die britische Regierung definiert Behinderung derzeit als „eine körperliche, geistige oder seelische Beeinträchtigung, die eine erhebliche und langfristige negative Auswirkung auf die Fähigkeit des Betroffenen hat, normale Alltagsaktivitäten auszuführen“. Equality Act 2010: Guidance

2C.S. Lewis, Über den Schmerz, München: Kösel-Verlag, 1978, S. 109.

3Scope Current attitudes towards disabled people, 2014.

4Joni Eareckson Tada in einer Videoaufzeichnung auf der Enabling Church Conference im Bethel Convention Centre in West Bromwich am 3. Juni 2014.

5Amos Yong, The Bible, Disability and the Church, Wm. B. Eerdmans, 2011.

6In der Umfrage wurden vier Fragen gestellt: Was sollten Ihrer Meinung nach Gemeinden wissen? Was ist das Wichtigste, was Ihre Gemeinde für Sie tun könnte? Was würden Sie sich wünschen, dass Sie für Ihre Gemeinde tun dürfen? Welche positiven Auswirkungen hat Ihre Behinderung auf Ihre Gottesbeziehung? Eine Zusammenfassung der Ergebnisse finden Sie hier.

7John Swinton http://www.ucobserver.org/interviews/2013/02/john_swinton/.