Glaube an grauen Tagen

Artikel von Bianca Hopcraft
23. Januar 2024 — 8 Min Lesedauer

Für die meisten von uns ist es leicht, nah an Christus zu sein und auf der Höhe der geistlichen Gefühle zu fliegen, wenn alle äußeren Umstände herum das unterstützen. Vielleicht hat man gerade eine große Gebetserhörung erlebt oder hatte ein ermutigendes Treffen mit einer lieben Person. Oder man ist gerade auf einer christlichen Konferenz, mit lauter Leuten um sich herum, die Jesus genauso lieben und anbeten wie man selbst. Solche Momente können ein starker Boost für das geistliche Leben sein. Man möchte Gott mit Freuden lobsingen und danken. Man könnte die ganze Welt umarmen und von Gottes Güte erzählen. Das Leben sieht bunt und schön aus. Gott ist spürbar nah.

Die meisten Tage unseres Lebens sind jedoch einfach grau, oder? Nicht miserabel und düster, aber auch nicht voller besonders schillernder Glücksmomente. Man lebt einfach einen Tag nach dem anderen, ohne dass etwas Außergewöhnliches passiert. Wir stehen auf, verrichten unsere Arbeit und unsere Pflichten, sehen mehr oder weniger Erfolg und gehen abends wieder ins Bett – scheinbar ohne dass Gott etwas Besonderes in oder durch uns getan hätte.

Wie schaffen wir es, dass unser Glaube auch an diesen ganz unspektakulären Tagen wächst und unser Herz auf Gott ausgerichtet bleibt? Ich bin nun etwas über 40 Jahre alt, und je älter ich werde, desto öfter frage ich mich, wie das gut gelingen kann. Wie kann mein Glaube frisch und lebendig bleiben und wachsen – selbst bis ins hohe Alter?

Von Daniel lernen

Ein großes Vorbild in dieser Hinsicht ist mir der Prophet Daniel aus der Bibel geworden. Die meisten von uns kennen ihn wahrscheinlich als den Helden, der mutig seinen Glauben unter Feinden bezeugt und sogar mit hungrigen Löwen in einer Grube sitzt (vgl. Dan 6). Ich habe Daniel schon immer für diese Treue und den Glaubensmut bewundert. Wenn man das Buch Daniel zusammenfassend betrachtet, ist Daniel auch tatsächlich ein großer Glaubensheld, der selbst unter extremen Bedingungen am Glauben festhielt und große Wunder, Visionen und Abenteuer mit Gott durchlebte.

„Es ist völlig okay und normal, einfach nur treu und gewissenhaft seine Aufgaben zu erfüllen und damit Gott zu dienen.“
 

Warum ist gerade er dann jemand, von dem wir etwas über den Glauben an grauen Tagen lernen können? Ganz einfach – weil Daniel die meiste Zeit seines Lebens genau solche Tage erlebte. Wusstest du, dass Daniel als Teenager an den babylonischen Hof kam und erst mit ca. 80 Jahren in die Löwengrube geworfen wurde? Dazwischen lagen viele Jahre, sogar Jahrzehnte. Die Bibel berichtet uns nur von vier einzelnen Begebenheiten aus dieser Zwischenzeit, in denen Daniel (und seine Freunde) auf besondere Weise herausgefordert wurden, ihren Glauben deutlich zu zeigen. Die meiste Zeit seines Lebens war Daniel einfach am Hof des Königs und verrichtete treu seine normalen Pflichten, bis er alt und grau war. Es ist völlig okay und normal, einfach nur treu und gewissenhaft seine Aufgaben zu erfüllen und damit Gott zu dienen.

Aber es gibt auch noch etwas anderes, das ich von Daniel lernen möchte. Ein Detail, das mir kürzlich erst ganz neu ins Auge fiel, ist Daniel 6,11. Achte auf den letzten Satzteil:

„Als nun Daniel erfuhr, dass das Edikt unterschrieben war, ging er hinauf in sein Haus, wo er in seinem Obergemach offene Fenster nach Jerusalem hin hatte, und er fiel dreimal am Tag auf die Knie nieder und betete und dankte vor seinem Gott, ganz wie er es zuvor immer getan hatte.“

Der König hatte gerade ein Edikt erlassen, das jedem verbot, etwas von Gott oder Menschen zu erbitten außer vom König selbst, sonst würde man in die Löwengrube geworfen werden. Nun betete Daniel aber nicht heimlich weiter. Auch setzte er sich nicht neuerdings aus Protest ans Fenster. Daniel hatte es weder auf Heimlichkeit noch auf besondere Provokation abgesehen. Daniel war inzwischen ein 80-jähriger Mann. Er tat einfach nur das, was er sich jahrelang angewöhnt hatte. Er betete seit fast 70 Jahren täglich zu seinem Gott. Er kniete sich seit Jahrzehnten Tag für Tag dreimal in Richtung Jerusalem – dem Ort, zu dem er sich geistlich zugehörig fühlte – und redete mit seinem Gott. Dieser Fensterplatz und diese Gebetszeiten waren für Daniel wohl zu seinen liebsten und vertrautesten Momenten in seinem Haus geworden – Momente, an denen er seinem Gott bewusst näher kam, ein Stück Heimat in seinem babylonischen Exil.

