Josef

Von der Achterbahnfahrt seines Lebens lernen

Artikel von Sebastian Götz
6. Februar 2024 — 10 Min Lesedauer

Wer schon länger in der christlichen Welt unterwegs ist, kommt an Josef nicht vorbei. Sein Leben prägt sich schon in Kindheitstagen tief in das Bewusstsein ein. Das ist verständlich, liefert es doch besten Hollywood-Blockbuster-Stoff. Im Jugendalter angekommen, steht Josef schließlich als das Musterbeispiel für sexuelle Reinheit vor unseren Augen. Sein Umgang mit den Lockversuchen von Potifars Frau ist der Rat schlechthin, wie man als junger Mensch sexuellen Versuchungen begegnet: „Nimm die Beine in die Hand und lauf!“

Wer sich hier aber bereits am Ende aller Weisheit aus dem Leben Josefs wähnt, verpasst das Wesentliche. Der Autor von 1. Mose hat uns mehr hinterlassen als einen spannenden Blockbuster. Im Leben Josefs können wir erkennen, wie Gott mit seinen Leuten Weltgeschichte schreibt. Wer sich darauf einlässt, begegnet einem souveränen Gott, für den die Pharaonen und Patriarchen der damaligen Zeit wie Statisten sind, die seinem großen Ziel dienen müssen, um ein großes Volk am Leben zu erhalten.

Die Achterbahnfahrt von Josefs Leben

Staunend stehen wir vor der Biographie von Josef: Lieblingssohn, Sklave, Top-Manager, Schwerverbrecher und Weltretter. Was für ein Leben! Wer den biblischen Bericht über sein Leben in 1. Mose 37–50 in einem Rutsch durchliest, staunt über diese gigantische Achterbahnfahrt:

  • Der Start: geboren in eine wohlhabende Familie, noch dazu Lieblingssohn des Vaters (vgl. 1Mose 37,1–11).
  • Weit hinunter: verkauft und verraten von den eigenen Brüdern; dem Tod nur entkommen, weil die Geldgier der Brüder über ihre Mordlust siegte (vgl. 1Mose 37,12–36).
  • Hoch hinaus: genießt als dessen Geschäftsführer das blinde Vertrauen von einem der mächtigsten Männer der damaligen Zeit (vgl. 1Mose 39,1–11).
  • Wieder weit hinunter: landet ohne eigenes Verschulden – gerade wegen seiner Integrität – im Hochsicherheitsgefängnis von Ägypten (vgl. 1Mose 39,7–20).
  • Noch einmal hoch hinaus: wird – obwohl selbst Gefangener – zum geheimen Chef des Gefängnisses; genießt wiederum das blinde Vertrauen eines mächtigen Mannes, des Gefängnisaufsehers (vgl. 1Mose 39,21–40,22).
  • Das letzte Mal hinunter: vergessen von jenen, denen er selbstlos geholfen hat (vgl. 1Mose 40,23).
  • Der Höhepunkt zum Schluss: zweiter Mann hinter dem Pharao, Wiedervereinigung mit der Familie, Frieden (vgl. 1Mose 41–50).

Was aber steckt hinter diesem spannenden Leben? Was will uns Mose, der Autor dieses Berichts, damit sagen? Welche Wahrheiten, die bis heute Relevanz haben, stecken hinter Josefs Leben?

Josef und die Frage nach dem Leid

Wenn wir ähnliches Leid erfahren, steht schnell die Frage nach dem Warum im Raum. Welche Fehler oder gar Sünden habe ich begangen, dass mir ein solches Leid widerfährt? Womit habe ich das verdient? Auch bei Josef können wir die Frage nach dem Warum stellen. Nicht immer können wir diese Frage jedoch in aller Tiefe beantworten. Dennoch liefert Josefs Bericht uns Ansätze dazu:

Josef leidet unverschuldet

Auffallend ist, dass die Bibel keine Verfehlungen von Josef erwähnt. Die Verfehlungen seiner Brüder werden dafür offenherzig berichtet (allen voran jene von Ruben und Juda). Dies heißt nicht, dass Josef nie gesündigt hätte. Mit dem Urteil von Paulus in Römer 3,23 können wir davon ausgehen, dass auch Josef nicht schuldlos war. Trotzdem wird uns von keiner Schuld Josefs berichtet, wodurch das Leid, das Josef erfährt, noch viel ungerechter und härter erscheint. Josef leidet unverschuldet!

