Was ist mit denjenigen, die das Evangelium nie gehört haben?

Artikel von Collin Hansen
22. Januar 2024 — 22 Min Lesedauer

Vielleicht hast du dir selbst schon einmal beim Nachdenken über diese Frage den Kopf zerbrochen. Bestimmt hast du sie schon mal von jemandem gehört, der das Christentum auf Schwachstellen untersucht. In einer Welt, in der wir uns ständig unserer globalen Nachbarn bewusst sind, verlangt die Frage „Was ist mit denen, die das Evangelium von Jesus Christus nicht gehört haben?“ eine Antwort von Christen. Aber in jüngster Zeit wurden wir daran erinnert, dass nicht jeder, der den Namen Christi für sich in Anspruch nimmt, auf dieselbe Weise antwortet.

Christopher Morgan, Theologieprofessor an der California Baptist University, hat Lesern bereits an anderer Stelle zu einem tieferen Verständnis der Hölle verholfen und Ratschläge für den Umgang mit anderen Religionen gegeben. Seine differenzierten Erklärungen helfen, den historischen, biblischen und theologischen Kontext der aktuellen Auseinandersetzungen zu verstehen – nämlich darüber, was mit denen geschieht, die in ihrer Sünde verharren und nicht auf Jesus Christus zur Vergebung der Sünden vertrauen. Am Ende dieses Artikels findet sich zudem eine Erklärung, wie Morgan heute die schwierigen Lehren der Bibel einem skeptischen Publikum vermittelt.

Was ist das Schicksal derjenigen, die das Evangelium nie gehört haben? Wie hat sich die Kirche in der Vergangenheit dazu positioniert, und welche unterschiedlichen Ansichten gibt es diesbezüglich?

In der Regel werden drei Ansichten genannt. „Exklusivismus“ ist die Ansicht, dass der Glaube an Jesus durch das Evangelium oder eine besondere Offenbarung für die Erlösung notwendig ist. Der „Inklusivismus“ vertritt die Ansicht, dass Glaube an Gott durch die allgemeine Offenbarung für viele ausreichend ist. Der „Pluralismus“ vertritt, dass alle Wege gültig und wahr sind. Dieselben Begriffe „Exklusivismus“ und „Inklusivismus“ werden zudem verwendet, um die Ansichten zu spezifischen Fragen zu beschreiben. Um zu verdeutlichen, wie groß das Durcheinander ist, ist schlicht anzumerken, dass sich einige als Exklusivisten bezeichnen, wenn es um die Frage anderer Religionen geht, und als Inklusivisten, wenn es um die Frage des Schicksals der Unevangelisierten geht.[1]

Es gibt auch wichtige Untergruppen dieser Ansichten (oft unterscheiden sie sich durch das Mittel der Erlösung) sowie andere Ansichten über das Schicksal der Unevangelisierten. Meine Auseinandersetzung mit diesem Thema hat mindestens neun Ansichten ergeben.

1. Exklusivismus der Kirche

Eine der frühesten Antworten auf diese Frage in der Geschichte des Christentums lautet: Nein, außerhalb der Kirche gibt es keine Rettung. Cyprian (ca. 200–258 n.Chr.), Bischof von Karthago, machte diese Aussage in Bezug auf Häretiker, Abspalter und Abtrünnige von der Kirche. Fulgentius von Ruspe (468–533 n.Chr.) wandte diese Lehre auf Juden und Heiden an, was vom Konzil von Florenz (1431–1438 n.Chr.) akzeptiert und formalisiert wurde. Das Vierte Laterankonzil (1215 n.Chr.) verkündete mit Nachdruck: „Es gibt eine einzige allgemeine Kirche der Gläubigen, außerhalb derer überhaupt niemand gerettet wird.“ Dies ist die traditionelle exklusivistische Position der römisch-katholischen Kirche (bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil).