Ja, diese Gewohnheit war „schuld“ daran, dass Daniel daraufhin in die Löwengrube geworfen wird. Doch ich denke, genau diese Gewohnheit war auch der Grund dafür, warum Daniel alle großen und kleinen Herausforderungen bis zu seinem Lebensende voller Gottesvertrauen bestehen konnte. Daniel war einfach immer vorbereitet. Er war seinem Gott nah, in ständiger Beziehung mit ihm. Er hatte immer vor Augen, zu welchem Gott er eigentlich gehörte. Er wusste, wo seine geistliche Heimat war und konnte darum auch in all den extremen Situationen klar denken, ruhig bleiben und das Richtige vor seinem Gott tun und sagen.

Davon möchte ich lernen. Ich möchte lernen, mir immer wieder – gerade auch an den grauen Tagen meines Lebens – bewusst zu werden, zu wem ich eigentlich gehöre. Ich möchte mir angewöhnen, bewusst und persönlich mit Gott zu reden und auf ihn zu hören – egal, was gerade um mich herum passiert. Ich möchte lernen, auch bis ins hohe Alter dieses Vertrauen in Gottes Macht zu haben und dadurch einfach auf alle Umstände vorbereitet zu sein, die da noch kommen mögen. Wie kann ich das tun?

Von David lernen

Wie gesagt, liegt aus meiner Sicht ein Schlüssel von Daniels Glaubensstärke in seinem persönlichen Gebetsleben. Ich weiß nicht, wie du betest oder was dir helfen könnte, mehr zu beten. Ich denke, es kommt nicht so sehr auf den genauen Ort, die tägliche Länge oder Frequenz oder die Körperhaltung an.

Ein Gebet, das mir momentan inhaltlich sehr aus der Seele spricht, ist Psalm 86,11:

„Weise mir, HERR, deinen Weg, damit ich wandle in deiner Wahrheit; richte mein Herz auf das eine, dass ich deinen Namen fürchte!“

Dieses Gebet stammt nicht von Daniel, sondern von David, der ein paar Jahrhunderte früher lebte. Es passt jedoch auch zu Daniels Leben. Ich liebe es, wie David hierin nicht um Wegweisung zum Erfolg oder Glücklichsein betet, sondern um Wegweisung, um in Gottes Wahrheit zu wandeln. Was bedeutet das?

David möchte einfach nur so leben, wie es Gottes Willen entspricht. Er möchte nicht vom Mainstream, von seinen eigenen Gefühlen oder von seiner Klugheit gelenkt werden, sondern ausschließlich von Gottes Wahrheit. Denn nur Gottes Wahrheit ist absolut zuverlässig und gut. Was Gott über die Welt und ihn sagt, ist wahr. Mit anderen Worten: David möchte ganz nach Gottes Wort leben, denn Gottes Wort ist die Wahrheit (vgl. Joh 17,17).

„David betete es. Daniel lebte es. Und Jesus Christus ermöglicht es auch mir.“
 

Der zweite Teil des Gebets ist ebenso bedeutsam: „[R]ichte mein Herz auf das eine, dass ich deinen Namen fürchte!“ Anscheinend weiß David sehr wohl um seine eigene größte Schwäche – nämlich sein Herz. Auch hierin finde ich mich sehr wieder. Wie leicht und schnell passiert es doch, dass mein Herz nicht allein auf das eine ausgerichtet ist, nämlich Gottes Namen zu fürchten! Wie oft ist es geteilt! Wie oft fürchte ich eher andere Menschen und sorge mich eher um meinen eigenen Namen! Wie oft ist das der Grund, weshalb ich unweise denke und handle und nicht nach Gottes Willen! Viel zu oft! Darum brauche auch ich diese ständige Neuausrichtung meines Herzens, bis zu meinem Lebensende.

Von Jesus befähigt werden

Aus mir selbst heraus ist es mir nicht möglich, so zu beten, aber durch Jesus schon. Durch ihn darf ich zum gleichen Vater im Himmel beten wie David und Daniel. Ja, nicht nur das, ich darf durch Jesus sogar noch viel direkter und hoffnungsvoller beten als sie. Durch Jesu Tod am Kreuz habe ich direkten Zugang zu Gott und darf ihn Vater nennen. Durch Jesu Auferstehung darf ich mit Gewissheit hoffen, dass ich eine ewige Heimat habe, die nicht von dieser Welt ist, ein neues und besseres Jerusalem. Das ist eine Wahrheit, die nicht zu toppen ist. Welch ein Privileg, dass ich meinen grauen Alltag hier mit dieser Perspektive leben darf! Das ist nicht immer leicht, aber durch Gottes Geist in mir möglich.

„Weise mir, HERR, deinen Weg, damit ich wandle in deiner Wahrheit; richte mein Herz auf das eine, dass ich deinen Namen fürchte!“

Ich finde, das ist ein gutes Gebet für alle grauen und bunten Tage meines Lebens. Es spricht genau die Dinge an, auf die es in allen Fragen des Lebens im Wesentlichen ankommt: Lebe ich in Gottes Wahrheit und fürchte ich Gott allein in meinem Herzen? David betete es. Daniel lebte es. Und Jesus Christus ermöglicht es auch mir. Das möchte ich lernen, bis ich alt und grau werde. Du auch?