Josef leidet, weil er erwählt ist

Die Ursache für den Hass seiner Brüder ist die Auserwählung Josefs. Dass er der Lieblingssohn seines Vaters Jakob ist, weist bereits auf die viel größere, verborgene Erwählung durch Gott hin. Dieser hat Josef von Anfang an zum Retter seiner Familie bestimmt. Deutlich wird dies in den Träumen Josefs, aber gerade diese Träume, welche eine Andeutung von Gottes Plänen geben, lassen den Hass der Brüder eskalieren (vgl. 1Mose 37,8.9.18–20).

Josef leidet, weil er integer ist

In Potifars Haus spitzt sich Josefs unverschuldetes Leid noch weiter zu. Er landet wegen seiner Integrität sowohl Gott als auch seinem irdischen Herrn gegenüber im Gefängnis. Damit steht er im Kontrast zu seinen Brüdern Juda und Ruben, welche mit ihrer sexuellen Verfehlung scheinbar halbwegs davonkommen (vgl. 1Mose 35,22 und 1Mose 38). Welche Ungerechtigkeit! Lohnt es sich doch nicht, das Richtige zu tun?

Josef als Auserwählter Gottes wurde nicht von Leid verschont. Das Gegenteil war der Fall. Damit demonstriert uns sein Leben eine große biblische Wahrheit: Gottes Kinder werden leiden. In Matthäus 10,22a bereitet Jesus seine Jünger darauf vor, dass sie gerade wegen ihrer Beziehung zu ihm gehasst werden: „Und ihr werdet von jedermann gehasst sein um meines Namens willen.“

Wie schafft es Josef, in all diesen Situationen den Kopf nicht in den Sand zu stecken, nicht bitter zu werden gegen seine Familie und die ganze Welt, die scheinbar gegen ihn steht? Mit diesen Fragen kommen wir zum Kern dessen, was uns Mose mitteilen möchte. Zwei Dinge stechen heraus:

Gott ist bei Josef und handelt

Als Stephanus seine berühmte Verteidigungsrede vor dem Hohen Rat hält und durch die Geschichte Israels wandert, stellt er bei Josef etwas Bedeutsames fest:

„Und die Patriarchen waren neidisch auf Joseph und verkauften ihn nach Ägypten. Doch Gott war mit ihm, und er rettete ihn aus allen seinen Bedrängnissen und gab ihm Gnade und Weisheit vor dem Pharao, dem König von Ägypten; der setzte ihn zum Fürsten über Ägypten und sein ganzes Haus.“ (Apg 7,9–10)

Stephanus bemerkt in seiner Rückschau auf Josefs Leben, dass Gott gerade im Leid bei ihm war. Das deckt sich mit zwei Aussagen des Autors an den tiefsten Punkten von Josefs Leben: „Und der HERR war mit Joseph“ (1Mose 39,2; vgl. Vers 21). Diese Bemerkung ist so kurz und knapp, dass man sie fast überliest, aber doch ungeheuer wichtig. Gott ist mit Josef, auch wenn es gerade ganz anders aussieht – ja, besonders in diesen Momenten!

„Gott verheißt uns, bis an das Ende der Zeit an unserer Seite zu sein: jeden Tag, jeden Moment unseres Lebens, wie er treu mit Josef war!“
 

So wird im Leben Josefs sichtbar, was David später im Psalm 23 in so wunderbare Worte fasst:

„Und wenn ich auch wanderte durchs Tal der Todesschatten, so fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir; dein Stecken und dein Stab, die trösten mich.“ (Ps 23,4)

Für den natürlichen Menschen fühlen sich Momente des Leidens oft an, als wäre Gott abwesend, verborgen und uns abgewandt. An Josefs Leben dürfen wir hingegen erkennen, dass Gott gerade in diesem Moment bei seinen Leuten ist! Er lässt sie nicht allein. Dies verheißt Jesus auch seinen Jüngern eindrücklich bei seiner Himmelfahrt, bevor er sie in dieser Welt zurücklässt: „Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Weltzeit!“ (Mt 28,20). Alle Tage – das heißt auch heute noch: Gott ist an der Seite der Seinen, gerade in den Momenten des Leidens. Wer sein Leben mit Jesus lebt, wird in leidvolle Situationen geraten, aber davor braucht er sich nicht zu fürchten. Gott verheißt uns, bis an das Ende der Zeit an unserer Seite zu sein: jeden Tag, jeden Moment unseres Lebens, wie er treu mit Josef war!