2. Exklusivismus des Evangeliums

Eine zweite bedeutende Antwort lautet: Nein, sie müssen das Evangelium hören und Christus vertrauen, um gerettet zu werden. James Borland, ein Verfechter dieser Position, ist sich sicher: „Jeder muss das Evangelium hören und glauben, um gerettet zu werden.“[2] Borland erklärt, dass der Inhalt des Glaubens im Alten Testament eine besondere Offenbarung war, aber wegen des Fortschritts der Offenbarung und seit dem Kreuz Christi ist das Evangelium der Inhalt des Glaubens.

Auch John Piper vertritt diese Ansicht:

„Gibt es auch in anderen Religionen als dem Christentum fromme Menschen, die sich demütig auf die Gnade Gottes stützen, den sie nur durch die Natur oder irgendeine nichtchristliche religiöse Erfahrung kennen? Die Antwort, die das Neue Testament darauf gibt, ist ein deutliches und ernstes Nein. Vielmehr ist die Botschaft durchweg die, dass sich mit dem Kommen Christi eine große Veränderung in der Heilsgeschichte ereignete. Der rettende Glaube richtete sich einst auf die Barmherzigkeit Gottes, die sich in seinen erlösenden Taten unter dem Volk Israel, im Tieropfersystem und in den Prophetien über die kommende Erlösung zeigte. … Doch jetzt hat sich der Brennpunkt des Glaubens auf einen einzigen Menschen verengt: Jesus Christus, die Erfüllung und den Garant aller Erlösung, aller Opfer und aller Prophetien. Zu dieser seiner Ehre soll ab sofort jeder rettende Glaube auf ihn allein gerichtet sein.“[3]

Piper stellt später klar, dass allgemeine Offenbarung ein Schritt im Erlösungsprozess sein kann, dass sie aber dennoch als Vorbereitung auf das Evangelium dient.

3. Exklusivismus der Sonderoffenbarung

Drittens antworten einige: Nein, es sei denn, Gott beschließt, ihnen eine besondere Offenbarung auf außergewöhnliche Weise zu senden – durch eine direkte Offenbarung des Herrn, einen Traum, eine Vision, ein Wunder oder eine Engelsbotschaft. Aufgrund der Betonung, dass die Erlösung allein durch die besondere Offenbarung erfolgt, nenne ich diese Ansicht „Exklusivismus der Sonderoffenbarung“. Das unterscheidet ihn auch vom Exklusivismus des Evangeliums. Timothy George kritisiert die Vorstellung des Inklusivismus und schlägt vor:

„Vom Standpunkt der biblischen Theologie aus betrachtet, trivialisiert diese Theorie jedoch die tragischen Folgen des Sündenfalls und überhöht damit die Möglichkeiten der allgemeinen Gnade. Die spezifische Botschaft von Jesus Christus, seinem Kreuz und seiner Auferstehung ist kein Zusatz zu dem, was der menschlichen Seele durch Schöpfung und Kultur bereits gegenwärtig ist. Vielmehr ist sie ein absolut entscheidender Faktor, um verlorene Sünder in die rechte Beziehung zu Gott zu bringen. … Sollten wir also dogmatisch verkünden, dass niemand ohne die Verkündigung des Evangeliums durch menschliche Missionare und Evangelisten gerettet werden kann? Biblische Partikularisten, die an die Souveränität Gottes glauben, werden mit einer solchen pauschalen Behauptung sehr vorsichtig sein. Gott ist Gott und kann sowohl mit außergewöhnlichen als auch mit gewöhnlichen Mitteln sein Ziel erreichen.“[4]

George zitiert dann das Baptistische Glaubensbekenntnis von 1689, welches in dieser Frage dem Westminster Bekenntnis entspricht und von der Errettung erwählter Säuglinge und „anderer erwählter Personen, die nicht in der Lage sind, äußerlich durch den Dienst des Wortes berufen zu werden“ spricht. Er argumentiert dass, wenn der auferstandene Christus Saulus erschienen ist und ein Engelsbote das Evangelium bringen kann (vgl. 2Kor 11,14; Gal 1,8), es theoretisch möglich ist, dass „besondere Mitteilungen des Evangeliums in der gnädigen Vorsehung Gottes verbreitet werden“[5] können. George stellt klar, dass nichts in der Schrift darauf hindeutet, dass dies tatsächlich geschieht. Wenn dies aber der Fall wäre, würde der Inhalt der Mitteilungen mit dem des apostolischen Zeugnisses identisch sein – Errettung allein aus Gnade, die allein durch den Glauben empfangen wird und allein auf dem vollendeten Tod Christi am Kreuz basiert.

4. Agnostizismus (in Bezug auf das Schicksal der Unevangelisierten)

Das vierte Verständnis lautet, dass wir die Antwort auf diese Frage nicht mit Sicherheit wissen können. Dennis Okholm und Timothy Phillips verweisen auf zwei Varianten dieses Ansatzes: „pessimistischer Agnostizismus“ und „optimistischer Agnostizismus“[6].

Diejenigen, die manchmal als „pessimistische Agnostiker“ bezeichnet werden, klingen ähnlich wie Exklusivisten. Sie behaupten häufig, dass es theoretisch möglich ist, dass Menschen, die das Evangelium noch nie gehört haben, durch die allgemeine Offenbarung auf Gott reagieren könnten. Sie sagen allerdings auch, dass es auf Grundlage der Bibel wenig Grund zu der Annahme gibt, dass dies tatsächlich passiert. Faktisch betonen viele, die diese Position vertreten, dass die Bibel zeigt, dass die Menschen die Mitteilungen Gottes in der allgemeinen Offenbarung ablehnen (vgl. Röm 1,18–32). J.I. Packer spricht diese Möglichkeit an:

„Wir können mit Sicherheit sagen, dass (1.) wenn ein guter Heide den Punkt erreicht hat, an dem er sich auf die Gnade seines Schöpfers stützt, um Vergebung zu erlangen, es die Gnade war, die ihn dorthin gebracht hat. (2.) Gott wird sicherlich jeden retten, den er so weit bringt (vgl. Apg 10,34f.; Röm 10,12f.). (3.) Jeder, der auf diese Weise gerettet wird, wird im Jenseits erfahren, dass er durch Christus gerettet wurde. Aber wir können nicht mit Sicherheit sagen, dass Gott jemals jemanden auf diese Weise rettet.“[7]

Packer betont, dass der Sündenfall uns unfähig gemacht hat, Gott ohne seine Gnade im Glauben zu antworten, aber er bleibt agnostisch in Bezug auf die entfernte Möglichkeit, dass Gott auf diese Weise retten kann. Dennoch stellt er klar, dass „wir keinen Grund haben zu erwarten, dass Gott auch nur in einem einzigen Fall, in dem das Evangelium nicht bekannt ist oder nicht verstanden wird, auf diese Weise handelt.“[8] Außerdem erklärt Packer: „Nach der Bibel zu leben bedeutet, davon auszugehen, dass niemand ohne den Glauben an Christus gerettet wird, und entsprechend zu handeln.“[9]

John Stott ist ein Beispiel für die „optimistische“ Version:

„Ich glaube, die christlichste Haltung ist, in dieser Frage agnostisch zu bleiben. … Tatsache ist, dass Gott neben den ernsten Warnungen und unserer Verantwortung, auf das Evangelium zu antworten, nicht offenbart hat, wie er mit denen umgehen wird, die es nie gehört haben. … Nichtsdestotrotz bin ich von Hoffnung erfüllt. Ich war – anders als einige große evangelikale Missionare – nie in der Lage, die schreckliche Vision heraufzubeschwören, dass Millionen nicht nur untergehen, sondern unvermeidlich untergehen werden. Andererseits … bin ich kein Universalist und kann es auch nicht sein. Zwischen diesen beiden Extremen hege ich die Hoffnung, dass die Mehrheit der Menschheit gerettet wird.“[10]

5. Inklusivismus der allgemeinen Offenbarung

Eine fünfte Sichtweise antwortet auf die Frage: Ja, sie können auf Gott antworten, wenn sie in der allgemeinen Offenbarung genug von ihm sehen. Dies ist der traditionelle Inklusivismus. John Sanders ist ein Verfechter, der seine Position und die anderer Inklusivisten sorgfältig darstellt:

„Einige Vertreter der ‚weiteren Hoffnung‘ (engl. wider hope) behaupten, dass einige von denen, die das Evangelium von Christus nie hören, dennoch Rettung erlangen können, bevor sie sterben, wenn sie im Glauben auf die Offenbarung reagieren, die sie haben. … Inklusivisten glauben, dass die Aneignung der rettenden Gnade durch die allgemeine Offenbarung und Gottes Vorsehung in der menschlichen Geschichte herbeigeführt wird. Kurz gesagt: Inklusivisten bejahen die Besonderheit und Endgültigkeit des Heils allein in Christus, bestreiten aber, dass die Kenntnis seines Werkes für das Heil notwendig ist. Das heißt, sie vertreten die Auffassung, dass das Werk Jesu ontologisch für das Heil notwendig ist (ohne es würde niemand gerettet werden), aber nicht epistemologisch (man muss sich des Werkes nicht bewusst sein, um davon zu profitieren). Mit anderen Worten: Menschen können das Geschenk des Heils empfangen, ohne den Geber oder das genaue Wesen des Geschenks zu kennen.“[11]

Terrance Tiessen kommt zu ähnlichen Schlussfolgerungen wie Sanders, vertritt aber einen anderen theologischen Rahmen. Er befürwortet die Auffassung, dass Jesus Christus Gottes einziger Weg zur Erlösung ist und dass die Erlösung auch für Menschen „zugänglich“ ist, die das Evangelium nicht annehmen. Er glaubt, dass Nichtchristen gerettet werden können, betont aber, dass er und viele evangelikale Inklusivisten zu dem Schluss kommen, dass andere Religionen nicht als Gottes Instrument zu ihrer Errettung anzusehen sind.[12] Tiessen erklärt, dass andere Religionen zwar keine Wege zur Errettung sind, dass aber Menschen, die ihnen angehören, durch allgemeine Offenbarung gerettet werden können, auch wenn sie in ihren anderen Religionen bleiben: „Angesichts der von mir dargelegten Perspektive gestehe ich zu, dass der Angehörige einer anderen Religion persönlich in einer erlösenden Beziehung zu Gott stehen kann. Dies ist möglich, obwohl seine Religion als solche fehlerhaft und als System für Menschen, die Gott suchen, kontraproduktiv ist.“[13]

6. Inklusivismus der Weltreligionen

Eine sechste Antwort auf die Frage lautet: Ja, es ist ihnen durch die allgemeine Offenbarung oder durch ihre Religion möglich, Gott zu antworten, da ihre Religion die Wahrheit der allgemeinen Offenbarung und möglicherweise Reste von besonderer Offenbarung enthält. Auch diese Position wird oft als „Inklusivismus“ bezeichnet und ähnelt der fünften Position, da sie die allgemeine Offenbarung als einen möglichen Weg zur Erlösung ansieht. Sie unterscheidet sich jedoch von der fünften Position darin, dass sie auch die Weltreligionen als ein ausreichendes Mittel Gottes ansieht, um Menschen zum rettenden Glauben zu bringen.

Befürworter dieser Ansicht behaupten, Gott habe sich entschieden, die Weltreligionen als Mittel zur Erlösung einzusetzen. Das „anonyme Christentum“ des römisch-katholischen Theologen Karl Rahner ist ein Beispiel für diese Position:

„Unabhängig also von dem, was einer in seiner begrifflichen, theoretisch-religiösen Reflexion aussagt, ist der, der nicht in seinem Herzen spricht: Es gibt keinen Gott (wie der ‚Tor‘ des Psalms), sondern ihn durch die radikale Annahme seines Daseins bezeugt, ein Glaubender. … Und den, der sich von dieser Gnade hat ergreifen lassen, können wir mit vollem Recht als ‚anonymen Christen‘ bezeichnen.“[14]

Hans Küng war noch deutlicher. Er schlägt einen „gewöhnlichen“ Weg des Heils innerhalb der Weltreligionen und einen „außergewöhnlichen“ Weg innerhalb der christlichen Kirche vor:[15]