Gott schreibt seine Geschichte

Trotz dieses Trostes wirkt Leid oft so sinnlos, wie verschwendete Lebenszeit. War es das im Leben von Josef? Am Ende seines Lebens, als seine Brüder von Angst geplagt vor ihm stehen und nach dem Tod Jakobs nochmals um Verzeihung bitten, zieht Josef selbst Bilanz. Anders als von den Brüdern erwartet, startet Josef nicht den großen Rachefeldzug gegen sie. Er hat längst eine viel größere Handlung hinter allem erkannt:

„Ihr gedachtet mir zwar Böses zu tun; aber Gott gedachte es gut zu machen, um es so hinauszuführen, wie es jetzt zutage liegt, um ein zahlreiches Volk am Leben zu erhalten.“ (1Mose 50,20)

Das ist Josefs eigene Kurzzusammenfassung seines Lebens. Dabei kann man die Adressaten auch über die Brüder hinaus ausdehnen auf all jene, die Josef Leid zufügten. Zunächst hatten sie alle Erfolg. Ihre Pläne sind aufgegangen. Wer aber wie Josef einen Blick hinter die Kulissen wirft, sieht mehr und erkennt, wie Gott sogar die Pläne böser Menschen nutzt, um seine eigenen Pläne zur Erfüllung zu bringen. Am Ende ergibt alles einen Sinn. Wenn das Puzzle fertig ist, erkennt man, wie alles dazu diente, Josef in die entscheidende Position zu bringen, um seine Familie, sein Volk, die ganze Welt zu retten.

Was sagt das über Gott aus? Er ist ein Gott, der in der Lage ist, sogar die schlechten Dinge zu verwenden, um daraus Gutes entstehen zu lassen. Wenn Gott handelt, wirken der mächtige Familienmob, die tyrannische Frau Potifars und sogar der damals mächtigste Mann der Welt – Ägyptens Pharao – wie reine Statisten.

„Gott verwendet alle Dinge im Leben seiner Kinder, um Gutes, Größeres und Besseres daraus zu schaffen.“
 

Das ist es, was uns Mose mit seinem Bericht über das Leben Josefs beibringen möchte. Er ist nicht einfach nur bei seinen Kindern, wenn es durch Täler geht. Er verwendet die Täler als Startbasis für Größeres. Er schafft Gutes daraus! So wird an Josef sichtbar, was Paulus später an die Römer schreibt: „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach dem Vorsatz berufen sind“ (Röm 8,28). Paulus sagt hier nicht, dass sich Böses gut anfühlt. Paulus blickt aber wie Josef hinter die Kulissen und sieht, dass Gott alle Dinge im Leben seiner Kinder verwendet, um Gutes, Größeres und Besseres daraus zu schaffen.

Wer mit Gott an seiner Seite durch das Leben geht, darf die Zuversicht haben, dass auch über dem Leid seines Lebens steht: „Ihr gedachtet mir zwar Böses zu tun; aber Gott gedachte es gut zu machen.“ Wir haben einen genialen, mächtigen, souveränen Gott!

Eine größere Geschichte

Mit der Quintessenz über das Leben Josefs setzt Mose auch den Schlusspunkt für die gesamte Geschichte von Eden bis Ägypten. Seit dem Sündenfall rennen die Menschen förmlich dem Abgrund entgegen. In Kain, Lamech, der versammelten Menschheit in Babel oder in den Städten Sodom und Gomorra kommt überdeutlich zum Ausdruck, wozu das menschliche Herz fähig ist: Mensch gegen Mensch und gemeinsam gegen Gott. Ja, selbst die Besten scheitern – selbst, wenn sie Noah oder Abraham heißen.

Und doch zieht sich durch das gesamte 1. Mosebuch der rote Faden, dass Gott all die schlechten Dinge der Menschen verwendet, um daraus Gutes zu machen – nicht immer sofort sichtbar, aber am Ende strahlend schön. Am Ende des 1. Mosebuches steht Gottes auserwähltes Volk versöhnt und vereint, mit großem Segen für die Zukunft ausgerüstet, auf Gott ausgerichtet und bereit für alles, was kommen mag.

Ein größerer Josef

Gottes Geschichtsschreibung ist nach Josef weitergegangen. Durch die Brille des Evangeliums können wir heute viel mehr sehen, als Mose im Moment der Abfassung sah. Josef ist nur ein schwacher Schatten auf einen anderen hin – auf Jesus Christus! Die Parallelen sind nicht zu übersehen: der wahre Auserwählte, von den eigenen Brüdern zum Preis eines Sklaven verkauft, gerade wegen seiner Sündlosigkeit und Auserwählung Stein des Anstoßes bei den Seinen. Sein Leidensweg schafft Rettung und Erlösung für etwas, das heute sichtbar ist: ein großes erlöstes Volk, seine Brüder! Auch hier schafft Gott aus dem Bösen der Menschen Gutes. Jeder, der sich in seinen Herrschaftsbereich begibt, erfährt Rettung und Segen für sein Leben.