„Da Gott ernsthaft und wirksam entscheidet, dass alle Menschen gerettet werden und keiner verloren geht, es sei denn durch eigenes Verschulden, soll jeder Mensch sein Heil innerhalb seiner eigenen historischen Gegebenheiten finden ... innerhalb der Religion, die ihm von der Gesellschaft auferlegt wird. … Ein Mensch soll innerhalb der Religion gerettet werden, die ihm in seiner historischen Situation zur Verfügung steht. Daher ist es sein Recht und seine Pflicht, Gott in der Religion zu suchen, in der der verborgene Gott ihn bereits gefunden hat.“[16]

7. Postmortale Evangelisation

Eine siebte Antwort lautet: Ja, diejenigen, die nie das Evangelium gehört haben, werden nach dem Tod die Möglichkeit haben, an Christus zu glauben. Diese Ansicht nenne ich postmortale Evangelisation. Sie stimmt mit dem Exklusivismus überein, wenn sie betont, dass der Glaube ein bewusstes und ausdrückliches Vertrauen auf Christus ist. Sie stellt sich aber auf die Seite des Inklusivismus, wenn sie behauptet, dass die Liebe und die Gerechtigkeit Gottes es erfordern, dass jeder eine Gelegenheit erhält, Christus zu vertrauen. Johann Peter Lange mahnt: „Die Heilige Schrift lehrt nirgends die ewige Verdammnis derer, die als Heiden oder Nichtchristen gestorben sind. Sie deutet vielmehr an vielen Stellen an, dass Vergebung über das Grab hinaus möglich ist, und verweist die endgültige Entscheidung nicht auf den Tod, sondern auf den Tag Christi.“[17] Gabriel Fackre bevorzugt zwar die Bezeichnung „göttliche Beharrlichkeit“ (engl. divine perseverance), stimmt aber zu: „Sündern, die außerhalb der Kenntnis des Evangeliums sterben, wird das Hören des Wortes nicht verwehrt werden“[18]. Donald Bloesch und Jerry Walls machen ähnliche Vorschläge.[19]

8. Universalismus

Die achte Meinung lautet: Ja, jeder wird letztendlich gerettet werden. Diese historisch als „Universalismus“ bekannte Ansicht gibt es in verschiedenen Formen, aber in jeder ist das Ergebnis dasselbe: Jeder Mensch, den Gott geschaffen hat, wird schließlich in den Genuss des ewigen Heils kommen, in das Christen hier und jetzt eintreten.

Universalisten wie John A.T. Robinson haben behauptet, dass die biblische Offenbarung von Gottes Liebe zu seiner Welt die Absicht beinhaltet, alle Menschen zu retten, und dass Gott diese Absicht erreichen muss. Die Romanautorin Madeleine L'Engle hat diesen Gedanken klar formuliert:

„Ich kenne eine Reihe sehr empfindlicher und intelligenter Menschen in meiner eigenen Glaubensgemeinschaft (d.h. im Anglikanismus), die meinen Glauben für eine Irrlehre halten, dass Gottes liebevolle Sorge um seine Schöpfung all unseren Eigenwillen und unseren Stolz überdauern wird. Egal, wie viele Zeitalter es dauert, er wird nicht ruhen, bis die gesamte Schöpfung, einschließlich Satan, mit ihm versöhnt ist, bis es kein Geschöpf gibt, das seinen Blick der Liebe nicht mit einer freudigen Antwort der Liebe erwidern kann. … Ich kann nicht glauben, dass Gott will, dass die Bestrafung endlos weitergeht, genauso wenig wie es ein liebender Vater oder eine liebende Mutter tut. Der ganze Zweck der liebevollen Bestrafung besteht darin, etwas beizubringen, und die Strafe dauert nur so lange, wie es für die Lektion nötig ist. Und die Lektion ist immer die Liebe.“[20]

Ein weiterer neuerer Vertreter ist Jan Bonda, der die Ansicht vertritt, dass Gott alle Menschen retten will und dass er dieses Ziel erreichen wird. Er behauptet, dass keiner endlos in der Hölle leiden wird.[21]

9. Pluralismus

Die neunte bedeutende Antwort auf die Frage lautet: Ja, diejenigen, die noch nie etwas gehört haben, können „Erlösung“ erfahren, so wie sie es verstehen, weil jeder seine Version der Wirklichkeit annimmt. Die Frage sei jedoch fehlerhaft, weil sie davon ausgeht, dass das Christentum ultimativ sei. Während der Universalismus lehrt, dass jeder gerettet wird, und dabei die Einzigartigkeit und Endgültigkeit des Christentums aufrechterhält, behauptet der Pluralismus, dass alle großen Religionen gleichermaßen gültig sind, und leugnet damit die Einzigartigkeit des Christentums. Der Pluralist John Hick erklärt:

„Die großen Weltreligionen verkörpern unterschiedliche Wahrnehmungen und Vorstellungen vom Realen (dem religiösen Höchsten) und dementsprechend unterschiedliche Reaktionen darauf innerhalb der großen Varianten des Menschseins. In jeder von ihnen vollzieht sich die Transformation der menschlichen Existenz von Selbstzentriertheit zu Realitätszentriertheit. Diese Traditionen sind dementsprechend als alternative soteriologische ‚Räume‘ zu betrachten, in denen oder auf deren ‚Wegen‘ Männer und Frauen Erlösung/Befreiung/ultimative Erfüllung finden.“[22]

Diesen pluralistischen Standpunkt vertreten u.a. auch Paul Knitter, Gordon Kaufman und Langdon Gilkey.

„Die Menschen müssen nicht nur hören, dass die Kirche die Lehren Jesu verkündet, sondern sie müssen auch sehen, wie wir die Lehren Jesu verkörpern.“
 

Historisch gesehen hat die Kirche in erster Linie Exklusivismus der Kirche, Exklusivismus des Evangeliums, Exklusivismus der Sonderoffenbarung oder pessimistischen Agnostizismus gelehrt. Gewöhnlicherweise hat sie den optimistischen Agnostizismus als problematisch, den Inklusivismus der allgemeinen Offenbarung als Irrtum und den Inklusivismus der Weltreligionen, die postmortale Evangelisation, den Universalismus und den Pluralismus als sehr schwerwiegende Irrtümer betrachtet.

Wie erklärt man die biblische Lehre einem skeptischen Publikum von heute?

Es wäre klug, in dieser Frage auf Missionare zu hören. Im Wesentlichen kontextualisieren wir das Evangelium. Das bedeutet, dass wir in erster Linie versuchen, das Evangelium zu vermitteln. Der Kontext wirkt sich darauf aus, wie wir es kommunizieren, aber der Inhalt muss intakt bleiben. Wir dürfen nicht zulassen, dass die schwierigen Fragen uns dazu verleiten, das Evangelium zu verwässern.

Des Weiteren müssen wir das Evangelium auf eine Art und Weise kommunizieren, dass die Menschen es verstehen können. Wir müssen deutlich sein, Illustrationen verwenden, Geschichten erzählen und aufzeigen, wie das Evangelium über ihre Situation zu ihnen spricht. Wir müssen erkennen, dass es nicht ausreicht, die richtige Sprache zu verwenden. Wir müssen uns bemühen zu verstehen, wie der Zuhörer unsere Botschaft interpretiert.

Außerdem, und das ist meiner Meinung nach der größte Fehler, den die Kirche macht, müssen wir das Evangelium abbilden. Die Menschen müssen nicht nur hören, dass die Kirche die Lehren Jesu verkündet, sondern sie müssen auch sehen, wie wir die Lehren Jesu verkörpern. Schließlich geschieht Kommunikation verbal und nonverbal. Die Kirche, die Christus durch ihre Liebe zu anderen abbildet, durch ihr Eintreten für soziale Gerechtigkeit, durch ihr heiliges Leben, durch ihre Einheit und durch ihr Engagement für die Wahrheit – das ist die Kirche, die das Evangelium wirklich kommuniziert.

Ebenso wie wir das Evangelium glauben, kontextualisieren und abbilden, müssen wir auch die Menschen lieben. Die Hölle ist kein Konzept. Sie ist eine Realität, die uns dazu bringt, die Menschen, die ohne Christus sind, als Last auf dem Herzen zu tragen. Sinclair Ferguson fasst es gut zusammen:

„An einem Montag traf Robert M‘Cheyne (Schottischer Geistlicher, 1813–1843 n.Chr.) seinen guten Freund Andrew Bonar und erkundigte sich, worüber Bonar am Vortag gepredigt habe. Als er die Antwort ‚Die Hölle‘ erhielt, fragte er: ‚Hast du sie mit Tränen gepredigt?‘ Das können wir nur tun, wenn wir erkannt haben, wie sehr wir die Gnade brauchen, um uns vor dem kommenden Zorn zu bewahren, wie schrecklich dieses Gericht sein wird, welche Vorsorge Gott in Christus für uns getroffen hat und welche Berufung er uns gegeben hat, das Evangelium zu jeder Kreatur zu bringen im Namen dessen, der nicht in die Welt gekommen ist, um sie zu verdammen, sondern um sie zu retten.“[23]
„Wenn Sünder verdammt werden, sollen sie wenigstens über unsere Körper zur Hölle gehen müssen. Und wenn sie untergehen, dann nur mit unseren Armen um ihre Knie gelegt, während wir sie anflehen zu bleiben.“
 

Diese aufrichtige Liebe zu den Menschen zeigt sich auch bei Charles Haddon Spurgeon, wenn er Ungläubige auffordert: „Ausgelacht zu werden ist für mich kein großes Elend. Ich kann mich an Spott und Hohn erfreuen. … Aber dass ihr euch von eurer eigenen Barmherzigkeit abwendet, das ist mein Kummer. Spuckt mich an, aber tut doch Buße! Lacht mich aus, aber glaubt doch an meinen Meister! Behandelt meinen Körper wie den Schmutz auf der Straße, aber verdammt nicht eure eigenen Seelen“. Auch die Kirche ermahnt er leidenschaftlich: „Wenn Sünder verdammt werden, sollen sie wenigstens über unsere Körper zur Hölle gehen müssen. Und wenn sie untergehen, dann nur mit unseren Armen um ihre Knie gelegt, während wir sie anflehen zu bleiben. Wenn die Hölle gefüllt werden muss, so soll sie wenigstens entgegen unseren Anstrengungen gefüllt werden, und kein Mensch soll dorthin kommen, ohne dass er gewarnt und für ihn gebetet wurde.“ Weiter lehrt er: „Der Heilige Geist wird sie bewegen, indem er zuerst euch bewegt. Wenn du ruhen kannst, ohne dass sie gerettet werden, werden auch sie ruhen. Wenn du aber um ihretwillen von Leid erfüllt bist, wenn du es nicht ertragen kannst, dass sie verloren sind, wirst du bald feststellen, dass auch sie unruhig sind.“[24]


1Clark H. Pinnock behauptet dies in A Wideness in God's Mercy: The Finality of Jesus Christ in a World of Religions, Grand Rapids: Zondervan, 1992, S. 15. Aufgrund der Unschärfe der Einteilungssysteme könnte man behaupten, ein Exklusivist in Bezug auf die Weltreligionen und ein Inklusivist in Bezug auf die Errettung der Unerreichten zu sein, ein Exklusivist und Universalist, ein Exklusivist und ein Befürworter der postmortalen Evangelisation oder ein Exklusivist und ein Exklusivist.

2James Borland, „A Theologian Looks at the Gospel and World Religions“, in: Journal of the Evangelical Theological Society 33, März 1990, S. 3–11.

3John Piper, Weltbewegend: Die Freude an Gott kennt keine Grenzen, Waldems: 3L, 2009, S. 184.

4Timothy George in: „Forum Discussion on Inclusivism“, in: Paul R. House, Gregory A. Thornbury, Who Will Be Saved? Defending the Biblical Understanding of God, Salvation, and Evangelism, Wheaton: Crossway, 2000, S. 145–148.

5Ebd.

6Dennis L. Okholm et al., More Than One Way? Four Views on Salvation in a Pluralistic World, Grand Rapids: Zondervan, 1995, S. 7–27.

7J.I. Packer, God's Words, Downers Grove: InterVarsity, 1981, S. 210. Packer bezeichnete sich am 15. Juni 2007 in einem Telefoninterview im Blick auf dieses Thema selbst als „Agnostiker aus Gewissensgründen“.

8J.I. Packer, „Good Pagans and God's Kingdom“, in: Christianity Today 30, 17/01/1986, S. 25.

9J.I. Packer, „Evangelicals and the Way of Salvation“, in: Kenneth S. Kantzer, Carl F.H. Henry, Evangelical Affirmations, Grand Rapids: Zondervan, 1990, S. 121–123.

10John R.W. Stott et al., Evangelical Essentials: A Liberal-Evangelical Dialogue, Downers Grove: InterVarsity, 1988, S. 327. Für eine ähnliche Ansicht siehe Michael Green, „But Don't All Religions Lead to God?“ in: Navigating the Multi-Faith Maze, Grand Rapids: Baker, 2002, S. 81.

11John Sanders, No Other Name: An Investigation into the Destiny of the Unevangelized, Eugene: Wipf and Stock, 2001, S. 215–16.

12Terrance L. Tiessen, Who Can Be Saved? Reassessing Salvation in Christ and World Religions, Downers Grove: InterVarsity, 2004, S. 33.

13Ebd., S. 441; Hervorhebung im Original. Für eine ähnliche Aussage von Tiessen siehe ebd., S. 393.

14Karl Rahner, Schriften zur Theologie: Bd. 6, Zürich/Köln: Benziger Verlag Einsiedeln, 1967, S. 550.

15Tiessen, Who Can Be Saved?, S. 44.

16Hans Küng, „The World Religions in God's Plan of Salvation“, in: Josef Neuner, Christian Revelation and World Religions, London: Burns & Oates, 1965, S. 51–53.

17Johann Peter Lange, First Peter, New York: Scribner, 1868, S. 75. Für eine hilfreiche Bewertung dieser Position siehe Millard J. Erickson, How Shall They Be Saved?: The Destiny of Those Who Do Not Hear of Jesus, Grand Rapids: Baker Book House, 1996, S. 159–75.

18Gabriel Fackre, „Divine Perseverance“, in: Sanders, What About Those Who Have Never Heard?: Human Nature & the Crisis in Ethics: Three Views on the Destiny of the Unevangelized, Downers Grove: InterVarsity Press, 1995, S. 84; Gabriel Fackre, The Christian Story: A Narrative Interpretation of Basic Christian Doctrine, Grand Rapids: Eerdmans, 1984, S. 232–234.

19Donald Bloesch, Essentials of Evangelical Theology. 2 Bde., New York: Harper & Row, 1982, 1:244–45; 2:225–30. Jerry Walls, The Logic of Damnation, South Bend: University of Notre Dame, 1992.

20Madeleine L'Engle, The Irrational Season, New York: Seabury, 1977, S. 97. Zitiert in J.I. Packer et al., Hell Under Fire: Modern Scholarship Reinvents Eternal Punishment, Grand Rapids: Zondervan, 2004, S. 179.

21Jan Bonda, The One Purpose of God: An Answer to the Doctrine of Eternal Punishment, Grand Rapids: Eerdmans, 1993.

22John Hick, An Interpretation of Religion, New Haven: Yale University Press, 1989, S. 240. Siehe auch John Hick, „Pluralism“, in: Dennis L. Okholm, Timothy Phillips, Four Views on Salvation in a Pluralistic World, Grand Rapids: Zondervan, S. 27–91.

23Ferguson, „Pastoral Theology: The Preacher and Hell“, in: Packer, Hell Under Fire, S. 234.

24Tom Carter (Hrsg.): Spurgeon at His Best, Grand Rapids: Baker, 1991, S. 67–68.